Şehîd Helîn – Anna Campell

»Ich bin wirklich stolz auf dich, das Einzige, was ich bedauere, ist, dass ich nicht mit dir kommen kann«

Auszüge aus einem Gespräch mit den Freund*innen Gelhat und Berîvan über Şehîd Helîn – Anna Campell, die 2018 bei den Kämpfen um Efrîn ihr Leben verlor.


Im Herbst 2018 reiste eine Delegation der Kampagne »Gemeinsam Kämpfen für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie« nach Nord- und Ostsyrien, um sich dort mit der kurdischen Frauenbewegung auszutauschen. Überall trafen sie auf weitere Internationalist*innen, darunter auch auf viele Freund*innen von Anna Campell (Helîn Karacox), die im Frühjahr desselben Jahres in Efrîn gefallen war. Für sie war Anna die Auslöserin dafür, sich intensiver mit dem Aufbau des Demokratischen Konföderalismus und der Frauenbefreiung in Rojava auseinanderzusetzen und sich an der Revolution vor Ort zu beteiligen. Gelhat und Berîvan sind noch immer in Rojava und berichten regelmäßig von dort. Am 15. März war der zweite Todestag von Anna.

Anna CampellWürdet ihr vielleicht etwas über Anna sagen wollen? Woher kanntet ihr sie, wie war eure gemeinsame Geschichte und was habt ihr über Anna hier in Rojava gehört?

Berîvan: Ich habe Anna im Jahr 2011 in Calais in Frankreich kennengelernt. Wir beteiligten uns beide an der »Calais Migrant Solidarity«, einer anarchistischen Gruppe, die versuchte, solidarisch mit den Menschen ohne Papiere zu sein. Zu dieser Zeit war das für uns beide der Fokus unserer politischen Arbeit und in dieser Art von Kontext baut man sehr schnell Beziehungen zueinander auf, da – ich denke, ihr habt das alle erlebt – es eine besonders intensive Art zu leben ist. Politisch und sozial sind wir uns also recht schnell nahegekommen.

Später in diesem Jahr waren wir beide Teil einer Gruppe, die eine Widerstandsaktion an einem Wohnwagenplatz in Großbritannien, der »Dale Farm«, durchführte. Es gab dort eine große Räumungsmaßnahme und von Solidaritätsgruppen einen Aufruf zum Widerstand. Wir waren bis dahin nicht auf dem Wagenplatz aktiv gewesen, folgten aber dem Aufruf und waren dann insgesamt zwei Monate dort und bauten Verteidigungsstrukturen auf. Der Tag der Räumung war eine ziemliche Konfrontation. Ich denke, aufgrund unseres Alters, der Art der politischen Arbeit, die wir machten, und der Form der Aktionen war es eine ziemlich prägende Zeit. Anna und ich lebten nicht in derselben Stadt, aber unsere Beziehungen aus dieser Zeit waren weiterhin sehr intensiv. Wir blieben in Kontakt miteinander; sie war immer sehr gut darin, Kontakte aufrechtzuerhalten. Wir schrieben uns Briefe und besuchten uns in Schottland und Bristol. Im Jahr nach der Räumung der »Dale Farm« waren wir alle sehr viel miteinander unterwegs, besetzten Häuser in London oder Bristol. Diese Gruppe blieb gut vernetzt und ich kann gar nicht zählen, auf wie vielen Demos und Aktionen wir zusammen waren und wie viele Gebäude wir zusammen besetzten.

Von der kurdischen Bewegung hatte ich bereits seit einigen Jahren gehört, ohne mich jedoch genauer über sie informiert zu haben. Nachdem Anna nach Rojava gegangen war, habe ich mich viel damit beschäftigt. Ich habe dann verstanden, warum sie das tat, und ihre Präsenz hier in Rojava inspirierte mich dazu, noch viel mehr über die Bewegung zu erfahren. Seitdem war ich auch in Solidaritätsarbeiten in Europa involviert und besuchte Bildungen der kurdischen Bewegung.

