Der revidierte Frieden in Kolumbien

Mit oder ohne Volk

La pajarera libertaria

Kolumbien erlebte in der zweiten Jahreshälfte 2016 einige der angespanntesten und aufwühlendsten Momente seiner jüngeren Geschichte. Vor allem in den letzten drei Monaten des Jahres war Kolumbien auch in der internationalen Medienwelt Thema, denn das Land wurde von großen politischen Veränderungen erschüttert. Diese gaben Anlass sowohl zur Freude als auch zu Trauer und Ungewissheit.

Der erste Friedensvertragsabschluss

Am 24. August 2016 verkündeten Vertreter_innen der kolumbianischen Regierung gemeinsam mit Vertreter_innen der Guerilla FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo, dt.: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) der Öffentlichkeit, sich auf ein Kriegsende und nach vier Jahren Verhandlungen auf sechs Punkte geeinigt zu haben. Noch am selben Tag wurde erklärt, dass wenige Wochen später, am 2. Oktober, eine Volksabstimmung durchgeführt werden sollte. Die Zivilbevölkerung sollte den Friedensvertrag absegnen oder sich dagegen aussprechen. Diese Vorgehensweise bedeutete eine große Veränderung in der kolumbianischen Politik.

Am 29. August um 24 Uhr begann der bilaterale und endgültige Waffenstillstand zwischen der Guerilla FARC-EP und der Regierung. Nationale wie internationale Organisationen begannen im Hinblick auf die anstehende Volksabstimmung sowohl für als auch gegen den ausgehandelten Friedensvertrag zu mobilisieren. Auf internationaler Ebene verkündete der Internationale Strafgerichtshof am 1. September öffentlich seine Unterstützung des Vertrags. In Kolumbien hielt die FARC-EP unterdessen vom 17. bis 23. September ihre 10. Nationale Guerilla-Konferenz ab. Im Rahmen der Konferenz gab sie bekannt, als gesamte Organisation den ausgehandelten Friedensvertrag anzunehmen.Friedensprozess | http://www.colombiainforma.info

Am 26. September wurde in Cartagena, Kolumbien, das endgültige Friedensabkommen unterzeichnet. Neben dem kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos und dem Oberbefehlshaber der FARC-EP Rodrigo Londoño, alias Timoschenko, nahmen nationale und internationale Persönlichkeiten an dem Akt teil: der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon, die Präsident_innen von Venezuela Nicolás Maduro, von Cuba Raúl Castro, von Ecuador Rafael Correa, von Chile Michelle Bachelet, der norwegische Außenminister Børge Brende und 2 500 Repräsentant_innen von sozialen, Indigenen-, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen.
Dieser Einigungsprozess gab vielen Menschen Hoffnung. Abgesehen davon, dass nicht alle Guerilla-Gruppen Teil des Friedensabkommens waren, abgesehen davon, dass während der Rede Timoschenkos in Cartagena ein Kampfjet über die Köpfe der Anwesenden flog und für Angst sorgte, und abgesehen von den weiterhin stattfindenden Morden an Menschenrechtsaktivist_innen.

Der Volksentscheid

In der Zeit zwischen dem 24. August und dem 2. Oktober waren die Medien voll von Nachrichten über die bevorstehende Volksabstimmung. Der 2. Oktober, der Tag, an dem die Bevölkerung sich für oder gegen den Friedensvertrag entscheiden sollte, wurde zum wichtigsten Tag des Jahres erklärt. Die Wahlzettel zur Abstimmung enthielten nur eine einzige Frage: »Unterstützen Sie die endgültige Einigung zur Beendigung des Konflikts und den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens?« Die kolumbianische Bevölkerung sollte im Vorfeld der Abstimmung die 297 Seiten des Friedensvertrages lesen, sie verstehen, analysieren und dann dafür oder dagegen stimmen. In zahlreichen Kampagnen wurde für oder gegen den Vertrag mobilisiert und versucht, die Menschen für das jeweilige Lager zu gewinnen. Die Diskussionen verliefen sehr polarisiert. Zwischentöne fanden kein Gehör. Selbst innerhalb der sozialen Bewegungen waren die Diskussionen angespannt. Bereits kleinste kritische Anmerkungen zu inhaltlichen Punkten des Friedensabkommens konnten dazu führen, als Unterstützer_in des Krieges diffamiert zu werden.

