Die Klimakrise passiert nicht im leeren Raum, sondern ist in gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen eingebettet

Das Herz des Kapitalismus ist ein Kohleklumpen

Sina Reisch, Aktivistin bei Ende Gelände


Angesichts der Klimakrise ist die globale Perspektive der Klimagerechtigkeit wichtiger denn je. Um den Kapitalismus zu überwinden, ist eine Analyse der Bedeutung fossiler Energieträger unumgänglich. Die Kohleindustrie ist ein perfekter Angriffspunkt, um Fehler im aktuellen System aufzuzeigen und transnationale Solidarität praktisch werden zu lassen.

Kein Land der Welt verbrennt so viel Braunkohle wie Deutschland, obwohl es die dreckigste, ineffizienteste Form der Energiegewinnung ist. Das Rheinische Braunkohlerevier ist die größte CO2-Quelle Europas, dazu kommen noch zwei weitere Reviere in der Lausitz (östlich von Berlin) und bei Leipzig. Als einziges westeuropäisches Land soll hier 2020 noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen. Es ist naheliegend, dass sich hier eine starke Anti-Kohle-Bewegung entwickelt hat. Ein Tagebau versinnbildlicht, was im Kapitalismus schiefläuft.

Neben der heimischen Braunkohle ist Deutschland auch ein großer Importeur von Steinkohle. Der größte Teil kommt aus Russland, den USA und Kolumbien, wo der Abbau mit massiver Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen verbunden ist. Indigene werden vertrieben, zahlreiche Menschen sterben an Atemwegserkrankungen und Anti-Kohle-Aktivist*innen erhalten Morddrohungen, z. B. Mitglieder der indigenen Organisation Fuerza de Mujeres Wayuu in Kolumbien. Nicht ohne Grund ist häufig von »Blutkohle« die Rede.

Nun kann man feststellen, dass hier genau die gleichen globalen Ausbeutungslogiken greifen wie bei anderen Rohstoffen. Doch ein Blick in die Funktionsweise und Geschichte des Kapitalismus verrät, dass es sich um ein ganz besonderes Verhältnis handelt.

Unbegrenztes Wachstum

Im kapitalistischen Wirtschaftssystem bedeutet Erfolg, Kapital zu vermehren (Kapitalakkumulation). Es beruht auf Wettbewerb, also ist ein Unternehmen gezwungen, Kapital profitabler zu produzieren und zu verkaufen als die Konkurrent*innen. Im Kapitalismus koexistieren ganz unterschiedliche Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen nebeneinander: Rassismus ermöglicht Sklaverei und Kolonialismus, das Patriarchat ermöglicht die Ausbeutung von Frauen, die den Großteil der Hausarbeit und anderer reproduktiver Arbeiten ohne Lohn erledigen. Auch wer als Arbeiter*in Lohn erhält, befindet sich in einem Ausbeutungsverhältnis.

Die Entscheidungen darüber, was produziert wird und wie viel Lohn die Arbeiter*innen bekommen, treffen diejenigen, die das Eigentum an den Produktionsmitteln haben. Die Produktionssphäre dieses Systems ist zutiefst undemokratisch.

Welche Rolle spielt die Ausbeutung der Natur? Ein gewisses Maß an Nutzung natürlicher Ressourcen ist zum Leben notwendig. Wir benötigen Nahrung und Material für Häuser. Doch das Prinzip der Kapitalakkumulation und des Wachstums führt zu unvernünftigen Absurditäten im Ressourcenverbrauch. Im Kapitalismus gilt: Viel Ausbeutung ist gut, weil dabei viel Geld gemacht wird. Diese Logik ist nicht vereinbar mit einem Planeten, dessen Ressourcen begrenzt sind.

Fossile Energieträger waren der Schlüssel zum Gruselkabinett des modernen Kapitalismus

Die industrielle Revolution veränderte alles. Um sie zu erklären, wird in der Regel auf technologische Innovationen verwiesen. Der technologische Fortschritt war aber nur deshalb so einschneidend, weil fossile Energieträger für die Produktion nutzbar wurden. Erst durch die Watt‘sche Dampfmaschine und den Verbrennungsmotor konnten Kohle und Erdöl so verbrannt werden, dass genug Energie für Massenproduktion und Massenmobilität vorhanden war. Es ist kein Zufall, dass gerade diese Epoche Karl Marx und »das Kapital« hervorgebracht hat.

