Erklärung der KCK zu den Ereignissen rund um Kerkûk und Şengal

Lösung der kurdischen Frage und Demokratisierung des Mittleren Ostens

Ko-Vorsitz des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), 17.10.2017

Wir möchten nochmals betonen, dass wir den Versuch, die Probleme in Kerkûk und Şengal auf militärischem statt auf friedlichem Wege zu lösen, verurteilen und als Freiheitsbewegung solche feindliche Haltung gegen unsere Gesellschaft nicht akzeptieren werden.

Der dritte Weltkrieg im Mittleren Osten hat eine Stufe erreicht, dass sich neue Kräftegleichgewichte und ein neuer Status quo herausbilden werden. Aus diesem Grund verstärkten die kurdenfeindlichen Kräfte ihre Angriffe, damit die Kurden in diesem neuen Gleichgewicht keine einflussreiche Rolle spielen und keinen Status gewinnen.

Mit den jüngsten Entwicklungen hat sich nochmals gezeigt, dass das grundlegende Problem im Mittleren Osten die kurdische Frage ist. Die Angriffe und die Politik des türkischen Staates in Nordkurdistan mit dem Ziel eines Genozids und seine kontinuierlichen Angriffe auf die Errungenschaften der Kurden in Rojava sind dafür ein klares Zeichen. Auch die jüngsten Angriffe der Haschd-al-Schaabi-Milizen (Volksmobilmachungseinheiten) gegen Êzîdixan sind Ausdruck dessen.

Das Referendum in Südkurdistan, das ohne eine nationale Einheit, ohne den Willen der Gesellschaft und klare parlamentarische Verfügung nur aus Gründen eigener Parteiinteressen ohne Vorbereitungen durchgeführt wurde, gilt nun als vorgeschobener Grund für den Angriff auf Kerkûk. Die erste Maßnahme der kurdenfeindlichen Kräfte, die der türkische Staat und die AKP seit zwei Monaten zusammenzubringen versucht, ist dieser Angriff. Die Stadt und die Kurden dort wurden zur Zielscheibe erklärt.

Die Volksverteidigungskräfte HPG stellen sich in Kerkûk der irakischen Armee und den Milizen von Haschd-al-Schaabi entgegenGegen diese Angriffe haben die südkurdische Regierung und die Peşmerge kampflos Kerkûk und viele andere von Kurden bewohnte Städte aufgegeben. Die Guerillakräfte der HPG (Volksverteidigungskrafte) und Freiwillige aus der Bevölkerung Kerkûks verließen die Stadt bis zuletzt nicht und verteidigten die Menschen. Doch die mit schweren Waffen ausgerüsteten südkurdischen Kräfte leisteten für diesen Widerstand keine Unterstützung. Einen Tag später wurden die Stellungen, welche die Widerstandseinheiten Şengal (YBŞ) und HPG der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) überlassen hatten, um Gefechte zu vermeiden, den Haschd-al-Schaabi-Milizen übergeben. Während all dieser Geschehnisse hat die PDK keinerlei Gespräch oder Dialog mit der Guerilla, der Selbstverteidigungskraft der kurdischen Gesellschaft, und der Freiheitsbewegung gesucht.

Die nationale Einheit und eine nationale Haltung der Kurden sind aufgrund der militärischen und politischen Folgen des dritten Weltkriegs im Mittleren Osten, der jüngsten Ereignisse in Syrien und Irak und des gewaltsamen Krieges in Südkurdistan dringend notwendig geworden.

Die Realisierung des nationalen Kongresses und der Einheit einmal beiseitegelassen – der fehlende Dialog, die fehlende Einsicht und Position der Kurden sind eine große Schwäche und ziehen negative Folgen nach sich. Deshalb müssen die kurdischen politischen Gruppen dringend zusammenkommen und eine gemeinsame Meinung und Position zu der für die Kurden gefährlichen Lage und möglichen Entwicklungen diskutieren.

Mit den Problemen, mit denen die Kurden heute in Kerkûk, Şengal und Rojava konfrontiert sind, werden sie auch anderenorts konfrontiert werden. Weil die fehlende Lösung der kurdischen Frage das grundlegende Problem des Mittleren Ostens darstellt, werden sie sich in der Phase der Herausbildung der neuen Gleichgewichte des dritten Weltkriegs einer Vielzahl von Problemen gegenübersehen. In dieser Hinsicht ist der Dialog zwischen den Kurden selbst wichtiger als jemals sonst.

