Der Traum der schmutzigen Allianz

Durch Embargos Rojava in die Knie zu zwingen

Medya Doz, 03.06.2016

Die ökonomischen Bedürfnisse und die daraus entstandenen Probleme waren eine Zerreißprobe für die Menschheit. Diese universelle Frage, die ein Grundproblem darstellt, wird aber gleichzeitig der Menschheit zur Auferstehung verhelfen. Das hat die Menschen zerbrochen und es sollte die Menschen miteinander versöhnen. Die wirtschaftlichen Interessen waren der Grund für die Ausbeutung der Völker; die Ausbeutung wiederum veranlasste die Völker zur Rebellion.

Der geschlossene Grenzübergang von SemalkaDas Motto »Ich leiste Widerstand, also bin ich« ist in Rojava eine Notwendigkeit für das Entstehen eines unabhängiges Volkes. Seit Tausenden von Jahren versucht die Menschheit, sich mit viel Mühe und Anstrengung selbst zu verwirklichen. Die wichtigsten historischen Errungenschaften sind den unermüdlichen Anstrengungen der Menschen zu verdanken. Die substanziellen sowie die geistigen Werte unserer Zeit sind eigentlich nur die Spiegelungen der seinerzeitigen Göttinnenkultur. Im Land des Naan (des Brotes), wo der erste Weizen der Weltgeschichte kultiviert wurde, scheint es paradox zu sein, sich auf die Suche nach dem Sinn des Schweißes des Angesichts zu machen. Jene Menschen, die das Brot erfunden haben, stehen heute brotlos da. Diese Menschen werden auf Basis der Freiheit und Sklaverei auf die Probe gestellt. Der Versuch, die Menschen mit dem Hunger zu zähmen, bildet die Grundlage der kapitalistischen Beziehungen. Nur das Insistieren auf den positiven Werten und der Menschlichkeit kann die Antwort auf das wilde kapitalistische System sein. Die heute existierenden Klassen sind das Werk der Herrschenden. Ganz nach dem Motto »Teile und herrsche« gelang es ihnen, die Arbeit ihren Interessen entsprechend auszubeuten. Die Erhöhung der Produktivität und der Überfluss führten zum Verlust der gesellschaftlichen Werte. Wer die Kräfte einer Gesellschaft ins Wanken bringen will, greift zuerst nach dem »Brot«, dem Werk der Frauen und Völker. Was dabei immer in Vergessenheit gerät – wer in den Genuss der Freiheit kommt, hat nichts mehr zu verlieren und würde sich niemals vor anderen beugen. Es ist nicht möglich, diese Menschen zu versklaven. Der Kampf um das menschliche Leben geht trotz der fortgeschrittenen Kapitalisierung weiter. Die Menschen geben ihre Werte wie Stolz, Ehre und Freiheit nicht auf.

Die Ausbeutung der Arbeitskraft ist vermutlich der erste Eingriff in den Wunsch nach einem menschlichen Leben. Die ständig wachsende Industrialisierung basiert auf dem Raub der menschlichen Arbeitskraft durch das globale Kapital. Jene Kräfte, die das Kapital besitzen, rauben die Lebenskraft der Frauen und der Gesellschaft. Und gerade diese Realität ist der Grund des Widerstandes der Beschützer_innen jener Werte.

Das Embargo gegen Rojava zu einem Zeitpunkt, als gerade gegen so viel barbarische Realität angekämpft wurde, stellt eine knappe Zusammenfassung des Ziels dieser schmutzigen Allianz dar. Rojava, das Tausenden von aus ihrer Heimat vertriebenen Êzîd_innen, Araber_innen, Assyrer_innen und anderen Bevölkerungsgruppen Zuflucht geboten hat, erteilt allen eine Lektion in Menschlichkeit. Das Embargo gegen Rojava richtet sich nicht nur gegen die Kurd_innen in Rojava. Es richtet sich gegen alle Völker des Mittleren Ostens. Denn Rojava ist ein Völkermosaik. Und die in Rojava errichtete Demokratische Autonomieregierung steht trotz dieses Embargos an vorderster Front eines ehrwürdigen Widerstandes. Am Grenzübergang von Semalka [zwischen den kurdischen Gebieten Syriens und Iraks] findet nicht nur das durch die Zusammenarbeit von PDK [Demokratische Partei Kurdistans] und AKP [Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung] durchgesetzte Embargo Anwendung, sondern es wird auch ein seinesgleichen kaum wiederzufindender gesellschaftlicher Verfall erzwungen.

