Der Widerstand in Efrîn und seine Folgen

Um das Schicksal Nordsyriens und ganz Kurdistans

Rojbin Ekin, Jounalistin, Rojava

Der türkische Staat hat am 20. Januar zusammen mit seinen Verbündeten von der Freien Syrischen Armee (FSA) einen Besetzungsversuch in Efrîn und Nordsyrien begonnen. Diese Entscheidung zur Intervention ist keine, die die Türkei selbst getroffen hat. Es ist offensichtlich, dass dieser Angriffsplan der Türkei von Russland und den USA unterstützt wird, beides Kräfte, die im Rahmen bestimmter Vereinbarungen ihren Einfluss in der Region geltend machen. Die Öffnung des syrischen Luftraums für türkische Kampfjets durch Russland und dessen Rückzug aus Efrîn als auch der Aufruf der USA zur Besänftigung der Kontrahenten zeigen, dass diese beiden Kräfte eine Vereinbarung mit der Türkei geschlossen haben.

Die Bevölkerung vonEfrîn hat ihre Selbstverteidigung organisiert. | Foto: ANHADer Handel um Efrîn

Folgende Worte des türkischen Regierungssprechers Bekir Bozdağ auf einer Pressekonferenz am 5. Februar belegen klar und deutlich die Unterstützung Russlands für die Intervention in Efrîn: »Vor Beginn dieser Offensive wurden viele Themen mit den russischen Vertretern, darunter auch die Öffnung des Luftraums, besprochen und bewertet und im Rahmen einer Vereinbarung wurde sich für die Öffnung des Luftraums entschieden. Über Russland haben auch syrische Vertreter ihre Erwartungen an die Türkei übermittelt. Seit diesem Tag nutzt unsere türkische Luftwaffe, die Flugzeuge und Drohnen, wirkungsvoll den Luftraum von Efrîn. Diese Nutzung dauert weiter an. Dabei gibt es bislang kein Problem.«

Die USA hingegen haben in ihrem Kampf gegen den IS die Unterstützung der Demokratischen Kräfte Syriens (arab.: QSD) in Anspruch genommen und den Einfluss des Islamischen Staates (IS), der nicht nur für den Mittleren Osten, sondern die gesamte Welt eine Bedrohung darstellt, in der Region gebrochen. Die USA sind in dieser Phase, die wir als Dritten Weltkrieg bezeichnen können, im Mittleren Osten und hier insbesondere in Syrien und im Irak bestrebt, ihre Einflusssphäre auszuweiten.

Ohne Zweifel sind Russland und die USA die wichtigsten Akteure im Dritten Weltkrieg, die vor allem in Syrien klar hervortreten und ihre Kräfte mit den Regionalmächten, aber auch untereinander messen. Beide haben sich für eine Lösung der Krise in Syrien bislang nicht an einen Tisch gesetzt. Denn ihre Pläne und Ziele in der Region stimmen nicht überein. Diese beiden Hauptakteure streben mehr den Ausbau ihres jeweils eigenen Einflusses in der Region an. Es wird versucht, die nationalstaatlichen Strukturen in der Region den eigenen Interessen entsprechend entweder auf die eigene Seite zu ziehen, zu stärken und zu unterstützen oder sie zu schwächen. Dementsprechend verhalten sich hier die Nationalstaaten gemäß den Strategien dieser beiden Kräfte. Dabei zeichnen sich vor allem die Türkei und der Iran aus. Während die USA bemüht sind, den Einfluss des Iran im Irak und in Syrien einzudämmen, nutzen sie die Türkei als NATO-Partner weiterhin im eigenen Interesse aus. Russland hingegen geht sowohl auf den Iran als auch auf die Türkei zu und versucht sie entlang seiner eurasischen Strategie in diesen Block einzugliedern. In beiden Prozessen wird eine starke Türkei als schädlich erachtet. Die Türkei, die sich mit dem Erdoğan-Regime zunehmend von demokratischen Werten entfernt, ist eine leichte Kost für die regionalen Pläne Russlands und der USA. Noch kann niemand die Folgen absehen. Es scheint, als werde der Krieg zwischen ihnen andauern und im Mittleren Osten und Kurdistan nicht bald Ruhe einkehren.

Warum ein Besetzungsangriff auf Efrîn?

