Machtinteressen verhindern eine positive Entwicklung in Südkurdistan

Die ungewisse Zukunft der südkurdischen Region

Kamal Chomani, Journalist

Während wir dem totalen Zusammenbruch von Daesch (dem Islamischen Staat – IS) immer näher kommen, geht die Autonome Region Kurdistan (ARK) einer unsicheren Zukunft entgegen. Es gibt viele innere, regionale und internationale Themen, mit der sich die Autonome Region nach der Beseitigung des IS im Irak befassen sollte.

Korruption
Auf einem der Treffen des Ministerrats Ende 2015, an dem die Vorsitzenden der parlamentarischen Blöcke und der Parlamentsausschüsse für Finanzen und Umweltressourcen, Umweltminister Ashti Hawrami, Finanzminister Rebaz Hamlan und der stellvertretende Premierminister Qubad Talabani anwesend waren, machte Premierminister Nêçîrvan Bazarnî den Anwesenden ein historisches Eingeständnis: »In meinem und dem Namen Qubad Talabanis sage ich, dass wir, die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) und die Patriotische Union Kurdistans (YNK), in den letzten 23 Jahren seit Gründung der KRG (Regionalregierung der Autonomen Region Kurdistan) die schlimmste Art von Regierung umgesetzt haben, was nicht mehr entschuldigt werden kann. Lasst uns das beheben.« Diese Aussage wurde am 9. August von dem bei dem Treffen anwesenden Soran Omer, Mitglied im kurdischen Parlament von der Fraktion der Islamischen Gruppe Kurdistan (auch Komal genannt), bekannt gemacht. Die Autonome Region Kurdistan ist sozial gründlich gespalten. Es gibt zwei Klassen, die sich gegenseitig als Bedrohung ansehen. Eine kleine Elite, die meist mit der PDK oder YNK verbunden und zu Millionären geworden ist, und eine Unterschicht, die sich kein angemessenes Leben leisten kann. Am 1. Februar 2016 berichtete xelk.org, basierend auf einer Untersuchung von Rebar Jalal, MA-Student am Kolleg für Wirtschaft und Verwaltung an der Salahaddin-Universität, es gebe »neun Milliardäre mit einem Vermögen von über einer Milliarde Dollar und fünf Millionäre, deren Vermögen mehr als 400 Millionen Dollar beträgt«. Ein Zitat von Dara Jalil Khayat, Vorsitzender der Handelskammer der Autonomen Region, bestätigt die Untersuchung: »Die Resultate der Forschung sind nah an der Wahrheit. Nach unseren Statistiken gibt es in der Autonomen Region Kurdistan 8 839 Geschäftsleute, deren Vermögen über eine Million Dollar beträgt.«

Währenddessen liegt laut derselben Studie die Arbeitslosigkeit bei über 20 % und 30 % der Menschen in der Region leben unterhalb der Armutsgrenze. Auch wenn ich diese Zahlen bezweifle – denn ich denke, die Rate, besonders die der Arbeitslosigkeit, sollte höher sein –, aber wenn wir diese Raten akzeptieren, bedeutet das, dass die Region Kurdistan ihre schlimmste Zeit erlebt und ihre derzeitige sozioökonomische und politische Situation eine Bedrohung für ihre Existenz ist.

Firsat Sofi, Parlamentsmitglied der PDK, sagte einmal, dass »Korruption gefährlicher als Daesch« sei. Nach seiner Erklärung am 3. August auf NRTV zeigte er einen Brief des De-facto-Präsidenten Mesûd Barzanî an ihn, der ihm zur Unterstützung seiner Bemühungen gegen Korruption geschrieben hatte: »... Ich bitte Sie, jede korrupte Person vor Gericht zu bringen und zu benennen und zu beschämen ...«

