Allem Konservativismus zum Trotz blüht die Frauenbewegung in Minbic auf

Große Schritte hin zu einer demokratischeren Struktur

Loez, freier (Foto)Journalist

Über den staubigen Verkehrsadern von Minbic sammeln sich graue Wolken, die seit der Befreiung der Stadt im August 2016 durch die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) wieder zu neuem Leben erweckt wurden. Auf eine der Hauptstraßen der Stadt findet sich ein einfaches Schild in arabischer, kurdischer, turkmenischer und tscherkessischer Sprache – es weist darauf hin, dass dies die lokale Frauenversammlung ist, deren Eingang durch Betonblöcke geschützt und von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht wird.

»Die Anfänge waren schwierig. Es war notwendig, die verbliebenen Spuren der früheren Organisationen mit einzubeziehen«, erklärt Mahera auf Arabisch, eine entschlossene Dreißigjährige, umgeben von einem Dutzend anderer Frauen verschiedenen Alters und verschiedener Herkunft. »Als die Stadt befreit wurde, hinterließen die Demokratischen Kräfte Syriens einen positiven Eindruck bei den Menschen. Dann gingen die Genossen von Tür zu Tür durch die Stadt und boten den Akteuren jeder Kommune an, sich zu versammeln und an der Verwaltung der Stadt teilzunehmen. Kurden, Araber, Turkmenen, Tscherkessen, wir sind eins und haben die gleiche Hoffnung auf Demokratie und Freiheit. Die QSD haben uns davon überzeugt, dass wir zusammenkommen müssen. Wir haben erkannt, dass das System demokratisch ist und es keine Diskriminierung gibt. Jetzt sind wir wirklich davon überzeugt.«

Nach der Befreiung von Minbic standen die QSD vor der Herausforderung, die Menschen um das politische Projekt der Demokratischen Föderation Nordsyrien1 herum zusammenzubringen. Die Bewohner dieses ethnischen und sprachlichen Mosaiks, bestehend aus etwa 70 % Arabern, 20 % Kurden, 5 % Turkmenen und einer kleinen Anzahl von Tscherkessen, wurden jahrzehntelang durch die vom syrischen Regime geförderte stammesorientierte konservative Politik geteilt. Während der drei Jahre unter der Kontrolle des Islamischen Staates, von dem Minbic eine seiner Hochburgen war, verschärfte sich diese Politik der Spaltung.

»Es ist sehr schwierig, hier etwas zu ändern. Die Arbeit daran ist spannend und gleichzeitig eine echte Herausforderung«, sagt Nergiz Ismayil mit funkelnden Augen. Sie ist seit der Eröffnung der Frauenakademie von Minbic vor 15 Monaten deren dynamischer Kopf. In den von der autonomen Verwaltung der Demokratischen Föderation Nordsyrien – hier vertreten durch den Zivilrat von Minbic – kontrollierten Gebieten sind die Akademien Orte der politischen Bildung. Diejenigen, die sich den Frauen widmen, spielen eine wichtigere Rolle, wie Nergiz erklärt: »Das erste Prinzip der Selbstverteidigung für Frauen ist die Bildung. Wir organisieren verschiedene Aktivitäten, zum Beispiel Kurse, Diskussionen über Frauen, Kinder, Familie, aber auch Geschichte. Früher wurden Frauen kleingehalten. Sie wurden dazu erzogen, die patriarchalische Mentalität zu akzeptieren. Die Gewalt, die Frauen erleiden, reproduzierten sie gegenüber ihren Kindern, gegenüber den Menschen in ihren Häusern. Es ist diese Mentalität, die geändert werden muss. Frauen müssen ihre eigene Identität wiederherstellen, Emanzipation bedeutet nicht, wie Männer zu sein, denn sie selbst sind nicht befreit. Wir müssen sowohl Frauen als auch Männer emanzipieren.«

