Stimmen vom Forum »28 Jahre PKK-Betätigungsverbot: Jetzt reden wir!

»Ich habe getan, was ich tun konnte!«

Gisela Rhein, Kurdistan Report


Betroffene der Kriminalisierung durch das PKK-Betätigungsverbot haben auf dem Forum »28 Jahre PKK-Betätigungsverbot: Jetzt reden wir!« am 18./19. Juni 2022 aus ihrem Leben berichtet. Veranstalter war der Verein für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD e.V.) gemeinsam mit der European Association of Lawyers for Democracy & World Human Rights (ELDH), dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., dem Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ).

Stimmen vom Forum »28 Jahre PKK-Betätigungsverbot: Jetzt reden wir!Die Empfänger des Friedensnobelpreises 2022 wurden gestern bekannt gegeben, und ich füge meinen ganz persönlichen Friedensnobelpreis hinzu. Ich verleihe ihn all jenen Menschen, die seit Jahrzehnten der Kriminalisierung als politisch denkende und aktive Kurd:innen widerstehen.

Am 18. Juni 2022, dem ersten Tag des zweitägigen Forums »28 Jahre PKK-Betätigungsverbot: Jetzt reden wir!« haben Betroffene dieser Kriminalisierung uns einen kurzen Einblick in ihr Leben gegeben.

H. berichtet: »Ich bin am 16.09.1978 nach Deutschland geflüchtet. Zwei Monate nach meiner Flucht aus der Türkei fand das Maraş-Massaker statt. Die Dörfer in Maraş wurden menschenleer. Ich bin in Deutschland geblieben und habe einen Asylantrag gestellt. Ab den 80ern habe ich mich in legalen kurdischen Vereinen engagiert. Damit begannen die staatlichen Repressalien. Bis 1988 habe ich keinen Aufenthaltstitel erhalten. Da ich keinen Aufenthaltstitel hatte, konnte ich lange meine Familie nicht nach Deutschland holen. Erst 1988 habe ich einen Aufenthaltstitel erhalten und konnte ein Jahr später meine Kinder nachholen. Damals gab es fast wöchentlich Hausdurchsuchungen, deshalb kannten einer der zuständigen Beamten und ich uns sehr gut. Er stellte mich den Polizeibeamten sogar immer persönlich vor, wenn sie wieder zu einer Durchsuchung kamen. Die häufigen Durchsuchungen belasteten uns. Nachdem diese nichts ergaben, gingen die Ermittlungsbeamten auf Videoüberwachung über. Sie stellten gegenüber unserer Wohnung Kameras auf. Dafür brauchten sie Zugang zum gegenüberliegenden Haus. Der Besitzer, ein Deutscher, hat nach dem Grund für die Kameraüberwachung gefragt. Die Beamten nannten als Grund eine vermutete PKK-Mitgliedschaft. Der Nachbar verweigerte daraufhin die Installation der Kameras und schickte die Beamten weg. Er sprach mich darauf an und ich konnte ihm meine Situation erklären.

Die Bedrohungen weiteten sich auch auf meinen Freundeskreis aus. Außerdem wurde ich vorgeladen und zu meinen Besuchen bei inhaftierten Genossen befragt. Meine Frage, ob diese praktische Solidarität eine Straftat wäre, wurde von dem Beamten verneint.

Der oben erwähnte leitende Beamte hat auch versucht, mich als V-Mann zu gewinnen.

Seit vielen Jahren unterliege ich inzwischen den Meldeauflagen und muss mich seit vielen, vielen Jahren immer wieder bei der Polizei melden. Seit vielen Jahren muss ich alle drei Monate meine Duldung erneuern. Der Rechtsweg ist inzwischen ausgeschöpft. Ich muss damit leben, dass mein Aufenthaltsstatus mein Leben in Deutschland sehr schwierig macht. Ich darf das Stadtgebiet nicht verlassen und meine Verwandten in anderen Teilen Deutschlands nicht besuchen. Ich kann niemanden besuchen. Ich kann weder zu einer Hochzeit noch zu einer Beerdigung.

Aber ich habe nicht aufgehört weiter für das kurdische Volk aktiv zu sein und mich gegen die Repressalien zu wehren. Ich habe nichts verbrochen, ich habe keine Straftat begangen und niemandem ein Unrecht angetan. Ich bin jetzt fast 72 Jahre alt. Ich habe getan, was ich tun konnte.«

Schauen wir in die anderen Berichte, treffen wir immer wieder auf vergleichbare Repressalien.