Seitdem gab es durch die Präsidentschaft und den Ministerrat der Autonomen Region Kurdistan viele Reformpakete, doch bis jetzt hat keines dieser Pakete irgendeine Reform gebracht. Die Korruptionsbekämpfung in der Region ähnelt dem Treppenputzen: Man muss von ganz oben anfangen. Deshalb bleibt die Korruption unangetastet und darum sollten die Anführer der beiden Hauptparteien in der Region Kurdistan, der PDK und der YNK, vor Gericht gestellt werden.Südkurdistan: Der Lange Marsch für die Freiheit Öcalans wurde vor den Toren der Stadt Hewlêr gestoppt | Foto: ANF

Peşmerge
Auch wenn die Kräfte der Peşmerge mutig gegen den barbarischen Daesch kämpfen, haben sie durch einen Mangel an Professionalität, Organisiertheit und Einheitlichkeit entscheidende Fehlschläge wie die Niederlage in Şengal (Sindschar) erlitten. Die Peşmerge müssen sich professionalisieren, organisieren und vereinheitlichen. Glücklicherweise sind die normalen Peşmerge meist für eine Zusammenführung unter dem Kommando des Peşmerge-Ministeriums und nicht für die Kontrolle durch die PDK oder YNK. PDK und YNK sind echte Hindernisse für eine Zusammenführung der Peşmerge-Kräfte. Wenn diese Parteien aufrichtig zu deren Zusammenführung gewillt wären, hätten sie das schon vor langer Zeit tun können. Die Zusammenlegung der Kräfte ist zu einer unmöglichen Aufgabe geworden. Die Vereinigten Staaten sind vielleicht ein Einflussfaktor, um PDK und YNK zum Vereinigen der Kräfte zu bewegen. Während des Krieges gegen den IS war das für die USA nicht wichtig, sie brauchten Bodentruppen, egal, ob sie den Parteien oder der Regierung angegliedert waren. Die 70. und 80. Division der YNK und PDK sollten zusammen mit den Zêrevanî [militarisierte Polizeieinheiten] der PDK und der Not(fall)polizei der YNK in das Peşmerge-Ministerium integriert werden. Die Peşmerge sollten ausschließlich aus zivilen Kräften bestehen und ihre Kommandeure und Mitglieder dürfen nicht in Verbindung mit irgendeiner Partei stehen. Um die Möglichkeit zu schaffen, eine neue effektive Armee aufzubauen, sollten die meisten Befehlshaber der PDK- und YNK-Peşmerge in Pension geschickt werden, da diese alten Wächter der Partisanenkräfte nie einer Vereinigung zustimmen werden. YNK und PDK werden sie auch weiterhin behindern, weil jede Partei gewaltige ökonomische und politische Interessen hat und ihre lange Konfliktgeschichte jedes Fünkchen Vertrauen zerstört hat. Das Gleiche gilt für die Asayîş [kurdische Sicherheitskräfte]. PDK und YNK haben ihre eigenen Asayîş- und Geheimdiensteinheiten, die vereinigt sein sollten. Das ist sogar noch komplizierter als bei den Peşmerge, da beide Asayîş viel gegeneinander benutzt wurden.

Öl und Gas
Öl und Gas sind zu einem Fluch für die Menschen geworden. Durch die Öl- und Gaseinkünfte sind die Anführer von PDK und YNK zu Milliardären geworden und haben ein Unterstützungssystem geschaffen, das lediglich den PDK- und YNK-Interessen dient. Ohne eine radikale Veränderung in der Öl- und Gaspolitik, damit sie den Menschen in Kurdi­stan nutzt, ist die Stabilität der Autonomen Region Kurdistan in Gefahr. Um die natürlichen Rohstoffe Kurdistans in einen Segen für die Menschen zu verwandeln, ist Transparenz das Schlüsselelement. Bisher profitieren die zwei Familien und der Kreis um die PDK und die YNK von Gas und Öl, was unbedingt geändert werden muss. Die Kontrolle der Geschäfte mit Öl und Gas durch PDK und YNK muss enden. Lasst uns dies auch beenden.