In der Frauenakademie. Foto: LoezEin unauffälliges Gebäude am Stadtrand von Minbic beherbergt vorerst die Akademie. Nicht jeder ist damit einverstanden, dass Frauen einen Ort der Begegnung haben können. »Es hat keine offizielle Beschwerde gegeben. Die Männer, die es stört, wagen es nicht, es öffentlich zu sagen. Einige von ihnen geben vor, das neue System zu akzeptieren, partizipieren sogar an der Verwaltung, schlagen aber weiterhin ihre Frauen zu Hause. Es gibt ein grundsätzliches Problem mit den Mentalitäten. Frauen wurden als Objekte betrachtet, und die Männer, die sie so sehen, wollen daher nicht akzeptieren, dass sie ihnen gleichgestellt sind. Auch wenn körperliche Gewalt nicht mehr öffentlich vorkommt wie zu Zeiten von Daesch (arabisches Akronym für Islamischen Staat, IS), ist verbale und psychologische Gewalt immer präsent. Aber wir verstehen diese Männer und wissen, dass das Problem in ihrer Bildung liegt. Wir wollen sie nicht abwerten, wir wollen sie auch weiterentwickeln und an ihrer Bewusstseinsentwicklung teilnehmen.«

Nach dieser Einführung lädt uns Nergiz ein hereinzukommen. Die Frauenakademie ist in der Regel eine reine Frauenakademie. Aber sie hat da eine Idee im Hinterkopf. Sie sagt lächelnd: »Für einige dieser Frauen ist es auch eine große Veränderung, mit einem Mann bzw. einem Fremden im selben Raum zu sein. Ihnen Fragen zu stellen, zu zeigen, dass wir an ihnen interessiert sind, ist wichtig. Es wertschätzt sie. Das ist auch ein Weg, um die Revolution zu beginnen. Die Aufnahme arabischer, turkmenischer und tscherkessischer Frauen in die Akademie war schwierig, da hier Patriarchat und häusliche Gewalt sehr stark kulturell verwurzelt sind. Ein Mann, der seine Frau nicht schlägt, gilt als schwach. Wir reden viel mit Frauen jeder Gruppe. Und wir versuchen unsere Ansichten nicht frontal durchzusetzen. Wenn uns eine Frau sagt, dass Männer den Frauen überlegen sind, widersprechen wir ihr nicht, aber wir laden sie zu unseren Aktivitäten ein und hoffen, dass sie die Dinge selbst anders sehen lernt – und das ist oft der Fall.«

Drinnen sitzen zwanzig Frauen jeden Alters auf den Bänken eines kleinen Klassenzimmers, erhellt durch das diffuse durch die Fenstervorhänge scheinende Licht. Vor ihnen steht eine junge Frau aus der Jugendbewegung, die hinter einem Tisch neben einer Tafel mit arabischen Sätzen steht und eine Klasse unterrichtet. An der Wand befinden sich Fotos von Märtyrerinnen aus Minbic, die im Kampf gegen den IS gefallen sind, und Plakate mit wichtigen Persönlichkeiten der Frauenbewegung verschiedener Herkunft. In der Mitte das Porträt von Abdullah Öcalan. »Es kann keine Freiheit ohne Frauenfreiheit geben«, sagt der PKK-Chef, der die Befreiung der Frau zu einer Säule seiner politischen Theorie der Demokratischen Nation machte. Später entwickelte die Frauenbewegung das Konzept von Jineolojî, wörtlich »Wissenschaft der Frauen«, um die Theorie und die Prinzipien zu vertiefen.

Wir nehmen Platz. Nergiz erklärt dem Publikum die Gründe für meine Anwesenheit. Ein Gespräch von über einer Stunde beginnt. Nacheinander stehen die Frauen, die sich beteiligen wollen, auf und sprechen. Wo es anfangs nur wenige sind, werden im Laufe des Gespräches fast alle von ihnen das Wort ergreifen. Jedes Mal fügt Nergiz einige Elemente über ihre Leben hinzu.

Thawra, deren Name auf Arabisch »Revolution« bedeutet, ist zwischen 20 und 30 Jahre alt und spricht als Erste. Die junge Frau studierte Theologie und lebte unter der Besetzung des Islamischen Staates.