Zu der Zeit, als ich davon hörte, dass Anna nach Rojava gegangen war, hatten wir gerade nicht sehr viel Kontakt zueinander und sie hatte mir nicht gesagt, dass sie geht. Sie hatte es vielen Leuten vorher nicht gesagt, die es wohl gern gewusst hätten. Als ich mich später selbst entschied zu gehen, bin ich daher auch sehr bewusst damit umgegangen. Ich hatte gesehen, dass es viele Leute getroffen hatte, es nicht zu wissen, umso mehr nachdem Anna gefallen war. Das hat die Art, wie ich mit meiner Reise im Vorhinein umging und mit wem ich vorher Gespräche führte, wirklich stark beeinflusst. Im Spannungsfeld zwischen Sicherheitskultur und den emotionalen Bedürfnissen meiner Umgebung habe ich die Sicherheitskultur quasi aus dem Fenster geworfen und mich entschieden, dass die emotionalen Bedürfnisse wichtiger sind. Anna hatte mir vorher eine Nachricht geschrieben mit dem Wortlaut »Ich fahre weg, ich möchte nicht über SMS darüber sprechen«. Ich dachte mir: »O. k., da kann ich mir ein paar Optionen vorstellen«, aber an Rojava habe ich nicht gedacht. Als ich dann hörte, wohin sie gegangen war, fingen wir an E-Mails zu ­schreiben und zu telefonieren, und tatsächlich waren wir mehr in Kontakt, als sie hier in Rojava war, als im Jahr davor. Wenn etwas so Großes passiert, führt das auch zu mehr Austausch. Sie versuchte immer, mich zu überzeugen hierherzukommen. Sie erzählte mir, wie gut die politische Arbeit lief, wie viel sie lernte und was sie mir alles erzählen müsse, wenn ich käme. Es gab viele Momente, in denen sie sagte: »Ich erzähle es dir, wenn du herkommst, das wird großartig.« Ich bin sehr glücklich darüber, dass es diesen Kontakt gab, während sie hier war, denn für einige Leute war es schwerer, diesen Kontakt mit ihr zu halten. Natürlich bricht es mir ein bisschen das Herz, dass ich Anna nie wiedergesehen habe, das hätte ich gern noch mal.

Gelhat: Also, das erste Mal, dass ich Anna traf, war 2013. Wir hatten uns durch eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Richtig gut aber erst, als sie nach Bristol zog. Ich denke, die Nacht, in der wir eine richtige Bindung miteinander eingingen, war die, als ich ein Geschenk für eine Freundin machen wollte und sie mir half, Stencils von revolutionären Frauenpersönlichkeiten zu machen. Dazu gehörten Emma Goldman, Lucy Parsons und auch Kanno Sugako, eine japanische Anarcha-Feministin. Es war schön, noch mehr über die revolutionären Persönlichkeiten zu erfahren, die ich bereits kannte, aber auch neue kennenzulernen, von denen ich noch nie gehört hatte. Wir hatten sehr gute Gespräche darüber, und von da an wurden wir sehr enge Freund*innen. Wir wohnten eine Zeit lang zusammen im selben Haus, was sehr schön war. Sie war fast wie eine große Schwester für mich.

Wir entschieden, uns auch gemeinsam an denselben politischen Arbeiten zu beteiligen.

Den Entschluss, mich in der kurdischen Bewegung zu engagieren, fasste ich zur Zeit des Widerstands gegen den sogenannten Islamischen Staat. Also in den Jahren 2014 und 2015, als die Belagerung von Kobanê und der Angriff auf die Sindschar-Berge stattfanden. Da fing ich an, zu Demonstrationen und Vorträgen der kurdischen Bewegung zu gehen und mehr darüber zu erfahren, wofür sie kämpft. Über die Jahre hinweg sprachen Anna und ich sehr viel über unsere Absicht, nach Rojava zu gehen und unseren Teil zur Bewegung beizutragen. Etwa zu dieser Zeit trafen wir uns auch mit anderen Menschen aus Bristol und beschlossen, dass dort mehr zur Unterstützung der Revolution in Rojava passieren sollte. Wir gründeten dort eine Solidaritätsgruppe und begannen, uns mit der kurdischen Bewegung in England zu vernetzen.