Im Oktober und im November 2016 unterschrieb die KRG mit den aus dem Vereinigten Königreich stammenden Firmen »Ernst and Young« und »Deloitte« Vereinbarungen zur Überprüfung der Öl- und Gasverläufe in der Region. In einem Interview mit Al-Monitor sagte Premierminister Nêçîrvan Barzanî: »Natürlich werden wir nicht zulassen, dass sie (Deloitte und Ernst and Young) Einblick in die Vereinbarung mit der Türkei bekommen.« Selbst wenn die KRG ihnen erlaubt, die Vereinbarung einzusehen, und sie die beste Überprüfung durchführen, wird das nichts an der Korruption in der Regionalregierung ändern, solange die KRG der Öffentlichkeit, den Medien und dem Parlament keinen ernsthaften strategischen Plan über die Bereitstellung der Ausgaben vorlegt. In den letzten vier Jahren hat das jetzige Kabinett keinen jährlichen Haushaltsplan oder ein entsprechendes Gesetz erstellt und niemand in der Autonomen Region Kurdistan weiß, wie die Regionalregierung die Einnahmen verwendet. Das ist eine der am dringendsten benötigten Reformen. Wenn die KRG eine nationale Sicherheitskraft gehabt hätte, wäre das Massaker von Şengal (Sindschar) vielleicht nicht geschehen. Es ist schwierig, wenn zwei verschiedene Sicherheitskräfte in einer kleinen Region operieren, da ihre Arbeit unweigerlich voneinander abweichen und zu Konflikten führen wird.

PDK und YNK verfügen immer noch über ihre Sicherheitskräfte, die ihre Interessen schützen. Wenn die Asayîş und Peşmerge nicht vereint sind, wird Demokratie nie entwickelt werden können. Denn falls die Demokratie einmal den Interessen von PDK und YNK entgegensteht, werden die Asayîş und Peşmerge gegen die Demokratie eingesetzt. Wir haben so etwas beobachtet, als die PDK einen Gesetzesvorstoß zur Änderung des Präsidentengesetzes im Parlament als Putsch und Bedrohung bezeichnete, um diejenigen zu bekämpfen, die nicht dem politischen Konsens der PDK-Interessen folgten. Dies hinderte letztlich auch Parlamentssprecher Yusuf Muhammad daran, Hewlêr (Erbil) zu betreten, er hat seit dem 12. Oktober 2015 nicht die Stadt betreten können, und das Parlament ist seitdem paralysiert.

Regieren und institutionalisieren
Wie Nêçîrvan Barzanî schon sagte, die 23-jährige Herrschaft der KRG ist die schlimmste Art von Regierung, was hauptsächlich auf einen Mangel an Institutionalisierung zurückzuführen ist. Abgesehen von Vetternwirtschaft, Parteilichkeit, Tribalismus und Familieninteressen, auf deren Grundlage Regierungspositionen verteilt wurden, hat die Beschäftigung von Menschen ohne jegliche Qualifikation die KRG-Institutionen zu den institutionalisiertesten Institutionen gemacht.

Während die YNK und die Regionalwahlgewinner anderer Parteien in der Provinz Silêmanî (Sulaimaniyya) Posten entsprechend ihrer Stimmenzahl verteilt haben, gibt es dieses Vorgehen weder in Duhok (Dohuk) noch in Hewlêr, wo die PDK die Macht und alle Posten beibehält.

Als erster Schritt sollten sowohl die PDK als auch die YNK damit aufhören, die Regierungsposten zu besetzen und an sich zu reißen und frisches Blut zulassen.

Als Zweites sollte an der Institutionalisierung der Institution gearbeitet werden – und zwar mit Hilfe von Bildung, Workshops, Kursen und unter Beobachtung lokaler NGOs und Gerichte.
Lasst die Hochschularbeit ihre Wirkung zeigen und verbindet sie nicht mit Politik. Politische Parteien haben ihre Professoren aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit und nicht wegen ihrer Verdienste in die Ämter von Universitätspräsidenten und Dekanen eingeführt. Die meisten Professoren und Angestellten der Universität werden gezwungen, Mitglieder einer politischen Partei zu sein, und das muss aufhören. Es muss eine Reform der höheren Bildung verfolgt werden, aber ohne eine Beschneidung des Einflusses der Partisanen an den Universitäten wird sich nichts bewegen.

