Jüngste Entwicklungen im Geflüchtetencamp Mexmûr inmitten des irakischen Chaos

Türkische Drohnen und wirtschaftliche Angriffe

Baxtiyar Çelê, Mitglied im Volksrat des Geflüchtetencamps Mexmûr


Nach dem jüngsten Drohnenangriff der türkischen Armee in Mexmûr mit einem Toten kommt es in dem Geflüchtetenlager zu wütenden Protesten | ANFDie Krise und das Chaos im Irak dauern an und verstärken sich mit jedem Tag. Vor über zehn Monaten haben in dem Land Wahlen stattgefunden, aber noch immer ist es nicht gelungen, eine neue Regierung zusammenzustellen.

Zu der andauernden Krise trägt u. a. bei, dass die kurdischen Kräfte sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für den ihnen laut Verfassung zustehenden Präsidentschaftsposten einigen konnten. Die zwei dominierenden kurdischen Parteien, YNK (Yekêtiy Nîştımaniy Kurdistan ‒ Patriotische Union Kurdistans) und PDK (Partiya Demokrata Kurdistanê ‒ Demokratische Partei Kurdistans) haben jeweils eigene Kandidaten aufgestellt. Die Trennung der Kurden in Südkurdistan, der Kurdistan-Region Irak (KRI), in zwei verschiedene Verwaltungsgebiete und die andauernden Auseinandersetzungen der dortigen politischen Kräfte um Macht und Profite verstärken die Krise im Irak.

Auch die irakischen Schiiten sind aufgrund innerer Widersprüche gespalten. Schiitische Kräfte, die dem Iran nahe stehen, und irakisch-schiitische Gruppen konkurrieren um Macht und um die Kontrolle im Land. Aufgrund ihrer daraus resultierenden uneinheitlichen und gespaltenen Haltung waren auch sie bisher nicht dazu in der Lage, zur Bildung einer neuen Regierung einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

Laut der irakischen Verfassung wird der Parlamentspräsident von den sunnitischen Kräften des Landes gestellt. Doch obwohl ihnen die Wahl des Parlamentspräsidenten gelungen ist, tragen auch die sunnitischen Kräfte mit ihrer kompromissunfähigen und gespaltenen Haltung zur anhaltenden Krise im Land bei.

Zusätzlich mischen sich Regionalstaaten wie die Türkei, der Iran oder Saudi-Arabien ständig in die inneren Entwicklungen des Iraks ein und imperialistische Kräfte wie die USA und die EU-Länder führen in dem Land einen Krieg für ihre eigenen Interessen. Die Folge ist eine Krise, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.

Der Iran verfügt im Irak seit langer Zeit über bedeutenden gesellschaftlichen, militärischen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die dort lebende arabische und auch auf die kurdische Bevölkerung. Er spielt deshalb im Land eine entscheidende Rolle. Der Iran kann die schiitische Bevölkerung des Irak und ihre politischen Kräfte vor Ort mobilisieren und dementsprechend als ein durchsetzungsfähiger Akteur auftreten. Er verfolgt die expansionistische Strategie, die schiitische Ideologie in verschiedenen Teilen des Mittleren Ostens zu verbreiten und dadurch das alte persische Großreich wieder zu beleben. Im Irak, Syrien und zahlreichen anderen mehrheitlich arabischen Ländern trifft diese Strategie auf fruchtbaren Boden. Zudem betrachtet der Iran sein Nachbarland Irak als eine vorgelagerte Verteidigungsstellung.

Neoosmanische Bestrebungen der Türkei im Irak

All diese verschiedenen Faktoren tragen dazu bei, dass die aktuelle Politik der Türkei, die historischen Misak-i Milli1-Grenzen und das Osmanische Reich wieder herzustellen, zwangsläufig zu direkten Konflikten zwischen Teheran und Ankara auf irakischem Boden führen. Fügen wir dieser Rechnung noch die reichen Öl- und Erdgasvorkommen im Irak hinzu, nimmt die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zwischen den beiden Ländern noch weiter zu. Dass die Türkei stark auf ihre NATO-Mitgliedschaft und die Zugehörigkeit zum sunnitischen Lager des Islam setzt, verstärkt diese Gefahr nur noch mehr. Solange der Irak nicht als Ganzes den Willen dazu zeigt, auf nationaler Ebene die dringend notwendigen demokratischen Grundlagen zu schaffen und damit die Lösung seiner Probleme selbst in die Hand zu nehmen, wird es nicht gelingen, den Einfluss der Regionalstaaten und der imperialistischen Mächte zu verringern. In diesem Fall bleibt es auch weiterhin unwahrscheinlich, dass das Land einen Ausweg aus seiner jetzigen Lage findet.

