Angriffe auf türkischstämmige Mitglieder des Deutschen Bundestages seitens Erdoğan
Präsident Erdoğan kann sich da nur ermuntert fühlen weiterzumachen
Interview mit Sevim Dağdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke
Wie bewerten Sie die Angriffe auf türkischstämmige Mitglieder des Deutschen Bundestages seitens Erdoğan sowie die Gegenreaktion der Bundesregierung?
Die Reaktionen des türkischen Präsidenten und seiner AKP-Regierung auf die historische Entscheidung des Deutschen Bundestages, die Vertreibung und Massaker an der armenischen Bevölkerung 1915/1916 als Völkermord zu verurteilen, sind maßlos und antidemokratisch. Sie sind ein Angriff auf das gesamte Parlament. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat dies in aller Klarheit und im Namen aller Fraktionsvorsitzenden deutlich gemacht.
Mit seiner Forderung, die »türkischstämmigen« Abgeordneten Bluttests zu unterziehen, hat Staatschef Recep Tayyip Erdoğan aller Welt sein völkisches und rassistisches Denken offenbart. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung diesen Nazijargon nicht deutlich zurückweist. Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte dazu ja lediglich, sie halte die Äußerungen ihres Partners in Ankara für »nicht nachvollziehbar«. Das ist eine unsägliche Verharmlosung der Hetze höchster Stellen in der Türkei. Eine angemessene Ansage aus Berlin müsste lauten: Jeder, der gegen deutsche Abgeordnete hetzt und unverhohlen mit Gewalt droht, wird mit einem Einreiseverbot belegt. Das gilt auch für Präsidenten und Regierungschefs.
Was ist passiert, nachdem Erdoğan u. a. Sie verbal angegriffen hat, werden Sie akut bedroht?
Auf meiner Facebook-Seite häufen sich Hasskommentare und direkte Morddrohungen. Das ist eine orchestrierte Kampagne, hinter der die Führung in Ankara steckt. In der Türkei selbst hat Erdoğan eine Klagewelle gegen uns orchestriert. Im Fall einer Verurteilung drohen bis zu drei Jahre Haft in der Türkei. Das BKA hat mich und zehn weitere Abgeordnete des Bundestages, die in türkischen Medien und in sozialen Netzwerken mit »Steckbriefen« angefeindet werden, unter Personenschutz gestellt.
Warum glaubt Erdoğan, sich das erlauben zu können? Hat die bisherige Türkei-Politik der Bundesregierung dazu beigetragen? Wenn ja, wie?
Erdoğan glaubt nicht nur, dass er sich das alles erlauben kann. Es ist ja auch faktisch so. Welche Konsequenzen haben Bundesregierung und EU denn gezogen? Keine einzige. Es gibt kein Einreiseverbot für die Blut-und-Boden-Hetzer der türkischen Führung und Gewaltaufrufer wie den Bürgermeister von Ankara. Bundeskanzlerin Merkel kuscht selbst bei der massiven Bedrohung von Bundestagsabgeordneten, weil sie den schäbigen EU-Türkei-Deal retten will. Präsident Erdoğan kann sich da nur ermuntert fühlen weiterzumachen.
Was werden Sie unternehmen bzw. was erwarten Sie von der Bundesregierung gegen diese Maßlosigkeit Erdoğans?
Bundesregierung und EU müssen endlich den Krieg gegen die Kurden in der Türkei und die permanenten Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit in den Fokus rücken. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Einer glasklaren politischen Verurteilung der Verbrechen Erdoğans müssen auch Taten folgen. Die EU muss die Beitrittsverhandlungen mit Erdoğans Türkei aussetzen. Auch die 630 Millionen Euro an EU-Vor-Beitrittshilfen, die jährlich an die Türkei gehen, gehören auf den Prüfstand. Ebenso die angestrebte Visafreiheit. Angesichts des Krieges gegen die Kurden und der Verfolgung der politischen Opposition, allen voran der HDP, sind die Bedingungen dafür nicht gegeben.
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