Zu dieser Zeit hatte Anna mit einem weiteren Freund, Charlie, die Entscheidung getroffen, nach Rojava zu gehen und sich den YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) anzuschließen, Charlie ging zu den YPG (Volksverteidigungseinheiten). Natürlich wollte ich auch, aber da Anna und ich in denselben Gruppen waren, wären diese zerfallen, wenn wir sie beide zur selben Zeit verlassen hätten. Also war unsere Abmachung, dass Anna gehen und ich mit meiner Abreise auf ihre Rückkehr warten würde. Es war also immer meine Intention, nach Rojava zu gehen.

Es war wirklich wunderbar, über die Jahre hinweg so viel Zeit mit Anna verbracht zu haben. Es fühlt sich ein wenig seltsam an, denn ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die in den Gesprächen mit ihr sehr besorgt um sie waren und sich fragten, ob es die richtige Entscheidung sei. Und natürlich war ich auch besorgt um ihre Sicherheit, aber hauptsächlich freute ich mich für sie und war zugleich sehr aufgeregt. Ich sagte: »Ich bin wirklich stolz auf dich, das Einzige, was ich bedauere, ist, dass ich nicht mit dir kommen kann.« Und ich wünschte ihr alles Gute, weil ich wusste, dass es das war, was sie tun wollte. Sie davon abzuhalten wäre eine Lüge gewesen. Denn es war etwas, was auch ich wollte, und ich wollte sie darin unterstützen.

Als sie dann hier in Rojava war, unterhielten wir uns von Zeit zu Zeit am Telefon und sie schickte auch Fotos, zum Beispiel von Welpen, die sie auf ihren Reisen gefunden hatte. Und sie erzählte uns auch von Dingen, die sie lernte. Diese Gespräche bedeuteten mir viel und ich bin sicher, sie bedeuteten ihr auch einiges. Ebenso wie die Freundin Berîvan versuchte sie auch mich zu überzeugen: »Du solltest herkommen, du solltest herkommen«, und auch ich meinte: »Es gibt hier Dinge zu tun, wenn du zurückkommst, kann ich gehen.«

Könnt ihr uns etwas darüber erzählen, was Anna hier gemacht hat? Wie hat sie sich gefühlt, als sie hier ankam, wie hat sie hier gelebt, was war ihre Arbeit hier?

Berîvan: Sie kam hierher mit dem Plan, den YPJ beizutreten, also in den militärischen Bereich zu gehen. Manchmal erwies sich das als schwierig und sie musste darauf drängen, aber sie hatte immer ihren Fokus darauf gerichtet. Sie half dabei, die internationale YPJ-Akademie aufzubauen, und spielte darin eine große Rolle. Ich konnte den Ort besuchen und ich denke, man kann sie dort wirklich spüren und wie viel Einsatz und Energie sie hineingesteckt hat. Es hängt ein riesiges Foto von ihr an der Wand, das wahrscheinlich dazu beiträgt, aber ich denke, man kann sie dort auch auf einer emotionalen Ebene spüren. Sie hat einmal mit mir über die Akademie gesprochen und meinte, dass dieser Ort die Art von Bildung bietet, die sie sich erträumt hatte, bevor sie hierherkam. Es hatte vorher keine Struktur gegeben für internationalistische Frauen, die kämpfen wollten, und sie musste diesen Ort erst selbst schaffen.

Es dauerte eine Weile, bis sie in die YPJ-Ausbildung kam, und sie schloss sie ab, bevor die internationale YPJ-Akademie fertiggestellt war. Ich denke, die Erfahrung dieser Bildung war sehr prägend und hatte großen Einfluss auf sie. Sie hatte einen starken Fokus, sie sagte, dass sie kämpfen wolle und könne. Sie war nicht mit einer besonderen Ausbildung, zum Beispiel zur Ärztin, hierhergekommen und dachte, dass kämpfen eben das war, was sie beitragen konnte. Mein Eindruck von ihr war immer, dass sie sehr wenig Angst hatte. Ich sage das nicht einmal im Sinne von mutig, sie hatte einfach keine Angst. Ich weiß nicht, ob das eine gute oder schlechte Eigenschaft ist, aber es war definitiv eine von Annas Eigenschaften, wenn es zu einer Konfrontation kam. Deswegen kann ich mir gut vorstellen, dass sie immer an dieser Haltung festhielt.