Gesundheitssystem
Unglücklicherweise ist auch das Gesundheitssystem der Regionalregierung das schlechteste in der Region. Wenn du irgendeinem unserer Krankenhäuser einen Besuch abstattest, nachdem du Krankenhäuser im Iran oder der Türkei gesehen hast, wirst du die Unterschiede realisieren. Die Menschen in Kurdistan trauen den Krankenhäusern und der Medizin hier nicht, denn sie hatten sehr schlechte Erfahrungen mit dem lokalen Gesundheitssystem. Die PDK und YNK hatten versucht, den Gesundheitssektor zu privatisieren, ohne Reglementierung für die privaten Krankenhäuser. Auf einer Konferenz Anfang Januar 2017 sagte Premierminister Barzanî ganz deutlich, dass die KRG das Gesundheitssystem privatisieren werde, obwohl laut irakischer Verfassung der Gesundheitsdienst im Irak ein natürliches Recht und kostenlos ist.

Der Vizepräsident der Autonomen Region Kurdistan, Kosrat Rasul, ist Mitglied einer sozialdemokratischen Partei, der YNK, die lange für eine freie Gesundheitsversorgung der Menschen eingetreten ist. Aber jetzt ist er Besitzer des größten privaten Krankenhauses in Hewlêr mit Preisen, die höher liegen als in europäischen Ländern. Entwickelt den Patienten zuliebe öffentliche Krankenhäuser und reguliert die privaten. Wir können das schaffen, wenn der Wille zu einem kostenlosen Gesundheitssystem in der Autonomen Region Kurdistan besteht. Das sozialistische Gesundheitssystem, das wir haben, braucht eine Reform und keinen Wechsel.

Präsidentschaft
Die beiden Amtszeiten Präsident Barzanîs endeten im Jahr 2013, obwohl er es geschafft hat, sich durch dubiose Geschäfte und eine Lücke im System nutzend noch zwei Jahre länger zu halten. Mit seinem sogenannten strategischen Partner, der YNK, wurde seine Präsidentschaft erneuert, was wir als verzweifelte Maßnahme zum Schutz der Interessen der Familien deuten können. Als seine Amtszeit am 19. August 2015 ablief, entfachte Barzanîs Posten allerdings wieder Kontroversen. Mesûd Barzanî weigerte sich zurückzutreten, was die politische Krise in der Autonomen Region Kurdistan noch vertiefte. Seitdem genießt er diese Macht illegal. Ohne Institutionalisierung des politischen Systems werden solche Akte der Machtausbeutung bestehen bleiben.

Die Präsidentschaft als neue Institution mit unbegrenzten Befugnissen wurde in der Autonomen Region nie errichtet, trotz zahlreicher Intellektueller, die dies forderten. Barzanî verhinderte bewusst die Errichtung der Präsidentschaft als nationale Institution und benutzte zur gleichen Zeit den Präsidentenpalast weiterhin als sein PDK-Büro. Der Vizepräsident ist unfähig, irgendeine Macht auszuüben, und die Öffentlichkeit hat keine wirkliche Ahnung, wie die Präsidentschaft läuft, wie die Struktur ist und wer auf der Mikro- und Makroebene die Entscheidungen trifft. Barzanîs Außenbeziehungen zum Beispiel sind dubios und unbeschränkt gewesen. Während seiner offiziellen Auslandsbesuche wird er normalerweise von seinen engsten Familienmitgliedern, einschließlich seiner Großenkel, begleitet, wobei er es oft versäumt hat, Diplomaten oder Angehörige der Presse ins Team zu holen. Während seine außenpolitische Agenda vom PDK-Leiter für Außenbeziehungen geplant wird, agiert der Außenminister der KRG als Dolmetscher für den Präsidenten. Barzanî hat seine Macht als Präsident missbraucht, derweil er emsig im Interesse seiner politischen Partei handelt.

