»Ich habe niemals meinen Kopf vor jemandem gesenkt«

Alles für die Freiheit

Fatma Oren, Mutter von drei Gefallenen im Camp Mexmûr

Die Geschichte der Menschen des Camps Mexmûr ist eine Geschichte des Widerstands und des Aufbaus: »Es gab unter uns viele Unermüdliche, die zwar von der Welt vergessen wurden, aber aus dem Nichts eine Existenz geschaffen haben. Unsere Gedanken und Überzeugungen hielten uns auf Trab. Unsere Freiheitsverbundenheit hielt uns auf den Beinen. Es gab keine Unterkunft, aber Glauben gab es; es gab kein Wasser, doch es gab eine Seele.« | Fotos: anf Das kurdische Volk hat eine lange Geschichte, eine alte Kultur und besiedelt ein Gebiet, das als Wiege der Zivilisation gilt. Aber leider ist es in unserer heutigen Zeit ohne eigenes Zuhause, ohne offizielle eigene Sprache, seiner Geschichte beraubt und ständigem Missbrauch und Raub ausgesetzt. In Kurdistan spielen die Frauen die Hauptrolle bei der Gestaltung der Gesellschaft. Frauen sind näher an der Lebenswirklichkeit, ein Ausdruck eines Jahrtausende alten Erbes. Vom Neolithikum bis heute haben die Frauen trotz aller Angriffe, Zwänge und Druck des patriarchalen Systems ihre selbständige Existenz verteidigt, auch in Botan. Mit Aufkommen der Freiheitsbewegung haben kurdische Frauen mit allen Formen des Feudalismus gebrochen und eine führende Rolle im Kampf für die Freiheit eingenommen. 1994 wurden insgesamt 450 Dörfer in Botan niedergebrannt und zehntausende Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Ein Teil dieser Menschen verteilte sich in der ganzen Welt. Um ihre Seele und ihre Würde zu schützen, flohen viele nach Südkurdistan (Irak). Die Menschen des Camps Şehîd Rûstem Cûdî (Mexmûr) im Nordirak, die Teil dieses alten Volkes und dieser alten Kultur sind, haben bei allen kurdischen Aufständen eine bedeutende Rolle gespielt, so wie auch für die Weiterentwicklung und Verbreiterung der kurdischen Freiheitsbewegung. Die Frauen der Region Botan haben während ihrer endlosen Flucht sowohl unglaublich viel erreicht als auch viel Gewalt und Verletzungen erfahren. Jetzt sind ihre Augen auf ein anderes Leben gerichtet. Auf ihrem Weg bildeten sich Selbstbewusstsein, Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung heraus. Mit dem Aufbau von Nachbarschaftskomitees hatten die Institutionen ihre Arbeit begonnen, und nun sind sie beim Aufbau von Räten angekommen. Das Bewusstsein über ihre kurdische Identität erwachte aus dem jahrhundertelangen Tiefschlaf, besonders bei den Frauen. Die Familie von Fatma Oren war eine der Familien, auf die die Freiheitsbewegung sich stützen konnte. Fatma Oren, die im Folgenden zu uns spricht, verlor drei ihrer Söhne und ihren Lebenspartner im Kampf für die Freiheit Kurdistans:

Die Vergangenheit war nicht wie die Gegenwart, es gab keine Liebe für die Mädchen und Jungen. Ab einem bestimmten Alter suchten die Eltern für die Jungen und Mädchen einen Ehepartner aus. Die Familie des Jungen nahm ein junges Mädchen entsprechend ihren Wünschen auf und gestaltete die Ehe nach ihren eigenen familiären Vorstellungen. Das Mädchen hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung und die Familie des Mädchens hatte kaum eine andere Wahl, als zuzustimmen. Diese Art und Weise der Eheschließung war zu einer Kultur etabliert worden, der sich niemand entziehen konnte.

