Die Feylî-Kurden

Heimatlos in der eigenen Heimat

Devris Cimen, Journalist, Silêmanî

Ein Mann, die Hand eines Kindes haltend, neben ihm eine Frau, die ein Baby an ihre Brust gewickelt hat. Hinter ihnen der Stacheldraht, der wohl für eine Grenze steht. Sie blicken nach vorn, in die Ferne ...

süleymaniyedeki feyli heykel 450 (Sulaimaniya). Sie wurde am 7. April vergangenen Jahres, dem Tag der gefallenen Feylî-Kurden, eingeweiht und steht an der Kreuzung Bana-/Baban-Straße. Sie soll an die Tragödie der Feylî erinnern und dazu einladen, sich mit deren Geschichte auseinanderzusetzen.

Doch die vorhandenen Informationen über die Feylî sind sehr überschaubar. Bei meiner Recherche konnte ich lediglich zwei schriftliche Quellen ausfindig machen, beide in französischer Sprache verfasst. Das wäre zum einen das Buch Ismail Kamandars über die kaum bekannte Geschichte dieser Gruppe. Es wurde zuletzt von Zeyneb Murad ins Arabische übersetzt, liegt allerdings noch nicht gedruckt vor. Zum anderen gibt es ein Werk von Ali Babaxan. Ansonsten gibt es keine, zumindest mir nicht bekannten, verschriftlichten Informationen über die Feylî. Wer sich dennoch mit ihnen befassen möchte, muss auf mündliche Überlieferungen zurückgreifen, die über Generationen weitergegeben wurden. Doch nicht verschriftlichte Quellen sind oftmals zerstückelt und lassen zu viele unterschiedliche Interpretationen zu.

Ich habe mich bei meiner Recherche sowohl an Zeyneb Murad, die sich als Mitglied des Nationalkongresses Kurdistan schon seit Langem mit den Feylî beschäftigt, als auch an Nadira Karim, die Vorsitzende eines Vereins von Feylî-Kurden in Silêmanî, gewendet. Meines Erachtens ist es kein Zufall, dass meine beiden Ansprechpartnerinnen zu diesem Thema Frauen waren. Am Beispiel von Leyla Qasim, die als Vorkämpferin für kurdische Rechte selbst Feylî war und wegen ihres politischen Engagements 1974 durch das Baath-Regime hingerichtet wurde, lässt sich erahnen, dass die Feylî-Frauen sich im Gegensatz zu anderen Gruppen in der Region mehr Freiräume in der Gesellschaft verschafft haben.

Die Identität der Feylî

Manche Quellen behaupten, dass der Begriff »Feylî« eine Abwandlung des Ausdruckes »Pehlevî« sein könnte, welcher im Reich der Sassaniden diejenige Region bezeichnete, die sich östlich des Tigris von Südkurdistan bis Bagdad erstreckte. Da es im arabischen Alphabet den Buchstaben »P« nicht gibt, hatte die arabische Bevölkerung Schwierigkeiten, das Wort »Pehlî« auszusprechen. Stattdessen sollen sie die in dieser Region lebenden Kurden einfach als Feylî bezeichnet haben. Stimmt diese Überlieferung, so bezeichnet der Begriff Feylî eine kurdische Gemeinschaft, die sich über ihre Zugehörigkeit zu einem geographischen Raum, der historisch Pehlevî genannt wurde, identifiziert. Ein weiteres wichtiges Merkmal der Feylî ist, dass sie sich zum Schiitentum bekennen. Unter dem irakischen Baath-Regime wurden die Feylî sowohl aufgrund ihrer religiösen als auch ihrer ethnischen Identität verfolgt und ermordet. Die religiöse Identität genießt bei vielen Feylî allerdings Vorrang vor der ethnischen Herkunft.

Wo die Feylî leben und wie viele es von ihnen noch gibt

Einige Quellen behaupten, dass die Feylî ursprünglich aus der iranischen Stadt Îlam stammen. Auch heute leben viele Feylî in der Region, welche sich vom irakisch-iranischen Grenzort Qasr-i Şerin über Îlam bis hin zu Kirmaşan (Kermanschah) erstreckt. Wie viele andere regionale Gruppen mussten auch die Feylî im Verlauf der Geschichte immer wieder entweder wegen Nahrungsmittelknappheit oder aus Sicherheitsgründen aus ihrer Herkunftsregion emigrieren. Die meisten von ihnen siedelten nicht weit von ihrer ursprünglichen Heimat entfernt, wie an der Grenzregion zum und etwas im Landesinneren des heutigen Irak. Mit der Errichtung des irakischen Nationalstaates 1932 lebten die Feylî somit unter einer neuen Zentralmacht.

