Als Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft

Wir brauchen eine Politik der Jugend

Interview mit Cansu Özdemir, von Ruken Aydın


Im Original erschien der Artikel unter dem Titel »Gençleşen siyasete ihtiyaç var« in der Nummer 181, April 2020, der Frauenzeitschrift Newaya Jin. Wir veröffentlichen das Interview mit deren freundlicher Genehmigung leicht gekürzt.

Cansu Özdemir mit ihrem Anwalt während ihres Prozesses in Hamburg am 28.10.2019.Während die SozialdemokratInnen, die Grünen und Die Linke bei der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt Hamburg im Februar einen Zuwachs verzeichnen konnten, haben tief verwurzelte bürgerliche Parteien wie die CDU erheblich an Stimmen verloren. Die junge kurdische Politikerin Cansu Özdemir nahm als Spitzenkandidatin der Partei Die Linke am Wahlrennen teil. Insofern hat in der Geschichte Hamburgs das erste Mal eine Frau mit Migrationshintergrund und in der Bundesrepublik das erste Mal eine Frau aus Kurdistan auf dem ersten Listenplatz einer Partei kandidiert. Umfragen zufolge rangiert sie als eine der beliebtesten PolitikerInnen in Hamburg auf dem dritten Platz und sie wird vor allem auch in den deutschen Medien als das Gesicht der Opposition in Hamburg bezeichnet.

Als Cansu Özdemir das erste Mal 2011 zu den Bürgerschaftswahlen in Hamburg antrat, war sie erst 22 Jahre alt. Sie wurde vom türkischen Geheimdienst verfolgt und mit dem Tode bedroht. Der deutsche Geheimdienst hingegen eröffnete eine Diffamierungskampagne gegen sie, was unter anderem auch dazu führte, dass zahlreiche Verfahren gegen sie eingeleitet wurden. Gegen all diese Angriffe leistete sie Widerstand und sie wurde dabei nicht nur von der kurdischen Gesellschaft, sondern auch von ihren Wählerinnen und Wählern unterstützt, sodass sie erfolgreich gegensteuern konnte. Cansu Özdemir, die die Außenpolitik der Bundesregierung als heuchlerisch und ängstlich bezeichnet, betont zugleich, dass sie weiterhin als die Partei Die Linke die Stimme der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland bleiben würden.
Cansu Özdemir merkt zudem an, dass die junge Generation einen Wandel des Systems anstrebe und die Parlamente jünger werden müssten. Wir haben mit der jungen Politikerin, die vor allem auch die Behinderung der Teilhabe der Frau als solcher am politischen Leben und deren Kriminalisierung anspricht, über ihre Wahlkampagne, die Rolle der Frau und der Jugend in der Politik sowie über die Außen- und Innenpolitik der BRD gesprochen.

Sie waren die Spitzenkandidatin der Linken bei den Wahlen in Hamburg mit über 1,3 Millionen WählerInnen. Im Vergleich zu einigen Parteien und Personen mit einer gewissen staatstraditionellen Vergangenheit konnten Sie Erfolge erzielen. Was war der ausschlaggebende Aspekt, was die Motivation der WählerInnen bei der Stimmabgabe?

Die Linke hat in Hamburg die besten Ergebnisse erzielt. Unsere Partei hat vor allem, was den Zuwachs der Stimmen der NeuwählerInnen anbelangt, sowie mit den von der SPD dazugewonnenen insgesamt 70.000 und demzufolge mit einer Steigerung von 0,6 % insgesamt 9,1 % der abgegebenen Stimmen erzielen können. Die Linke, die die meisten Stimmen vor allem von MigrantInnen, ArbeiterInnen und im Zentrum lebenden Menschen erhalten hat, hat sich nach zwölf Jahren Parlamentsarbeit zu einer fundamentalen Kraft innerhalb der bestehenden staatlichen Politik etabliert.

Die Linke, die immer noch mit Vorbehalten gegenüber der Umsetzbarkeit ihrer Ideen und ihrer wirtschaftlichen Vorstellungen konfrontiert wird, sieht sich in Hamburg als einen sozialpolitischen Akteur. Die Hälfte der hamburgischen Bevölkerung ist der Auffassung, dass Die Linke die Partei ist, die am meisten für die soziale Gerechtigkeit in Hamburg kämpft, und sie ist sich dessen bewusst, dass wir die Partei sind, die sich in unserer Stadt gegen soziale Ungleichheit einsetzt und somit Ideen der Gleichheit anstrebt. Zum ersten Mal in der Geschichte Hamburgs ist eine Frau mit migrantischen Wurzeln und generell gesehen zum ersten Mal in der BRD eine kurdische Frau auf dem ersten Listenplatz gegen andere BürgermeisterkandidatInnen angetreten. Ein wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft, die vor allem auch solidarisch mit der Revolution in Rojava ist, hat mir durch ihre Stimmabgabe ihre Unterstützung gegeben. Das ist eine Ausstrahlung des kurdischen Frauenkampfes aus Kurdistan.