Eine Freundin von uns meinte, und ich denke, da hat sie völlig Recht, dass sie Anna nie so glücklich erlebt hat wie hier. Als wir Kontakt mit ihr aufnahmen, war sie so glücklich wie nie und es hat für sie eine Menge Sinn ergeben hier zu sein. Die Klarheit und – man könnte fast sagen – Einfachheit, mit der sie Themen wie Politik und Revolution anging, passten sehr gut zu den Arbeiten hier. Sie sagte einmal zu mir, dass sie hierhergekommen sei, um der kurdischen Bewegung zu helfen und den Kampf zu unterstützen. Dann aber habe sie realisiert, dass es wichtiger sei zu lernen, und so bekam Bildung bei ihr einen hohen Stellenwert.

Ich glaube, sie wäre hier für eine lange Zeit geblieben. Wir hörten immer viele Geschichten von ihr, wann sie angeblich zurückkommen würde, aber mich hat keine davon überzeugt. Ihre Rückfahrt verschob sich immer wieder: »Dann komme ich zurück«, und dann »noch ein paar Monate«, »okay, ich komme zur Buchmesse zurück«, »zum Geburtstag meines Bruders ...«, aber es gab immer noch eine weitere Arbeit zu erledigen. Also ich denke nicht, dass sie irgendwann in nächster Zeit wiedergekommen wäre.

Gelhat: Naja, du hast vorher auch darüber gesprochen, dass Anna sehr frei von Angst war. Ich denke, das war mir auch bewusst, sogar bevor sie nach Rojava ging. Ich war mit ihr unterwegs, als wir die Konfrontation mit Faschisten in Dover suchten, wobei sie ziemlich schwer verletzt wurde. Das hat mir gezeigt, wie furchtlos sie war. Sie begab sich in den Bereich, wo die Faschisten waren, um eine andere Genossin zu schützen, damit sie nicht verletzt wird. Klar wurde sie dabei selbst verletzt, aber ich denke, es zeigt wirklich, wie furchtlos sie war. Sie ging direkt da rein und tat, was sie tun musste.

Und was habt ihr über ihren Tod gehört? Wie hat sie ihr Leben verloren?

Berîvan: Es gab eine Version mit den Details der Umstände, die sich dann verändert haben, sodass wir jetzt mit unserem Wissen so nah wie eben möglich an der Realität sind. Natürlich handelt es sich hier um einen Krieg und die Verhältnisse sind verwirrend. Erst hieß es, sie sei Teil eines Konvois gewesen. Aber jetzt wissen wir, dass sie sich wohl mit drei weiteren Kämpferinnen in einer Verteidigungsstellung in Efrîn befand. Es gab einen Drohnenangriff. Später gab es einen weiteren Luftschlag, bei dem weitere drei Menschen ihr Leben verloren und ein Mensch verletzt wurde.

Wie waren denn im Allgemeinen die Reaktionen der Leute um euch herum, als sie hörten, dass Anna ihr Leben verloren hat?

Berîvan: Ich denke, es gab viele verschiedene Annäherungen an Annas Tod. Es gibt ihre engen Freund*innen, von denen ich viele kenne. Es gibt auch die Freund*innen von früher, Freund*innen aus Bristol und ihre Familie. Dann gibt es die Menschen, die nicht wussten, dass sie dort gewesen war, bis sie hörten, dass sie gefallen ist. Es gibt Leute, die sie von früher kannte, die es erst über die Nachrichten erfahren haben. Mit diesen Menschen hatte sie seit Jahren keinen Kontakt, aber es gab trotzdem noch eine Verbindung, und dass sie es über die Nachrichten erfuhren, halte ich für sehr bedrückend. Es gab eine wunderbare Vielfalt an Reaktionen aus diesen Gruppen und ein kollektives Gefühl, eine politische Persönlichkeit und ein politisches Wesen verloren zu haben. Ich denke, es war wirklich beeindruckend, was alles geschrieben und geteilt wurde.