Die Ergebnisse am 2. Oktober überraschten dann alle. 50,21 % der Menschen, die abgestimmt hatten, lehnten den vereinbarten Friedensvertrag ab. 49,78 % stimmten für den Vertrag. Der Unterschied betrug gerade mal 50 000 Stimmen. Das Ergebnis bedeutete, dass der Friedensvertrag nicht umgesetzt werden konnte. 13 Regionen des Landes hatten mehrheitlich mit »Nein«gestimmt, 19 Regionen mit »Ja«. Die Regionen, die mehrheitlich dem Vertrag zugestimmt hatten, waren die vom Krieg am meisten betroffenen Regionen. Insgesamt beteiligte sich weniger als die Hälfte der Bevölkerung an der Abstimmung. Dennoch blieb am Ende das Resultat, dass die kolumbianische Bevölkerung sich per Volksentscheid gegen den Friedensvertrag ausgesprochen hatte.

In der Nacht des 2. Oktober gingen viele Menschen unorganisiert, verzweifelt und angsterfüllt auf die Straße. Einige Zeit später organisierte sich daraus ein »campamento por la paz« (Friedens-Camp), angelehnt an die Camps der spanischen »los indignados« (die Empörten). Viele Menschen versammelten sich auf dem Hauptplatz Bogotás sowie in anderen Städten und Dörfern und bauten Zelte auf, um dort auszuharren, bis ein neuer Vertrag unterschrieben werden würde. Die Camps bekamen nationale und internationale Unterstützung. Organisationen von Betroffenen von Krieg und Vertreibung sammelten Geld und die Protestierenden erhielten internationalen Besuch. Trotzdem wurde das Camp in Bogotá nach 44 Tagen von der Polizei geräumt, mit der Begründung, es gäbe bereits einen neuen Vertrag.

Vor dem 2. Oktober hatte es so ausgesehen, als wäre alles möglich. Nach dem 2. Oktober blieben nur Ungewissheit und Angst. Vertreter_innen des Lagers »Nein zum Friedensvertrag« (die »Nein-Kampagne«) verkündeten in den Nachrichten, sie seien zwar für den Frieden, aber der Vertrag müsse in einigen Punkten geändert werden. Sie machten jedoch keine konkreten Vorschläge und zeigten sich überrascht über ihren Sieg. Auch das Gegenlager »Ja zum Friedensvertrag« (die »Ja-Kampagne«) präsentierte sich in den Medien, um seine Niederlage zu akzeptieren. Keine der beiden Parteien schien eine Lösung dafür zu haben, wie weiter mit der Situation verfahren werden könne.

Um zu verstehen, wie die Bevölkerung eines Landes, das sich seit über fünfzig Jahren im Kriegszustand befindet, gegen diesen Friedensvertrag stimmen konnte, der das Ende eines bewaffneten Konfliktes zwischen der Regierung und einer der wichtigsten Guerilla-Gruppen in Aussicht stellte, ist es an dieser Stelle wichtig, eine kurze Analyse der Vorkommnisse einzuschieben.

In den letzten fünfzehn Jahren nährten die kolumbianischen privaten Nachrichtensender dreimal täglich das Konstrukt, dass das gemeinsame und eigentliche Problem der kolumbianischen Bevölkerung die Guerilla FARC sei. Dass Armut, soziale Ungleichheit, mangelnde Infrastruktur sowie mangelnde soziale Investitionen der FARC zuzuschreiben seien. Tatsache ist: In Kolumbien sterben mehr Menschen an Autounfällen oder aufgrund fehlenden Zugangs zum Gesundheitssystem als am Krieg. Trotzdem ist in der kollektiven Vorstellung der kolumbianischen Bevölkerung die FARC an allem Schuld. Die »Nein-Kampagne« musste laut ihres Pressesprechers nur ernten, was bereits gesät war. Und dies mit drei einfachen Botschaften:

  1. Die Steuern werden erhöht wegen des Friedens. Das heißt, selbst diejenigen, die so wenig verdienen, dass es ihnen nicht mal zum Leben reicht, müssen von diesem Wenigen nun auch noch den Unterhalt für die ehemaligen Guerilla-Kämpfenden mitfinanzieren.
  2. Das Land verkauft sich an die FARC und wird so eine ähnlich schlimme Entwicklung nehmen wie Venezuela.
  3. Der Frieden bedeutet, die Macht der LGBTI-Community zu übergeben, welche die Kinder dazu zwingen wird, so zu werden wie sie.

