13. Internationale EUTCC-Konferenz im Europaparlament:

Der Verantwortung gerecht werdenDer Verantwortung gerecht werden

Dersim Dağdeviren, Vorstandsmitglied der European Turkey Civic Commission (EUTCC)

Vom 7. bis 8. Dezember 2016 fand im Europaparlament die 13. Internationale Konferenz »Die Europäische Union, die Türkei, der Mittlere Osten und die Kurden« statt. Unter der Überschrift »Die Türkei, die Kurden und der Krieg im Mittleren Osten« diskutierten die Konferenzteilnehmer über die Historie, die Ursachen und den Verlauf der Krise im Mittleren Osten sowie die korrelierenden aktuellen Entwicklungen, insbesondere im Hinblick auf die Türkei und kurdische Themen.

Die von der EU Turkey Civic Commission (EUTCC) organisierte Konferenz fand in diesem Jahr große Resonanz bei den unterschiedlichen Fraktionen des Europaparlaments. Neben der Fraktion Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke, die seit der ersten Konferenz Gastgeber ist, haben in diesem Jahr auch die Fraktionen Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten und Die Grünen/Freie Europäische Allianz die Konferenz mitgetragen. Somit war die kurdische Thematik Anlass für eine fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Dies ist nicht nur der aktuellen politischen Konjunktur zuzuschreiben, sondern auch ein Resultat erfolgreicher Arbeit der kurdischen Diaspora und ihrer politischen Akteure. Eine große Resonanz spiegelte sich auch in der Teilnehmerzahl – weit über 300 Menschen füllten einen der größten Plenarsäle des Europaparlaments – und dem Redebeitrag der stellv. Parlamentspräsidentin Ulrike Lunacek wider.13. Internationale EUTCC-Konferenz im Europaparlament

Schon im Vorfeld wurde die Konferenz durch die türkischen Medien, die seit dem sog. Militärputsch vom 15. Juli sämtlich gleichgeschaltet sind, mit dem Titel »Das EP hofiert die PKK« in die Reihe von Vorwürfen durch die türkische Regierung gegenüber der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten sowie Institutionen eingepflegt. Redner wie Moderatoren, unter ihnen zahlreiche renommierte Wissenschaftler und Politiker, wurden des Terrorismus bezichtigt, eine längst bekannte Art des Umgangs mit Kritikern durch despotische Regime.

Eröffnet wurde die Konferenz von der EUTCC-Vorsitzenden Prof. Kariane Westrheim, der Fraktionsvorsitzenden der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken, Gabi Zimmer, und dem stellv. Fraktionsvorsitzenden der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten, Josef Weidenholzer. Sie verurteilten die Entwicklungen in der Türkei als inakzeptabel und begrüßten in diesem Kontext die Entscheidung des Europaparlaments, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei einzufrieren. Herr Weidenhölzer verwies zudem auf Rojava als Vorreiter im Kampf gegen den IS sowie für demokratische Strukturen und forderte hier mehr Unterstützung durch Europa. Er erinnerte zudem an die Verantwortung Europas im Hinblick auf die kurdische Frage und in diesem Zusammenhang an die Teilung Kurdistans durch das Sykes-Picot-Abkommen, womit der Übergang zur ersten Sitzung gegeben war. Der Historiker und Soziologe Prof. Hamit Bozarslan referierte unter der Überschrift »Sykes-Picot und die historischen Wurzeln des kurdischen Konflikts« und verwies besonders auf die Verantwortung Europas, ein Aspekt, der sich als Leitfaden durch die gesamte Konferenz zog. So forderte u. a. David Phillips, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Menschenrechte an der Columbia-Universität, die umgehende Aufkündigung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei. Begrüßt wurde von zahlreichen Rednern auch der Beschluss des Europaparlaments im Hinblick auf den EU-Beitritt der Türkei. Gefordert wurde zudem ein entschlossenes Handeln der Europäischen Kommission.

Freiheit für den großen Denker Abdullah Öcalan

Entschlossenes Handeln ist auch im Fall des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan gefordert. Zübeyir Aydar, Mitglied des Kurdistan Nationalkongresses KNK, erklärte auf der Konferenz, es gebe ernsthafte Hinweise darauf, dass nach Möglichkeiten für eine Exekution Öcalans gesucht werde. Er forderte eine umgehende Intervention der internationalen Staatengemeinschaft. Schließlich spiegelten sich die Resultate von fehlendem oder verzögertem Handeln in den derzeitigen Entwicklungen wider. Die Schlüsselposition Öcalans für eine politische Lösung der kurdischen Frage und die regionalen wie weltweiten Folgen einer Ausschaltung Öcalans waren auch Thema des Redebeitrages von Simon Dubbins, dem internationalen Direktor der größten britischen Gewerkschaft UNITE und Exekutivmitglied des europäischen Gewerkschaftsbundes. Simon Dubbins betonte, dass Öcalan nicht nur ein mit über 10 Millionen Unterschriften weltweit als Repräsentant des kurdischen Volkes anerkannter Politiker sei, sondern ein zeitgenössischer Philosoph und großer Denker.

Delisting der PKK

Ein weiterer zentraler Aspekt der Konferenz war die Forderung nach einer Streichung der PKK von der EU-Terrorliste, vor allem als unabdingbare Voraussetzung für einen Friedensprozess und Demokratie in der Türkei und im Mittleren Osten.