Meine Ehe entstand genauso. Ich wurde mit 16 Jahren verheiratet. Mein Ehepartner war 22 Jahre alt. Das war noch in den 1960er Jahren so. Sieben Tage nach unserer Heirat ging mein Mann Salih zur türkischen Armee, damals wurde er für drei Jahre verpflichtet. Nach zwei Jahren Militärdienst blieb er drei Tage zu Hause. Während dieser drei Tage brach ein Konflikt zwischen unserem Stamm und einem anderen Stamm aus, bei dem 23 Männer getötet wurden. Die Feindschaft zwischen diesen beiden Stämmen hielt elf Jahre an. Nach dem Militärdienst ging Salih wieder mit seinem Vater zum Gebet in die Moschee, wobei auch jener dem Konflikt zum Opfer fiel, womit mein Mann nun der einzige Sohn des Hauses war. Nach diesem Vorfall ging Salih erneut für zwei Jahre zum Militär und meine Schwägerin stand dem Haus vor. Ich habe selbständig den Wochenmarkt bedient und gleichzeitig den Haushalt erledigt. Ich hatte insgesamt 14 Kinder, davon 8 Jungen und 6 Mädchen. Neben diesen Aufgaben war ich verantwortlich für die gesamte Viehzucht und Landwirtschaft. Das war schwer, aber trotz meiner geringen Körpergröße und meines jungen Alters habe ich niemals meinen Kopf vor jemandem gesenkt. Mein Lebensgefährte sagte eines Tages: Ich fühle mich in unserem Haus nicht wohl, weil mein Vater vor dieser Haustür getötet wurde, wir sollten uns ein neues Haus bauen. Die Möglichkeiten waren nicht wie heute, zum Hausbau mussten im Steinbruch Steine gebrochen werden.

Wie sehr ich mich auch bemühe, das Erlebte zu beschreiben, kann wohl dennoch niemand nachvollziehen, was für ein Leben ich geführt habe.

Ich habe mich von niemandem unterkriegen lassen

Auch vor meiner Flucht war mein Leben immer voller Druck und Schwierigkeiten. Als die Arbeiten noch auf den Schultern meines Lebensgefährten und meinen verteilt waren, ging es ganz gut. Unser Verhältnis war gut und gleichberechtigt. Er schätzte mich und ich schätzte ihn. Damals war die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) in der Türkei wichtig für uns.

Mein Lebensgefährte war damals auch ein Pêşmerga1, wie die meisten Männer unseres Dorfes. Mein Cousin Elî ist als Mitglied der Partei gefallen. So war unser Leben, einerseits die schwere Arbeit und die Härte des Dorflebens, andererseits die kurdische Frage und die ständigen Angriffe des Feindes. Bis zum 12. September 19802 war unsere Situation noch einigermaßen gut. Ab da verstärkten sich die Angriffe des türkischen Staates auf uns. Zu dieser Zeit gingen die Männer aus den Dörfern in die türkischen Städte und leisteten Widerstand. Die PKK kam zu dieser Zeit nicht in unser Dorf. Mein Lebensgefährte war auch eine Zeit lang Kolber3. Als er 1982 nach einem Auftrag zurückkehrte, lernte er die PKK kennen. Er beteiligte sich als Sympathisant und trat 1987 der Partei bei. Nach seinem Anschluss wuchs meine Alltagslast, drei meiner Kinder waren zu dieser Zeit noch sehr klein. Aber ich habe mich von niemandem unterkriegen lassen und die alltäglichen Aufgaben selbst bewältigt. Ich brauchte von niemandem Unterstützung und hab alles selbst hinbekommen. Wir hatten Walnussbäume und sammelten deren Nüsse für den Wochenmarkt. Auch wirtschaftlich war unsere Lage gut. Ich hütete die Schafe und Ziegen und war sehr zufrieden damit. Eigentlich hatten Frauen in der Familie nichts zu sagen. Im Haus galt das Wort des Mannes, ob Vater oder Bruder oder Sohn, sein Wort galt und er entschied die familiären Angelegenheiten. Auch demgegenüber war ich eine starke Frau. Alle kannten mich so. Die Nachbarinnen sagten über mich: Fatma ist sehr willensstark, kräftig, bestimmt ihre Regeln selbst und sorgt dafür, dass es allen gut geht. Als mein Lebensgefährte im Kampf gefallen war, haben meine Kinder und ich den Haushalt aufrechterhalten. Ohne Mann im Haus galt damals eine Familie als zerbrochen; aber ich ließ diese Sichtweise auf meine Kinder und mich nicht zu. Wieder einmal kam mein Herz nicht zur Ruhe. Jemand musste die Arbeiten und Verantwortlichkeiten meines ermordeten Ehemannes übernehmen.