Die fehlende Lösung der kurdischen Frage und die Angriffe auf die Kurden resultieren im Wesentlichen aus der fehlenden Demokratisierung des Mittleren Ostens. Folglich wird die Lösung der Probleme durch eine Demokratisierung erfolgen. Nationalistische und etatistische Konzepte haben mehr einen destruktiven denn lösenden Charakter. Das Referendum in Südkurdistan hat gezeigt, dass mit nationalistischen und staatlichen Herangehensweisen keine Lösung erzielt werden wird. Als Projekt zur Lösung aller Probleme in Irak müssen die Demokratisierung Südkurdistans und der Demokratisierungskampf betrachtet werden. Lösungen jenseits der Demokratisierung des Mittleren Ostens zu suchen ist ein Fehler und verstärkt die Probleme nur noch weiter. Aus diesem Grund müssen diejenigen, die für eine Lösung und Demokratisierung arbeiten wollen, die Demokratisierung auf Basis der demokratischen Nation zur Grundlage nehmen. Das gilt für die Kurden und die ganze Region und die Gesellschaften.

Die Kerkûk-Frage kann ebenfalls mit dem Verständnis der demokratischen Nation und der Autonomie gelöst werden. Kerkûk ist eine Stadt, in der Kurden, Araber und Turkmenen zusammenleben. Es kann mit einem autonomen, demokratischen System, das sich auf die demokratische Nation und die Geschwisterlichkeit der Völker stützt, ein Modell für den gesamten Iran und Südkurdistan sein. Wenn es ein Friedens- und Stabilitätsfaktor und kein Kriegsfaktor sein soll, ist dies das beste Modell.

Mit dem Angriff Irans und der Haschd-al-Schaabi-Milizen auf Kerkûk musste eine große Zahl Kurden die Stadt verlassen. Das ist inakzeptabel. Die kurdische Bevölkerung muss unbedingt zurückkehren und keine politische Kraft darf dies verhindern, auch der irakische Staat nicht. Wenn in Kerkûk eine Politik der »Entkurdisierung« verfolgt wird, dann wird es andauernde Spannungen und Auseinandersetzungen bedeuten. Und das wird weder für die Kurden noch für eine andere Volksgruppe oder politische Kraft gut ausgehen.

Wir stehen als kurdische Freiheitsbewegung dafür, dass die kurdische Gesellschaft mit der arabischen, turkmenischen und assyrischen Bevölkerung geschwisterlich und autonom zusammenlebt. Wir werden immer unserer Verantwortung gerecht werden, dass die kurdische Gesellschaft und die Bevölkerung von Kerkûk zu einem solchen Leben kommen. Niemals werden wir die Entkurdisierung von Kerkûk akzeptieren. An diesem Punkt muss die demokratische Öffentlichkeit aufmerksam sein.

Wie wir als Freiheitsbewegung bereits vor den Gefechten in Kerkûk erklärt hatten, sind der Dialog und die Demokratisierung Iraks unsere grundlegende Haltung zur Annäherung an die Lösung. Wir werden weiter an dieser Position festhalten.

Unsere êzîdische Bevölkerung war in Şengal am 3. August 2014 durch den IS mit einem Genozid konfrontiert. Die êzîdische Gesellschaft wurde weder von der irakischen Zentralregierung noch der südkurdischen Regierung geschützt. Die Genozidgefahr ist für die Êzîden durch die Existenz einer Zentralverwaltung nicht vorbei. In diesem Sinne muss der Rat der Êzîden autonom sein und die autonome Verteidigung müssen die êzîdischen Verteidigungskräfte leisten. Als kurdische Freiheitsbewegung werden wir wie bislang unserer Verantwortung für die Autonomie und Selbstverteidigung Êzîdixans gerecht werden.

Unsere Gesellschaft muss die Aufmerksamkeit gegenüber den Angriffen und für das freie und demokratische Leben unserer Gesellschaft und der Gesellschaften in Kerkûk aufrechterhalten. Gegen die Angriffe auf Êzîdixan muss Solidarität mit der êzîdischen Bevölkerung gezeigt werden.