Britische Regierung kriminalisiert Fahrten nach Nordostsyrien

Ein Versuch, die Revolution in Rojava zu ersticken

Britische Internationalist*innen in Rojava


Britische Regierung kriminalisiert Fahrten nach Nord- und Ostsyrien»The Terrorism Act« (das Terrorismus-Gesetz) ist ein bereits bestehendes, konservativ-faschistisches Gesetz, das die Regierung von Großbritannien benutzt, um Individuen und Gruppen zu kontrollieren, die als »Gefahr« eingestuft werden. Vor kurzem wurde diesem Gesetz ein Nachtrag (amendment) hinzugefügt, begründet mit dem »Schutz« Großbritanniens, der die Grundlage dafür bietet, einfache Reisen nach oder den Aufenthalt in Rojava mit Freiheitsstrafen zu belegen.

Mit Hilfe des Paragraphen (section) 44 des »Terrorism Act« wurden tausende Menschen ohne jegliche Anklage gestoppt, durchsucht und inhaftiert; nicht eine dieser Personen wurde später für eine terroristische Straftat (terrorism offence) verurteilt.

Unter dem Zusatz (schedule) 7 kann die britische Polizei gleichermaßen Linke, Muslime und jede Person, die sie einschüchtern will, festhalten und verhören. Dabei wird anwaltlicher Kontakt verwehrt und die Aussageverweigerung mit Inhaftierung bestraft. Dabei werden Menschen mit Herkunft aus Asien oder dem Nahen Osten mit elfmal höherer Wahrscheinlichkeit festgenommen als weiße Menschen.

Der »Terrorism Act« enthält ganz bewusst eine sehr weit gefasste Definition dessen, was ein*e »Terrorist*in« ist und wer es sein kann. Es ist eines der effizientesten Werkzeuge der britischen Regierung, die islamophobe Stimmung nach 9/11 im Land aufrechtzuerhalten und zu verbreiten sowie die Stimmung zu instrumentalisieren, um bei Themen wie Freiheit und abweichender Meinung härter durchgreifen zu können.

So wurde nun dem »Terrorism Act 2000« ein Nachtrag hinzugefügt, der Anfang dieses Jahres in die britische Gesetzesgrundlage eingeflossen ist. Er ermöglicht es der Regierung, gewisse Gebiete als sogenannte »No-Go«-Zonen für britische Staatsangehörige und Menschen, die in Großbritannien einen ständigen Wohnsitz haben, zu benennen. Der Nachtrag erlaubt es, aus dem Reisen in diese Gebiete und dem Aufenthalt dort eine terroristische Straftat zu machen, auch wenn diese Reise nachweislich nichts mit »Terrorismus« zu tun hat.

Im letzten Monat verkündete der Innenminister (und einer der aktuellen Spitzenkandidaten im Wettkampf um den Platz des Premierministers Großbritanniens) Sajid Javid sein Vorhaben, so bald wie möglich Nord- und Ostsyrien sowie die Provinz Idlib in Nordwestsyrien als Reiseziele zu verbieten.

Vom Zeitpunkt des Reiseverbots für diese Gebiete an müssen sie britische Staatsangehörige und Menschen mit ständigem Wohnsitz in Großbritannien, die sich in diesen Gegenden aufhalten, innerhalb von 28 Tagen verlassen. Sollten sie das nicht tun, werden sie bei ihrer Rückkehr nach Großbritannien strafrechtlich verfolgt werden.

Aktuell wird ein wegen Verstoßes gegen den »Terrorism Act« schuldig gesprochener Mensch mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Dänemark und Australien haben bereits ein ähnliches Gesetz, das der Regierung erlaubt, Regionen als »No-Go«-Zonen für ihre Staatsangehörigen zu bestimmen. Die Einführung dieser Art von Politik in Großbritannien wird vermutlich als Präzedenzfall für andere europäische Nationen dienen, um die Reisemöglichkeiten ihrer eigenen Staatsangehörigen einzuschränken. Außerdem ist dies ein eindeutiger Schlag gegen die Bestrebungen für eine politische Anerkennung Nord- und Ostsyriens.

Die Motivation des Innenministers, Rojava (Nordsyrien) in die Reihe der kriminalisierten Gebiete einzubeziehen, darf nicht unbeantwortet bleiben und muss strikt hinterfragt werden.

Wie kann es sein, dass eine Region, in der sich die dort lebenden Menschen demokratisch organisieren, zugleich eine Region, die ein säkulares, demokratisches politisches Programm hat, das als Ziel langandauernden Frieden im Nahen Osten verfolgt, als »Nährboden für terroristische Aktivitäten« angeprangert wird?