Kurdistan blüht nicht mehr
»Kurdistan blüht« war das propagierte Motto der Oligarchie in der kurdischen Autonomieregion – oft wiederholt und verbreitet von ausländischen Unternehmen – während des letzten Jahrzehnts. Zweifellos gab es Entwicklungen: Hunderte Hotels und Wolkenkratzer schossen in der Region wie Pilze aus dem Boden, der Lebensstandard hat sich im Vergleich zu den Kriegsjahren der letzten Jahrzehnte bis Ende 2014 verbessert sowie auch die Verhältnisse und die Struktur im öffentlichen Dienst.

Allerdings beruht diese »blühende Wirtschaft« – oder wie wir sagen: »Kapitalismus auf Steroiden« – nicht auf der klugen strategischen Planung scharfsinniger Visionäre der Oligarchie, sondern ist in erster Linie auf die ausländischen Investitionen von Milliarden Dollar zurückzuführen, die nach der Invasion im Irak durch internationale Entwicklungsprogramme, groß angelegte internationale Geldwäsche und den Abbau von Bodenschätzen ins Land strömten – geschmuggelt sowohl über offizielle Wege als auch durch Hintertüren.

Infolge des Mangels einer langfristigen Planung, der Misswirtschaft und des Versuchs der Oligarchie, Fortschritte zu sabotieren und Projekte für den eigenen Gewinn umzuleiten, nutzten die meisten Entwicklungen hauptsächlich einer kleinen Bande gieriger, geldhungriger Blutsauger im Herzen der Regierung, während sich die Mehrheit der Menschen durchschlagen muss.

Mit Hilfe eines unausgereiften Populismus wurde versucht, das Volk gehorsam zu halten und die Macht zu sichern und auszuweiten. Die Oligarchie förderte absichtlich Selbstgefälligkeit und eine niedrige Produktivität durch einen deformierten Wohlfahrtsstaat – 80 % des nationalen Kapitals fließen in ein Almosen- und Belohnungssystem für ihr Gefolge, durch die Zuteilung öffentlichen Lands, luxuriöser Autos und lukrativer Gehälter.

Die klientelistischen und kleptokratischen Methoden der Oligarchie haben den Weg geebnet sowohl für die kolossalen Misserfolge in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht wie in Bezug auf die Regierungsleistung als auch die wachsenden Beschwerden der Bevölkerung. Die Oligarchie hat mit der Axt um sich geschlagen, um die Gesellschaft zu spalten, ganz nach der alten Logik »teile und herrsche«. Sie führt ein Patronagesystem in Zusammenarbeit mit einer modernen Propagandamaschinerie von vielen Millionen Dollar, um die Ungerechtigkeiten in jedem Winkel von Macht und Wirtschaft mithilfe einer Massenbetrugskampagne aufrechtzuerhalten. Wie viele Millionen Dollar erhält beispielsweise der Medienkonzern Rûdaw, der im Besitz des amtierenden Premierministers ist, von der Regierung?

Die blühende Wirtschaft hat vor allem der korrupten politischen Elite (Oligarchie) genutzt: Viele von ihnen sind schnell Millionäre und Milliardäre geworden, während sich die Mehrheit der Menschen jetzt einer zum Scheitern verurteilten Wirtschaft mit zunehmenden Katastrophen gegenübersieht.

Umstrittene Bereiche, zweideutige Zukunft
Die Zukunft der laut Artikel 140 der Verfassung des Irak definierten Region bleibt unklar. Mehr als zehn Jahre nach der »Befreiung« des Irak ist die KRG daran gescheitert, die irakische Zentralregierung unter Druck zu setzen, damit die in Artikel 140 verankerten Bestimmungen umgesetzt werden, obwohl dies bereits 2007 geschehen sollte. Kerkûk und andere umstrittene Gebiete sind noch immer kein Teil von Kurdi­stan. Außerdem schwindet der Einfluss der KRG über Kerkûk und Umgebung. Sowohl sie selbst als auch der Gouverneur von Kerkûk sind daran gescheitert, die Stabilität in der Stadt aufrechtzuerhalten, während sich Terrorgruppen in der Stadt ausbreiten konnten und auch die Stationierung irakischer Truppen in den umstrittenen Gebieten zugenommen hat.