Zivile Kräfte der Frauen-Verteidigung. Foto: ANHAInfolge der Krise haben die Kurden zusammen mit den Arabern, Armeniern, Assyrern, Turkmenen, und anderen Volksgruppen ein demokratisches und gleichberechtigtes System sowie eine Selbstverteidigung geschaffen. Während der Kampf gegen den IS anhielt, wurde auch der Aufbau dieses Systems unter Federführung der Kurden vorangetrieben. Die »Demokratische Föderation Nordsyrien« ist ein Modell für Lösungswege im krisenhaften Syrien. Die Kurden haben ohne abzuwarten Schritt für Schritt ihr System gemäß ihrem demokratischen und frauenbefreiten Paradigma aufgebaut. Man kann sagen, dass sie die einzige Kraft in Syrien sind, die es geschafft haben, auf eigenen Beinen zu stehen, ohne sich von außen abhängig zu machen. Das Projekt der demokratischen Nation ist in der nordsyrischen Föderation aufgelebt. Es ist die Lösung für die Krise im Mittleren Osten und weltweit. Und das ist der eigentliche Konflikt; der zwischen den Volksgruppen, die die Föderation Nordsyriens ausmachen, und den nationalistischen, fundamentalistischen und sexistischen Kräften auf der anderen Seite.

Das Lösungsmodell der demokratischen Nation stellt eine große Gefahr dar für alle Kräfte und Nationalstaaten, die im Mittleren Osten und global um Hegemonie ringen. Die Errungenschaften der Kurden durch ihren Freiheitskampf im Mittleren Osten werden nach einer solchen Phase des Krieges entweder in einen nachhaltigen Status münden oder die Kurden werden erneut zu dem durch den Vertrag von Lausanne geteilten Kurdistan verurteilt und ohne Grundrechte in den vier Nationalstaaten weiterleben. Es ist schwierig, die erstarkten Kurden im Mittleren Osten und Kurdistan von neuem einem physischen und kulturellen Genozid auszusetzen. Die Kurden in Nordsyrien leisten auch Widerstand für die Freiheitskämpfer der Kurden in den anderen Teilen Kurdistans. Deshalb wird ein Status in Nordsyrien und Rojava [kurd.: Westen; = Westkurdistan] auch die anderen Teile beeinflussen und Diskussionen um einen Status für die Kurden aufbrechen. Das ist die Realität, vor der sich die Regionalstaaten fürchten, allen voran die Türkei und die internationalen Mächte.

Der Angriff auf Efrîn ist ein Besetzungsversuch, den die Türkei zusammen mit internationalen Kräften geplant hat, um die Kurden zu schwächen. Die Kurden haben es bereits so benannt. Ziel dieses Besetzungsangriffs, der die Region von Efrîn bis Minbic (Manbidsch) betrifft und eigentlich ganz Nordsyrien anvisiert, ist es, die kurdisch kontrollierten Gebiete wieder dem Regime zu öffnen und die Kurden wieder einmal von ihrer Freiheit abzubringen. Die Kurden in der Nordtürkei sind wie die anderen Gesellschaften in der Türkei dem Faschismus ausgesetzt. Südkurdistan (Nordirak) wird von einer kurdischen Leitung geführt, die von außen abhängig ist und familiäre, aber auch Stammesinteressen vertritt. Es wird seit 2015 von einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise erschüttert. Auch Ostkurdistan (Nordwestiran) wird durch das iranische Regime unterdrückt. Deshalb ist ein Statusgewinn der Kurden in Nordsyrien wegweisend für die anderen Teile Kurdistans. Deshalb wurde Efrîn zum Ziel genommen. Auch wenn es noch andere Pläne und Vereinbarungen der internationalen Kräfte gibt, sieht die kurdische Seite klar diese Realität.

Efrîn stellt mit seinem Widerstand die Pläne auf den Kopf

Efrîn leistet seit dem 20. Januar zusammen mit allen in Nordsyrien lebenden Volksgruppen Widerstand. Die zweitgrößte NATO-Armee, die der Türkei, hat zusammen mit ihren islamistischen Anhängern Efrîn mit Kampfjets, Panzern, Artillerie und Mörsern unaufhörlich beschossen und versucht, auf dem Boden in Efrîn einzurücken.

Die Gesellschaft in Efrîn und die Kämpfer der QSD leisten historischen Widerstand gegen den Angriffskrieg. Auch wenn die Türkei mit psychologischen und Spezialkriegsmethoden einen Erfolg zu präsentieren versucht, entspricht dies nicht der Wahrheit. Um ihre fehlenden Erfolge zu verheimlichen, haben sie zivile Einrichtungen angegriffen. Über hundert Zivilisten, darunter auch Frauen, Kinder und Alte, wurden getötet und Hunderte wurden verletzt.