Innerhalb der Feylî-Kurden bilden Klan-Strukturen weiterhin eine wichtige gesellschaftliche Organisationseinheit. So sagt Zeynep Murad, dass es dort rund 90 Klans gebe. Nadira Karim gibt weiterhin an, dass die Klans Ali Şerwan, Malak Şahi, Jaberi, Ansari, Laki, Xezel, Şoxan und Zouri Qaitoli heute zu den wichtigsten unter den Feylî gehören.

Die letzten zweihundert Jahre besiedelten die Feylî ein Gebiet östlich des Tigris, das von Samarra bis Bagdad reicht. Dort gehören zu den wichtigsten Regionen die in der irakischen Provinz Diyala liegenden Orte Xaneqîn, Celawla, Al-Miqdadiyah, Mendeli und Zorbateyah. Sie werden gegenwärtig zu den verfassungsrechtlich »umstrittenen Gebieten« gezählt, bei denen weiterhin nicht geklärt ist, ob sie dem Hoheitsgebiet der irakischen Zentralregierung oder der Autonomieregion Kurdistan zuzurechnen sind.

Auch wenn die genannten Orte als Konzentrationspunkte der Feylî gelten, besetzten Persönlichkeiten aus dieser Gruppe in der Vergangenheit auch in Städten wie Bagdad, Basra oder Kerkûk einflussreiche Posten in Politik und Wirtschaft. Auch heute leben schätzungsweise mehrere zehntausend Feylî in der irakischen Hauptstadt.

Heute wird die Zahl der Feylî-Kurden, die im Irak und im Iran beheimatet sind, auf mehr als 500.000 geschätzt. Nadira Karim und andere Vertreterinnen der Feylî gehen allerdings davon aus, dass die Zahl ihrer Gemeinschaft in der Heimatregion bei bis zu einer Million liegt. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl Feylî, die aus verschiedenen Gründen in der Diaspora leben. Wie groß nun die tatsächliche Zahl auch sein mag, an der legitimen Forderung nach Anerkennung ihrer kulturellen Rechte ändert das nichts.

Ein nicht geringer Teil der Feylî drückt sich heute entweder in der persischen oder der arabischen Sprache aus. Dabei ist ihre eigentliche Sprache das südliche Kurdisch (in Südkurdi­stan wird neben dem Soranî-Dialekt zwischen dem nördlichen Kurdisch Kurmancî und dem südlichen Kurdisch, das die Feylî sprechen, unterschieden). Zeynep Murad erklärt, dass die Feylî nicht die Möglichkeit haben, ihre gesprochene Sprache zu einer Schriftsprache zu machen. »Im Gegensatz zum Soranî bilden wir Sätze von hinten nach vorne«, sagt sie. Die Feylî unterscheiden sich somit aufgrund der sprachlichen Unterschiede, des Zusammenlebens mit der arabischen Bevölkerung und der Zugehörigkeit zu einer anderen Religion in ihrer Kultur und in ihren Ritualen von der restlichen kurdischen Bevölkerung.

Die Zwangsvertreibung von Hunderttausenden

Ich habe oben erwähnt, dass Feylî-Kurden in der irakischen Politik und Wirtschaft wichtige Posten einnahmen. Das änderte sich schlagartig, als das Baath-Regime die Feylî zum Feind erklärte, ihre Besitztümer beschlagnahmte und sie aus ihrer Heimat vertrieb. Die Feylî waren fortan einer systematischen Diskriminierung ausgesetzt: da sie Kurden waren, da sie aus dem Iran stammten und da sie schiitischen Glaubens waren.

Die Baath-Partei hatte durch ihre organisierte Struktur nach der Machtübernahme 1968 die staatlichen Institutionen vollständig unter Kontrolle gebracht. Zwischen 1968 und 1971 vertrieb das Regime anschließend rund 40.000 Feylî-Kurden in den Iran. Die betroffenen Menschen waren drei Monate zuvor darüber informiert worden, dass sie ihre Heimat zu verlassen hätten. Als Saddam Hussein 1979 die Macht im Baath-Regime übernahm, wurde die Vertreibungspolitik noch rücksichtsloser. Den Feylî wurden fortan »ausländische Wurzeln« bescheinigt und ihnen als Ganzem »Verrat an Vaterland und Volk« vorgeworfen. Ab dem 7. April 1980 ließ Saddam mehr als 300.000 Feylî vertreiben, dieses Mal ohne jegliche Vorwarnung. Die Opfer dieser Vertreibungspolitik wurden von ihren Häusern, ihren Schulen, ihrer Arbeit oder wo sie sich gerade befanden, abgeholt und nur mit den Kleidern, die sie am Leibe trugen, in das verminte irakisch-iranische Grenzgebiet vertrieben. »In dieser Zeit wurden rund 20.000 Frauen und Männer im Alter zwischen 16 und 40 in Sammellager gebracht. Wir haben nie wieder etwas über ihr Schicksal erfahren«, ergänzt Nadira Karim.