Es war ein großes Thema in den Medien. Zwar nur für eine kurze Zeit, aber dafür sehr dominierend. Was das angeht, fühle ich mich hin und her gerissen. Es war gut, dass das Thema eine größere Relevanz bekam. Allerdings denke ich, dass die Gründe dafür nicht immer die besten waren. Dahinter standen vielmehr patriarchale, imperialistische Haltungen. »Schau dir ihr Gesicht an, das macht deine Zeitung zum Verkaufshit.« Das ist wirklich ekelhaft.

Wichtig war aber, dass die Menschen zusammengekommen sind. Es war uns wichtig, uns zu treffen. Menschen kamen dafür aus Schweden, aus Frankreich, aus allen Teilen Großbritanniens und wir haben uns wirklich darauf fokussiert, gut miteinander umzugehen. Ich glaube, dass diese Phase der Trauer sehr intensiv war, die auch wieder verfliegen wird, und die Menschen werden wieder ihre eigenen Wege gehen. Trotzdem hat sehr viel Kraftvolles in dieser Zeit stattgefunden. Das habe ich wirklich gespürt.

Gelhat: Glücklicherweise habe ich von einer sehr engen Freundin erfahren, was mit Sehîd Helîn passiert ist. Die Nachricht über ihren Tod hatte sich sehr schnell durch die sozialen Medien verbreitet und viele Menschen mussten es leider auf diesem Weg erfahren. Es ist wirklich niederschmetternd, über Medien zu erfahren, dass jemand, den du kennst, für den du etwas empfunden hast, getötet wurde.

Als ich davon erfuhr, dass Anna gefallen war, war für mich klar, dass es für mich jetzt nur Kurdistan geben konnte. Ich war von da an sehr auf diese Reise fokussiert. Wenn jemand sein Leben für einen Zweck wie diesen gibt, muss daran etwas sehr richtig sein. Niemand geht ein so großes Risiko ein, wenn es das nicht wirklich wert ist. Und ich wollte wissen, was es so wertvoll macht, dass Anna dafür ihr Leben zu geben bereit war. Ich wollte ein Teil davon sein, so viel darüber lernen wie möglich und den Geist dessen, wofür sie kämpfte, am Leben halten.

Wollt ihr noch etwas hinzufügen?

Berîvan: Ja, ich wollte zu dem, was du, Gelhat, gerade sagtest, noch etwas hinzufügen. Menschen haben auf viele verschiedene Arten reagiert, aber etwas, das für mich sehr wichtig war, ist etwas, das ich vor kurzem in mein Tagebuch geschrieben habe. Manche Menschen würden über mich sagen, dass ich nie abschalten kann und immer an die wichtigen Dinge denken muss. Ich denke, für mich ist es ab jetzt nicht mehr möglich, Momente zu erleben, in denen man resigniert und denkt »Was soll ich schon machen, ich gebe auf«, diese Art von politischer Frustration. Das ist einfach nicht mehr möglich, seitdem jemand, der mir nahestand, gefallen ist. Damit will ich nicht sagen, dass es alle anderen auch auf diese Art und Weise beeinflusst hat, und ich meine dies auch nicht nur im Hinblick auf Kurdistan oder darauf, hier zu sein. Aber im Kampf für Veränderung insgesamt spüre ich diesen Antrieb, der jetzt kraftvoller und konstanter ist als vorher. Ich weiß: So weit in meinem Leben gekommen zu sein, ohne eine enge Freund*in an den Kampf verloren zu haben, macht deutlich, wo ich herkomme. Für so viele Menschen hier ist es normal, Menschen an den Kampf verloren zu haben. Ich wusste das natürlich, aber trotzdem war es für mich eine einschneidende Veränderung.

Gelhat: Ich denke außerdem, dass es wirklich gut war, dass die kurdischen Genoss*innen hier und in England so viel ihrer Zeit darin investierten, denen zu helfen, die ihre Liebsten verloren haben. Dafür kann ich ihnen gar nicht genug danken. Das war wirklich wunderschön. Das gibt mir eine Menge Hoffnung und ich fühle mich hier sehr zuhause.