Mit welchen Projekten oder Perspektiven haben Sie Ihre Wahlkampagne geführt?

Für die Bevölkerung Hamburgs sind die steigenden Mietpreise das wichtigste Thema. Aus diesem Grund beteuern wir vor allem den Einsatz für die Verabschiedung eines Gesetzes über eine sogenannte Mietpreisbremse. Das würde dazu führen, dass die Mietpreise für die kommenden fünf Jahre nicht steigen werden. Zudem ist fast die Hälfte der hamburgischen Bevölkerung abhängig von sozial unterstütztem Wohnraum. Die Regierung muss aufhören, Wohnraum zu errichten, der unbezahlbar ist. Fünfzig Prozent der neuen Wohnungen müssen öffentlich gefördert werden.

Auch die Gesundheit ist zu einem Luxusgut geworden. Die Kranken und das Krankenhauspersonal wissen es am besten. Das Gesundheitswesen muss verbessert werden. Notfälle eingeschlossen, kann es passieren, dass Menschen bis zu mehreren Stunden warten müssen und dann meistens mit der Verschreibung eines schmerzstillenden Mittels wieder nach Hause geschickt werden. Auch die Personalnot führt dazu, dass das vorhandene Personal oftmals gestresst ist, und das führt wiederum zu einer Gefährdung der Patienten. In den armen Stadtvierteln ist die Situation noch schlimmer. Deshalb fordern wir, dass in der ganzen Stadt die Gesundheitsversorgung ohne lange Wartezeiten gewährleistet ist.

Außerdem fordern wir auch einen Klimawandel, mit dem jedeR leben kann. Damit die Benutzung privater PKWs reduziert wird, fordern wir auf lange Sicht die Verbreitung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie deren kostenlose Benutzung. Das wird sowohl den Geldbeutel als auch das Klima schützen. Wir brauchen eine Strategie, um die Armut in unserer Stadt zu beenden, indem wir sie bekämpfen. Die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger müssen gewahrt werden und es darf kein Profit daraus geschlagen werden. Das Recht auf Wohnen, eine gute Gesundheitsversorgung und ein Leben in Würde müssen gesichert werden.

Ein weiteres wichtiges Problem Hamburgs ist es, dass der Hafen jedes Jahr benutzt wird, um zahlreiche Bomben, Waffen und anderes Kriegsequipment in Containern zu verfrachten. Die Menschen mit Familienangehörigen in Kriegsregionen sind äußerst besorgt über dieses Vorgehen. Folglich fordern wir die Schließung des hamburgischen Hafens für die Kriegswirtschaft, das ist auch eine unserer Hauptforderungen. Während die anderen Fraktionen die Reichen noch reicher werden lassen wollen, kämpfen wir für die soziale Gerechtigkeit. Sie ignorieren ständig die Armut alter Menschen und der Kinder. Wir fordern einen Mindestlohn von 14 Euro und die Aufhebung von Hartz IV. Wir kämpfen schon seit Jahren dafür, diese Probleme zu beseitigen, und werden weiterhin im Parlament die Stimme der sozialen Gerechtigkeit repräsentieren. Ich denke, dass ich auch als Individuum bisher die Emotionen und Gedanken vieler Menschen wiedergeben konnte. Meiner Meinung nach ist das auch der Grund, warum viele Menschen aus Kurdistan sowie anderer ethnischer wie gesellschaftlicher Gruppen mich bevorzugen.

In letzter Zeit wurden Sie vor allem durch die Anstrengungen der AKP-Regierung zur Zielscheibe von Kriminalisierungskampagnen. Außerdem wurden auch aufgrund einiger Vorkommnisse Verfahren gegen Sie eröffnet. Hatte das Auswirkungen auf die Wahl?