Die faschistische Regierung der Türkei verfolgt in Rojava und Südkurdistan weiterhin eine Besatzungspolitik, wobei sie sich vor allem auf die militärischen Fähigkeiten der USA, der NATO und der EU-Länder verlässt. Das Ziel ist es, im Mittleren Osten zu einer regional-imperialistischen Kraft zu werden und ein Schritt in diese Richtung ist die Besetzung der oben erwähnten Teile Kurdistans. Darauf konzentriert sich die Türkei mit voller Kraft. Das Land verfolgt den Plan, die eigene Existenz im 21. Jahrhundert durch die Vernichtung der Kurd:innen abzusichern. Deshalb setzt es seine seit Jahren andauernden Besatzungsangriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete (von der Guerilla kontrollierte Gebiete in Südkurdistan) und Rojava ununterbrochen fort und missachtet dabei jegliche moralischen Normen und Werte. Die Türkei kann sich aufgrund der umfassenden Unterstützung durch den Barzanî-Clan in Südkurdistan (PDK) praktisch ohne Einschränkungen bewegen, Luft- und Bodenangriffe wo und wann immer sie möchte ausführen.

Türkische Angriffe mit Unterstützung der PDK gegen Zivilbevölkerung

Am 14. April dieses Jahres begann eine neue Angriffswelle der Türkei in Südkurdistan. Seither verliert sie dort tagtäglich Dutzende Soldaten, setzt aber dessen ungeachtet weiter ihre Angriffe fort. Je größer die Verluste, die die faschistisch-türkischen Kräfte erleiden, desto aggressiver werden deren Angriffe. Dabei setzt die Türkei modernste Waffen, Kriegstechnik und chemische Waffen ein, die ihr von der NATO zur Verfügung gestellt werden. Der faschistische türkische Staat setzt darauf, dass er die Kontrolle über die Zagros-Berge gewinnen und dann umso einfacher die weiter südlich gelegene Ebene Südkurdistans besetzen kann. Dabei erleidet er jeden Tag gegen all die von ihm auf den Berggipfeln bezogenen Stellungen schwere Angriffe durch die Guerilla und wird entsprechend kontinuierlich geschwächt. Als Reaktion darauf intensiviert er seine Angriffe und macht auch die Zivilbevölkerung zunehmend zum Angriffsziel. Mithilfe der kollaborierenden PDK-Kräfte ist es ihm gelungen, an zahlreichen Stellen in Südkurdistan militärische Stellungen zu errichten. All diese Orte betrachtet der türkische Staat als sein eigenes Staatsgebiet, beginnt mit der Vertreibung der dort lebenden Dorfbevölkerung und entvölkert die Gebiete. Zuletzt griffen türkische Soldaten mehrmals die Bewohner:innen des im südkurdischen Gebiet Zaxo liegenden Dorfes Perex an. Bei dem zweiten dieser Angriffe wurden am 20. Juli dieses Jahres arabische Familien, die dort ihren Urlaub verbrachten, zum Ziel. Neun Menschen starben und 23 weitere wurden verletzt. Bei einem früheren Angriff waren bereits zwei Bewohner des Dorfes Perex getötet worden. Laut offiziellen Angaben wurden in Südkurdistan bisher 138 Zivilist:innen durch türkische Angriffe getötet. Lokale Quellen sprechen aber von bis zu 178 getöteten Zivilist:innen, der Großteil von ihnen Frauen und Kinder.

Der faschistische türkische Staat setzt seine Kriegsstrategie ununterbrochen fort und weitet sie auf ganz Kurdistan aus. Jeden Tag werden Dutzende von Menschen durch bewaffnete türkische Drohnen ermordet. Das oben erwähnte Massaker in dem südkurdischen Dorf Perex hat den Verrat der mit der Türkei kollaborierenden Barzanî-Familie noch deutlicher werden lassen. Aber die Angst vor den politischen Folgen des Massakers in der Bevölkerung veranlasste Nêçîrvan Barzanî, den Präsidenten der KRI, den Sarg eines bei dem Angriff getöteten Kleinkindes selbst zu tragen und damit die direkte Verwicklung seiner Familie in dieses Massaker zu verschleiern.