All diese Punkte waren klare Lügen. Trotzdem waren sie erfolgreich. Der Pressesprecher der »Nein-Kampagne« gab im Nachhinein bekannt, welche Privatunternehmer_innen die Kampagne finanziell unterstützt hatten. Stolz, dass es eine Kampagne mit sehr geringen Kosten und einfachen Botschaften war, welche die Menschen dazu bringen sollte, mit Wut wählen zu gehen. Er sagte, es sei nicht darum gegangen, den Menschen die Inhalte des Friedensvertrages nahezubringen, sondern in ihnen Empörung hervorzurufen.

Auch die offizielle »Ja-Kampagne« hatte wenig Inhalt. Die Botschaft war nicht mehr als: Frieden ist besser als Krieg.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Analyse ist, dass die »Nein-Kampagne« bereits im Oktober 2012 gestartet wurde, als die Friedensgespräche offiziell begannen. Die »Ja-Kampagne« wurde erst vier Wochen vor der Volksabstimmung ins Leben gerufen. Die Regierung selbst positionierte sich erst sehr spät öffentlich für den Frieden. Präsident Santos schloss sich keiner Kampagne an. Es waren Menschenrechtsorganisationen, NGOs und andere Teile der Gesellschaft, die die »Ja-Kampagne« organisierten und durchführten.

Der Friedensnobelpreis

In einer Atmosphäre der Unsicherheit, der Angst und des Misstrauens, was die aktuelle Situation anging, in der die kolumbianische Bevölkerung nicht mehr wusste, was als Nächstes kommen würde, geschah etwas sehr Unerwartetes: Fünf Tage nach der verlorenen Volksabstimmung erhielt der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos den Friedensnobelpreis. Das Norwegische Nobelkomitee verlautete, der Preis sei als Unterstützung der Friedensverhandlungen zu verstehen, da der Friedensvertrag nach der verlorenen Volksabstimmung in Gefahr sei. An diesem 7. Oktober gaben die Verhandlungsparteien eine gemeinsame Erklärung ab, in der beide ihre Absicht bekräftigten, weiter an einer Lösung zur Beendigung des Konflikts zu arbeiten. Dies war eine große Überraschung, die in der Bevölkerung mit viel Hoffnung aufgenommen wurde.

Diese Hoffnung muss allerdings mit Vorsicht genossen werden. Denn es darf nicht vergessen werden, dass dieser Präsident, auch wenn er den Friedensnobelpreis bekommen hat, dem Militär sehr nahe steht. Seine Zeit als Innenminister der Regierung Álvaro Uribe Vélez war geprägt von »extralegalen Hinrichtungen«, also Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, ausgeübt von Mitgliedern des kolumbianischen Militärs an jungen Männern aus den Armutsregionen Kolumbiens. Diese Männer wurden als Geiseln genommen, ermordet und dann als Guerillakämpfer beschuldigt. Bereits 2006 gab es Berichte über »irreguläre Aktionen« des Militärs, die militärischen und finanziellen Profit daraus zogen, Zivilist_innen zu ermorden, ihnen danach Guerilla-Uniformen anzuziehen, um sie so der kolumbianischen Öffentlichkeit als militärische Erfolge im Kampf gegen die Guerilla präsentieren zu können.

Die Unterstützung des Nobelpreiskomitees für den Friedensvertrag hätte überdies auch anders aussehen können. Denn es waren auch vom Krieg Betroffene für den Preis nominiert, die ihr Leben lang für Frieden und Gerechtigkeit gekämpft haben und das bis heute tun.

Änderung des Friedensabkommens und neue Unterzeichnung

Innerhalb von vierzig Tagen wurden 500 Vorschläge der »Nein-Befürworter_innen« bearbeitet. Als Ergebnis wurde ein neues Friedensabkommen erstellt, das dreizehn Seiten länger ist als das alte. Das neue Abkommen zeichnet sich durch fehlende Legitimität durch die kolumbianische Bevölkerung aus. Nach der verlorenen Volksabstimmung im Oktober wurde das neu erarbeitete Abkommen nicht mehr zur Abstimmung gestellt. Stattdessen wurde es im Abgeordnetenhaus Ende Dezember in einer Eilsitzung ratifiziert. Diese Vorgehensweise wurde vom Verfassungsgericht gebilligt, trotz Kritik und Protest einiger Politiker_innen.

