Zum Tod von Anton Leschek (Zana Cîwan) und Michael Israel (Robîn Agirî)

»Nehmt Euch ein Herz und unterstützt diese Bewegung ...«

Anja Flach, Autorin und Ethnologin

Am 24. November sind in der Region West-Minbic in Nordsyrien Michel Israel aus Kalifornien und Anton Leschek aus Magdeburg neben einer noch unbekannten Zahl weiterer KämpferInnen durch einen Luftangriff der türkischen Armee ums Leben gekommen, wie der Militärrat Minbic, die lokale Vertretung der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), am 1. Dezember 2016 erklärte. Laut Ara News erklärte ein Kommandant der QSD: »Wir hatten gerade ein kleines Dorf [vom IS] eingenommen, als die türkischen Jets uns in der Nacht angriffen.«Zana Cîwan und Robîn Agirî

Damit sind Anton Leschek und Michael Israel die ersten Internationalisten in Rojava, die nicht im Kampf mit Daesh, dem sogenannten IS, ums Leben kamen, sondern durch die Luftwaffe des NATO-Mitglieds Türkei.

Erst im August 2016 konnten die QSD nach monatelangen sehr harten Kämpfen mit Unterstützung der Combined Joint Task Force – Operation Inherent Resolve (CJTF-OIR) die Region Minbic befreien. Bei den Auseinandersetzungen waren 264 KämpferInnen ums Leben gekommen, darunter mindestens sechs InternationalistInnen. Am 24. August jedoch startete die türkische Armee, u. a. unterstützt von Dschihadisten der Ahrar Al-Sham und Harakat Nour al-Din al-Zenki, eine Offensive unter dem Namen »Euphrat-Schild« in Nordaleppo, dem Gebiet zwischen den Kantonen Afrîn und Kobanê. Bereits am 28. August sahen BeobachterInnen laut NY-Times, dass die Truppen unter türkischem Kommando den Kampf zur Eroberung von IS-Gebiet weitgehend eingestellt und die Hauptstoßrichtung überwiegend gegen die QSD gerichtet hätten.

Der türkische Nationale Sicherheitsrat hatte auf seiner letzten Sitzung vom 30. November laut der Nachrichtenagentur ANHA erneut das Ziel bekräftigt, dass er die drei Gebiete in Rojava-Nordsyrien und Südkurdistan zu besetzen plant, Kobanê und Afrîn dürften nicht miteinander verbunden werden.

Michael Israel, genannt Robîn Agirî, hatte sich im Juli 2016 den QSD angeschlossen, Anton Leschek, sein kurdischer Name ist Zana Cîwan, war erst im September beigetreten. Anton ist nach Ivana Hoffmann, Kevin Jochim und Günter Hellstern der vierte Deutsche, der in Rojava ums Leben gekommen ist. Ein Genosse schrieb auf ANF:

»Es sind die kleinen Dinge, an denen wir die guten Charaktere der revolutionären FreundInnen erkennen. Anton und Michael waren immer zur Stelle, wenn es etwas zu erledigen gab. Sie haben sich nicht vor den alltäglichen Arbeiten in der Revolution gescheut, und auch nicht vor dem Kampf, um diese zu verteidigen. Sie waren hilfsbereite und gute Menschen.

Sie haben andere nicht im Stich gelassen und waren besorgt um das Wohlergehen der Menschen um sich herum. Beide waren sehr daran interessiert, Sprachen, Kulturen und Strukturen der Region kennenzulernen und zu verstehen. Ihr Einsatz für das Entstehen einer neuen, alternativen Gesellschaftsform im Mittleren Osten zeigt eine konsequente und praktische Haltung, wie sie nur wenige zu leisten vermögen.