Jeden Tag werden Guerillakämpfer:innen, die mutigen Kinder des kurdischen Volkes, oder patriotische Zivilist:innen in Şengal und Mexmûr bei türkischen Angriffen ermordet. Die Barzanî-Familie ist direkt in diese Morde verwickelt und stellt dem türkischen Geheimdienst MIT alle notwendigen Informationen für die Durchführung zur Verfügung. Durch ihre Kollaboration verliert der Barzanî-Clan eigene Willens- und Gestaltungskraft und ist mittlerweile praktisch vollständig in die südkurdische Region Behdînan abgedrängt worden. Sie hat sich zu einer Art Staatsbeamtin des AKP-MHP-Faschismus entwickelt.

Der Barzanî-Clan hat mittlerweile sein Ansehen im kurdischen Volk verloren und wird offen als Kollaborateurin und Verräterin bezeichnet. Die von ihr dominierte Partei PDK hält sich mithilfe der in dem Gebiet Behdînan, vor allem in Dihok und Hewlêr (Erbil), organisierten bewaffneten Milizen Roj-Peschmerga und der von ihr rücksichtslos ausgebeuteten wirtschaftlichen Ressourcen der Region auf den Beinen. Für ihr Weiterbestehen braucht sie die Unterstützung ausländischer Kräfte, denn ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist eklatant geschwunden und damit auch ihr politischer Gestaltungsspielraum. Vor allem England und Israel, aber auch die USA und die EU versuchen ihr Möglichstes, die Barzanî-Familie an der Macht zu halten, um ihre strategischen Interessen und ihre Ausbeutungspolitik in Kurdistan weiter zu verfolgen. Aus diesem Grund praktiziert diese Familie heute  Verrat und Kollaboration, während sie zugleich in allen Teilen Kurdistans wie eine Bedienstete des Imperialismus auftritt. Sie wird als eine Art Projekt genutzt, mit dessen Hilfe die Einheit und Freiheit des kurdischen Volkes verhindert werden soll. In diesem Zusammenhang wird versucht, die PKK, eine Bewegung, die sich durch große Menschlichkeit auszeichnet, zu zerschlagen und die PDK, eine von jeglichen menschlichen Werten entleerte Alternative, am Leben zu halten und in den Vordergrund zu rücken.

Um die Barzanî-Familie haben sich heute all die Kräfte Kurdistans versammelt, die aus Angst um ihre Existenz entschieden haben, mit dem türkischen Staat zu kollaborieren und Verrat zu üben. Diese Kräfte haben dem kurdischen Volk nichts Anderes zu bieten, als Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Genauso wie der AKP-MHP-Faschismus werden sie letztendlich Rechenschaft dafür ablegen müssen, und davor werden ihnen auch ihre auf der ganzen Welt verteilten Paläste keinen Schutz bieten können.

Im Irak hat das türkische Militär mittlerweile an 104 Orten Stellungen bezogen. Dazu kommen noch  fünf große Militärstationen und 4000 türkische Soldaten auf irakischem Staatsgebiet. Fügen wir dem noch die vom MIT angeworbenen bzw. direkt eingesetzten Agenten hinzu, können wir davon ausgehen, dass der türkische Staat in Südkurdistan über ca. 10.000 Einsatzkräfte verfügt. Dementsprechend groß ist der Einfluss der Türkei in dem Land und die Kraft, türkische Interessen vor Ort durchzusetzen. Das jüngste Bombardement in dem Dorf Perex ist ein Signal der Türkei an alle irakischen Kräfte, dass sie mit gezielten Massakern jederzeit intervenieren kann. All dies tut sie mit direkter Unterstützung der kollaborierenden PDK, die sich zudem seit geraumer Zeit verstärkt bemüht, die irakische Armee in den Krieg gegen die PKK zu verwickeln. Auch in Bezug auf das Massaker in Perex wird die PDK in diesem Sinn wieder all ihre politisch-diplomatischen Möglichkeiten für das Erreichen dieses Ziels einsetzen.

Mittlerweile ist jedoch allen Beteiligten sehr deutlich geworden, dass die Präsenz des türkischen Staates im Irak eine große Gefahr für die Zukunft der dort lebenden Menschen darstellt. Die faschistische Politik der AKP-MHP-Regierung wird dazu führen, dass die in der Region lebenden Völker noch stärker zusammenrücken und ihre Beziehungen untereinander stärken. Auf der Grundlage der daraus resultierenden Solidarität der Völker wird sich deren gemeinsame Widerstandsfront gegen die türkische Besatzung und den Kolonialismus verbreitern, wodurch letztendlich Besatzung und Kollaboration ein Ende finden werden.