Die wichtigsten Änderungen im neuen Friedensvertrag:

Rechtssicherheit: Das Friedensabkommen sollte eigentlich an die Verfassung angebunden werden, wie es in Kolumbien mit internationalen Abkommen üblich ist. Dies garantiert die Einhaltung der Beschlüsse, unabhängig von den sich ändernden politischen Machtverhältnissen im Land. Tatsächlich werden nun aus dem neuen Friedensvertrag nur die Passagen zu Menschenrechten und Humanitärem Völkerrecht angebunden, die sowieso bereits Teil der kolumbianischen Verfassung sind. Diese Änderung im neuen Friedensvertrag hat zur Folge, dass eine neue Regierungskonstellation nicht an die Einhaltung der Beschlüsse gebunden sein wird.
Übergangsjustiz: Das neue Abkommen limitiert die Möglichkeit des alternativen Strafvollzugs. Das »Tribunal para la Paz« (Friedensgericht) muss nun präzise festlegen, wo die ehemaligen Guerilla-Kämpfer_innen ihre Strafen verbüßen sollen und wann, wo und wie genau die Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen zu erfolgen haben.

Das neue Abkommen legt fest, dass nun in jedem Einzelfall genau geprüft werden soll, inwieweit Drogendelikte mit politischer Rebellion zusammenhingen. Das Friedensgericht soll dann je nach Fall entscheiden, ob es nach »normalem« kolumbianischem Recht urteilt oder die Übergangsgerichtsbarkeit anwendet. So können Mitglieder der FARC nach üblichem kolumbianischem Recht verurteilt werden, wenn ein_e Richter_in entscheidet, dass ein Drogendelikt nicht dazu begangen wurde, den Widerstand zu finanzieren.

Im ersten Friedensabkommen war festgelegt worden, dass ausländische Richter_innen in der Übergangsjustiz eine entscheidende Rolle spielen sollen. Nach dem neuen Vertrag haben sie nur noch eine beratende Funktion in den Verhandlungen.

Politische Garantien: Im ersten Friedensvertrag wurde die neue Partei der FARC den anderen Parteien gleichgestellt.

Parteivertreter_innen der neuen FARC-Partei sollten eine bestimmte Anzahl Sitze im Kongress bekommen. Dies wurde nun geändert. Die Sitze sollen nun zwischen ihnen und anderen betroffenen Gemeinschaften aufgeteilt werden.

Gender: Die Genderperspektive, wie im ersten Abkommen artikuliert, wurde von internationalen Expert_innen und der UNO als sehr fortschrittlich eingestuft. Sie war das Ergebnis harter Arbeit der Frauenbewegung und LGTBI-Organisationen. Während der Mobilisierung zum Volksentscheid diffamierte die »Nein-Kampagne« die erarbeiteten Beschlüsse als »Genderideologie« und bezeichnete sie als Gefahr für die traditionellen Familienstrukturen. Die Kampagne zeigte Erfolg: In der neuen Version wird das Thema »Gender« reduziert auf die Anerkennung gleicher Rechte von Frauen und Männern unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten.

Für die kolumbianische Gesellschaft ist es nicht durchsichtig, was eigentlich im Friedensvertrag gleich geblieben ist und was geändert wurde. Trotzdem befindet sich das neue Abkommen bereits in der Umsetzungsphase. Am 1. Dezember 2016 begann der 180-Tage-Countdown, in dem die FARC-Mitglieder ihre Waffen vollständig abgeben sollen.

Diese erste Phase der Umsetzung des neuen Friedensvertrags ist bisher sehr angespannt. Aus den Sammelorten, an denen sich die Guerilla-Kämpfer_innen aktuell zusammenfinden, berichten FARC-Mitglieder von abgelaufenen Verfallsdaten ihrer Essensrationen und fehlendem Baumaterial für den Bau von Unterkünften. Gleichzeitig machten die Medien ein Skandal aus einem Foto, das zeigt, wie UN-Mitglieder, die das Zusammenkommen der Guerilleros an den Sammelorten begleiten, mit Mitgliedern der FARC an Silvester tanzten.