Im Kanton Kobanê waren die beiden mehrere Wochen erfolgreich unterwegs, um Gebiete und Dörfer zu beschützen, die wiederholt von Daesh angegriffen wurden. Den letzten Kontakt mit den Freunden hatte ich etwa eine Woche vor ihrer Ermordung. Sie waren guter Dinge und Anton schrieb mir noch, dass seine Zeit kommen werde, um einen wertvollen Beitrag für diese Revolution zu leisten. Später musste ich dann erfahren, dass der türkische Staat durch diesen feigen Luftschlag ihrem Kampf ein viel zu frühes Ende bereitet hat.«

Anton und Michael haben das Wertvollste, was ein junger Mensch hat, eingesetzt, ihr eigenes Leben.

Für die Eltern, die Familien hat nun eine sehr schwere Zeit begonnen, sie müssen den Tod ihrer Kinder verkraften. Wir wünschen ihnen viel Kraft, wir senden ihnen unsere Dankbarkeit und Verbundenheit. Durch den Tod von Anton und Michael sind ihre Eltern mit zehntausenden kurdischen, arabischen, türkischen und einigen deutschen, US-amerikanischen, australischen oder britischen Eltern verbunden, die denselben Schmerz erleben. Einige haben schon ihre Hilfe in dieser schweren Phase angeboten. Einige sind selbst zu KämpferInnen für die gerechte Sache von Rojava geworden, wie die Eltern von Costa Scurfield oder die von Reece Harding. Sîpan Ibrahim, der Sprecher der Föderation Nordsyrien–Rojava in Berlin, bestätigte, dass Anton Leschek über Südkurdistan nach Deutschland überführt werde. Dafür müssen das deutsche Außenministerium und das Konsulat in Hewlêr (Erbil) tätig werden.

Michael Israel war Anarchist und Mitglied der IWW (Industrial Workers of the World). Ein Freund schreibt über ihn: »Er verbrachte sein ganzes Leben damit, Systeme der Ungerechtigkeit zu bekämpfen, die dem Frieden entgegenstehen, und kämpfte für die Rechte der Unterdrückten. Er vermittelte seine Erfahrungen und Lehren aus Syrien. Er starb so, wie er lebte, und sein Vermächtnis ist ein Beispiel dafür, wie einE wahreR RevolutionärIn sein sollte.«

Der 1992 geborene Anton kam nicht aus organisierten linken Strukturen, sondern hatte sich individuell auf den Weg nach Rojava gemacht. Er hatte drei Jahre in Berlin gelebt, wo er eine Ausbildung zum Bürokaufmann machte. Diese hat er aber kurz vor der Beendigung abgebrochen, da ihm ein Leben hinter einem Schreibtisch zunehmend sinnlos erschien. Er war dann zurück nach Magdeburg gezogen, wo auch seine Eltern leben, und begann ein Studium der sozialen Arbeit.

Anton war sehr belesen. »Der demokratische Konföderalismus hat ihn überzeugt, dafür wollte er kämpfen«, so Antons bester Freund. Anton hatte über die Internetseite »Lions of Rojava« Kontakt zu den QSD aufgenommen, sich erst seit wenigen Monaten mit dem Thema befasst. Er war jedoch kein Abenteurer, sondern wusste ganz genau, auf was er sich einließ, es war ihm klar, dass er auch sterben könnte. Anton war sehr verantwortungsbewusst, anders als viele andere hatte er intensiv mit seiner Mutter diskutiert und ihr erklärt, warum er diese Entscheidung getroffen hatte.

Nachdem die »Lions of Rojava« Anton geantwortet hatten, er könne in vier Wochen kommen, plante Anton alles sehr genau. Er löste seine Wohnung auf, verkaufte sein Auto, besorgte Dinge, die ihm notwendig erschienen.