Beispielsweise verwehren PDK/AKP die Durchfuhr von Zucker, der zu einem der größten Mangelwaren in Rojava zählt und dort nicht produziert wird, während täglich versucht wird, LKWs voller Alkohol über die Grenze zu bringen. Die Lieferung von Gesundheitsutensilien in das im Krieg befindliche Rojava wird verwehrt, gleichzeitig aber wird versucht, Drogen über die Grenze zu bringen. Diese zwei Beispiele sollen das Ausmaß dieser schmutzigen Allianz andeuten. Dieses Embargo ist ein Versuch von AKP/PDK, um die in Rojava geschaffenen Werte zur Aufgabe zu zwingen, wissend jedoch, dass die Bevölkerung sich auch nicht unter der Gefahr, einen Hungertod zu sterben, ergeben würde. Die PDK – beraten durch die AKP – will hier, auf diesem von Märtyrer_innenblut getränkten Land, zu einem Handel auf dem Rücken der Mühen von Märtyrer_innen beitragen, ebenso wie sie sich einen Anteil an den dort geschaffenen Werten sichern will, ohne in irgendeiner Form etwas dazu beigetragen zu haben. Selbst wenn dieses Embargo an einen äußerst repressiven Punkt gelangt sein sollte, so lässt sich die Bevölkerung Rojavas aufgrund ihrer bewussten Widerstandskultur nicht dazu hinreißen, sich auf etwas einzulassen, das ihrem Stolz und ihrer Würde schadet. Rojava, das dabei ist, das Schicksal des Mittleren Ostens zu verändern, nimmt in jeder Hinsicht seinen Platz im Widerstand ein. Wurde die Bevölkerung Rojavas anfangs durch eine mörderische Struktur wie ISIS [Islamischer Staat] geprüft und aufgewühlt, so wird sie es jetzt durch das Embargo. Das von dieser schmutzigen Allianz durchgesetzte Embargo wird die dortige Bevölkerung also weder von der Position der freien autonomen Selbstverwaltung abbringen, noch wird es dazu führen, dass von der Vereinigung aller Kantone Rojavas und der ökonomischen Selbstversorgung abgerückt wird. Die Frauen Rojavas, die sich all dessen in vollem Maße bewusst sind, versuchen mit ihren eigenen Mitteln und Anstrengungen, die negativen Auswirkungen des Embargos aufzufangen. Demgemäß werden sie, die zuallererst nach Bildung und Bewusstwerdung streben, im Unterricht in der Wirtschaftsakademie unterstützt, auf die Frage, was denn die wahre Ökonomie sei, Antworten zu finden.

Diese Aus- und Weiterbildungsprogramme werden eingesetzt, um die einzelnen Faktoren der Wirtschaft in einem gesellschaftspolitischen Rahmen zu verdeutlichen und darzustellen. Die Frauen aus Rojava bereiten sich im Rahmen dieser Aus- und Weiterbildungsprogramme mental auf das Thema Wirtschaft vor und üben dabei auch praktische Tätigkeiten aus. Um die Frage nach den erforderlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung derartiger Wirtschaftsprojekte beantworten zu können, lässt sich Rojava als Beispiel heranziehen. Unabhängig von der von Männern dominierten Gesetzgebung führen derzeit mehr als tausend Frauen in Rojava wirtschaftliche Tätigkeiten durch. Diese Frauen spielen in der Landwirtschaftskooperative, bei der Gewürz-, Gemüse- und Getreideproduktion eine wichtige Rolle und treffen damit den sozialen Puls der Zeit. Neben diesen Kooperativen gibt es auch jene, in denen die Milchprodukte erarbeitet werden. Außerdem betreiben die Frauen Bäckereien, Konditoreien, Cafés, Bekleidungs- und Accessoiregeschäfte. Daneben sind sie gegebenenfalls auch in Ateliers tätig und betreiben in sechs unterschiedlichen Orten Textilwerkstätten. Zudem planen die Frauen auch, über viertausend Olivenbäume zu bewirtschaften, den daraus gewonnenen Ertrag selbst zu vertreiben und auf diese Weise ihren Tätigkeitsbereich auszuweiten. Für die Zukunft planen die Frauen in Rojava darüber hinaus auch, ein Frauenwirtschaftszentrum zu gründen, um in ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten und kommunalen Kooperativen langfristig unabhängig zu sein und diese auch weiterentwickeln zu können. Die Frauen aus Rojava sind von diesem charakteristischen weiblichen Wirtschaftsmodell überzeugt und fest entschlossen, es auf der ganzen Welt zu verbreiten. Basierend auf diesem originellen Modell nehmen sie am Wirtschaftsleben teil und scheuen keine Mühen, die Wirtschaft so zu gestalten, dass sie ihrem eigentlichen Zweck dienen kann. Das Wesen des Menschen besteht darin, den Bezug zur Realität nicht zu verlieren und sein Recht einzufordern; der Mensch ist stets auf der Suche nach dem Guten, Rechten und Schönen und möchte nicht vom Weg der Wahrheit abkommen. Wir wissen, dass die Landwirtschaft einer der Kernbereiche unseres Lebens ist. Der respektvolle Umgang mit der Wirtschaft bildet einen zentralen Aspekt des Sozialverhaltens einer Gesellschaft und spiegelt sich auch in ihrer geistigen Kultur wider.