Rojava als Ausweg aus der Krise

Im Zusammenhang mit dem Themenkomplex der Demokratisierung des Mittleren Ostens wurde wiederholt auf die Bedeutung Rojavas sowie die Notwendigkeit einer Anerkennung der autonomen Administration Rojava/Nordsyrien hingewiesen. Der Nahost-Experte und Journalist Fehim Taştekin erläuterte in diesem Zusammenhang die Verflechtungen der Türkei mit dem IS, der in Syrien als Partner gegen Rojava und im Irak als Motor sunnitischer Interessen gesehen werde. Er wies auch auf den Zusammenhang mit dem Friedensprozess in der Türkei hin, welcher durch eine Anerkennung Rojavas von Seiten der Türkei einen positiven Ausgang genommen hätte. Auf den positiven Impact Rojavas im Hinblick auf die Befriedung der Region verwies auch Dr. Kamran Matin von der Sussex-Universität und forderte eine Einbindung der kurdischen Kräfte in die Friedensgespräche für Syrien. Der Höhepunkt dieses Diskurses war das Interview, das Carne Ross, ehemaliger britischer Diplomat, und Jonathan Steele, britischer Journalist, mit dem Kovorsitzenden der PYD, Salih Muslim, führten. Salih Muslim betonte, dass der Kampf der Kurden in Syrien einen Kampf für Menschlichkeit und humanistische Werte darstelle. Rojava ist pluralistisch, säkular und gendergerecht organisiert und damit das Modell für die Zukunft des Mittleren Ostens.

Angriff auf progressive Doppelspitze

Gendergerechtigkeit ist auch ein zentrales Merkmal der kurdischen und progressiven Parteien sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Türkei, die gemäß ihren Genderprinzipien mit einer Doppelspitze arbeiten. Diese fortschrittliche Haltung widerspricht dem rückständigen Denken des türkischen Regimes und ist damit Zielscheibe dieses Systems. Diesen äußerst wichtigen Aspekt im Hinblick auf die Ziele der Angriffswelle gegen kurdische Politiker und Parteien formulierte der Kovorsitzende der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), Kamuran Yüksek.

Der Kampf geht weiter

Forderungen nach einem Ende der Repressionen gegen kurdische Politiker und Freilassung der inhaftierten Kovorsitzenden der HDP, Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş – Letzterer war Redner der 12. Konferenz im Europaparlament –, wurden ebenfalls wiederholt zur Sprache gebracht. Ihre Grußbotschaften, in denen beide die Fortführung ihres gerechten politischen Kampfes deklarieren, wurden in der Eröffnungssession verlesen und mit Begeisterung aufgefasst. Teil dieser Session war auch die Rede des Ehrengastes Ebrahim Ebrahim, ehem. Vize-Außenminister von Südafrika, der auf den langjährigen Kampf gegen die Apartheid verwies und auf Parallelen zwischen dem südafrikanischen Freiheitsidol Nelson Mandela und der kurdischen Freiheitsikone Abdullah Öcalan aufmerksam machte.

Wichtig ist auch die Botschaft, die die Konferenz im Hinblick auf die Restriktionen gegenüber der kurdischen Sprache in der Türkei ausgesendet hat. Alle Redebeiträge wurden simultan ins Kurdische übersetzt.

Abschluss

Während in den vergangenen zwei Jahren die Konferenz mit den Wünschen für einen positiven Ausgang des Dialogs zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung im Sinne eines Friedensabkommens geendet hatte, wurde die diesjährige Abschlussresolution von Warnungen hinsichtlich einer Vertiefung der Konflikte im Mittleren Osten im Allgemeinen und der Türkei im Besonderen dominiert. Hierbei wurden nicht nur die Konfliktlinien benannt, sondern auch konkrete Forderungen und Auswegmöglichkeiten formuliert.

Eine Schande bleibt

Bei der 12. Internationalen Konferenz im Europaparlament hatte es eine Telefonschaltung zu Mehmet Tunç, dem Vorsitzenden des Volksrates von Cizîr (Cizre), gegeben. Er hatte von dem Massaker in Cizîr und anderen kurdischen Städten gesprochen und mit folgendem Aufruf geendet: »Bitte stoppt die Barbarei! Ihr seid stark genug, um diese Massaker in Cizîr aufzuhalten. Ihr seid stark genug, um die AKP-Regierung zu warnen und die Belagerung von Cizîr aufzuheben. Wenn ihr hier versagt, werdet ihr Komplizen bei diesem Massaker.« Zwei Wochen später wurde er gemeinsam mit dutzenden Menschen bei lebendigem Leibe durch türkische Sicherheitskräfte verbrannt. Wir haben versagt …


Dersim DağdevirenDersim Dağdeviren ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Vereinsgründerin und Vorsitzende von Kurd-Akad. Netzwerk kurdischer Akademikerinnen und Akademiker e. V., Vorstandsmitglied der European Turkey Civic Commission (EUTCC), Europa-Delegierte der Gesundheitskonferenz des Kongresses für eine Demokratische Gesellschaft (DTK) in Amed (Diyarbakır/Türkei), Mitglied der Kinderhilfe Mesopotamien e. V., Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e. V. und Vorstandsmitglied des Marburger Bundes, des größten europäischen Ärzteverbandes, Bezirksverband Gelsenkirchen.Die Schlussresolution und einzelne Beiträge der Konferenz sind auf unserer Webseite zu finden.