»Zuvor wusste ich noch nichts über die reale Situation von Frauen, ich kannte mich selbst nicht. Ich wurde als Objekt betrachtet. Ich konnte mich nicht in der Öffentlichkeit ausdrücken. Ich hatte studiert, aber erst hier wurde mir klar, wie ignorant ich war. Ich wusste nicht, wie ich eine Rolle in der Gesellschaft spielen sollte. Wir wussten nicht, dass wir Menschen sind und keine Maschinen, um Babys zu machen. Hier begann ich zu erkennen, dass ich ein Gewinn für die Gesellschaft bin. Hier kommen Frauen mit verschiedenen Horizonten zusammen, reden miteinander und lernen voneinander. Diese Kurse haben mir sehr gut gefallen, und jetzt möchte ich, dass sie an anderen Orten stattfinden, auch in ländlichen Gebieten.«

Zemzem, 24, fügt hinzu: »Ich komme aus einem Dorf. Mir wurde beigebracht, dass die Dorfbewohner unwissend und nur die Stadtbewohner gebildet sind.« Eine Frau in den Fünfzigern schließt ab: »Zuvor dachte ich, dass gebildete Frauen und Analphabetinnen nicht zusammen sein können. Aber ich sah, dass es möglich ist. Jetzt ist mir klar, dass Frauen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenarbeiten können.«

»Was ich betonen möchte«, sagt die zwanzigjährige Suzanne, »ist, dass ich im alten konservativen Staatssystem studiert habe. Und es war nicht möglich, die Lehrer zu hinterfragen.«
Eine Frau in den 40ern kam mit einer ihrer Töchter. »Mit dem, was ich hier gelernt habe, will ich meine Kinder jetzt besser erziehen.«

Fatma, 17, ist Ko-Vorsitzende der Kommune2 ihres Dorfes und beschäftigt sich mit dem Thema geschlechtsspezifische Gewalt. Ein bisschen verschüchtert, bezeugt sie: »Bevor ich kam, wusste ich nicht viel über Frauen. Ich hörte von der Akademie und Heval Nergiz und beschloss, sie zu treffen. Als ich kam und all diese Frauen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammen sah, verschlug es mir den Atem. Es ist sehr schwierig, an diesen Kursen teilzunehmen. Wenn du das tust, stehst du unter sozialem Druck. Ich hatte einen Vorteil – mein Vater kannte die Bewegung. Daher war es einfacher. Als die Demokratischen Kräfte Syriens uns 2016 befreiten, begann er ihre Ideologie zu studieren. Er bewunderte sie. Als ich hierherkam, brachte ich vier weitere Frauen mit. Seitdem hält mich das Dorf für eine Hexe. Als ich Ko-Vorsitzende der Gemeinde wurde, dachte ich an Selbstmord wegen des sozialen Drucks. Ich erhielt sogar Morddrohungen von den Söldnern, die mit der türkischen Armee zusammenarbeiten. Aber ich will Mädchen in meinem Alter zeigen, dass es möglich ist, das zu erreichen.«

In der Region Minbic ist der Einfluss der Stämme in ländlichen Gebieten höher als in städtischen Zentren. 20 Tage dauert die Ausbildung an der Akademie, wobei der letzte Tag einer schnellen militärischen Ausbildung gewidmet ist. Die meisten Frauen wollen das über sich selbst Gelernte weitergeben. Wie Şadia: »Ich bin Lehrerin und arbeite in Archiven. Nach Abschluss der Ausbildung beabsichtige ich, mein Wissen an die Frauen weiterzugeben, die mit mir arbeiten. Ich habe hier drei Dinge gelernt: Ethik/Moral, den Geist der Genossenschaftlichkeit, Demut.«

Diese Frauen sind nicht bereit, die Freiheiten aufzugeben, für die sie gekämpft haben. »Was ich hier verstanden habe, ist, dass Frauen echte Macht haben. Wir wurden vom System unterdrückt, aber jetzt können wir Dinge ändern«, sagt eine Frau in den Dreißigern. Aber es ist ein schwieriger und täglicher Kampf. Malek ist Ko-Vorsitzende einer Kommune: »Ich komme aus einem sehr konservativen Dorf, es ist für mich eine Revolution, hier zu sein, aber es ist sehr schwer. Mein Mann schlägt mich täglich. Er schlägt mir ins Gesicht, weil ich in einer Kommune arbeite und an der Revolution teilnehme. Ich will, dass du es weißt. Diese Revolution ist schwierig.«

In Fällen häuslicher Gewalt finden Frauen Unterstützung im Frauenhaus (Mala Jin), einem organisierten Ort zur Bekämpfung häuslicher und ehelicher Gewalt und zur Verteidigung der Frauenrechte.

