Tamil Tigers sind für Schweizer Gerichte keine kriminelle Organisation

»Ein historischer Sieg für die tamilische Freiheitsbewegung«

Henning v. Stoltzenberg

Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte jahrelang weder Kosten noch Mühen gescheut, um die 13 Angeklagten im sogenannten »Monsterprozess« von Bellinzona zu dämonisieren. Den Angeklagten, die meisten von ihnen Schweizer*innen oder Tamil*innen, wurden wegen Betrugs, Urkundenfälschung, Geldwäscherei und vereinzelt auch wegen Erpressung angeklagt. Zudem warf die Bundesanwaltschaft den meisten von ihnen vor, Mitglied einer kriminellen Organisation zu sein oder eine solche mit Geldzahlungen unterstützt zu haben. Gemeint waren die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), an die die Angeklagten während des Bürgerkriegs auf Sri Lanka Geld geschickt haben sollen.

Fraueneinheit der LTTENach jahrelangen Ermittlungen und Kosten von einigen Millionen Franken und einem halben Jahr voller Verhandlungstermine brach die Anklage mit dem Urteil vom 14. Juni 2018 schließlich in sich zusammen.

Zu offensichtlich parteiisch war die Bundesanwaltschaft vorgegangen, indem sie die Aktivist*innen fortwährend als »Terroristen« bezeichnet und mehrjährige Haftstrafen gefordert hatte. So behauptete die Anklage, die LTTE hätte arglistig Kriegsverbrechen und Attentate auf Zivilbevölkerung und Politiker*innen während des 30-jährigen Bürgerkrieges auf Sri Lanka begangen.

Die jahrzehntelange systematische Unterdrückung der tamilischen Bevölkerung, die Massaker und der Genozid von 2009 fanden hingegen kaum Erwähnung. So wurde es im Prozessverlauf zu einer entscheidenden Frage, ob es sich bei den Tamil Tigers um eine Befreiungs- oder Terrororganisation handelt. Diese Frage wurde vom Gericht im Sinne der Angeklagten beantwortet. Das Gericht sprach sie vom Vorwurf der Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation frei, da es sich bei der LTTE nicht um eine kriminelle Organisation handele.

Die Richter bewerteten die Informationen der Staatsanwältin als unzureichend, um die LTTE als kriminelle Organisation zu qualifizieren. Um Zweifel beseitigen zu können, hätte vor Ort ermittelt werden müssen, was nicht die Aufgabe des Bundesstrafgerichts sein könne. Man habe den Tamil Tigers nicht nachweisen können, dass sie die Begehung von Gewaltakten zum Ziel gehabt hätten.

Diese Sichtweise des Gerichts ist wegweisend sowohl für die tamilische als auch für andere Befreiungsbewegungen, die für ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen. Das Urteil weicht zum Beispiel von der gängigen juristischen Praxis der BRD-Gerichte ab, die sich die Aussagen des türkischen Geheimdienstes zu eigen machen und unter Folter gemachte Aussagen als legitim und die reine Wahrheit betrachten, um aus politischen Erwägungen Verurteilungen zu erreichen.

In der jahrelangen juristischen und politischen Auseinandersetzung in Bellinzona wurde wieder einmal deutlich, was linke und soziale Bewegungen seit vielen Jahrzehnten wissen. Entgegen den Behauptungen der Bundesanwaltschaften existiert natürlich durchaus eine politische Justiz, die im eigenen Interesse, für die Staatsräson oder aus Bündniserwägungen – wie etwa im Verhältnis zum türkischen Regime – handelt, um Freiheitsbewegungen zu kriminalisieren.

Verurteilungen gab es am Ende lediglich im Anklagepunkt der Geldbeschaffung. Dort sah das Gericht bei fünf Angeklagten den Tatbestand des gewerbsmäßigen Betrugs, bei zwei von ihnen auch Urkundenfälschung als bestätigt. Die Mitglieder des World Tamil Coordination Committee (WTCC) sollen in der Schweiz lebende Tamil*innen dazu gebracht haben, mithilfe von gefälschten Lohnausweisen Kredite aufzunehmen. Die Mehrzahl der Kredite wurden von der Bank Now AG ausgestellt, einer Tochterbank der Credit Suisse.

Deutliche Kritik richtete die Vorsitzende Richterin an die Bank, da sie bei der Kreditprüfung mehr Sorgfalt hätte an den Tag legen müssen. Die Bank habe bei Krediten in Höhe von bis zu 80.000 Franken ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Aus diesem Grund musste die Bank den Großteil des entstandenen Schadens selbst tragen.

Sämtliche Verurteilten erhielten Bewährungsstrafen zwischen 11 und 24 Monaten, darunter auch der Leiter und der Finanzverantwortliche des WTCC. Die Entschädigungen und Genugtuungen für die Freigesprochenen beliefen sich auf zwischen mehreren hundert und mehreren zehntausend Franken.

Die Bundesanwaltschaft hatte nach dem Urteil angekündigt, die schriftliche Begründung abzuwarten, insbesondere jene zur kriminellen Organisation.

Der Versuch, den tamilischen Exilaktivist*innen eine Mitschuld am Genozid an der tamilischen Bevölkerung durch das Militär des Staates Sri Lanka zuzuschreiben, ist mit dem Urteil vorerst gescheitert.
Die Anklage hatte argumentiert, durch die Unterstützung der LTTE, welche im Norden und Osten Sri Lankas einen unabhängigen sozialistischen Staat anstrebte, für die Verlängerung des Krieges und die Erhöhung der Opferzahlen gesorgt zu haben. Diese Umkehrung der Verantwortung für die Ermordung zehntausender Tamil*innen im Jahr 2009 hatte nicht nur bei der tamilischen Diaspora scharfe Kritik ausgelöst. In verschiedenen Ländern neben der Schweiz und Sri Lanka wurde der Prozess aufmerksam verfolgt. So protestierte die Friedensbewegung in Korea ebenso wie indigene Organisationen in Ecuador gegen den politisch motivierten Prozess. Auch die internationale Tribunal-Bewegung, die Regime symbolisch anklagt und deren Verbrechen nachweist, begleitete den Prozess solidarisch und forderte die Einstellung des Verfahrens.

Prozessbeobachter*innen aus der BRD sendete der Internationale Menschenrechtsverein mit Sitz in Bremen, der das Urteil als machtvolle Botschaft an andere Länder und historischen Sieg der tamilischen Freiheitsbewegung bezeichnete.

Der »Monsterprozess« von Bellinzona geht als Politikum in die schweizerische Rechtsgeschichte ein. Ebenso hatten zahlreiche Medien stetig über den Stand des Verfahrens berichtet und für entsprechende öffentliche Wahrnehmung zumindest in der Schweiz gesorgt. Die kontinuierliche Berichterstattung, kritische Prozessbeobachtung, politische Verteidigung und internationalen Proteste sind sicherlich entscheidende Faktoren gewesen, die zum Urteil beigetragen haben.


 Kurdistan Report 200 | November/Dezember 2018