Die Verbrennung fossiler Energieträger machte ungeahnte Ausmaße von Wirtschaftswachstum möglich. Das Wachstum beruht auf dem Einsetzen von jahrtausendealter Energie aus Ozeanen, Wäldern, Torfmooren und anderer Biomasse, die in Form von Erdöl, Erdgas und Kohle gespeichert ist.

Der Energiereichtum sorgte für viel Wohlstand. Selbst für Arbeiter*innen hat sich der Lebensstandard in vielen Ländern stark verbessert, insbesondere in den Zentren der kapitalistischen Moderne. Zwei Probleme bleiben jedoch ungelöst: Erstens ist der Wohlstand weltweit extrem ungleich verteilt und zweitens führt der Energieverbrauch zu Treibhausgasemissionen, die eine rasante Erhitzung des Klimas verursachen.

Das Klima hat Kipppunkte

Seit 1900 hat sich die globale Durchschnittstemperatur bereits um 1° C erhöht. Das mag nicht nach viel klingen, führt aber zu erheblichen Ungleichgewichten in vielen Ökosystemen. Die Dürren, Waldbrände und Naturkatastrophen der letzten Jahre sprechen für sich.

Um wissenschaftliche Erkenntnisse aus der ganzen Welt zu sammeln und so eine regierungsunabhängige Stimme der Wissenschaft zu bilden, wurde 1988 der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gegründet, der Weltklimarat der UN. 2018 veröffentlichte der IPCC einen »Sonderbericht über 1,5° C globale Erwärmung«. Die 30-seitige »Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger« sollte jeder Mensch gelesen haben, um ein Grundwissen über den aktuellen Stand der Klimakrise zu erlangen.

Die Klimaerhitzung darf 1,5° C nicht überschreiten, weil es sich verstärkende Rückkopplungseffekte gibt, die das Klima unabhängig von menschlichen Emissionen weiter erhitzen.

Ein Beispiel hierfür sind die Permafrostböden in Sibirien. Gefrorene Torfmoore halten große Mengen an Methan eingeschlossen. Wenn sie auftauen, wird das Methan freigesetzt, was wiederum zu einer Erhöhung der Temperatur führt.

Ein weiteres Beispiel ist der Albedo-Effekt, der sich mit dem Rückgang von Eisflächen beschäftigt. Große weiße Flächen auf der Erde reflektieren Wärmestrahlung zurück in den Weltraum. Schmilzt das Eis, sind die Wasser- und Landoberflächen wesentlich dunkler und absorbieren die Wärme.

Der Unterschied zwischen 1,5° C Erwärmung und 2,5° C liegt also nicht nur bei einem Grad. Automatismen im Ökosystem führen zu weiterer Erhitzung, selbst wenn Menschen keine Treibhausgase mehr emittieren. Dieser Fakt macht die 1,5-Grad-Grenze so wichtig.

Wie viele Treibhausgase dürfen wir noch emittieren, um unter der 1,5-Grad-Grenze zu bleiben? Laut IPCC beläuft sich unser restliches Budget auf ca. 320 Gigatonnen CO2. Beim aktuellen globalen Ausstoß von durchschnittlich 1.331 Tonnen CO2 pro Sekunde wäre dieses Budget in weniger als 8 Jahren aufgebraucht.

Es braucht eine absolute Reduktion der Emissionen. Diese kann nur mit einer absoluten Reduktion des Energieverbrauchs erreicht werden.

Klimagerechtigkeit weltweit

Hier kommt die globale Perspektive ins Spiel, denn der Energieverbrauch ist nicht überall gleich hoch, und die Klimakrise trifft verschiedene Regionen unterschiedlich hart. Den höchsten Ressourcenverbrauch haben reichere Länder des globalen Nordens, während die desaströsen Folgen der Klimakrise ärmere Länder im globalen Süden am heftigsten treffen. Auch in Zukunft werden sich reichere Menschen besser vor Klimakatastrophen schützen können. Diese Einbeziehung sozialer Verhältnisse charakterisiert das Konzept der Klimagerechtigkeit, das weiter greift als Klimaschutz.