Nach der Entstehung des IS übernahm die PDK die Kontrolle über viele Gebiete, vor allem Kerkûk spielte eine zentrale Rolle; die KRG übernahm die Ölfelder im Westen der Stadt, eine Maßnahme, die die YNK und die irakische Zentralregierung empörte. Es ist ungewiss, wie die Zukunft der umstrittenen Gebiete nach dem Sieg über den IS aussehen wird; es gibt zwei Konflikte: einen zwischen der irakischen Regierung und der KRG und einen anderen zwischen der PDK und der YNK über die Bohrtürme von Kerkûk.

In einer Abmachung zur Befreiung Mûsils (Mosuls) haben die KRG und die irakische Regierung beschlossen, dass die Peşmerge sich auf die Gebiete von vor dem 17. Oktober 2016 zurückziehen sollen. Was mit den Gebieten ist, die seit 2014 von den Peşmerge kontrolliert werden, ist unklar.

Wahlen 2017
Im November 2017 sollen im kurdischen Autonomiegebiet laut Gesetz Wahlen stattfinden. Jutiar Adil, ein Mitglied der Wahlkommission, sagte der Presse, sie würden voraussichtlich am 6. November 2017 abgehalten werden. Er fügte hinzu, dass dann nicht nur die Parlaments-, sondern auch die Präsidentschaftswahl stattfinden solle. Ohne die Zustimmung der Parteien steht die Wahl jedoch noch in den Sternen.

Im Mai 2016 haben die YNK und die Bewegung für Wandel (Gorran) eine Abmachung getroffen, welche die PDK als Bemühung ansieht, ihre Hegemonie zu brechen. Die Abmachung kam jedoch nicht zur Wirkung, da sie sich intern mit Auseinandersetzungs- und Spaltungsprozessen konfrontiert sah. Zwei Abgeordnete Celal Talebanîs, Kosrat Rasul und Barham Salih, gründeten einen parteiinternen Flügel und forderten radikale Reformen. Ein bestehender Flügel unter der Führung Frau Talebanîs, Hero Ibrahim Ahmed, wies diese Forderungen zurück. Die PDK war maßgeblich an der Vertiefung der internen Konflikte der YNK beteiligt, wodurch die Abmachung zwischen YNK und Gorran nicht fortgesetzt wurde.

Auch YNK und PDK versuchten kürzlich, ein Abkommen zu besiegeln, um die sogenannte Strategische Abmachung von 2007 zu erneuern, wonach alle Positionen und Finanzen zu je 50 % aufgeteilt werden sollten. Auch diesmal wurde keine Vereinbarung getroffen, da Mitglieder der YNK eine solche ablehnten, die YNK ist an einer einstimmigen Haltung gescheitert. Mesûd Barzanî gab indes bekannt, die Gespräche fortsetzen zu wollen, doch sind bisher alle Treffen dafür erfolglos gewesen.

Zwar bereiten sich alle Parteien auf Wahlen vor, ob diese jedoch stattfinden, ist ungewiss. Die größte Herausforderung für die kurdische Autonomieregion nach dem Sieg über den IS wird darin bestehen, die inneren Probleme und Konflikte zu lösen und einen radikalen Reformplan zu erarbeiten und umzusetzen. Wenn die Parteien keinen gemeinsamen Fahrplan entwickeln können, um die Probleme zu lösen, wie ein Reformpaket in allen Sektoren, speziell im Ölsektor, sowie die politische Krise, wird die KRG einer dunklen Zukunft entgegengehen, denn die einzelnen Kräfte verfügen noch über eigene Milizen und die Bevölkerung ist völlig frustriert.