Şilan, die Leiterin, erklärt: »Unsere Aufgabe hier ist es, die Probleme der Frauen zu lösen. Sie sind hauptsächlich familiär und an der Ehe orientiert. Zum Beispiel konnten Männer früher bis zu vier Frauen haben, was eine Quelle von Konflikten ist. Ein weiteres Konfliktthema ist das Sorgerecht. Bei Kindern unter 15 Jahren geht es an die Mutter, bei den Älteren an den Vater. Schließlich gibt es häusliche Gewalt. Wenn eine Frau kommt und sagt, dass sie missbraucht wurde, suchen wir nach Beweisen, ggf. mit ärztlicher Untersuchung und bringen den Fall vor Gericht, wenn nötig. Wir greifen maximal dreimal in einem Fall ein. Wenn sich am Ende des dritten Males nichts ändert, schicken wir den Fall an das Gericht. Wir unterstützen die Frau dann während des Gerichtsverfahrens. Zuerst hatten wir bis zu 150 Fälle pro Monat. Aber das geht allmählich zurück. Diesen Monat hatten wir noch 80. Wir wollen mehr Projekte initiieren, weitere Häuser zusätzlich zu den bestehenden drei eröffnen. Dafür brauchen wir aber finanzielle Unterstützung von außen.«

Bei Bedarf kann das Frauenhaus auf die Hilfe der Asayîş-Frauenabteilung der Sicherheitskräfte zählen. Die Frauen-Asayîş erfüllen die gleichen Aufgaben wie ihre männlichen Kollegen, aber sie arbeiten auch spezifischer an Frauenfragen. Wir treffen Fatwa, Hanane, Fadia und Rym im Hauptquartier der Asayîş. Alle sind zwischen zwanzig und dreißig, die eine kurdisch, die andere arabisch. Ihre Kommandantin, eine Frau in den Vierzigern, mit starken Zügen von Kämpferinnen, die jahrelang in den Bergen der PKK-Guerilla waren. Von ihrer Pflicht anderswo gefordert, lässt sie uns mit den jungen Frauen allein sprechen.

»Wir hatten mit vielen Eheproblemen zu kämpfen; Paare stritten vor allem über Kinder. Einmal waren wir auf Patrouille, als eine Frau weinend vor uns stand. Sie wollte ihre Kinder, die der Vater mitgenommen hatte«, sagt Rym.

Fatwa, feste Stimme, starrer Blick geradeaus, fährt fort: »Wenn eine Frau Eheprobleme hat und wenn sie sich scheiden lassen will, haben wir zwei Lösungen: Entweder wir schicken sie zum Gericht, wo sich ein Richter um ihren Fall kümmert, oder wir schicken sie zum Frauenhaus, das das Verfahren zwischen dem Gericht und den Asayîş organisiert. Vor ein paar Tagen hatten wir den Fall einer Asayîş-Freundin, die sich scheiden lassen wollte. Sie war zu Hause, als ihr Mann kam, um ihre Kinder zu holen. Er wollte sie schlagen. Sie schaffte es, mich zu kontaktieren, und sagte, dass sie nicht rausgehen könne, weil ihr Mann sie schlagen wolle. Wir haben schnell eingegriffen. Als wir sie hierherbrachten, begann er alles zu leugnen und behauptete, er wolle mit allen zusammenleben. Aber seine Frau sagte, dass er lügt, dass er sie schlägt und sie zwingen will, die Beteiligung an den Asayîş aufzugeben. Wir waren zurück bei den alten Traditionen, wo die Frau zu Hause bleiben und sich nur um die Kinder kümmern muss. Aber unsere Genossin hatte bereits ihren Platz auf dem Boden und in der Gesellschaft gefunden, also verließ sie ihren Mann und behielt außerdem ihre Kinder.«