Die Klimakrise passiert nicht im leeren Raum, sondern ist in gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen eingebettet. In dieser Erkenntnis beruft sich die Klimagerechtigkeitsbewegung auch auf das Konzept der Umweltgerechtigkeit, das die Schwarze Umweltbewegung in den USA der 1980er Jahre entwickelte.

Umweltgerechtigkeit

In North Carolina hatte das Unternehmen WTC (Ward Transformer Company) jahrelang Giftmüll illegal entlang einer Autobahn entsorgt. Als der Skandal 1982 aufflog, waren große Flächen bereits PCB-verseucht. Eine neue Giftmülldeponie musste her.

Als Standort wurde ausgerechnet Warren County ausgewählt, wo vor allem Schwarze Menschen mit niedrigem Einkommen lebten. Der Protest explodierte, denn die Bewohner*innen erkannten: Hier werden Umweltprobleme bei einer gesellschaftlichen Gruppe abgeladen, die schon auf andere Arten unterdrückt und diskriminiert wird. Warum nicht bei einem Vorort mit wohlhabenden Weißen? Oder neben einem Villenviertel?

Es zeigte sich, dass es nicht reicht, wenn Umweltschutz sich nur um die Verschmutzung an sich kümmert. In einer rassistischen, klassistischen Gesellschaft sind es eben arme Schwarze, bei denen der Müll abgeladen wird. Die Forderung lautete daher auch an die (Weiße) Umweltbewegung, gesellschaftliche Strukturen in die Analysen aufzunehmen. Aus Umweltschutz wurde Umweltgerechtigkeit.

Konsumkritik und die Frage nach der Macht

Was tun wir mit diesen Erkenntnissen? Wie kommen wir zu einem ressourcengerechteren Leben?

Oft folgt hier Forderung, man müsse den individuellen Konsum reduzieren und nachhaltiger gestalten. Dieser Impuls ist verständlich. Wenn ein Problembewusstsein zum ersten Mal aufkommt, ist es nachvollziehbar, dass man das Problem im Alltag bekämpfen will, wo es greifbar wird. Leider wird individuelle Konsumreduzierung aber nie zu wirkungsvollen strukturellen Veränderungen führen.

Die Entscheidungen über weitere Verbrennung fossiler Energieträger wird vor allem von denjenigen getroffen, die das Eigentum an den Energieträgern haben. Alle vorhandenen Vorkommen stehen bereits als Kapital in Büchern von Privatunternehmen und Staaten. Die Inwertsetzung der Ressourcen in Geld findet vor allem durchs Verbrennen statt. Alle Eigentümer*innen von Erdöl, Erdgas und Kohle gehen also davon aus, dass ihre Ressourcen noch verbrannt werden, da sie sonst wertlos werden würden. Wenn jedoch alle fossilen Ressourcen der Welt verbrannt werden, würden ca. 5.000 Gigatonnen CO2 freigesetzt. Ein Desaster, das es unbedingt zu verhindern gilt.

Das Problem sind also die Eigentumsverhältnisse. Eine Demokratisierung der Wirtschaft ist dringend notwendig, um die Klimakrise einzudämmen. Noch dazu müssen sich wirtschaftliche Grundprinzipien von Konkurrenz zu Kooperation wandeln, damit niemand mehr zu möglichst hoher Kapitalakkumulation gezwungen wird, die zur Verbrennung fossiler Energieträger verleitet.

Externalisierung

Die Freisetzung von Treibhausgasen wird ebenso wie Umweltverschmutzung unter dem Begriff Externalisierung gefasst. In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird Natur als Rohstoff verstanden, dessen Wert bezifferbar ist. Wenn eine Fabrik einen Fluss verschmutzt, ist die Verschmutzung ein »kostenloser Produktionsfaktor«, solange die Fabrik nichts für die Verschmutzung bezahlen muss. Deshalb sehen Neoliberale die Lösung darin, externalisierte Kosten zu internalisieren. Die Verschmutzung des Flusses soll etwas kosten, ebenso wie der Ausstoß von CO2.

