Die Repression gegen kurdisch-syrische Organisationen nimmt in Deutschland zu

YPG = PYD = PKK

Elmar Millich, AZADÎ e.V.

Im Kurdistan Report 191 berichteten wir, dass das Bundesinnenministerium (BMI) mit einem Rundschreiben vom 2. März 2017 an verschiedene Länderbehörden das seit 1993 bestehende PKK-Verbot de facto noch einmal ausgeweitet hatte. Betroffen vom Verbot waren erstmalig auch Symbole des legal als eingetragener Verein agierenden Verbands der Studierenden aus Kurdistan in Deutschland (YXK) und die Fahnen der nordsyrischen kurdischen Partei der Demokratischen Einheit (PYD) sowie der kurdischen Selbstverteidigungskräfte YPG und YPJ (Volks- und Frauenverteidigungseinheiten) als »PKK-Ablegerparteien«. Darüber hinaus sollten generell Fahnen des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan nicht mehr öffentlich gezeigt werden dürfen wegen dessen »hoher emotionalisierenden Wirkung«. Auf journalistische Nachfragen hin blieb das BMI aber sehr unbestimmt. Es räumte ein, dass die betroffenen Vereine und Verbände in Deutschland nicht verboten seien, aber ihre Symbole auf kurdischen Demonstrationen verboten werden können, wenn sie »ersatzweise« für PKK-Symbole genutzt würden, um den Zusammenhalt von deren AnhängerInnenschaft zu stärken.

Demo in Berlin gegen das Fahnenverbot | Foto: ANFVon Interesse war nun, wie Polizei- und Justizbehörden mit diesen neuen Vorgaben umgehen würden. Bei der kurz darauf stattfindenden zentralen Newrozfeier in Frankfurt, bei der massenhaft Öcalan-Portraits und YPG-Symbole mitgeführt wurden, beschränkte sich die Polizei noch auf die Dokumentation der angeblichen Verstöße und wies darauf hin, dass ein polizeiliches Eingreifen aufgrund der hohen TeilnehmerInnenzahl unverhältnismäßig gewesen wäre.

Eine erste Eskalation gab es dann bei einer Demonstration in Berlin am 17. Juni eben gegen die Ausweitung des PKK-Verbots auf die syrisch-kurdischen Organisationen. Im Auflagenbescheid wurde explizit das Zeigen der Symbole von PYD, YPG und YPJ untersagt. Begründet wurde diese Auflage damit, dass die Demonstration gegen die Kriminalisierung der syrisch-kurdischen Organisationen auch »thematisch direkt mit den Geschicken des kurdischen Bevölkerungsteils in der Türkei verknüpft und dazu geeignet sei, auch PKK-nahe Personen zu mobilisieren«. Immer wieder stoppte die Polizei die Demonstration und forderte die TeilnehmerInnen auf, Fahnen der YPG aus der Demonstration zu entfernen. Kurz vor Abschluss stürmte sie unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken in die bis dahin friedlich verlaufene Demonstration und verletzte dabei zwei TeilnehmerInnen schwer. Insgesamt kam es zur Festnahme von sieben DemonstrationsteilnehmerInnen.

Weitere Vorfälle zeigen, dass die Polizei erwartungsgemäß keine Differenzierung der konkreten juristischen Umstände vornimmt, sondern zwischen den Symbolen von PKK und den legalen syrischen Organisationen keine Unterscheidung trifft. Im August durchsuchte die Polizei in München zwei Wohnungen linker AktivistInnen und beschlagnahmte dort Computer. Anlass war ein vermeintlicher Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Einer der Beschuldigten soll auf Facebook das Bild einer Fahne der YPG veröffentlicht haben. Es häufen sich Strafverfahren, in denen Personen des Verstoßes gegen Art. 20 Vereinsgesetz im Zusammenhang mit Fahnen der YPG beschuldigt werden. Auch der kurdische Studierendenverband YXK wird in seiner Öffentlichkeitsarbeit behindert. Die Universität Duisburg-Essen hat beispielsweise die Raumvergabe an die dortige YXK-Gruppe bereits an die Bedingung geknüpft, dass keine Symbole der YXK gezeigt werden – zu ihrem eigenen Schutz vor Strafen, wie eine Pressesprecherin formuliert. Es ist wohl einmalig, dass ein legaler Verein seine eigene Veranstaltung nicht mit seinen Fahnen dekorieren darf.