Fadia ist bei der Verkehrspolizei. Sie zögert zu sprechen und sagt dann: »Zuerst sahen uns die Leute seltsam an. Asayîş-Frauen haben andere Frauen dazu gebracht, ihnen folgen zu wollen. Es gibt Frauen, die dort seit der Befreiung unserer Region sind. Ich bin dort seit 10 Monaten. Aber mit jedem Tag werden wir mehr. Die Art und Weise, wie die Leute uns betrachten, hat sich verändert, besonders bei den Clans. Sie begannen stolz darauf zu sein, ihre Töchter zu uns zu schicken.«

Hanane ergänzt: »Frauen spielen heute eine sehr wichtige Rolle in der Gesellschaft. Nach vielen Jahren des Leidens können wir endlich unser Ziel erreichen.« Sie erzählt außerdem eine Geschichte, die sie selbst erlebt hat. »Wir lebten im Dorf und es war einer Frau verboten, einer Organisation beizutreten, erst recht einer der bewaffneten Streitkräfte. Ich hatte eine Freundin, die sich uns anschließen wollte, aber ihre Familie war dagegen. Sie haben sie zu Hause eingesperrt. Ich habe davon erfahren. Also haben wir eingegriffen, und sie ist heute bei uns. Sie hat sich auch mit ihrer Familie versöhnt.«

Die jungen Frauen haben sich aus verschiedenen Gründen angeschlossen, u. a. um eine eigene Einkommensquelle zu haben.

»Das Leid, das wir erlebten, als Daesch unsere Stadt kontrollierte, hat mich sehr verändert.« Fatwa sagt mit düsterem Blick: »Es ist unerträglich, eine Frau zu sehen, die zu Tode gesteinigt wird, und ich habe es mit eigenen Augen gesehen. All dies verhärtete mein Herz gegen Daesch, gegen ihre Ungerechtigkeit. Als sie die Kontrolle über Minbic übernahmen, fingen sie an, die Mädchen zu entführen. Sie versuchten sie zu verheiraten, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und diejenigen, die es nicht akzeptierten, wurden gezwungen. Zum Beispiel konnte ein Mann in den 60ern ein 13- oder 14-jähriges Mädchen heiraten. Wenn er getötet wurde, war das Mädchen allein und hatte keine Zukunft. All dies hat uns ermutigt, uns den Streitkräften anzuschließen.«

Fadia fügt hinzu: »Meine Mutter war eine Gefangene von Daesch, und als wir sie besuchten, sagten sie uns ›und wie wäre es, wenn wir euch mit zu ihr stecken würden?‹ Wir konnten nichts sagen. Sie respektierten niemanden. Sie sagten den Eltern: ›Lasst eure Töchter nicht rausgehen und sich mit Jeans und T-Shirts kleiden!‹ Als ich die Asayîş-Frauen an den Kontrollpunkten in ihren Uniformen sah, wollte ich mich ihnen anschließen. Meiner Meinung nach können Frauen in allen Bereichen arbeiten, sei es in der Politik, in der Armee oder in der Presse.«

Für Hanane ist »sich den Asayîş anzuschließen eine Errungenschaft für Frauen. Früher waren es Männer, die entschieden. Sie waren die Einzigen, die in der Gesellschaft arbeiteten. Aber hier beweisen wir mit unserer Arbeit, dass Frauen es wie Männer können, und noch besser. Wenn wir heute hier sind, dann weil wir unser Land lieben.«

Rym fügt hinzu: »Frauen haben lange Zeit Unrecht erlitten, sie mussten sich nur um die Kinder kümmern, sie konnten ihre Meinung nicht sagen; um dieses Unrecht zu bekämpfen, bin ich hier.«

