Pressefreiheit und inhaftierte kurdische Journalist*innen in der Türkei

Der Staat zögerte keine Minute, internationales Recht zu brechen

Elif Gün, Kurdish Question

Im diesjährigen Index zur Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 151 der insgesamt 180 aufgelisteten Staaten. Zurzeit sitzen mindestens 36 Journalist*innen aus, nach Richtlinien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nicht zu rechtfertigenden Gründen in türkischen Gefängnissen. Hinzu kommt eine angesichts der politischen Lage rassistische Repression, da das Gros dieser Journalist*innen kurdischer Herkunft ist. Trotz dieser Tatsachen behauptet der türkische Staat weiterhin, dass der türkische Journalismus einer der freiesten der Welt sei.

Zurzeit sitzen 13 Reporter*innen der Nachrichtenagentur DIHA hinter Gittern, insgesamt sind in der Türkei 36 Journalist*innen eingesperrt, davon arbeiten 24 für kurdische Institutionen, fast alle sind kurdischer Herkunft. Foto: DIHADie Gefahren für Journalist*innen und die Einschränkungen der Pressefreiheit haben sich vor allem in den letzten Monaten in der Türkei verschärft. Es gibt eine wachsende Zahl von mittlerweile fast 2 000 Journalist*innen, Akademiker*innen und weiteren Personen, die wegen angeblicher «Beleidigung Erdoğans« von Prozessen und Haftstrafen betroffen sind. In den letzten Monaten hat die Regierung mit wirksamer Anordnung vom 15. Mai 2016 die Kontrolle über die Redaktionen der Zeitung Zaman, der Nachrichtenagentur Cihan sowie der Verlagsgruppe Feza übernommen. Diesen Nachrichtenorganisationen wird allesamt die Unterstützung des türkisch-islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, eines ehemaligen Weggefährten und nunmehrigen Feindes des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan.

Nur drei Tage nach dem internationalen Tag der Pressefreiheit wurden Can Dündar und Erdem Gül, Chefredakteur und Journalist der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, von der Anklage des versuchten Sturzes der Regierung sowie der Spionage freigesprochen. Am 6. Mai wurden sie dann doch zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Veröffentlichung geheimer Staatsdokumente verurteilt. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um Papiere und Fotos, nach denen der türkische Geheimdienst (MİT – Milli İstihbarat Teşkilatı) nachweislich schwere Waffen und Ausrüstung an den Islamischen Staat (IS) geliefert hat. Zudem steht eine Nebenklage der Staatsanwaltschaft wegen der angeblichen Unterstützung einer Terrororganisation noch aus, diese Beschuldigung bezieht sich wiederum auf die Kritik an der AKP-Regierung und somit auf eine angebliche Unterstützung der PKK (Partiya Karkerên Kurdistan – Arbeiter*innenpartei Kurdistan).

Natürlich ist nicht nur die türkische Oppositionspresse betroffen, sondern vor allem auch die kurdische, so sehen sich die kurdische Nachrichtenagentur Dicle (DIHA) und ihre Reporter*innen systematischen Angriffen des Staates ausgesetzt. Mehmet Hakkı Yılmaz war einer der ersten Journalist*innen vor Ort, nachdem am 30. April eine Autobombe des IS in Dîlok (Gaziantep) explodiert war. Noch vor Ort wurde er durch eine türkische Anti-Terror-Einheit (TEM) verhaftet und festgesetzt, weil er seinem Beruf nachging. Den Rechtsanwält*innen der Nachrichtenagentur wurde zunächst jegliche Auskunft verweigert, erst nach massivem Druck konnte Kontakt zu Yılmaz aufgenommen werden.

Zeitgleich überfielen türkische Sicherheitskräfte Häuser im Bezirk Savur der Stadt Mêrdîn (Mardin) und verhafteten den DIHA-Reporter Abdulkadir Turay, den kurdischen Ko-Bürgermeister der DBP (Demokratik Bölgeler Partisi – Partei der Demokratischen Regionen) sowie fünf weitere Einwohner*innen. Auch in diesem Fall wurden keine spezifischen Informationen über Verhaftung und Anschuldigung veröffentlicht, jedoch wurde bekannt, dass sie in die örtliche Kaserne der Jandarma (Militärpolizei) verbracht worden waren.