Wenn die Freiheitsliebe in das Herz eines Menschen eindringt …

Ich ging zur Partei und sagte: Ich möchte mich an den Arbeiten beteiligen. Die Hevals4 waren überrascht. In unserem Dorf machte zu dieser Zeit keine Frau organisatorische Arbeit für die Partei, denn es wurde gesagt, dies sei nicht üblich und deshalb nicht möglich. Auch waren meine Kinder alle noch klein. Aber ich bestand darauf. Ich sagte, dass das Versprechen meines Lebensgefährten Salih an die Partei auch meines ist und ich von nun an Salihs Parteiarbeit fortsetzen würde. Ein Jahr nach dem Tod meines Mannes trat mein Sohn Talip der Guerilla bei. Mein Sohn war stark und intelligent, deshalb hat er auch diesen Weg gewählt. Er sagte mir: Ich werde gehen. Daraufhin packte ich ihm seinen Rucksack und sagte ihm Lebewohl. Nachdem er gegangen war, kamen alle Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner zu mir. Es hieß, ich hätte ihn geschickt. Ich war unsicher und habe das nicht richtiggestellt. Wenn die Freiheitsliebe in das Herz eines Menschen eindringt, ist es nicht möglich, ihn einzusperren oder ihn zurückzuhalten. Er wird seinen eigenen Weg gehen. Mein Sohn gab sich selbst den Namen Xebat. Selbstverständlich wurde der Name Xebat zum Stolz unserer Familie.

Als Xebat 1993 fiel, brachte mein anderer Sohn es nicht übers Herz, mir von dessen Tod zu berichten. Er stand eines Morgens früh auf, wusch sich, zog sich frische Kleider an und rief nach mir. Er sagte: Mutter, ich werde mich den Hevals anschließen. Ich antwortete: Sohn, geh noch nicht, wenn dein Bruder eines Tages fällt, geh und übernimm seine Waffe. Er sagte zu mir: Was mein Bruder macht, ist mir egal, ich werde gehen. Die Waffe meines Mannes war noch im Haus. Mein Sohn verband die Munitionsweste und die Kalaschnikow mit seines Vaters Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Er fragte mich: Mutter darf ich Vaters Waffe nehmen oder nicht? Ich sagte ihm: Mein Junge, nimm die Waffe an dich, sie wird dir sehr dienlich sein, ich begrüße deine Entscheidung und deine Größe sehr. Er warf seinen Rucksack auf seinen Rücken, wickelte sich sein Tuch um den Kopf und ging. Ich saß vor der Tür, als er über die Schwelle unseres Hauses trat und sah ihm nach, bis ich ihn aus den Augen verlor. Ich schaute aufmerksam seiner Gestalt, seinem Charme und seiner bemerkenswerten Schönheit nach.

Auch in Zaxo hörte der Druck nicht auf

Einige Zeit danach sind wir ausgewandert: Der Druck und die Gewalt des türkischen Staates ließen uns nichts übrig als die Flucht. Weil meine Kinder in den Reihen der Guerilla waren und auch mein verstorbener Lebensgefährte als Guerilla gefallen war, war unsere Familie den Drohungen des türkischen Militärs besonders ausgeliefert, zusätzlich zu den Angriffen und Vertreibungen gegen alle Kurdinnen und Kurden in unserer Region. Eines Tages kamen türkische Soldaten in unser Dorf und plünderten und brandschatzten mein Haus. Ich hatte Tränen in den Augen und bevor sie gingen, sagten sie zu mir: Wenn du noch einmal der PKK hilfst, verbrennen wir dich ebenfalls. Ich habe meine Kinder und 30 Ziegen genommen und ging mit den anderen nach Zaxo. Aber dort hörten der Druck und der Zwang auch nicht auf. Zwölf Menschen wurden getötet und wir gingen weiter nach Bihêrê, wo wir nur eine sehr kurze Zeit blieben. Pausenlos flogen Kampfjets der türkischen Armee über unseren Köpfen. Um uns und unsere Kinder zu schützen, zogen wir weiter nach Bêşrîvê. Die örtliche irakische Verwaltung ließ uns nicht bleiben, aber die Camps Geliye Qiyametê und Etruş nahmen uns auf. Unsere 1995 geflohene Gruppe kam in Geliye Qiyametê an, wo ich ein Jahr blieb. Die Regierung verhängte drei Monate lang ein Embargo gegen uns. Von Geliye Qiyametê wurden wir nach Etruş gebracht. Dort blieben wir ebenfalls ein Jahr, bis wir auch von hier wieder weiterziehen mussten. Es kam aber auch unsere zweite Gruppe. Die Leute aus Hilalî und Mijinî ließen sich in Etruş nieder. Der Rest von uns blieb in Geliye Qiyametê.