Die Zeit nach dem IS wird auch den Konflikt um Şengal auf den Tisch bringen. Der Konflikt zwischen der PDK und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat sich in Şengal zugespitzt. Die PDK kann die Anwesenheit der PKK dort nicht akzeptieren, da diese ausschlaggebend ist für die Selbstorganisierung und Unabhängigkeit der Êzîden, ihnen hilft, eigene Verteidigungseinheiten aufzustellen und sich so von der Fremdbestimmung durch die PDK zu befreien. Diese hat ihre Legitimität und ihr Vertrauen bei den Êzîden verloren. Das bedroht die PDK aus zwei Gründen: Zuerst könnten der PKK zugewandte Êzîden der YNK bei den irakischen Wahlen Sitze im irakischen Parlament sichern, zum anderen fürchtet die PDK, dass sich der Wirkungsbereich der PKK von Şengal aus auf andere Gebiete wie Duhok und Mûsil ausweitet, zwei strategisch-zentrale Orte für die PDK.

Anders als die PDK unterstützen alle politischen Protagonisten der kurdischen Autonomiegebiete, besonders die YNK und Gorran, die Anwesenheit der PKK in Şengal; dies ist der Grund, warum die PDK nicht den Abzug der PKK erklären kann.

Zweifelsohne ist die Unabhängigkeit das zentrale Thema der nationalen Gespräche seit der Teilung Kurdistans nach dem Ersten Weltkrieg. Obwohl den Kurden durch den Vertrag von Sèvres volle Unabhängigkeit zugesichert worden war, folgte bald der Vertrag von Lausanne, durch den sie ihres Rechts auf Unabhängigkeit beraubt wurden. Historisch suchte die von Mullah Mustafa Barzanî geführte PDK Autonomie innerhalb der Grenzen des Irak. Die YNK Celal Talebanîs zielt auf einen Föderalismus innerhalb des Irak ab.

Es gibt verschiedene Vorstellungen von Unabhängigkeit in Südkurdistan. Die politischen Parteien haben den Föderalismus bereits akzeptiert, obwohl sie in der Lage waren, eine Klausel zur bestehenden irakischen Verfassung hinzuzufügen, wodurch sich das kurdische Autonomiegebiet durch ein Referendum unabhängig machen könnte, wenn gewollt. Leider haben die kurdischen Abgeordneten in Bagdad nicht darauf beharrt, obwohl die irakischen Gruppen zum Zeitpunkt der Aushandlung der Verfassung nicht stark und einig genug gewesen sind, um den Wünschen der Kurden zu widersprechen.

Derjenige, der heute am meisten über Unabhängigkeit spricht, ist Mesûd Barzanî. Allerdings erst seit ein paar Jahren. Auf den Sitzungen der PDK war davon bis zum letzten Kongress 2010 nicht die Rede. Beim jüngsten Kongress änderte sie jedoch ihre Grundsätze, um öffentlich deutlich zu machen, dass sie wirklich an Selbstbestimmung glaubt. Dagegen ist für die YNK die Selbstbestimmung der Kurden ein zentrales Prinzip und eine Forderung seit Gründung der Partei. Barzanî missbraucht die Diskussion über Unabhängigkeit. Es ist ein nationaler Grundsatz und die Diskussion darüber gehört allen, nicht nur einer Partei oder einem Politiker.

Die Gorran-Bewegung, die sich 2009 gründete, ist nun die zweite Partei im irakischen Kurdistan, die eine andere Sicht als Barzanî hat. Newşîrwan Mistefa, Vorsitzender von Gorran, erklärte als Reaktion auf die regelmäßigen Ansprachen Barzanîs über die Unabhängigkeit, dass Kurdistan nur zur Unabhängigkeit gelange durch die Institutionalisierung der Regierungsinstitutionen, durch Freiheit, Demokratie, den Kampf gegen die Korruption und die Stärkung und Zusammenführung der Peşmerge. Nachdem 2014 die KRG bankrottging, fokussieren die Menschen in der Region nun auf ihre Wirtschaft und ihren Lebensunterhalt statt auf die Unabhängigkeit. Die Frage ist, warum spricht Barzanî nun mehr darüber als alle anderen?