Zwei Tage nach meiner Wahl zur Abgeordneten hat der deutsche Geheimdienst eine Diffamierungskampagne gegen mich gestartet. Vor meiner Wahl hatte ich eine Zeit lang als Korrespondentin für die kurdische Tageszeitung »Yeni Özgür Politika« und auch als Sprecherin des kurdischen Frauenrates in Hamburg gearbeitet. Zusammen mit dem Frauenrat organisierten wir Kampagnen gegen Ehrenmorde, Zwangsheirat und Brautgeld. Zur selben Zeit nahm ich an der Organisierung von Aktionen gegen die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in der Türkei teil. Die Tatsache, dass mich der Verfassungsschutz als gefährliche Person hingestellt und somit zur Zielscheibe gemacht hat, war ein ausreichender Grund, um mich zu beobachten und zu verfolgen. Kurz darauf wurde ich von türkischen FaschistInnen mit dem Tod bedroht. Daraufhin erklärte der Verfassungsschutz, mich von nun an nicht mehr zu beobachten und meine Daten aus ihren Beständen zu löschen. Natürlich weiß ich nicht, ob das der Wahrheit entspricht. Besagte Institution bevorzugt es in jeder Situation, die tatsächliche Gefahr zu ignorieren und die Beobachtung derjenigen vorzunehmen, von denen keinerlei Gefahr ausgeht, weil der Diktator Erdoğan es so will. Ich hatte noch nie ein klassisches Parlamentarierinnenleben. Auf der einen Seite die ständigen Morddrohungen türkischer FaschistInnen und Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes (MIT) in meiner Umgebung, auf der anderen Seite die Repressalien der deutschen Regierung. Überlegt mal: Ich bin gewähltes Mitglied eines deutschen Parlaments, stand unter der Beobachtung zweier MIT-Agenten und Informationen über mich wurden an den türkischen Staat weitergeleitet; sie besuchten meinen Vater auf der Arbeit und mich in meinem Büro. Aber weder das noch die Ermittlungen gegen meine Person haben mich kleingekriegt. Ich stehe zu meiner Identität und meinen Überzeugungen.

Zudem sind wir eine Partei, die die Aufhebung des PKK-Verbots fordert und die Waffenbrüderschaft der Bundesregierung mit Erdoğan kritisiert. Und das gefällt ihnen nicht. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der Bundesregierung werden wegen der Aufdeckung der AKP-Skandale zunehmend durch gesellschaftlichen Druck gefährdet.

Sie haben oft versucht, mich kleinzukriegen. Das erste Mal wurde auf Ersuchen eines Staatsanwalts ein Verfahren gegen mich eingeleitet. Ich wurde verurteilt mit der Begründung, ich habe auf meinem Twitter-Account Inhalte geteilt, in denen die Fahnen der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der PKK abgebildet gewesen seien. Ich habe dem Urteil widersprochen. Ich werde von all meinen rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen und das Verfahren bis zur letzten Instanz führen. Denn diese Verfahren wurden nicht nur gegen Cansu Özdemir eröffnet, sondern gegen alle, die in meiner Person ihre Meinungen, Emotionen und Forderungen repräsentiert sehen.

In der letzten Wahlperiode waren Sie das jüngste Mitglied der Hamburgischen Bürgschaft. Was können Sie sagen über die Auswirkungen der zentralen Staatspolitik auf die Klassifizierung als junge Person, die am Anfang ihres politischen Lebens steht? Oder sehen Sie die Repräsentation von Politikerinnen im Landesparlament und im Bundestag zahlenmäßig als ausreichend an?

Im hamburgischen Parlament beträgt die Frauenquote 46 %. Laut Statistik sitzen in den Parlamenten vornehmlich Männer hohen und mittleren Alters. So wie es aus den Protesten der Jugendbewegung »Fridays for Future« hervorgeht, wollen die jungen Menschen einen Wandel in der Politik und spielen die Vorreiterrolle in einem Kampf für ein neues System. Die Parlamente müssen jünger werden, ihre Diversität muss sich erhöhen und vor allem müssen sie zu Orten werden, an denen junge Parlamentarierinnen sind. Obwohl Deutschland von einer Frau regiert wird, müssen die jungen PolitikerInnen, vor allem aber junge Frauen und MigrantInnen in der Politik mehr Leistung erbringen. Es ist für eine Frau mit drei Kindern nahezu unmöglich, im hamburgischen Parlament zu arbeiten. Das hat vor allem den Hintergrund, dass die Sitzungen teilweise bis spät in die Nacht andauern können und es keine Möglichkeit einer anderen Betreuung für Kinder gibt. Auf diese Weise werden Frauen eigentlich diskriminiert und es wird verhindert, dass sie eine Rolle in der Politik spielen können. Ein weiterer bemerkenswerter Punkt ist, dass nach Recherchen des Rates der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments die Rate der sexuellen Belästigung von weiblichen Abgeordneten und weiblichen Bediensteten relativ hoch ist. Einer mit 81 Parlamentarierinnen aus 45 Ländern und mit 42 weiblichen Bediensteten durchgeführten Untersuchung zufolge gibt es bezüglich der sexuellen Belästigung und Gewalt gegenüber Frauen auffällige Ergebnisse. Nach diesen Recherchen erfahren 85 % dieser Frauen psychische Gewalt. Vor allem Frauen, die jünger als 40 Jahre sind, spüren diesen Druck noch intensiver. Das sind ernsthafte Probleme, die aus der patriarchalen Mentalität resultieren.