Diese Herangehensweise zeugt von einem kaputten Verhältnis zur Natur. Was ist der Wert eines Flusses? Ist ein Fisch nur etwas wert, wenn er für den Menschen nutzbar ist? Wie viel ist ein Sonnenaufgang wert?

Neben diesem moralischen Argument führen Internalisierungen auch dazu, dass Verschmutzung immer noch möglich ist, wenn man nur genug Geld dafür bezahlt. Reiche dürfen weitermachen wie bisher, während sich die Lebensbedingungen für ärmere Menschen weiter verhärten.

Ein gewisser Grad an Nutzung natürlicher Ressourcen ist nötig und legitim, das haben wir bereits festgestellt. Wie stark diese Ausbeutung sein darf, gibt aber die Natur vor. Es bedarf großer Rücksichtnahme auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Kipppunkte von Ökosystemen müssen eingehalten werden.

Rojava und das Erdöl

Wer mit diesem Hintergrund einen Blick auf Rojava wirft, kommt nicht daran vorbei, über das Öl zu sprechen. Die starke Abhängigkeit vom Öl ist eine der größten Schwachstellen dieses emanzipatorischen Projekts. Angesichts der geopolitischen Lage kann die Konföderation gerade nicht auf das Öl verzichten. Trotzdem muss es das Ziel der kurdischen Freiheitsbewegung bleiben, diesen Widerspruch aufzulösen.

Der Fall von Rojava zeigt auch: Selbst in einer demokratischen Selbstverwaltung zwingen die kapitalistischen Umstände zur Verbrennung und zum Verkauf fossiler Ressourcen. Selbst wenn in Rojava schon viel wirtschaftliche Produktion in gemeinnützige, genossenschaftliche Betriebe umgewandelt wurde, pumpt das Herz des Kapitalismus weiter Erdöl aus dem Boden. Die Schlussfolgerung ist simpel und nicht neu: Die Revolution muss sich global verwirklichen.

Was können wir in Deutschland tun?

Werfen wir den Blick zurück nach Deutschland, dem Braunkohleweltmeister. Hier gibt es viele sinnvolle revolutionäre Arbeiten, die getan werden müssen. Eine davon ist, die Kohleindustrie anzugreifen und mit politischen Aktionen Bildungsarbeit für die Gesellschaft zu machen.

»Ende Gelände« ist ein antikapitalistisches Bündnis, das seit 2015 jedes Jahr Kohleinfrastruktur in Deutschland blockiert. Die Blockaden produzieren spektakuläre Bilder, die in allen Medien gezeigt werden. Viele Menschen sehen die Tagebaue zum ersten Mal und sind schockiert über das Ausmaß der Zerstörung. Mit radikaler Analyse legt Ende Gelände den Finger in die Wunde und fordert: Systemwandel statt Klimawandel!

ie Kampagne erfährt viel Zulauf, nicht zuletzt wegen der Organisationskultur. Es wird viel Wert auf Gemeinschaftlichkeit und Rücksicht gelegt, viel gesungen und sich umeinander gekümmert. Die bessere Welt, für die wir kämpfen, soll schon heute in unserer Organisierung spürbar werden.

Ende-Gelände-Aktionen und -Klimacamps sind auch ein Ort, an dem sich verschiedene Bewegungen treffen. Bisher war die kurdische Freiheitsbewegung nur schwach vertreten und dieser Artikel soll ein Beitrag sein, um unsere Kämpfe noch besser zu verbinden. Ihr seid alle herzlich eingeladen, diesen Sommer an der Ende-Gelände-Aktion teilzunehmen und Klimacamps zu besuchen. Lasst uns gemeinsam das Ende des fossilen Kapitalismus einläuten!

Mehr Informationen auf ende-gelaende.org.


 Kurdistan Report 208 | März/April 2020