Ich habe kein gutes Leben gehabt

1996 waren wir fest im Camp Etruş integriert. Nach all dem Leid und den Mühen kamen eines Tages einige Leute der Gemeindeleitung zu uns. Ich sagte zu ihnen: Ich bin ein Gast, habe viel Leid erfahren, in mir ist es schwarz, ich fühle mich ausgebrannt, keine Freude ist mir geblieben. Ich fragt euch geradeheraus: Ist mein Sohn ein Şehîd5? Dies bestätigten sie. Ich stieß laut das Tililî6 aus, ging auf den Hauptplatz des Lagers und sprach vor 17.000 Menschen. Ich sprach von den gefallenen Şehîds und habe sieben Tage lang getrauert. Nach der Trauerzeit sagte ich: Alle sollen es hören und wissen! Es wird am Donnerstag die Hochzeit meines Sohnes geben, ihr seid alle eingeladen!

Heval Sinan von der Partei kam zu mir und sagte erbarmungsvoll: Yadê (Mutter), warum hast du die Hochzeit geplant? Es hieß doch, du willst diesen Sohn nicht verheiraten, damit er sich dem Freiheitskampf widmen kann. Ich sagte zu ihm: Ich habe mich für die Hochzeit entschieden. In diesem Moment war der Raum voller Männer. Ich blieb im Flur und sagte: Schon damals, als mein Cousin Elî seine Seele für unsere Heimat gegeben hat und sich dem Abgrund der Bitterkeit entgegenstellte, wurde er getötet. Auch er wollte ihre Kriegsmaschinen zerstören, doch nun kreisen sie über seinem Leichnam und denen meiner Söhne und meines Lebensgefährten. Nach diesen Worten fingen einige Männer an zu weinen, bis alle weinten. Wir haben daraufhin die Hochzeit stattfinden lassen. Wir blieben noch drei Monate und gingen dann weiter nach Nînova.

Ich habe kein gutes Leben gehabt. Manchmal habe ich mich danach gesehnt, mich für zwei Stunden schlafen zu legen, weil die Arbeit und die schweren häuslichen Pflichten auf meinen Schultern lasteten. Ich war immer mitten in Arbeit und Aktivität. Zum Beispiel habe ich ein Jahr lang im Naturschutz gearbeitet, und zuletzt in der Institution für die Familien der Gefallenen. Und wieder kam der Genozid über uns. Ohne Fahrzeuge und ohne Vorbereitung machten wir uns auf den Weg und zogen nach Nahdaran. Wir gingen in PDK-Gebiete und wurden von den Pêşmerga angegriffen; wir gingen in den Irak und wurden dort von Saddams Truppen angegriffen. Mitten im Winter waren wir ohne Zelte, ohne Nylonplanen, ohne irgendetwas. Zu Beginn der Flucht nach Nahdaran verlor eine Frau ihr Leben, ganze drei Tage lang lag ihr Leichnam am selben Ort, eine Beerdigung gab es für sie nicht.

Später einigten sich UN und irakische Zentralregierung und wir zogen nach Mexmûr. Wir waren erstaunt, als wir uns umsahen: Es gab wieder keine Zelte, keine Nylonplanen, keinen Regenschutz, keinen Bodenschutz, kein Essen, kein Trinken, kein Wasser, es gab einfach nichts als Wüste. Wir hatten gütige und gebende Hände, doch waren wir arm und konnten nicht anders. Wir haben uns nur angeschaut und uns gesagt, dass wir einen Weg finden müssen, hier zu überleben. Es gab hier nichts außer Skorpionen und Schlangen. So sah Saddams Traum aus. Zu dieser Anfangszeit in Mexmûr starben 16 Kinder an Skorpionstichen. Gelegentlich kam ein Tanklastwagen mit Wasser. So lebten wir ein Jahr im Camp.

Unsere Bevölkerung entschloss sich nach einer Weile, mit den Aufbauarbeiten im Camp zu beginnen. Es gab unter uns viele Unermüdliche, die zwar von der Welt vergessen wurden, aber aus dem Nichts eine Existenz geschaffen haben. Unsere Gedanken und Überzeugungen hielten uns auf Trab. Unsere Freiheitsverbundenheit hielt uns auf den Beinen. Es gab keine Unterkunft, aber Glauben gab es; es gab kein Wasser, doch es gab eine Seele.