Dass Rojava im gleichen Atemzug wie Idlib (kontrolliert von den brutalen Al-Qaida-Ablegern Haiat Tahrir asch-Scham, HTS) mit einem Reiseverbot belegt werden soll, lässt erkennen, wie viel Angst die britische Regierung vor den hier aufblühenden sozialen Veränderungen hat. Indem die Revolution in Nord- und Ostsyrien in die gleiche Schublade gesteckt wird wie dschihadistische Gruppen, die Idlib kontrollieren, wird der orientalistische Blick genährt, Syrien (und der Nahe Osten) sei ausschließlich ein Ort von Terrorismus und Extremismus, wo nichts anderes existiere.

Durch die Nennung Nord- und Ostsyriens versucht die britische Regierung ganz klar, diese Region ohne Gegenwehr auf die Liste zu setzen – in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit durch das einfache Lesen von »Syrien« an »Terror« denkt und somit die Benennung akzeptiert, ohne sie zu hinterfragen. Die britische Regierung ist nicht so naiv, den Unterschied zwischen der politischen Situation in Idlib und der in Rojava nicht zu kennen und nicht differenzieren zu können. So kann die Frage gestellt werden, warum bekämpft ein Land wie Großbritannien, das seine eigenen »demokratischen« Werte propagiert, ein Projekt für die Freiheit, wie es in Rojava aufgebaut wird? Und wieso stuft die Regierung Nord- und Ostsyrien als eine Region ein, die genauso gefährlich sein soll wie ein von dschihadistischen Gruppen kontrollierter Ort?

Die einzige einleuchtende Erklärung ist, dass Großbritannien nicht will, dass seine Staatsangehörigen erkennen, dass ein Ort ohne Staat, Regierung und Parlament erfolgreich bestehen kann. Wenn Rojava und das Projekt für Demokratie in Nord- und Ostsyrien es erfolgreich geschafft haben, den Schwierigkeiten von fast zehn Jahren Bürgerkrieg zu trotzen, was könnte dann alles im Rest der Welt erreicht werden, wenn mehr Menschen über Demokratischen Konföderalismus Bescheid wüssten? Was würde passieren, wenn mehr Menschen realisieren würden, dass die liberale Demokratie in Europa eine Täuschung ist und dass eine echte Alternative existieren kann? Die Umsetzung von Sajid Javids Idee, Rojava und Nord- und Ostsyrien zu einer »No-Go«-Zone für britische Staatsangehörige zu machen, darf keine Realität werden. Es ist wichtig, dass wir Menschen auf der ganzen Welt begreiflich machen, weshalb Nord- und Ostsyrien durch diese Gesetzgebung ins Visier genommen wird.

Die Befürchtung, durch den »Terrorism Act« und andere ähnliche Gesetzgebung ins Gefängnis zu kommen, wurde konstruiert, um die ideologische Kampagne der britischen Regierung gegen die Revolution in Rojava zu erweitern.

Es ist eine weitere Facette der Entscheidung Großbritanniens, mit dem faschistischen türkischen Staat zu kooperieren und ihn mit Waffen auszustatten. Und dies sollte als ein direkter Angriff auf die hiesige Revolution verstanden werden.

Dieser Nachtrag lässt ausschließlich die Absicht des britischen Staates erkennen: Egal wie sehr er versucht, sich hinter dem Vorwand, dem »Schutz der eigenen Staatsangehörigen«, zu verstecken – sein einziges Motiv ist es, sich selbst zu schützen und die Interessen der kapitalistischen Klasse zu verfolgen sowie seine Macht auszubauen.

So liegt es in unserer Verantwortung, nach einer wahrhaftigen Alternative zur kapitalistischen Moderne zu suchen und gegen diese neue Gesetzgebung auf allen uns möglichen Wegen vorzugehen. Um die Welt aufzubauen, in der wir leben wollen, müssen mehr und mehr Menschen die Revolution in Rojava sehen und erleben. Deswegen können wir nicht zulassen, dass die Psycho-Spielchen Großbritanniens eine abschreckende Wirkung auf diejenigen von uns haben, die von einer besseren Welt träumen. Als britische Freiwillige hier in Nordostsyrien werden wir unseren Kampf weiterhin führen und uns von den Drohungen unserer Regierung nicht einschüchtern lassen: Wir appellieren an unsere Freund*innen und Genoss*innen in Großbritannien, Deutschland und auf der ganzen Welt, Menschen zu mobilisieren und westliche Regierungen für deren Versuche, diese Revolution zu ersticken, zur Verantwortung zu ziehen.


 Kurdistan Report 205 | September/Oktober 2019