So wie es in vielen europäischen Staaten bereits der Fall ist, hat auch Deutschland mit einem zunehmenden Rechtspopulismus zu kämpfen. Eine konkrete Auswirkung dessen haben wir zuletzt im Februar mit dem rassistisch motivierten Angriff in Hanau gesehen. Gibt es in diesem Zusammenhang Präventivmaßnahmen vonseiten der Bundesregierung oder Ihrer Partei?

Das Massaker in Hanau hat uns tief erschüttert. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass rechtsextremistische Organisationen und Gruppierungen in der BRD jahrelang unterschätzt worden sind. Der Vater von Ferhat Ünvar, dessen Sohn auch eines der Opfer dieses Anschlags war, sagte: »Alles, was ich jetzt wissen will, ist, dass mein Sohn nicht umsonst gestorben ist.« Und er hat Recht. Die Angehörigen von Ferhat und anderen Opfern verdienen es, dass nun eine konsequentere Haltung gegenüber FaschistInnen gezeigt und mit der notwendigen Klarheit gegen dieses Massaker vorgegangen wird. Es ist an der Zeit, dass rechtsterroristische Strukturen zerstört werden. Die Tatsache, dass man in Deutschland rassistische Morde jahrelang ignorierte, hat zu einem Erstarken der Neonazistrukturen und der Fortsetzung solcher Morde geführt. Die Sicherheitsstrukturen dürfen nicht zulassen, dass in ihren eigenen Strukturen Nazizellen agieren. Für die NSU-Akten wurde eine 120 Jahre andauernde Geheimhaltung beschlossen – warum? Was verheimlicht der Staat? Wir werden uns um die Bildung eines Untersuchungsausschusses bemühen, der genau diese Missstände untersucht. Hamburg ist das einzige Bundesland, in dem ein NSU-Mord begangen wurde und es bisher keinen Untersuchungsausschuss gibt. Während rechter Terror konsequent ignoriert wird, konzentriert man sich immer auf eine sogenannte linke Gefahr. Diese entsetzliche und gefährliche Situation muss sofort beendet werden. Unsere Haltung, was dieses Thema anbelangt, ist von Anfang an klar und deutlich. Vor diesem Hintergrund kommt es beispielsweise nicht in Frage, dass wir zusammen mit der AFD innerhalb oder außerhalb des Parlaments kooperieren, geschweige denn uns annähern. Wir haben von Anfang an unseren Abstand gewahrt. Nur weil die AFD über demokratische Wahlen ins Parlament gelangt ist, bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch demokratische Werte wahrt. Auch die anderen Parteien müssen ihren Abstand zu faschistischen und rechten Parteien noch klarer definieren. Aber anscheinend waren sie mit uns nicht einer Meinung, sodass FDP und CDU dachten, in Thüringen mit den FaschistInnen kooperieren zu können. Und das führte wiederum zu einem erheblichen Verlust für diese Parteien.

Während Länder wie Belgien die kurdische Freiheitsbewegung nicht mehr als terroristisch bezeichnen, kriminalisiert Deutschland währenddessen kleinste, grundgesetzlich geschützte Aktivitäten der Bewegung. Es finden weiterhin Durchsuchungen in Institutionen, Vereinen und Wohnungen statt, kurdische Symbole werden verboten und kurdische PolitikerInnen werden bestraft. Was wollen Sie zu dieser Verbots- und Kriminalisierungspolitik sagen?

Ich habe mich zu diesem Thema in den Prozessen gegen mich ausführlich verteidigt. Die Bundesregierung hofiert einen Diktator und kriminalisiert kurdische AktivistInnen. Als Verlage wie Mir Multimedia und Mezopotamien verboten wurden, sind tausende Bücher, CDs und Belege beschlagnahmt worden. Das Bundesinnenministerium ist sogar der Auffassung, das älteste und wichtigste Fest der Gesellschaften im Nahen Osten, »Newroz«, gehöre verboten. Diese Herangehensweise der Bundesregierung erinnert mich an diejenige des türkischen Staates an die kurdische Sprache und Kultur. Die Politik der Bundesregierung gegenüber dem türkischen Staat ist heuchlerisch und feige.

