Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

die Ereignisse in Kurdistan als auch im gesamten Nahen und Mittleren Osten überschlagen sich weiterhin. In diesem allgemeinen Chaoszustand fällt es schwer, die jeweiligen Pläne der vielen unterschiedlichen regionalen und internationalen sowie staatlichen und nichtstaatlichen Akteure in der Region richtig einzuordnen. Da es sich bei den Interessen der meisten Akteure nur um Lippenbekenntnisse handelt, wenn es um Frieden, Demokratie, Freiheit, Stabilität oder ähnliches geht, sie indes zumeist von reinen Profitinteressen geprägt sind, ändern sich in der Region jeweils im Stundentakt die taktischen Bündnisse.

»Schluss mit Isolation, Faschismus, Besatzung – Zeit für Freiheit« Die kurdische Freiheitsbewegung ist in diesem Kontext der vielleicht größte nichtstaatliche Akteur, der nicht nur für eine Demokratisierung in Kurdistan, sondern für die gesamte Region kämpft. Angesichts der Chancen aber auch großen Risiken hat die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), die Dachorganisation für den Aufbau des »demokratischen Konföderalismus« und der »demokratischen Nation« in Kurdistan, am 12. September 2020 eine wegweisende Erklärung veröffentlicht, in der die Aspekte der kurdischen Agenda für die gegenwärtige und kommende Phase geschildert werden. Die verkündete demokratische Offensive unter dem Motto »Schluss mit Isolation, Faschismus, Besatzung – Zeit für Freiheit« bringt klar zum Ausdruck, was für Ziele die kurdische Freiheitsbewegung in den vier Teilen Kurdistans sowie in der Diaspora verfolgt und wie diese unterstützt werden können.

In Nordkurdistan/Türkei orientiert man sich im Rahmen der politischen Offensive an der Parole »Schluss mit dem Faschismus – Zeit für Demokratie und Frieden«, in Südkurdistan/Nordirak »Schluss mit der Besatzung, Zeit für die Verteidigung Kurdistans«, in Rojava/Nordsyrien unter der Losung »Stopp der Besatzung – Zeit für die Verteidigung der Revolution«, in Ostkurdistan/Iran unter dem Motto »Stoppt die Hinrichtungen – Zeit für Demokratie« und in Europa heißt das Motto »Es ist Zeit für die Freiheit von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und das Ende von Völkermord und Besatzung«. Die Widerstandsstrategie in Kurdistan ist also eine ganzheitliche, und der Erfolg dieser Offensive hängt von der Praxis in all den genannten Orten zusammen.

Der Solidarität demokratischer und fortschrittlicher Kräfte in Deutschland mit dem kurdischen Befreiungskampf und der Rolle Deutschlands im Krieg gegen die kurdische Gesellschaft kommt hierbei eine besondere Rolle zu. »Mithilfe des PKK-Verbots versucht die Bundesregierung seit 27 Jahren eine der wichtigsten demokratischen Kräfte unserer Zeit mundtot zu machen. Die systematischen Einschüchterungsversuche spiegeln sich in tausenden Gerichtsverfahren, hunderten von Festnahmen und Razzien wieder. Die Unterdrückung, welche die kurdische Bewegung in der Türkei erfährt, wird in Deutschland fortgeführt«, heißt es in einem Aufruf zur bundesweiten Demonstration am 21. November in Köln gegen das PKK-Verbot, zu der zahlreiche linke, feministische, ökologische und migrantische Gruppen aufrufen. Führt man sich die Kriminalisierung und Repression gegenüber den kurdischen Strukturen vor Augen, ist ein Zusammenkommen und ein gemeinsamer Widerstand unumgänglich, um unsere Wünsche und Träume von einer Welt ohne Unterdrückung und Krieg zu erfüllen.

Eure Redaktion


 Kurdistan Report 212 | November/Dezember 2020