Vorstellung des Avakino Filmkollektivs

Menschen, die das freie Denken lieben

Sophia Angeli

Vorstellung des Avakino FilmkollektivsIm Mai diesen Jahres beschlossen einige in Hamburg lebende Menschen, dass es an der Zeit sei, ein Kollektiv zu gründen, welches in sich den gemeinsamen Wunsch verwirklicht, alternative Filmkunst zu entwickeln. Dieses Kollektiv soll auch in diesem Bereich eine Brücke zwischen Kurdistan und Hamburg, aber genauso zu anderen alternativen Projekten bauen. So wurde auf den Wassern der Elbe das Avakino Filmkollektiv von zwölf Film- und Kulturschaffenden gegründet. Im Manifest des Kollektivs heißt es:

»Dieser Film beginnt mit uns. Aus Mesopotamien und Anatolien sind wir nach Hamburg gekommen und bringen die Seelen unserer Länder mit. Hier sind wir auf weitere revolutionäre Filmschaffende getroffen. Dieser Film beginnt mit einem egalitären und libertären Lied. Wir tragen das Wasser von Tigris und Euphrat in unseren Händen. Unser Film wird auf den Wassern der Elbe segeln.

Die Elenden aus Anatolien und dem Nahen Osten bringt unser Film mit den anderen Anderen zusammen. In Hamburg treffen sich die Charaktere und beginnen die Suche nach all denjenigen, die sagen, dass ein anderes Kino möglich ist.«

Kurz nach Gründung bewarb sich das Kollektiv erfolgreich um Räume an einem Ort, welcher selbst seit nunmehr zehn Jahren ein sehr lebendiger Schauplatz alternativer Kunst- und Kulturproduktion in Hamburg ist. Vom Gängeviertel aus, einem selbstverwalteten Freiraum mit vielen Möglichkeiten, startete das Kollektiv die Arbeit an den gesetzten Zielen. Dort wurde am 3. Oktober auch die Eröffnung des Kollektivs gefeiert. Dies zum Anlass nehmend, gaben bANDiSTA aus Istanbul ein Solidaritätskonzert. Auch wenn nur dreien von sechs Mitgliedern der Band das erforderliche Visum erteilt wurde, schafften sie es dennoch, mit Akkordeon, Bass und Gesang ein Konzert zu geben, das sowohl zum Tanzen brachte als auch die Verortung der Band in der Widerstandsbewegung in der Türkei widerspiegelte. Zudem spielte Grup Cemre, eine antifaschistische Band aus Hamburg, und ein bekannter Regisseur legte zum Schluss Platten auf. Die Eröffnung wurde sehr gut besucht und brachte viele unterschiedliche Menschen zusammen. Das Kollektiv selbst zeigt sich sehr zufrieden mit dem Interesse, welches aus Hamburg und Umgebung entgegengebracht wurde.

Ein Teil des Selbstverständnisses des Kollektivs bezieht sich auf die Filmkommune in Rojava, die Akademiya Şehîd Yekta Herekol. Deren Ziele, Filme ins Kurdische zu übersetzen, in Rojava selbst Filme zu produzieren und Filmschaffende ausbilden, finden sich übertragen in Hamburg wieder. Hier werden explizit die folgenden Ziele genannt: die Schaffung eines Archivs der kurdischen Filmkunst; die Produktion eigener Filme; die Ausbildung neuer Filmschaffender; der Aufbau eines Netzwerkes alternativer Filmschaffender; die Bekanntmachung kurdischer Filme und der Zugang zu diesen; der Bezug auf revolutionäre Filmkunst weltweit.

Popularität, Produktion und Bildung – unter diesen drei Aspekten lassen sich wohl die Aktivitäten des Kollektivs zusammenfassen. Im Konkreten wird sich das folgendermaßen gestalten: Das sich neu entwickelnde alternative Kino soll bekannt gemacht werden. Dies geschieht durch die Organisierung von Filmtagen, aber auch durch monatliche Veranstaltungen, wie etwa das diskursiven Vorführen von Filmen. Die Schaffung eines Archivs in Hamburg ist neben der Zugänglichkeit aber auch dem Risiko geschuldet, welches durch Krieg und Verfolgung auf vorhandenen Filmen in Kurdistan selbst liegt. Daneben soll auch die Präsenz auf Filmfestivals weltweit der Öffentlichkeit und Vernetzung dienen.

Der Aspekt der Produktion schlägt insbesondere die Brücke nach Hamburg. Denn neben der Zusammenarbeit mit anderen lokalen Filmemacher*innen dient dieser insbesondere der Sichtbarmachung all jener Geschichten, die sich den hegemonialen Erzählungen der Mächtigen entziehen. Flucht, Vertreibung, Rassismus sind Thematiken eigener Produktionen, aber auch Geschichten aus dem Alltag, dem Zusammenleben verschiedener Kulturen. Nicht nur an Filmen, sondern auch an Theaterstücken, auch in kurdischer Sprache, arbeitet das Kollektiv.

Bildung findet sowohl nach innen als auch nach außen statt. Kino bildet nur gemeinsam mit den Zuschauer*innen ein filmkünstlerisches Werk. Diesem Motto entsprechend, organisiert das Kollektiv Seminare und Filmvorführungen, um die Zuschauenden in ihrem Willen nach Kritik und Mündigkeit zu unterstützen. Der Austausch mit anderen alternativen Filmschaffenden wird zu einem weiteren Bildungselement. Zur internen Bildung dient das Erlernen von Techniken und Methoden, auf praktischer wie auf theoretischer Ebene.

Der Umgang mit der kurdischen Sprache lässt sich ebenfalls in allen Aspekten, aber auch im Gründungsmanifest wiederfinden. Jahrzehntelang wurde sie durch die regionalen und kolonialen Staaten verboten. Bis 1993 wurde Kurdisch als Kinosprache nicht zugelassen; durch das Verbot konnten auch keine oder nur wenige Filme in der Sprache gemacht werden. Selbst kulturimperialistische Propaganda des westlichen Lebensstils, wie viele Filme aus Hollywood, wurden nicht ins Kurdische übersetzt. Eine Änderung trat mit dem Sturz der Saddam-Diktatur im irakisch besetzten Teil Kurdistans ein, wo anschließend die ersten kurdischen Filme entstanden. Selbiges geschah im türkisch besetzten Teil Kurdistans. Mit der Revolution in Rojava wurde die bereits von Halil Dağ bei der Guerilla entwickelte alternative Filmkunst zunehmend mit neuem Leben gefüllt. Antikapitalistische, antinationalistische und antisexistische Ausrichtungen prägen nun verstärkt die dort entstehenden Filme.

Eingangs zitiertes Gedicht umschreibt das Kollektiv treffend. Es ist ein Ort der gegenseitigen Unterstützung, der Bildung, des voneinander Lernens und der Inspiration. Das, was nicht gesehen wird, wird sichtbar gemacht und Widerstand gegen die Reproduktion der hegemonialen Sprach- und Herrschaftsstrukturen geleistet. Das Kollektiv beruft sich auf das Erbe der revolutionären Filmkunst weltweit und versammelt auf vielfältige Art Menschen, die das freie Denken lieben und sich auch als Künstler*innen dem Aufbau einer anderen Welt widmen.


 Kurdistan Report 206 | November/Dezember 2019