Die Guerilla der ELN (Ejército de Liberación Nacional, dt.: Nationale Befreiungsarmee) brachte im August 2016 ihre Kritik am Abkommen zwischen der FARC und der Regierung zum Ausdruck. In einer öffentlichen Erklärung kritisierte sie, die FARC habe als einziges Ziel, eine legale Organisation zu werden. Und dass sie darüber einem Friedensvertrag zustimme, welcher der kolumbianischen Regierung ermögliche, sich von der Verantwortung für die eigenen Taten im schmutzigen Krieg reinzuwaschen, oder mit anderen Worten: dem Staatsterrorismus. Die ELN bekräftigte, dass Frieden nur auf Grundlage struktureller Umwandlung von Staat und Gesellschaft möglich sei und dass sie bis dahin den bewaffneten Kampf weiterhin als legitimes Mittel auffasse.

Für diese Worte bekamen sie Kritik, den Fortgang des Krieges zu befürworten. Die ELN erwiderte darauf, dass sie sehr wohl für Friedensverhandlungen bereit sei, jedoch nur unter der Bedingung tatsächlicher bilateraler Verhandlungen. Das heißt, sie würden sich von der kolumbianischen Regierung keine einseitigen Maßnahmen auferlegen lassen.

Im März 2016 begann eine mediale Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Guerilla ELN über den Umgang mit den Gefangenen der ELN. Die Regierung bekräftigte ihre Position, sich nicht an einen Verhandlungstisch mit der ELN zu setzen, bevor nicht alle von dieser entführten Personen freigelassen worden seien. Die ELN wiederum forderte, dies solle Teil der eigentlichen Verhandlungen werden, und wiederholte, dass sie sich auf keine einseitigen Maßnahmen außerhalb des Verhandlungstisches einlassen werde.

Dies hatte zur Folge, dass der Beginn der Gespräche zwischen Regierung und ELN, der ursprünglich für den 26. Oktober 2016 geplant war, auf den 7. Februar 2017 verschoben wurde.

Zwischen Oktober 2016 und Januar 2017 gab die ELN bekannt, dass die Regierung sich nicht an Vereinbarungen halte. Denn sie verweigere die zuvor zugesicherte Freilassung einiger ELN-Gefangener, die an den Friedensverhandlungen teilnehmen sollten. Die Regierung argumentierte, dies sei aus juristischen Gründen nicht möglich, da der Grund ihrer Verurteilung eine Freilassung nicht erlaube. Entgegen diesen Aussagen wurden die gefangenen ELN-Mitglieder Ende Januar freigelassen, was die ELN dazu veranlasste, auch eine ihrer Geiseln freizulassen.

Die sozialen Bewegungen erwarten sich viel von diesen Friedensgesprächen, da der grundlegende Ansatz der Verhandlungen die Beteiligung der Gesellschaft ist. Denn die ELN ist der Meinung, dass die Änderungen, die in Kolumbien vollzogen werden müssen, nicht mit der Guerilla zu verhandeln sind, sondern mit der Bevölkerung. Falls sich dies realisieren ließe, würde es die Legitimitätsprobleme ausschließen, die sich im Abkommen mit der FARC ergeben haben.

Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen haben sich inzwischen zusammengeschlossen und eine große soziale Bewegung für den Frieden (»Gran Movimiento Social por la Paz«) gegründet. Die Bewegung vertritt die Position, dass ein sinnvolles Friedensabkommen nur verwirklicht werden kann, wenn eine starke soziale Bewegung Druck macht und an den Verhandlungen teilnimmt. Die soziale Bewegung in Kolumbien ist in den letzten zehn Jahren trotz vielerlei Repression gewachsen und über z. B. landesweite Streiks stark geworden. Ihre politische Arbeit für einen Frieden in Kolumbien basiert auf der Einschätzung, dass soziale, politische und ökonomische Veränderungen, die nicht durch bewaffneten Kampf und auch nicht durch Friedensverhandlungen erreicht werden konnten, nur durch die Mobilisierung und Organisierung der Bevölkerung geschaffen werden können.