Unser Volk war verbunden mit den Şehîds

Als Reber Apo [Abdullah Öcalan] verhaftet wurde, mussten wir uns langsam unseres Lebenswegs bewusst werden. Die Menschen waren miteinander verbunden, unser Volk war verbunden mit den Şehîds, verbunden mit ihrer Mühe und Arbeit. Als Rebertî7 verhaftet wurde, nahmen einige Bewohner Mexmûrs ihre Töchter und Söhne an die Hand und brachten sie zur Organisation, damit sie sich der Partei anschlössen. 260 junge Menschen schlossen sich so der Guerilla an. Auch mein Sohn. Sehr viele waren noch sehr jung, weshalb die Partei sie abweisen wollte, doch die jungen Freiwilligen sagten: Wenn ihr uns nicht nehmt, verbrennen wir uns selbst. Die Hevals waren hilflos und nahmen die Kinder in der Partei auf. Es war mein dritter Sohn, der sich anschloss. Vom Dorfleben bis zum heutigen Tag habe ich alle möglichen Arbeiten durchgeführt. Von der Verteidigung bis zur Basisorganisierung, von der Gründung der Institution der Angehörigen der Gefallenen bis zur Diplomatie habe ich nicht einen Tag aufgehört und mir nicht einen Tag Auszeit gegönnt. Ich habe das gebraucht, jede Arbeit anzunehmen. Selbst als ich krank wurde, habe ich nicht einen Moment aufgehört zu arbeiten. Ich habe mich sowohl um meine Kinder gekümmert als auch Arbeiten für die Partei geleistet. Als die Frauen ihren Platz in den Parteiarbeiten einnahmen, waren die Männer sehr genervt. Sie sagten: Welche Arbeiten kann es in der Verteidigung für Frauen geben? Was verstehen die Frauen schon von der Verteidigung? Worüber können sie schon bei ihren selbständigen Treffen sprechen? Einige waren wütend, einige machten ihre Witze über uns. Aber wir sind keinen Schritt zurückgetreten und wir haben jede Arbeit mit großer Ernsthaftigkeit durchgeführt.

Eines Nachts klingelte mein Telefon. Es war eine unbekannte Nummer. Ich nahm den Hörer ab und fragte, wer ist da? Die Stimme meines Sohnes antwortete: Ich bin es, Xebat. Wir haben ein bisschen miteinander geredet. Dann sagte er: Mama, ich hatte einen Traum. Vor unserem Haus fand eine Hochzeit statt, Papa war auch da und dann bin ich aufgewacht. Ich habe aus meinem Traum ein Gedicht geschrieben und es dir geschickt. Ich wünschte, ich könnte meinen Kopf zufrieden auf deine Knie legen und dir von meiner Last erzählen. Das Telefongespräch wurde beendet. In diesem Moment wurde ein Angriff auf sie verübt. Ich rief: Xebat! Xebat! … In dieser Stunde fiel auch mein dritter Sohn. Ich bin gleichzeitig dankbar. Ich sagte mir immer, wenn meine Kinder sich in den Reihen der Guerilla nicht benehmen und etwas falsch machen, könnte ich nicht mit erhobenem Kopf in unserer Gemeinschaft weiterleben. Jetzt bin ich mit allem, was meine Kinder taten, glücklich und bin stolz auf sie. Alles war für die Freiheit. Wir haben uns gewehrt, weil wir uns nicht von unserer Herkunft und von unserer Kultur entfernt haben. Wir werden weiterhin Widerstand leisten. Das Niveau, das wir heute erreicht haben, basiert auch auf Abdullah Öcalan und unserer Partei.

Fußnoten:

1 - Die bewaffneten Kräfte der PDK.

2 - Militärputsch der NATO in der Türkei.

3 - »Kolber« ist die Bezeichnung für Menschen, die für ihren Lebensunterhalt als Lastenträger:innen im Grenzgebiet zum Transport von Waren arbeiten.

4 - »Heval«: PKK-Begriff für Freund:in, Genoss:in.

5 - Şehîd: kurdisches Wort für »im Kampf Gefallene:r«, »Märtyrer:in«.

6 - Frauentrillern mit der Zunge.

7 - »Die/der vorangeht«. Gemeint ist Abdullah Öcalan.


 Kurdistan Report 217 | September/Oktober 2021