Es ist nicht überraschend, dass der türkische Staat gegen jegliches internationales und nationales Recht handeln zu können glaubt; solange keine scharfe Kritik aus der westlichen Welt ertönt, scheint der diktatorische Staat fast unaufhaltsam. Die Reporter*innen der Nachrichtenagentur DIHA sind Ziel der türkischen Repression und Verfolgung, seitdem die »Friedensverhandlungen« zwischen dem Staat und der PKK von staatlicher Seite abgebrochen wurden. So wurden ebenso der DIHA-Reporter Idris Yılmaz in Wan (Van) sowie die Reporterin der Frauennachrichtenagentur JINHA, Vildan Atmaca, verhaftet. Atmaca wurde während der militärischen Ausgangssperre im Stadtteil Erdiş festgenommen, als die Einwohner*innen ihr legitimes Recht ausübten und gegen die Belagerung durch die Polizei und das Militär protestierten.

Später wurden Idris Yılmaz und Vildan Atmaca vor Gericht geführt und wegen »Propaganda für eine Terrororganisation« sowie »Beleidigung des Präsidenten« verurteilt. Diese Anklagen fungieren wie ein Rundumschlag, um die lebenswichtigste Infrastruktur eines demokratischen Prozesses zu verhindern – der Meinungsfreiheit.

Es gibt noch viele weitere Beispiele, wie z. B. Nedim Oruç, der über zwei Tage vermisst worden war, bevor er von einem Gericht in Şirnex (Şırnak) wegen angeblicher Unterstützung der PKK angeklagt wurde. Während der 48 Stunden, in denen er vermisst wurde, verbreitete sich der Hashtag #NedimOrucNerede (Wo ist Nedim Oruç?) per Twitter in kürzester Zeit, Menschen aus aller Welt kritisierten daraufhin seine Festnahme. Oruç wurde erst vor wenigen Tagen entlassen, nachdem er über fünf Monate im Gefängnis gesessen hatte.

Zurzeit sitzen 13 Reporter*innen der Nachrichtenagentur DIHA hinter Gittern, insgesamt sind in der Türkei 36 Journalist*innen eingesperrt, davon arbeiten 24 für kurdische Institutionen, fast alle sind kurdischer Herkunft. Veröffentlichte Fotos und Berichte weisen darauf hin, dass sie gefoltert und unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden. Obwohl diese Behandlung keine Besonderheit des türkischen Staates im Umgang mit kurdischen Gefangenen darstellt, zeigt sich hier ein deutlicher Unterschied, den der Staat zwischen gefangenen kurdischen und türkischen Journalist*innen macht. Der Staat zögerte keine Minute, internationales Recht zu brechen und Kurd*innen mit brutalster und systematischer Gewalt zu misshandeln.

Trotz dieser Tatsachen geht die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit weiter. Über 100 Journalist*innen, Künstler*innen, Akademiker*innen und Schriftsteller*innen haben eine Erklärung veröffentlicht, die die Freilassung der inhaftierten DIHA-Reporter*innen fordert. Darin wird betont, dass die DIHA-Journalist*innen festgenommen wurden, um zu verhindern, dass sie über den »schmutzigen Krieg« und die Massaker in den kurdischen Gebieten berichten. Die türkische Öffentlichkeit soll einzig die Meinung der AKP-Presse übernehmen und keine Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf entwickeln; dies beweist nur zu gut die Verhaftung und Verurteilung einer prominenten Person wie Can Dündar.

Wie zu erwarten, zeigen weder die türkische Regierung noch Staatspräsident Erdoğan die geringsten Anzeichen moralischer Bedenken oder von Gewissensbissen. Es besteht kein internationaler Druck, auf den sie eingehen müssten, um eine Säule einer demokratischen Gesellschaft zu schützen. Wenn uns die Geschichte etwas gelehrt hat, dann dass diejenigen, die die Freiheit angreifen – besonders die Pressefreiheit –, diejenigen sind, die letztlich damit ihren Untergang besiegeln.