Mittlerweile hat sich eine erste Rechtsprechung zum Umgang mit den verbotenen kurdisch-syrischen Symbolen in Hessen entwickelt. Bei einer 1.-Mai-Demo in Frankfurt trugen Mitglieder des ArbeiterInnenvereins der ehemaligen Adler-Werke LAGG e. V. ein Transparent mit den Symbolen von YPG und YPJ, auf dem sie den Einheiten für die Rettung der ÊzîdInnen vor dem »Islamischen Staat (IS)« in Şengal (Nord­irak) 2014 dankten. Die Polizei beschlagnahmte das Transparent und erstattete Anzeige. Die zuständige Staatsanwaltschaft sah jedoch keine strafrechtlich relevanten Aspekte, stellte das Verfahren ein und wies die betroffenen Angeschuldigten auf die Möglichkeit hin, wegen der ungesetzlichen Polizeimaßnahme Entschädigung zu beantragen.

Schon vor dem Rundschreiben des BMI vom März dieses Jahres hatte die Stadt Frankfurt anlässlich einer Demonstration zum Jahrestag der Befreiung Kobanês am 1. November 2016 per Auflage das Zeigen der Symbole von YPG/YPJ untersagt. Dagegen hatten die AnmelderInnen beim Verwaltungsgericht Frankfurt Beschwerde eingelegt und im September dieses Jahres Recht bekommen. Die Frankfurter Versammlungsbehörde hatte das Verbot hauptsächlich mit der angeblich engen ideologischen und organisatorischen Verflechtung zwischen PKK und PYD begründet.

Dies ließ das Gericht nicht gelten. Entscheidend sei, dass die Mehrheit der Bevölkerung YPG und YPJ als Kampfbeteiligte gegen den »Islamischen Staat« in Syrien wahrnehmen würden und nicht als mit der PKK verknüpft. Ein aus der genannten Demonstration heraus entstandenes Strafverfahren gegen eine Demonstrantin war schon vorher bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausgesetzt worden und wird nun wahrscheinlich eingestellt. Die VeranstalterInnen der oben erwähnten Demonstration in Berlin im Juni haben ebenfalls vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Auflagen der Versammlungsbehörde eingereicht. Ein Urteil bleibt abzuwarten.

Dass vom BMI kein Einlenken zu erwarten ist, zeigen die Ereignisse um das 25. Internationale Kurdische Kulturfestival in Köln im September, bei dem Hunderte Portraits von Abdullah Öcalan gezeigt wurden. Als Reaktion bestellte das Außenministerium der Türkei den deutschen Botschafter ein, um dagegen zu protestieren. Die verantwortliche Kölner Polizei stellte sich auf den Standpunkt, dem Gesetz Genüge getan zu haben, da die konkret gezeigten Fahnen mit Abdullah Öcalan nicht denen entsprachen, die auf dem Rundschreiben des BMI vom März gelistet seien. Das BMI beeilte sich dagegen, der türkischen Regierung entgegenzukommen. Es werde eine weitere Konkretisierung des PKK-Verbots geprüft. Für das Bundesinnenministerium sei jede Abbildung Öcalans »grundsätzlich« von dem Verbot betroffen. Dazu NAV-DEM als Veranstalter des Festivals: »Das Verbot von Öcalans Bildern gefährdet nicht nur die Bestrebungen der kurdischen Seite für eine politische Lösung der kurdischen Frage, sondern auch eine Demokratisierung der gesamten Region. Zudem untergräbt es den politischen Willen von Millionen Menschen weltweit.«

Sicherheitsbehörden suchen neues Betätigungsfeld

Nach wie vor stellt sich die Frage, was die Bundesregierung antreibt, ausgerechnet in einer Zeit, in der die deutsch-türkischen Beziehungen nach allgemeiner Einschätzung auf einem Tiefpunkt sind, die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung zu verstärken. Soll damit, wie es der Journalist Bernd Kastner in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung nach dem Festival in Köln einforderte, »eine offene Flanke gegenüber Erdoğan geschlossen werden«, um die in der Türkei inhaftierten deutschen StaatsbürgerInnen aus dem Gefängnis zu bekommen? Das wird sicher eine Rolle spielen. Seit dreißig Jahren haben alle deutschen Regierungen mit der Türkei einen Interessenausgleich gesucht, indem sie ankündigten, vor Ort härter gegen die PKK vorzugehen.