Um ihre Emanzipation zu ermöglichen, richtet sich die Frauenbewegung in allen von der Demokratischen Föderation Nordsyrien kontrollierten Gebieten parallel zu den gemischten Strukturen der Gesellschaft ein, die den Bedürfnissen der Frauen in verschiedenen Bereichen gerecht werden. Neben Asayîş, Akademie oder Frauenhaus koordiniert die Frauenversammlung alle Projekte dieser Strukturen. In Minbic wurde sie im März 2017 eröffnet: »Der Zweck der Frauenversammlung ist es, sich um die Bedürfnisse der Frauen zu kümmern. Um sie kennenzulernen, werden wir an die Türen der Häuser klopfen«, sagt Hevi; »Im letzten Jahr war die Ökonomie eines der größten Probleme für Frauen.«

Nadia ist in den Fünfzigern, sie ist Turkmenin. Wir kommunizieren auf Türkisch ohne Übersetzer. Sie fasst zusammen, was die verschiedenen Frauen im Raum vorhin gesagt haben. »Nach Daesch wussten wir nicht, was eine Frau ist. Zur Zeit von Daesch gab es keine Frauen. Die Frau war niedergeschlagen und unterwürfig. Die Frau wurde als reproduktives Werkzeug angesehen. Aber nach der Erlangung der Demokratie haben alle Frauen gezeigt, dass es sie gibt. Hier sind wir alle gleich. Es gibt keine Kurden oder Turkmenen oder Araber. Wir arbeiten zusammen, wir diskutieren gemeinsam, wir haben alle die gleichen Probleme. Sie mag Probleme mit ihrem Mann, mit ihrer Familie haben, aber jetzt behauptet sie ihre Persönlichkeit. Sie zeigt, dass sie existiert. Heute kennen Frauen ihre Rechte, anders als früher.«

Zwanzig Frauen unterschiedlichen Alters leiten die Versammlung, die in Komitees aufgeteilt ist: Wirtschaft, Bildung, Sozialarbeit ... »Die Kommunen sind im Aufbau und dabei besteht die Notwendigkeit, dass Frauen die Positionen von Ko-Vorsitzenden einnehmen. Wir wollen das gleiche Niveau erreichen wie im Kanton Cizîrê. Es ist notwendig, sowohl die Bedürfnisse der Frauen zu befriedigen als auch an der Organisation zu arbeiten. Die Frauenversammlung arbeitet unabhängig, aber ihre Arbeit trägt zum Aufbau des Systems bei. Zum Beispiel bereitet sich das Bildungskomitee darauf vor, die Flüchtlinge von Efrîn zu besuchen, um den Frauen die Teilnahme an Bildungsaktivitäten zu Jineolojî anzubieten«, erklärt Hevî.

Räumlichkeiten einer Gemeindeversammlung von West-Minbic werden von Fatma und Hassan gemeinsam geleitet. Fatma: »Es ist 20 Monate her, seit die Komin (Gemeinde) gegründet wurde, und ich arbeite hier. Ich will den Menschen helfen, besonders den Frauen hier. Die Menschen haben unter dem Assad-Regime gelebt, dann unter den Terroristen. Wir alle haben den Unterschied gesehen. Das System in Minbic ist immer noch sehr stammesbezogen. Im Moment zählt in den Kommunen, wer die Arbeit machen kann.«

Das für die Wirtschaft zuständige Komitee verfügt über eigene Räumlichkeiten. Es ist verantwortlich für die Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, damit sie sich selbst versorgen können, ohne von ihren Ehemännern oder Familien abhängig zu sein. Die beiden Haupttätigkeitsbereiche in Minbic sind Landwirtschaft und Handel.

Frauen arbeiten viel im ersten Bereich, werden aber schlecht bezahlt. Im Handel sind sie im Gegenteil dazu unterrepräsentiert. »Selbst wenn sie Wirtschaft studieren, enden sie als Lehrerinnen«, sagt Ihtissar. Die Kommission eröffnete ein kleines Restaurant, das von Frauen geführt wird, die beschlossen haben, ihre Gehälter zusammenzulegen, um es zu finanzieren. Sie plant, eine Textilwerkstatt zu gründen. Freiwillige, die dort arbeiten können, fehlen nicht, im Gegensatz zur Finanzierung. Die Frauenbewegung setzt auf Kooperationsprojekte zur Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit von Frauen. Aus Mangel an Ressourcen sind diese Projekte in Minbic im Gegensatz zu den anderen Regionen Cizîrê und Kobanê noch nicht entwickelt worden.