Mit hundertfachen Verlusten durch Minen an der Grenze erreichten die Feylî den Iran, wo sie als Flüchtlinge die folgenden Jahre ohne die Möglichkeit zur Arbeit verbrachten. Viele siedelten sich wieder in der Region um Kermanşah und Îlam an. Tausende anderen leben aber bis heute in Flüchtlingscamps mit den Namen Cuhrum und Ezner. Die dortigen Bewohner erhalten eine grüne Karte, welche den Flüchtlingsstatus markiert. Als in den Folgejahren immer wieder Feylî-Kurden erfolgreich die Rückkehr in den Irak beantragen, wird ihnen von den iranischen Behörden ein Dokument ausgehändigt, das eine erneute Einreise in den Iran ausschließt.

Fremd in der eigenen Heimat

Das Baath-Regime hatte den Feylî die irakische Staatsbürgerschaft aberkannt, nach dem Sturz Saddams erhielten viele sie wieder. Doch bis zu 100.000 von ihnen verfügen bis heute über keine Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus stellt es praktisch ein Ding der Unmöglichkeit dar, die Häuser und das Eigentum zurückzubekommen, welche ihnen von Saddam genommen wurden. In den ehemaligen Häusern leben heute vor allem arabische Familien und die irakische Regierung macht keine Anstalten, diesen Interessenkonflikt zu lösen. Aber auch die Regierung der Autonomen Region Kurdistan verfügt über keinerlei Pläne oder Projekte, um die Rechte der Feylî-Kurden zu schützen. Viele sagen deshalb, dass sie sich zu Südkurdistan nicht zugehörig fühlen. »Wir sehen uns auf der Seite Bagdads«, ist nicht selten von ihnen zu hören.

Doch auch mit der Zentralregierung haben es die Feylî nicht einfach. Um beispielsweise ihre irakische Staatsangehörigkeit zurückzuerhalten, müssen sie beweisen, dass sie Iraker sind. Das ist keine einfache Aufgabe. Ein Weg ist es, ihre Registrierung oder die Teilnahme ihrer (Groß-)Eltern an der Volkszählung von 1957 nachzuweisen. Doch dazu fehlt es oft an Dokumenten, denn wir erinnern uns, viele von ihnen waren gezwungen, ihre Heimat nur mit der Kleidung am Leibe hinter sich zu lassen. Auf diese Weise werden sie neben den übrigen Schwierigkeiten im Alltag auch noch zu Fremden im eigenen Land gemacht.

Eine umarmende Annäherung

Dass es gegenwärtig weder genügend verschriftlichte Informationen über die Feylî noch Untersuchungen zu den an ihnen verübten Massakern und Vertreibungen gibt, liegt in der Verantwortung kurdischer Intellektueller, kurdischer Institutionen und ihrer Politik. Die politisch Verantwortlichen in Kurdistan müssten mindestens von nun garantieren, dass keine ethnische und religiöse Gruppe diskriminiert wird, und darüber hinaus einen demokratischen Neuanfang wagen. Das wäre auch eine versöhnliche Geste gegenüber den Feylî-Kurden.

Sie haben in ihrer Geschichte viel Schmerz und Leid ertragen. Doch sie haben auch ihre Rituale, ihre Kultur und ihren Glauben bewahrt. So gehen sie auch in der Gegenwart ihren Weg, trotz der Müdigkeit und des unbekannt scheinenden Ziels. Die politisch Verantwortlichen unter den Kurden sollten den Feylî auf ihrem Weg entgegenkommen. Sie sollten sich mit der Geschichte und Identität dieser Gruppe auseinandersetzen. Und sie sollten Möglichkeiten schaffen, damit die Feylî in ihrer Heimat wieder würdevoll und selbstbestimmt leben können.


 Kurdistan Report 200 | November/Dezember 2018