Nicht nur gegen die kurdische Bewegung, auch gegen linke revolutionäre Organisationen in und aus der Türkei nimmt der Druck zu. In München werden demnächst die Urteile gegen zehn politische AktivistInnen gefällt, denen gemäß §129b StGB vorgeworfen wird, die in der Türkei aktive TKP/ML zu unterstützen. Selbst im Kulturbetrieb, der bislang für staatliche Eingriffe weitgehend tabu war, wird das BMI aktiv. So forderte die Behörde in einem am 23. Mai 2017 an die obersten Landesbehörden von Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen versandten Rundschreiben die Verhinderung von Auftritten der linken türkischen Musikgruppe Grup Yorum. Auf eine Anfrage der innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, antwortete die Bundesregierung, über eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit einem Auftritt von Grup Yorum lägen der Bundesregierung zwar keine Erkenntnisse vor. Allerdings seien bei einigen Konzerten Symbole der auch in Deutschland verbotenen Revolutionären Volksbefreiungspartei–Front (DHKP-C) gezeigt worden.

Diese möglichen Gründe erklären allerdings nicht die De-facto-Ausweitung des PKK-Verbots auf PYD, YPG und YPJ. Mit der Ansicht, es handele sich dabei um terroristische Organisationen, steht die Türkei auf weiter Flur allein. Im Gegensatz zur PKK werden sie weder auf der EU- noch auf der US-Terrorliste geführt. Von den USA werden sie als verlässliche Verbündete gegen den IS angesehen. Der Druck der Türkei wendete sich in diesem Punkt auch konsequenterweise sehr viel stärker gegen die USA als die deutsche Bundesregierung. Das Problem, dieses Verbot nun bei Demonstrationen und Veranstaltungen auch umsetzen zu müssen, ist hausgemacht. Es legt die Vermutung nahe, dass sich die zentralen Behörden im Bereich innere Sicherheit – BMI, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft – hier ein neues Betätigungsfeld aufbauen wollen. Der FOCUS, bekannt für seine engen Verbindungen zu den Geheimdiensten, zitierte am 14. Juli aus einem geheimen Bericht des BKA an alle Landeskriminalämter eine Warnung vor einer Terrorgefahr durch linksextremistische Syrien-HeimkehrerInnen, die »von der Kurden-Miliz YPG paramilitärisch ausgebildet« worden seien. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ergänzte, dass die RückkehrerInnen »aufgrund ihrer militärischen Ausbildung und erworbenen Kampferfahrung eine abstrakte Gefahr für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands« darstellten. Dass dies mit der Realität nichts zu tun hat, ist den Behörden bekannt. Hier werden durch gezielte Indiskretionen neue Feindbilder verbreitet, damit zukünftige repressive Maßnahmen bei Medien und Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen. Die starke Solidarität der deutschen Linken vor allem mit der kurdischen Befreiungsbewegung in Rojava, wie sie sich zuletzt bei der Großdemonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg gezeigt hat, ist den Behörden ein Dorn im Auge. Da zu entsolidarisieren, wie es zum Teil Anfang der 1990er Jahre in Bezug auf die PKK gelang, ist das Ziel der verstärkten Repression. Um eine außenpolitische Stellungnahme zur Rolle der Kurdinnen und Kurden und mit ihnen verbundenen Bevölkerungsgruppen in Syrien hat sich die Bundesregierung hingegen trotz parlamentarischer Anfragen in den letzten zwei Jahren gedrückt. Hier möchte man die US-amerikanischen Verbündeten nicht verärgern.

Auch wenn es keine direkte Auswirkung auf die deutsche Rechtsprechung hat, ist ein im September gefälltes rechtskräftiges Urteil des Brüsseler Berufungsgerichts politisch von großer Bedeutung. Angeklagt nach dem »Antiterrorgesetz« waren in dem seit 2006 laufenden Verfahren 36 meist im belgischen Exil lebende kurdische PolitikerInnen sowie der Fernsehsender Roj TV mit seinen Studios bei Brüssel. Das Gericht stellte nun fest, dass die PKK keine terroristische Organisation sei, sondern eine Partei in einem internen bewaffneten Konflikt. Ziel der PKK sei es nicht, »die Bevölkerung zu terrorisieren, sondern für die Rechte der Kurden zu kämpfen«. Auch eine Verbindung zu den »Freiheitsfalken Kurdistans« (TAK), bei deren Anschlägen in der Westtürkei immer wieder ZivilistInnen starben, konnte das Gericht nicht erkennen. Damit steht die belgische Rechtsprechung diametral zu der rechtlich bindenden Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014, der keine völkerrechtliche Legitimation für die militärischen Aktionen der PKK sieht und dieser auch die Anschläge der TAK zuordnet. Ein ermutigender Anlass, die allein auf Repression ausgerichtete Politik der Bundesregierung gegenüber der kurdischen Befreiungsbewegung auf europäischer Ebene zu isolieren und als nächstes die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste zu erreichen.