Minbic ist ein interessantes Beispiel für die Ausweitung des politischen Projekts der kurdischen Bewegung auf alle Kommunen in Nordsyrien. Offensichtlich geht diese Änderung nicht reibungslos vonstatten. Die Stämme sind weder glücklich darüber, ihren Einfluss zu verlieren, noch über die sozialen Veränderungen, die durch die Selbstverwaltung, insbesondere die Emanzipation der Frauen, hervorgerufen werden. Im Januar und März 2018 wurden Demonstrationen von Stämmen rund um Minbic organisiert, von denen einige die Rückkehr des syrischen Regimes forderten, von dem sie vor dem Krieg manchmal Hilfskräfte waren. Andere haben Verbindungen zu pro-türkischen Dschihadistengruppen, deren Frontlinien nur 20 km entfernt sind. Mehrmals pro Woche werden Sicherheitskräfte angegriffen. Hinter den Destabilisierungsversuchen schwebt der Schatten der Türkei. Einiges weist auch auf die Beteiligung des Regimes hin. Die Türkei droht weiterhin mit einem Angriff auf Minbic. Im Moment hat die von Frankreich und den USA angeführte Koalition, die sich mit den QSD verbündet hat, ihre militärische Präsenz verstärkt, um den zerstörerischen NATO-Partner davon abzuhalten, seine Drohungen in die Tat umzusetzen und die lokalen Streitkräfte über die Dauerhaftigkeit des Zivilrats von Minbic zu beruhigen. Ob es eine langfristige Unterstützung geben könnte, ist noch unklar.

Angesichts dieser Bedrohungen versucht die autonome Regierung von Minbic so umfassend wie möglich zu sein. An den Wänden sind Porträts von Abu Layla, dem charismatischen Gründer des Militärrates von Minbic, der im Juni 2016 bei Kämpfen um die Stadt tödlich verletzt wurde, weit verbreitet, während die von Abdullah Öcalan, die in anderen Gegenden weitgehend präsent sind, hier viel weniger in Erscheinung treten – auch wenn wir stark bearbeitete Bilder sehen können, die ihn in traditioneller arabischer Kleidung präsentieren, so z. B. ein Geschenk der Frauen eines Stammes an die Frauenakademie.

Die hier anwesenden Kader der kurdischen Bewegung kommen aus der Region selbst und sprechen fließend Arabisch. Auch wenn sie im Moment noch Schlüsselpositionen einnehmen, vor allem auf regionaler Ebene, werden sie immer zurückhaltender oder sind sogar von der Basis verschwunden, in der die Verantwortung den zuvor ausgebildeten Einheimischen übertragen wurde. Dies ist ein Schritt hin zu einer demokratischeren Struktur, die nur auf lange Sicht und in einem friedlicheren Kontext vollständig ausgebaut werden kann. Die Verwaltung bemüht sich um eine rasche Integration aller, um sich stärker mit der Bevölkerung zu verbinden. Sie wird auf die Unterstützung von Frauen zählen können, die von ihrem politischen Projekt überzeugt sind und die die hart erkämpften Freiheiten nicht aufgeben wollen.

»Jetzt weiß ich, was ich will«, sagt Nadia. »Was meine Rechte und meine Wünsche sind. Meine Beziehung zur Welt. Früher hieß es ›du machst die Hausarbeit, du machst Essen, du machst Kinder‹. Früher war ich auch zu Hause und kümmerte mich um meine Kinder, meinen Mann, ich kochte. Nach der Einrichtung der Demokratie hat sich das geändert. Jetzt weiß ich, dass ich eine Bestimmung habe.«

Fußnoten:

1 - Definiert in einem Gesellschaftsvertrag: http://civaka-azad.org/der-gesellschaftsvertrag-der-demokratischen-foederation-von-nordsyrien/

2 - Versammlung an der Basis des Systems der Demokratischen Föderation Nordsyrien, die hundert Familien zusammenbringt, die in einer Kommune leben und ihre Probleme lösen oder ihre Forderungen an höhere Behörden weitergeben.


 Kurdistan Report 198 | Juli/August 2018