Ein internationalistisches Gruppen-Projekt

Die Blüten der Revolution pflegen

Marco Schröder, Schüler im CELMRAZ (Zapatistisches Sprachen-Zentrum), Caracol II Oventik »Zentrisches Herz der Zapatistas angesichts der Welt«,in Chiapas, Mexiko

Die Blüten der Revolution pflegenEin Reisebericht – sowie ein Versuch der Vermittlung eines Vorschlags unserer zapatistischen Freund*innen – zum gemeinsamen antikapitalistischen antipatriarchalen Kampf – in Würde und Entschlossenheit aller Rebellierenden und sich im Widerstand Befindenden. Ein Kampf-Projekt, das den Freiheitskampf näherbringen, diskutieren und stärken möchte. Mit praktischer Solidarität eine autonome Organisierung in Bewegung bringen möchte.

Worauf noch warten?

Kämpfe im internationalistischen Kontext zusammenfügen! Lassen wir die Zapatistas nicht allein! Zur aktuellen Situation: Die gegenwärtige Situation von Drohgebärden, Hetzkampagnen und Angriffen gegen die Autonomie der Zapatistas und anderer Pueblos originarios in ganz Mexiko und auch in Chiapas geht einher mit der totalen Durchkapitalisierung von Natur, Wasser und Leben – als Waren im modernen Sklavenhaltertum. Von der neuen mexikanischen Regierung als eine »Transformation« angekündigt, wird dies alles doch im neo­liberalen Gewand, in der Manier alter Kolonialpolitik, durchgesetzt.

AMLO (mexikanischer Präsident Andrés Manuel López Obrador) sagte wörtlich auf einer Veranstaltung: »Die Linksradikalen da vorne sind die wahren Konservativen, die den Fortschritt aufhalten« – worauf mit Mord durch seine Partei-Anhänger oder durch Auftragskiller reagiert wird – und dieser Mord auch berechnend vom Staat in Kauf genommen wird. Des Weiteren: verschwinden lassen, Landraub, Enteignung, Vertreibung und Zerstörung kommunitärer Strukturen. Nach wie vor herrscht in Mexiko ein aggressiver Machismus, der auch mittels Militarisierung durch Polizei, Paramilitärs, Drogen-Kartelle genutzt wird, um ein Angst-System aufrechtzuerhalten. Die offensichtliche Tatsache der Straffreiheit sowie auch die Vertuschung und das Ignorieren täglicher Feminizide machen das deutlich.

Offiziell stellt AMLO sich als Gegner und Erlöser von korrupten Machenschaften der Regierung dar. Inoffiziell braucht und nutzt er jedoch diese kriminellen Strukturen zur Aufrechterhaltung der Aufstandsbekämpfung. Somit bleiben genau dies und die normalisierte gewalttätige Frauenfeindlichkeit erhalten. Die neuen und alten neoliberalen Mega-Projekte der Regierung bedeuten eine totale Kriegserklärung, die sich gegen die Pueblos originarios, Feministinnen, Ökoaktivist*innen u. a. und große Teile der mexikanischen Bevölkerung richtet (auch in Bezug auf den gesamten südamerikanischen Kontinent und global betrachtet).

Die Zapatist*innen nennen dies eine »nachholende ursprüngliche Akkumulation des Kapitals« (aus ihrem Kommuniqué vom August 2018: »300«; siehe auch: www.enlacezapatista.ezln.org.mx).

Im zapatistischen Caracol II von Oventik, Altos de Chiapas, Mexiko: Die Ankunft auf wirklich autonomem Gebiet (im Caracol II) ist im ersten Moment sehr besonders, friedvoll und erhellend zugleich.
Kurz zuvor noch in der kleinen, doch vom Tourismus zentrierten und spürbar vom Konsum aufgedrehten Stadt San Cristóbal de las Casas – mit starker Militärpräsenz und Konsumgütern ohne Ende –, hinein in eine wahre Selbstverwaltung (die im Umgang miteinander und untereinander spürbar ohne Konkurrenz und wettbewerbslos ist).

»Besonders« – weil mit dem Wissen um die Wirklichkeit der selbst aufgebauten und mit Sorgfalt verteidigten Autonomie, mit dem Wissen um die jetzt aktuell ausgeweiteten autonomen zapatistischen Gebiete in widerständigen Teilen Chiapas – als eine zapatistische Offensive.

»Friedvoll« – im Kontext des hartnäckigen Beharrens auf Selbstbestimmung (in konfliktreichen Regionen, wo es Verrat gibt und Kollaboration mit dem neoliberalen Staat, der Spaltungen, Gewalt und Rassismus sät) und einer dadurch notwendigen Organisierung des Friedens auf dieser Basis – mit allen zivilgesellschaftlichen Mitteln zu verteidigen.

Diese Liebe durch praktische Aufklärungsarbeit (autonome Bildung, freie Medien, Kollektivarbeit, Selbst-Regierung, autonome Ausbildung, ökologische Landwirtschaft, Geschichtsbewusstsein, autonome Gesundheitsversorgung u. a.) weitergebend, sind die Zapatistas doch auch mit dem Tod durch die Ermordung von Compañer@s konfrontiert.