Şengal und Mexmûr Ziel türkischer Angriffe

Während der türkische Staat seine schmutzigen Pläne im Irak und Südkurdistan weiter verfolgt, greift er auch immer wieder Şengal und das Geflüchtetencamp Mexmûr an, die er beide als Hindernis für seine Politik in der Region betrachtet. Immer dann, wenn er andernorts in Bedrängnis gerät, sucht er nach Vorwänden, um diese beiden Orte anzugreifen mit dem Ziel, sie und ihre Selbstverwaltungsstrukturen zu zerschlagen. Da die NATO, insbesondere die USA, den irakischen Luftraum für türkische Kampfflugzeuge und Drohnen offen halten, kann die Türkei die Führungspersönlichkeiten der in Şengal und Mexmûr lebenden Bevölkerung, und auch deren Kinder und Frauen ermorden. Sie verfolgt dabei das Ziel, den patriotischen und widerständigen Geist der Menschen Şengals und Mexmûrs zu brechen und diese zur Kapitulation zu zwingen. Damit hätte sich die Türkei zweier wichtiger Hindernisse entledigt.

Seit Jahren ist besonders das politische Geflüchtetencamp Mexmûr ein Angriffsziel des faschistischen türkischen Staates und der mit ihm kollaborierenden PDK. Schauen wir uns daher einmal genauer an, welche Versuche in jüngster Zeit unternommen wurden, um das Camp dazu zu bewegen, seinen Widerstand aufzugeben.

Während des seit 27 Jahren andauernden Lebens als Geflüchtete haben die Menschen Mexmûrs je nach politischer Phase verschiedene Arten von Angriffen erlebt. Das Ziel ihrer Feinde hat sich nicht verändert, doch die Angriffe haben im Lauf dieser Zeit zunehmend ihre Orientierung an moralischen Maßstäben verloren. Heute haben wir es mit sehr schweren Angriffe zu tun, die institutionalisiert und gut geplant durchgeführt und immer intensiver werden. Dutzende Menschen wurden seit Dezember 2017 durch türkische Drohnenangriffe auf das Geflüchtetencamp Mexmûr getötet, viele davon Frauen und Kinder. Zuletzt wurden im Juli 2022 zwei alte Frauen bei einem Drohnenangriff der Türkei verletzt. Derartige Angriffe stellen für die Campbewohner:innen mittlerweile eine Art Routine dar. Ständig kreisen türkische Drohnen über ihnen und erzeugen eine Atmosphäre permanenter Angst vor neuen Angriffen. Dieser Druck soll die Menschen zum Verlassen des Camps zwingen.

Der türkische Geheimdienst MIT und der Geheimdienst Parastin der PDK planen von Hewlêr aus gemeinsam intensive Aktivitäten, um Mexmûr zu zerschlagen. Die in Hewlêr angesiedelte gemeinsame Zentrale der beiden Geheimdienste wird von Eli Ewni geleitet, der sowohl Mitglied des PDK-Zentralkomitees als auch des Parastin ist. Im Juni diesen Jahres traf eine neue Gruppe MIT-Agenten in Hewlêr ein. Ein Teil von ihnen wurde kurz darauf in die Stadt Kerkûk verlegt. Regionale Medien berichteten über die Ankunft der Gruppe. Ein Teil dieser MIT-Agenten wird explizit mit dem Ziel in der Region eingesetzt, an den Aktivitäten gegen das Camp Mexmûr mitzuwirken. Lokale Quellen berichten, dass diese MIT-Agenten in Uniformen der südkurdischen Peschmerga als angebliche PDK-Peschmerga in dem Gebiet um Mexmûr aktiv sind und dort u.a. in von der PDK kontrollierten Militärstationen untergebracht werden. Es wird berichtet, dass sie von dort aus direkt an Aktivitäten in der Region, insbesondere gegen das Mexmûr-Camp beteiligt sind. Sie scheinen sich darauf zu konzentrieren, in Mexmûr lebende Menschen als Agenten zu gewinnen und Drogen unter der in der Region lebenden Bevölkerung zu verbreiten. Zudem versuchen sie, Menschen aus dem Geflüchtetencamp dazu zu bewegen, das Camp zu verlassen und nach Hewlêr oder sogar in die Türkei zu ziehen. Selbst für den Weg nach Europa wird den in Mexmûr lebenden Menschen von diesen MIT-Agenten Unterstützung angeboten.