Als Politikerin bin ich mir bewusst, dass die Außenpolitik stets an den Interessen ausgerichtet wird, aber in diesem Fall ignoriert die Bundesregierung jegliche Moral und verrät ihre eigenen Werte. Das ist aus ihren Erklärungen klar ersichtlich und es ist eine Quelle der Schande für die deutsche Außenpolitik. Auch was die Innenpolitik anbelangt, ist eine enorme Einschränkung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger erkennbar, die in der BRD leben. Man trägt dazu bei, dass der Diktator und Unterstützer islamistischen Terrors Erdoğan, der JournalistInnen, Abgeordnete, BürgermeisterInnen und andere Oppositionelle verfolgt, inhaftiert und sogar mit dem Tode bedroht, bestärkt wird. Wer einen solchen Diktator unterstützt, verfolgt eine heuchlerische Politik, die Menschenleben kostet. Wer als Regierung hinter einem solchen Diktator steht, positioniert sich gegen die Demokratie, den Frieden und den Kampf für die Frauenbefreiung. Dies führt auch dazu, dass der Kampf gegen radikalislamistische Organisationen geschwächt wird. Wenn man einen solchen Diktator unterstützt, ebnet man den Weg für eine Entvölkerung.

In Bezug auf die vorige Frage: Die Menschen aus Kurd­istan kritisieren die Kooperation der Merkel-Regierung mit dem verbrecherischen Erdoğan-Regime und dessen Unterstützung. Auch die Tatsache, dass Merkel die Region Nordostsyriens, in der etliche Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind und die regelrecht besetzt worden ist, als »Sicherheitszone« bezeichnet hat, ist auf heftige Kritik gestoßen. Welche grundlegenden Interessen sind hinter dieser Kooperation verborgen? Wird Deutschland durch die militärische und politische Unterstützung nicht auch zu einem Komplizen?

Die militärische und politische Unterstützung macht Deutschland auch zu einem Komplizen. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland beruhten stets auf geopolitischen und Profitinteressen. Dieser Ansatz der BRD überrascht mich nicht. Auch Deutschland hat genau wie alle anderen kapitalistischen Staaten das Interesse, im Nahen Osten wie in anderen Regionen eine Hegemonie aufzubauen. Infolgedessen hat es schon immer zur Schwächung der KurdInnen beigetragen, indem es die türkische Staatspolitik unterstützt hat.

Die Linke hat auch in der vergangenen Legislaturperiode zu zahlreichen wichtigen Projekten und Arbeiten beigetragen. Auf welche Themen werden Sie sich in der kommenden Periode fokussieren?

Als ich das erste Mal zur Abgeordneten gewählt wurde, war ich 22 Jahre alt. Mein vorrangiges Ziel war es, junge migrantische Menschen zur politischen Teilhabe zu motivieren. Als eine junge kurdische Frau denke ich, dass ich dieses Ziel erreicht habe. Mein zweites Ziel war es, durch meine Arbeit zum Erstarken des globalen Feminismus beizutragen. In den vergangenen Jahren habe ich zahlreiche junge Menschen, vor allem auch StudentInnen, in meine Arbeit integriert. Viele haben bei mir ein Praktikum absolviert. Immer noch möchten viele junge Menschen, dass ich sie bei ihrem Einstieg ins politische Leben oder bei ihren akademischen Arbeiten an der Universität unterstütze. Und ich unterstütze sie gern. Zweimal im Jahr habe ich eine Reise mit ca. fünfzig Jugendlichen zum Bundestag organisiert. Manchmal haben mich junge Frauen kontaktiert, die Probleme mit ihren Familien hatten und mich um Rat und Unterstützung baten. Das ist der Beweis dafür, dass sie mir vertrauen und mich als eine problemlösende Kraft ansehen, was ich sehr wertschätze. Ich habe mich nun mit Jugendlichen gut vernetzt und lerne auch von ihnen vieles. Sie nehmen mich in ihre eigene Welt auf und das ist für mich eine sehr große Bereicherung. Ich habe immer versucht, verschiedene Meinungen zu vereinen.

Auf der anderen Seite ist es eines meiner Ziele, die Frauenrevolution Rojavas und die »Jineolojî«, die Wissenschaft der Frau, die in der Vorreiterrolle der kurdischen Frauen entwickelt worden ist, anderen Menschen vorzustellen und diese Ideen mit anderen feministischen Ideen zu vereinen. Zu diesem Anlass habe ich zahlreiche verschiedene Veranstaltungen im Parlament durchgeführt. Ich möchte all diese Arbeiten auch weiter fortführen.