B. berichtet: »Seit 25 Jahren lebe ich in Deutschland. Mein Asylantrag wurde anerkannt, und ich erhielt später eine Niederlassungserlaubnis. Eine Zeit lang gab es keine rechtlichen Hindernisse wegen meiner legalen politischen Tätigkeit. Doch allmählich begannen die Repressalien, und 2012 wurde per Schreiben vom Regierungspräsidium mein Aufenthaltsrecht in Deutschland widerrufen. 2017 wurde mir per Gerichtsbeschluss verboten, mich weiter politisch zu betätigen, und ich darf nun das Stadtgebiet, in dem ich lebe, nicht mehr verlassen. Ich muss mich zweimal wöchentlich bei der Polizei melden.«

Repressalien, Ausreiseverfügung, Passentzug, Fiktionsbescheinigung statt Aufenthaltstitel, Meldepflicht, Duldung, Abschiebeanordnung, Ausreisepflicht – was für kalte und sachliche Worte. Dahinter verbirgt sich der Versuch, Menschen psychisch zu brechen, sie sozial zu isolieren, ihre politische Haltung als Waffe gegen sie zu verwenden. Der deutsche Staat versucht, sie zum Objekt seiner Kriminalisierung und seiner Bürokratie zu machen. Und das trifft nicht nur den einen Menschen, es trifft ganze Familien. Kinder verlieren ihren Aufenthaltsstatus, wachsen mit der Stigmatisierung ihres Vater oder ihrer Mutter auf.

»Wir sind im Vertrauen auf die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit nach Deutschland geflüchtet, aber außer dem Tod, den die Kurden in der Türkei fanden, gibt es keinen Unterschied zur Türkei«, erklärt Sait.

Es braucht viel Kraft, Überzeugung und solidarische Unterstützung, um dem zu widerstehen, sich die eigene Lebensplanung, die eigene Haltung nicht aus den Händen nehmen zu lassen.

Die deutsche Gesellschaft hält es wie die oft beschriebenen drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nicht sprechen. Aber die Wahrheit ist zumutbar! Nämlich die Wahrheit, welche Folgen die Kriminalisierung der Arbeit im Umfeld legaler kurdischer Vereine für die einzelnen Menschen hat. Wir befinden uns hier in Deutschland nicht in einer demokratischen Komfortzone. Demokratie braucht Engagement und Mut, hinter die Kulissen zu blicken.

Die Mitglieder der Jury, die das Forum als Beobachter:innen verfolgt haben, kommen u. a. zu folgender Schlussfolgerung: »Die mit dem Verbot einhergehende vereins- und strafrechtliche Kriminalisierung und die auf dieser Basis eingeleiteten Ermittlungsverfahren gehen durchweg mit einer Repression politischer Aktivist:innen, der dichten Überwachung kurdischer Vereine und selbst der Zerschlagung von Medienverlagen einher. Das Verbot verstößt damit eklatant gegen die Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs- und Medienfreiheit in Deutschland. Damit werden der kurdischen Community in Deutschland grundlegende demokratische Rechte vorenthalten. Die Folgen sind gesellschaftlich zu spüren: Die aktuelle Politik kriminalisiert die kurdische Community und alle, die sich für sie einsetzen. Es verweigert die Anerkennung der Rechte von Kurd:innen. Und es verhindert eine rechtliche und politische Gleichstellung von Kurd:innen mit der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland. Daraus folgende rassistische Zuschreibungen schränken die Grundrechte von Kurd:innen noch weiter ein. Ein Ende des PKK-Betätigungs-Verbots ist notwendig, um die demokratischen Grundrechte gesamtgesellschaftlich zu verteidigen und die autoritäre Entgrenzung der Sicherheitsbehörden zu stoppen.«1

Hören wir auf das Urteil des belgischen Kassationshofs in Brüssel, dem höchsten Gericht Belgiens: Bei der Auseinandersetzung zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat handelt es sich um einen innerstaatlichen Konflikt. Die PKK ist demnach nicht als terroristische Organisation einzustufen und genießt einen entsprechenden Schutz gemäß dem Völkerrecht.

Es gilt auch für Deutschland:

Das PKK-Betätigungsverbot muss weg!

Fußnote:

1 - https://anfdeutsch.com/aktuelles/stellungnahme-der-jury-zur-kriminalisierung-von-kurd-innen-in-deutschland-33601


 Kurdistan Report 224 | November/Dezember 2022