Im irakischen Parlament arbeitet die Türkei aktiv daran, mithilfe von ihr kontrollierter Minister:innen und Parlamentarier:innen ihre Politik gegen das Mexmûr-Camp auch auf politischer Ebene umzusetzen. Sie will verhindern, dass die bestehenden irakischen Gesetze in Bezug auf Geflüchtete im Fall der Bevölkerung Mexmûrs umgesetzt werden. Die Türkei tut alles dafür, dass die Menschen aus Mexmûr nicht die ihnen gesetzlich garantierten Rechte in Anspruch nehmen können. Laut geltendem irakischen Recht (Paragraph 1971/51) hat die Bevölkerung Mexmûrs den offiziellen Status als »politische Geflüchtete«. Dessen ungeachtet werden ihr bis heute zahlreiche damit verbundene Rechte verwehrt. Der turkmenische Parlamentarier Erşat Salihi und zahlreiche weitere Mitglieder des irakischen Parlaments verfolgen eine vom türkischen Staat vorgegebene Politik. Auf sie alle hat die Türkei großen Einfluss, den sie nutzt, um im irakischen Parlament und in der Regierung sehr effektiv gegen die Bevölkerung des Mexmûr-Camps Politik zu machen.

Angriffe gegen Kooperativen der Bevölkerung

Aufgrund der vor Ort vorherrschenden Bedingungen und des Drucks der Türkei und der PDK, kämpft die Bevölkerung Mexmûrs beständig mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Seit Mai 2018 erreichen keinerlei Hilfslieferungen mehr das Camp. Auch die UN hat ihre Hilfen eingestellt. Die PDK selbst hat den Zugang zu dem von ihr kontrollierten Gebiet für die Menschen des Mexmûr-Camps faktisch unmöglich gemacht. All diese Entwicklungen haben die wirtschaftliche Lage des Camps noch einmal deutlich verschlechtert. Als einzige Einnahmequelle bleibt den Menschen die Arbeit im Bausektor des Landes. Entsprechend viele junge Männer arbeiten in anderen Teilen des Iraks auf dem Bau. Mit ihrem Verdienst konnten im Mexmûr-Camp kleine Wirtschaftskooperativen für Viehwirtschaft aufgebaut werden. Die in diesen Kooperativen organisierten Bewohner:innen Mexmûrs haben also begonnen, selbst für ihre Einkünfte zu sorgen und so die bestehenden wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Die Ziegen und Schafe werden auf Viehmärkten in der Region verkauft und mit dem verdienten Geld kann die Arbeit der Kooperativen weiter finanziert werden. Vor kurzem wurden alle Schafe und Ziegen an zwei Viehhändler verkauft, der Kaufpreis von zwei Millionen Dollar jedoch nie bezahlt. Beide Personen verschwanden nach Übergabe der Tiere spurlos. Später stellte sich heraus, dass diese beiden angeblichen Viehhändler Mitglieder des PDK-Geheimdienstes Parastin waren. Etwa zur gleichen Zeit waren Personen, die in dem bergigen Gelände der Region Handel betrieben, mit in Mexmûr lebenden Kleinhändler:innen in Kontakt getreten und hatten sie um eine Million Dollar betrogen. Durch diese von der PDK und dem türkischen Staat eingesetzten Personen wurde die Bevölkerung Mexmûrs um insgesamt drei Millionen Dollar betrogen. Das Ziel hinter dieser Politik ist klar: Die Bevölkerung des Camps soll wirtschaftlich ruiniert werden.

Selbstorganisierung gegen Unterwerfung

Trotz der grenzenlosen faschistischen Angriffe verzichtet die Bevölkerung des politischen Geflüchtetencamps Mexmûr auch weiterhin nicht auf ihre Selbstorganisierung und ihren politischen Kampf, sondern setzt ihren Widerstand ununterbrochen fort. Im Bewusstsein für ihre wichtige Mission und Rolle in der Region und auf Basis ihrer eigenen Kraft bleiben die Menschen dort. So wird das Mexmûr-Camp auch weiterhin ein Albtraum für seine Feinde bleiben. Den Menschen des Camps wird es mit Sicherheit gelingen, aus den von ihnen geschaffenen friedlichen Beziehungen zu den Völkern der Region eine solidarische Gemeinschaftlichkeit zu schaffen. Dabei werden ihnen auch die in den vergangenen 27 Jahren umfassenden praktischen Erfahrungen, verwurzelt im demokratisch-freiheitlichen Denken und in der demokratischen Selbstorganisierung, helfen.

Fußnote:

1 -    Misak-i Milli: Nationalpakt aus dem Jahr 1920 ‒ er ist die Rechtfertigungsgrundlage für die von der Türkei angestrebte Annektierung des Nordirak und Nordsyriens


 Kurdistan Report 223 | September/Oktober 2022