Ein anderes Ziel der Angriffe waren historische (Kult-)Stätten. Durch die Bombardements wurden die antike Tempelstadt Tell Ain Dara, das Mausoleum des Nebi Huri und historische Kirchen, Skulpturen und Brücken, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, in den Dörfern Elbiske und Gobele zerstört. Ziel ist es, neben einem physischen Genozid auch einen kulturellen Völkermord zu verüben und die Kurden ohne historisches und gesellschaftliches Gedächtnis zu hinterlassen. Man will die Kurden aus Efrîn vertreiben und eine ethnische Säuberung vornehmen. Deshalb nimmt die Türkei den verlängerten Arm des IS, die [ehemals al-Qaida zugehörige] al-Nusra, in ihrem Kampf gegen Efrîn an ihre Seite. Man will Massaker in Efrîn anrichten, die Stadt bombardieren, die Menschen vertreiben und die Anhänger des türkischen Staates einnisten. Die Angriffsmethoden nutzt die Türkei nun zusammen mit der FSA, der al-Nusra in Efrîn. Der Umfang des Angriffs ist also enorm. Er ist nicht begrenzt auf Efrîn, sondern richtet sich gegen die gesamte kurdische Gesellschaft und die Volksgruppen, die es vorziehen, mit den Kurden zusammenzuleben.

Um Efrîn hat sich eine globale Widerstandsfront gebildet

Die internationalen Kräfte haben angesichts des Besetzungsangriffs bislang nur ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Es gab keine Verurteilung der zivilen Massaker. Doch um Efrîn hat sich eine große Widerstandsfront gebildet, die zunehmend wächst.

Innerhalb dieser Front war vor allem die Einheit der Kurden hervorstechend. Auch wenn wir ähnliche Bilder kurdischer Einheit während des Widerstands von Kobanê (Ain al-Arab) sahen, vermittelt die kurdische Einheit um den Widerstand von Efrîn eine andere Botschaft. Die Unterstützung der kurdischen Gesellschaft in Südkurdistan für Efrîn kann die Schritte zur Bildung der nationalen Einheit beschleunigen. Die Massendemonstrationen in den wichtigsten und größten Städten, Silêmanî (Sulaimaniya) und Hewlêr (Erbil), haben den regierenden Parteien und Führern in Südkurdistan gezeigt, dass eine nationale Einheit mit den anderen Teilen Kurdistans unumgänglich ist.

Efrîn wird gewinnen

Den Krieg führt der NATO-Staat Türkei gegen die Zivilbevölkerung von Efrîn. | Foto: ANFDamit einhergehend hat der Widerstand in Efrîn etwas gänzlich Neues im Mittleren Osten geschafft. Kurden, Araber, Assyrer, Turkmenen, Aramäer, Armenier und andere Ethnien haben sich im Widerstand wiedergefunden. Seit dem 20. Januar sind die Völker der Nordsyrien-Föderation auf den Beinen, verurteilen die Intervention und erklären ihre Entschlossenheit zum Widerstand. Bis jetzt sind Hunderte Jugendliche aus verschiedenen Städten der Nordsyrien-Föderation in Richtung Efrîn unterwegs, um sich dem Widerstand anzuschließen.

Der Widerstand der QSD-Kämpfer und der Bevölkerung Efrîns gegen die Besetzungsangriffe hält weiter an. Er erlaubt dem türkischen Staat keine Erfolgsmeldungen. Stattdessen erleidet die türkische Besatzerarmee schwere Verluste. Man kann jetzt schon feststellen, dass in diesem Kampf zwischen der demokratischen Nation und der faschistischen Mentalität, die den Nationalstaat schafft, bereits die Volksgruppen gewonnen haben, die die demokratische Nation verteidigen und vom Projekt überzeugt sind. Der Widerstand von Efrîn ist der Beweis.

Bei diesem Erfolg darf nicht die Entschlossenheit der Frauen und Jugendlichen vergessen werden. Die Frauen kämpfen weiterhin mit dem Widerstandsgeist der Kämpferin der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) Avesta Xabur. So wie Arîn Mirkan zum Widerstandssymbol Kobanês wurde, ist Avesta Xabur das Symbol des Efrîn-Widerstands geworden. Die Frauen und Jugendlichen verfolgen das Ziel, Efrîn, Nordsyrien und ganz Kurdistan die Freiheit zu bringen. Also werden die Folgen des Efrîn-Widerstands den Werdegang der Föderation Nordsyriens und ganz Kurdistans bestimmen. Der ganzen Menschheit wird nochmals die Bedeutung von Widerstand demonstriert und ihre Hoffnung auf Freiheit wiederbelebt werden. Letztlich wird das Ergebnis in Efrîn auch den Verlauf des Dritten Weltkriegs verändern.


 Kurdistan Report 196 | März/April 2018