Editorial

 

Kurdistan Report 208 | März/April 2020Liebe Leserinnen und Leser,
der Eintritt in die neue Dekade war in Hinsicht auf die Gewaltspirale im Nahen Osten ein nahtloser Übergang. Die gezielte Tötung des einflussreichen iranischen Generals Qasem Soleimani im Irak erschütterte die ganze Region. Der US-amerikanisch-israelische »Jahrhundertplan« für Nahost hat nochmals klar vor Augen geführt, dass weder die regionalen noch die internationalen Kräfte ein Lösungskonzept für die umfassenden Probleme im Nahen Osten haben. Dasselbe gilt auch für die Annäherung an die kurdische Frage, die der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan mit einem gordischen Knoten vergleicht und wie folgt treffend zum Ausdruck bringt: »Wenn in Kurdistan die nationalistisch-etatistische Strömung die Oberhand gewinnt, entsteht nicht nur ein neuer Israel-Palästina-Konflikt, sondern gleich vier davon.«

Die kurdische Freiheitsbewegung plädiert weiterhin dafür, dass die Probleme in der Region weder durch Nationalismus, Konfessionalismus und den Sexismus des patriarchalen Systems noch durch die kapitalistische Moderne gelöst werden können. Die oft verwandte Parole »Freiheit für Kurdistan« interpretiert die kurdische Bewegung also konkret als Demokratisierung des Nahen Ostens und Offenheit der jeweiligen Staaten für eine demokratische Selbstverwaltung in Kurdistan. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Lösung der kurdischen Frage als eine Art »demokratischer Katalysator« für die gesamte Region wirken könnte.

Nach einem Winter, der in Kurdistan durch einen Angriffskrieg der Türkei auf Rojava begann und das Ziel verfolgte, die Insel der Hoffnung zu ersticken, sind es nun die Gesellschaften, die zu Frühlingsanfang ihre Stimme für Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie erheben werden. Der internationale Frauentag und das Newroz-Fest im März werden in diesem Sinne ein Ausdruck der Verbundenheit der kurdischen Gesellschaft und ihrer Freundinnen und Freunde mit dem Projekt des demokratischen Konföderalismus und der Frauenrevolution in Kurdistan sein.

Die internationale Konferenz »Die kapitalistische Moderne IV herausfordern: Wir wollen unsere Welt zurück – Autonome Bildung und Organisierung« am Osterwochenende vom 10. bis 12. April 2020 in Hamburg wird hierbei eine gute Gelegenheit bieten, sich über alternative Konzepte auszutauschen und voneinander zu lernen. Wir würden uns jedenfalls freuen, Euch dort anzutreffen.

Im Kontext der Kriminalisierungspolitik der deutschen Bundesregierung gegenüber kurdischen Aktivist*innen und Organisationen gewinnt diese Konferenz an besonderer Bedeutung. Denn während die deutschen Behörden sich krampfhaft an ihre »Öcalan-Phobie« klammern und die Isolation auf der Gefängnisinsel Imralı versuchen auch in Deutschland aufrechtzuerhalten, bringt das freiheitliche gesellschaftliche Denken der Philosophie Öcalans längst unzählige Menschen der Revolution in Kurdistan näher.

In diesem Sinne wünschen wir einen starken 8. März und ein erfolgreiches Newroz,

Eure Redaktion


Kurdistan Report 208 | März/April 2020