Im Folgenden die Liste der aktuell inhaftierten Journalist*innen:

1. Abdulkadir Turay, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Mardin Typ-E-Gefängnis

2. Ali Konar, Reporter bei Azadiya Welat, Malatya Typ-E-Gefängnis

3. Bilal Güldem, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Mardin Typ-E-Gefängnis

4. Cebrail Parıltı, Agentur Anadolu (AA), Mardin Typ-E-Gefängnis

5. Emin Demir, freier Journalist, Mersin Typ-E-Gefängnis

6. Erdal Süsem, Redakteur beim Magazin Eylül, Edirne Typ-F-Gefängnis*

7. Erol Zavar, Chefredakteur beim Magazin Odak, Sincan Nr. 1 Typ-F-Gefängnis*

8. Ferhat Çiftçi, Reporter bei Azadiya Welat Gaziantep, Gaziantep Typ-H-Gefängnis

9. Feyyaz İmrak, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Antalya Gefängnis

10. Gurbet Çakar, Frauenmagazin Hevi, Van Typ-E-Gefängnis

11. Gültekin Avcı, Kolumnist bei Bugün, Silivri Nr. 9 Typ-F-Gefängnis*

12. Hamit Dilbahar, Kolumnist bei Azadiya Welat, Erzurum Typ-H-Gefängnis

13. Hatice Duman, Vorstand und Chefredakteurin bei Atılım, Frauengefängnis Bakırköy, İstanbul

14. Hidayet Karaca, Vorstand bei Samanyolu, Silivri Nr. 9 Typ-F-Gefängnis*

15. Kamuran Sunbat, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Şırnak Typ-T-Gefängnis

16. Kenan Karavil, Chefredakteur bei Radyo Dünya, Kırıkkale Typ-F-Gefängnis*

17. Mazlum Dolan, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Diyarbakır Typ-D-Gefängnis

18. Mehmet Baransu, Kolumnist bei Taraf, Silivri Nr. 9 Typ-F-Gefängnis*

19. Mehmet Hakkı Yılmaz, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Gaziantep Typ-H-Gefängnis

20. Meltem Oktay, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Mardin Gefängnis

21. Mikail Barut, ehemaliger Redakteur beim Magazin Özgür Halk, Silivri Nr. 9 Typ-F-Gefängnis*

22. Miktat Algül, Chefredakteur bei Mezitli FM, Sincan Nr. 1 Typ-F-Gefängnis*

23. Muhammed Doğru, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Sakarya Typ-L-Gefängnis

24. Mustafa Gök, Magazin Ekmek ve Adalet Ankara, Sincan Nr. 1 Typ-F-Gefängnis*

25. Nazım Daştan, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Antep Typ-H-Gefängnis

26. Nedim Türfent, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA, Hakkari Gefängnis

27. Nuri Akman, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Malatya Typ-E-Gefängnis

28. Nuri Yeşil, Azadiya Welat Dersim, Elbistan Typ-E-Gefängnis

29. Özgür Amed (Ethem Çağır), Kolumnist bei Özgür Gündem, Diyarbakır Typ-D-Gefängnis

30. Sami Tunca, Chefredakteur beim Magazin Mücadele Birliği, Tekirdağ Nr. 1 Typ-F-Gefängnis*

31. Serkan Aydemir, Reporter bei Bitlis Aktüel, Bitlis Typ-E-Gefängnis

32. Seyithan Akyüz, Azadiya Welat Adana, İzmir Nr. 1 Typ-F-Gefängnis*

33. Şahabettin Demir, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Gefängnis Erciş, Van

34. Şermin Soydan, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Van Typ-M-Gefängnis

35. Yılmaz Kahraman, Redakteur beim Magazin Özgür Halk, Silivri Nr. 5 Typ-F-Gefängnis*

36. Ziya Ataman, Nachrichtenagentur Dicle (DİHA), Van Typ-M-Gefängnis

* F-Typ-Gefängnisse = Einzel-/Isolationshaft

http://kurdishquestion.com/article/3229-press-freedom-and-imprisoned-kurdish-journalists-in-turkey