Die Frau als prägende Kraft der Gesellschaft ist jenes Wesen, das seit jeher am stärksten ausgebeutet wird und dessen Fleiß und Mühe stets verleugnet wurden. Als Schöpferin des Lebens wurde sie regelrecht entweiht und ihre geistigen Werte wurden der Menschheit vorenthalten. Bis heute sieht sich die Frau mit der Tatsache konfrontiert, jenes Individuum im Staat zu sein, das am stärksten unter Ausbeutung zu leiden hat. Zugleich ist sie aber auch diejenige, die die Zukunft aufbauen, die Gesellschaft mit ihren alten, heiligen Werten in Einklang bringen und in ihrem Kampf um Freiheit Initiativen setzen kann.

Den Frauen aus Kurdistan kommt eine Vorreiterinnenrolle in einem weltweiten Kampf zu, dessen oberste Priorität die Beendigung jeder Art von Ungerechtigkeit, Gewalt und Arbeitsausbeutung ist. Daher können Frauen nach dem Prinzip von »xwebûn« Freiheit nur dann erlangen, wenn sie ein Bewusstsein dafür schaffen, sich organisieren und ihre Vorstellungen schließlich in die Tat umsetzen.

Das, was wir als internationale Werte bezeichnen, bedeutet die vorrangigsten Werte der Moral – die Freiheit, die Arbeit und die Ehre zu verteidigen und einen harten Kampf in Kauf zu nehmen. Die Räuberstaaten, die globalen Banden leben, indem sie die Arbeit, die Bemühungen von Menschen ausbeuten; dies ist die größte Beleidigung der Völker und der wahren Besitzer_innen der Wirtschaft. An diesen Punkt gebracht zu werden, ist die größte Tragödie im Namen der Menschlichkeit. In diesem Sinne ist der Aufbau einer neuen Lebensweise jenseits des Kapitalismus die heiligste Aufgabe. Wir leben in Zeiten, in denen wir sehen werden, dass die Realität nicht an die Wirtschaft gebunden sein wird. In Zeiten, in denen die Mühe und die Arbeit für ein würdevolles Leben eingesetzt werden. Wir bezeichnen die Ausbeutung der gesellschaftlichen Arbeit, der Werte als Unrecht, die Suche nach dem Recht aber ist eine Freiheitsbestrebung. Ein Leben, in dem die Arbeit nicht mit der Freiheit identifiziert wird, ist eines, das offen ist für Ausbeutung. Deshalb ist die Zeit gekommen, mit unseren eigenen Händen und unseren eigenen Bemühungen neue Lebensbereiche aufzubauen. Gegen die kapitalistische Moderne sind die Aufgaben der demokratischen Moderne reich an den Ressourcen, die uns dem Leben, das angestrebt wird, näher bringen werden. Dies ist unsere Aufgabe, nämlich Kämpfer und Kämpferinnen der Realität zu sein und Rechenschaft für die Ungerechtigkeiten zu verlangen. Da wir an die Werte der Menschlichkeit und die Göttinnen-Kultur gebunden sind, ist es die Aufgabe von uns Frauen, die Werte der Freiheit zu steigern und eine kommunale Wirtschaft zu etablieren. Die Frauen ertrugen und ertragen alle Schwierigkeiten des Krieges, aus diesem Grund sind sie diejenigen, die den Frieden am meisten verdienen. Wie mensch sehen kann, ist es möglich, innerhalb kürzester Zeit das Leben aus der Hand des männlich dominierten Monopols zu nehmen. Ja, es stimmt, der Wirtschaftskampf ist ein anstrengender, aber zugleich auch ein vergnüglicher Kampf. Gerechtigkeit zu suchen und Kämpfer_in der Realität zu sein, war niemals leicht. Aber allen voran sollte der Mensch Ehre, Ehrgeiz, Respekt gegenüber sich selbst und natürlich eine nichtendende Liebe besitzen.

Gemeinsam beobachten wir, dass die Revolution der Frauen sich zu einer Revolution der Völker entwickelt. Die Aufstände der Völker, die revolutionären Aufstiege, die Forderungen nach Freiheit und die Reaktionen auf diktatorische Systeme in den letzten Jahren sind alle Resultate dieser Revolution. Die Frauen pflanzen neue Stürme in die Seele unseres Jahrhunderts. Dieses Jahrhundert ist nicht nur ein Jahrhundert, in dem der Widerspruch der Geschlechter in den Vordergrund rückt, sondern gleichzeitig ist es auch das Jahrhundert der Frauen, in dem die Zukunft der Völker, der Menschlichkeit und der gesamten Welt bestimmt wird.