»Erhellend« – aus der Gewissheit und der Tatsache heraus, dass diese autonomen zapatistischen Gebiete schon so lange Bestand haben – mit der Liebe zur Selbstorganisation und das flammende Lichtlein im Herzen bewahrend. Mit der Gewissheit, dass jedes Problem an der Wurzel gepackt und durch eben diese Selbstorganisation und Bildung gelöst werden kann.

Womit auch unser aller Aufgabe im Kampf klarer wird: als Internationalist*innen, die wir sind – und als Zapatist*innen, die sie sind – zu verschmelzen (das gilt für alle internationalistischen Bewegungen und Widerständigen auf allen Kontinenten) und ihren Organisierungsvorschlag beherzt wahrzunehmen. Er beinhaltet: Mit allen kämpfenden revolutionären Kräften, ein weltweites Netzwerk der Kommunikation und Koordination, föderal oder konföderal, unsere Kämpfe aufzubauen und praktisch umzusetzen! (Wodurch einmal mehr die große Anerkennung der kurdischen Bewegung und der Revolution in Rojava deutlich zum Ausdruck gebracht wird.) Dies ist explizit ein diskutierter internationalistischer Vorschlag und Wunsch aller Zapatist*innen.

Es ist durchaus ein hartes Leben im Widerstand. Romantisierung sowie Heroisierung sind an dieser Stelle mehr als unangebracht, betrachtet mensch in dieser Region (kolonialistisch zerstückelt) den gegenwärtigen Zustand im Interesse der kapitalistischen Moderne und ihrer Unterjochung. Angesichts des patriarchalen kapitalistischen Kriegs der Herrschenden immer, überall, zu jeder Zeit – mit ihren korrupten Gouverneuren, Militär-Polizisten, gekauften Paramilitärs und auch armen Menschen, die sich bereitwillig kaufen lassen und sich so an jede, noch so kleine Hoffnung klammern, etwas »vom Kuchen« abzubekommen, und dadurch reaktionäre Spielchen schnell mitmachen. Dies alles findet auch tatsächlich im direkten Umfeld, im wahrsten Sinne in der direkten Nachbarschaft der zapatistischen Autonomie statt.

»Das ist die Hölle«, wie uns ein Compañero berichtete, »doch in unseren autonomen Gebieten können wir atmen und sein.« Was uns ebenfalls von den zapatistischen Compañeras gesagt wurde, war: »Hier, auf diesem Gebiet sehen wir Euch nicht als Tourist*innen oder als Ausländer*innen an; in der kapitalistischen Stadt werdet Ihr so angesehen; doch hier, auf diesem zapatistischen Land: von uns nicht.«

(Zusatz-Info: Alle aktuellen zapatistischen Veröffentlichungen, Themen – und auch die Gespräche im Austausch in unserem Unterricht im Caracol – sind auf den großen Treffen der Zapatistas miteinander demokratisch abgestimmt worden; daher sind alle Aussagen immer im kollektiven Rahmen und niemals individuell zu verstehen.)

Selbstbewusst fragend und zuhörend zu lernen, war hier jetzt auch unsere Realität – und somit die Art und Weise unseres Unterrichts. Mit wütend wissender Würde – dem Unrecht der Geschichte gegenüber – als Motor des Voranschreitens. Mensch kann sagen: Es ist ein Miteinander – durch einander. Der Unterschied zwischen Bedürfnis und Notwendigkeit wird hier in zapatistischem Gebiet erkennbar und lehrt gleichsam Bescheidenheit. Wodurch auch die Dringlichkeit der Verantwortung unserer Aufnahme des Kampfes – und der dringlichen Aufgabe, aufmerksam zu sein – in Solidarität mit der zapatistischen und weiteren Freiheitsbewegungen, die uns brauchen – klarer wird.

Es darum nicht nur auf einem Austausch und/oder Besuch beruhen zu lassen, sondern dazu aufzurufen, uns als Internationalist*innen angemessen aufrichtig zu verhalten. Das heißt auch, die zapatistischen Analysen und Vorschläge zu diskutieren – und gemeinsam in Europa und darüber hinaus eine Antwort auf den Vorschlag der zapatistischen Freund*innen bezüglich der Schaffung eines globalen Netzwerks der revolutionären Koordination und der direkten solidarischen Aktion zu verfassen.

Da die Compañer@s Zapatistas organisiert sind, laden sie auch regelmäßig zu großen Treffen in ihren Gebieten (ihren Caracoles) ein: Dem Willen der aufständischen Bevölkerung verbunden. Ihr Kampf findet dort statt. Dort sind sie Zapatist*innen. Überall anders – so sagen die Herrschenden – wären sie Illegale ohne Papiere. Also: Schaffen wir einen Internationalismus, der Bezug nimmt und so als Ganzes entsteht. Denn Theorie und Praxis verbinden, sofern ein Lern-Prozess entsteht: Hin zu einer revolutionären/militanten Persönlichkeitsentwicklung. Schaffen wir einen Internationalismus, der in der Lage ist, Frieden durchzusetzen! 


 Kurdistan Report 207 | Januar/Februar 2020