»Ich wollte ihm eine schusssichere Weste kaufen und sie ihm zum Abschied schenken, aber das wollte er nicht«, so Antons Freund, »wenn die GenossInnen keine haben, so möchte ich auch keine«, habe er gesagt. »Anton war alles andere als ein Militarist, er war ein sehr empathischer Mensch. Er hatte Angst, dass er sich eines Tages vorwerfen müsse, nichts getan zu haben.« Antons Freund hatte auch noch Kontakt zu ihm, als er in Rojava angekommen war. Er habe in Rojava eine sechswöchige Ausbildung erhalten, es habe ihm gut gefallen, allerdings habe er angesichts des ganz anderen Lebens dort auch Zweifel gehabt, ob er dort für immer bleiben wollte, wie er zuvor geplant hatte. Er vermisste seine Freunde.

»Man darf die Menschen nicht der Tyrannei und dem Terror überlassen, ich werde diese demokratische Revolution bis zum Ende unterstützen«, soll Anton laut ARA News gegenüber den QSD erklärt haben. Auf Video hinterließ Anton eine Botschaft an die deutsche Bevölkerung: »Meine Mitteilung an die Welt ist: Öffnet Eure Augen, schaut was hier für ein Leid passiert. Nehmt Euch ein Herz und unterstützt diese Bewegung, denn das ist die einzige wirklich demokratische Kraft im Mittleren Osten.«

Dass Anton Leschek so kurze Zeit nach seinem Anschluss an die QSD ums Leben gekommen ist, ist mehr als tragisch. Wir müssen uns aber auch die Frage nach unserer eigenen Verantwortung stellen. Haben wir genug getan, um die Kollaboration der Bundesregierung im Angriffskrieg der Türkei gegen die Föderation Nordsyrien–Rojava zu verhindern?

Die deutsche Bundeswehr führt in Syrien Aufklärungsflüge durch. Die so gewonnenen Daten werden von 19 Staaten genutzt, darunter auch der Türkei, Katar und Saudi-Arabien. Auf die Frage des Magazins Spiegel an das Verteidigungsministerium, ob eine Verwendung der »Tornado«-Daten für Angriffe wie den vom 24.11. ausgeschlossen werden könne, hieß es: »Die Aufklärungsergebnisse werden mit dem Freigabevermerk »For Counter-Daesh Operation only« (Nur für die Anti-IS-Operation) versehen. Grundsätzlich wird im ›vertrauensvollen Miteinander‹ mit den Partnernationen davon ausgegangen, dass diese sich an diese zweckgebundene Verwendung der Aufklärungsergebnisse halten.«

Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass die Bundeswehr an der völkerrechtswidrigen Aktion gegen den Militärrat Minbic indirekt beteiligt war, letztendlich unterstützt sie die Besatzungspläne der Türkei.

Die Bundesregierung lässt es weiter geschehen, dass die Türkei Aufklärungsdaten der Bundeswehr nutzt, um die QSD und kurdische Dörfer und Städte in der Region anzugreifen.Überführung der beiden Internationalisten Zana Cîwan und Robîn Agirî von Rojava über Südkurdistan in ihre Heimatländer. | Foto: ANHA

Die türkische Luftwaffe hat unterdessen erneut Dörfer unter der Kontrolle des Militärrats bombardiert. Qurt Wêran, Girheyok und Qawiqlî wurden nach Aussagen von Şervan Derwiş, dem Sprecher des Militärrats, am 6.12. angegriffen, berichtet die kurdische Nachrichtenagentur ANHA. Dabei sollen auch Phosphorbomben zum Einsatz gekommen sein. Laut ANHA wurden in den von den YPG befreiten Stadtteilen von Aleppo Dokumente gefunden, die belegen, dass die türkische Armee seit 2003 Kräfte wie die Sultan-Murad-Brigade, turkmenische Nationalisten, die eng mit den Grauen Wölfen verwoben sind, unterstützt, um die Situation in Syrien zu destabilisieren.

Nehmen wir uns ein Herz – wie Anton fordert – und unterstützen mit aller Kraft die einzige diese wirklich demokratische Kraft im Mittleren Osten, die QSD!