Tatsächlich nähert er sich einer Unabhängigkeit an, jedoch einzig, um seine nationalistische Position öffentlich zu stärken. In Wirklichkeit bedarf es Arbeit – harter Arbeit – und nicht nur der postulierten Erinnerung während des Konflikts mit Bagdad. Die PDK hat keine politische Ideologie, um ihre Mitglieder zu packen; dies ist der Grund, warum sie in jedem Bereich ihrer Politik scheitert. Das Einzige, was wirksam genug ist, um die Massen zum Narren zu halten, ist die Propagierung der Souveränität der kurdischen Gebiete.

In einem Interview mit Ashar al-Awsat am 23. Januar 2017 sagte Mesûd Barzanî auf die Frage, welche Maßnahmen er in Angriff nehmen würde, falls der irakische Vizepräsident Nuri al-Maliki wieder als Ministerpräsident in Bagdad ernannt werden würde: »Ich hoffe, dass die Iraker das nicht zulassen werden.« Er führte aus: »Sollte Nuri al-Maliki ins Präsidentenamt zurückkehren, würde ich die Unabhängigkeit Kurdistans ausrufen.« Das war ein deutliches Zeichen für die Menschen der kurdischen Autonomieregion, da klar wurde, dass die Unabhängigkeit Kurdistans davon abhängt, ob die Gegner Barzanîs in Bagdad die Regierung übernehmen oder nicht. Viele reagierten darauf, aber Al-Maliki gab ihm in einem Interview mit der kurdischen Zeitschrift »Awene« am 31. Januar 2017 die passende Antwort: »Mesûd Barzanî ist eine autoritäre Person, die Macht will und alle Entscheidungen trifft, ohne sich auf die öffentliche Meinung zu beziehen.« Er fügte auf die Drohung Barzanis, die Unabhängigkeit auszurufen, hinzu: »Wie können Sie die Unabhängigkeit Kurdistans ausrufen, während Sie das kurdische Parlament ausbremsen und den offiziellen Regierungssprecher Yusuf Muhammad davon abhalten, nach Hewlêr zurückzukehren, um seine parlamentarischen Pflichten zu erfüllen?« Und weiter: »Das ist politisch unvernünftig und unpatriotisch. Wie kann eine Führungsperson die Zukunft einer Nation mit jemandes Rückkehr zum Ministerpräsidentenamt verbinden? Wie können Sie einen unabhängigen Staat aufbauen, der auf dem Entgegengesetzten basiert?«

Die KRG ist ein Hauptakteur bei der Neugestaltung des Mittleren Ostens, speziell Syriens. Mit den aktuellen internen Konflikten und Krisen kann sie diese Rolle jedoch nicht ausfüllen. Sie muss vor allem an zwei Bereichen arbeiten: zuerst radikale Reformen im politischen, wirtschaftlichen und in allen anderen Bereichen umsetzen; zweitens Schaffung einer kurdischen Regionalpolitik mit allen kurdischen Parteien innerhalb der KRG und der anderen Teile Kurdistans.

Alles in allem hätten wir bereits alle großen Probleme beseitigen können, wenn wir eine echte Führung in der KRG gehabt hätten, da die Probleme in den kurdischen Gebieten größtenteils darin bestehen, kaum strategische Denker aus den verschiedenen Teilen des Irak und Syriens eingebunden zu haben. Eine Politik des Sektierertums. Leider, da sich unsere Führung als unfähig erwiesen hat, demokratische, kontinuierliche, transparente und verantwortliche Politik zu machen, erlebt die KRG nun sehr trübe Tage, die sich unter Umständen in Unruhen und zivilen Ungehorsam verwandeln könnten.

Die aktuelle Generation der Politiker hat Machtpositionen inne, die nicht auf ihren Verdienst gestützt sind, sondern auf Vetternwirtschaft und Stammesbande; folglich sind Krisen unvermeidlich. Schlimmer noch, es wurden die schlechten Gewohnheiten der vorherigen Generation weitergegeben. Wenn sie die Probleme unter den Teppich kehren, spielen sie das gleiche Spiel und behandeln die Menschen wie dumme Marionetten.