Ein Bericht zur Grenzsituation zwischen Demokratischer Selbstverwaltung Rojava und Kurdistan Regional Government

Humanitärer Korridor für Kobanê und ganz Rojava!

Presseerklärung der Kampagne TATORT Kurdistan

tatort kurdistanBereits im Sommer 2014 haben die Regional-Regierung-Kurdistan im Irak (KRG) und die Demokratische Selbstverwaltung Rojava einen Grenzübergang über den Fluss Tigris errichtet. Der Grenzposten wird auf syrischer Seite von der Demokratischen Selbstverwaltung Rojava betreut und verteidigt. Auf irakischer Seite unterstehen die Grenzangelegenheiten der KRG. Um nach Rojava einzureisen, muss zunächst eine Ausreisegenehmigung bei den zuständigen KRG-VertreterInnen des Grenzpostens beantragt werden. Orte, an denen solche Ausreisegenehmigungen eingeholt werden, kommen weltweit nur äußerst selten vor, da in der Regel die Grenzen zur Einreise kontrolliert werden.

Auf der syrischen Seite in Rojava hingegen wird nach dem Anliegen für den Aufenthalt in Rojava gefragt und in der Regel direkt eine Einreisegenehmigung erteilt. Zudem wird jede/r BesucherIn zu einem Willkommensgespräch eingeladen, in dem die Demokratische Selbstverwaltung kurz vorgestellt wird und die BesucherInnen je nach Anliegen an die entsprechenden Institutionen und AnsprechpartnerInnen weitergeleitet werden.

Seit einem halben Jahr häufen sich die Berichte über die Behinderung der Ausreise nach Rojava. Neben den hunderten LKWs mit Hilfslieferungen werden auch PolitikerInnen, Delegationen, JournalistInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, MitarbeiterInnen von Projekten und NGOs zur humanitären Unterstützung bzw. zum Wiederaufbau von Kobanê und Rojava an der Ausreise nach Rojava gehindert. Die Politik der KRG hat sich vor allem auf massiven Druck der Türkei verändert, seitdem der Kongress für ein Demokratisches Syrien gegründet und die Demokratische Selbstverwaltung Rojava ausgerufen wurde. Gleichzeitig hat eine militärisch-aggressive Politik der türkischen AKP-Regierung gegen die KurdInnen in der Türkei und eine spezifische Isolationspolitik gegen Rojava begonnen. Es gilt, dem Projekt der Demokratischen Selbstverwaltung in Nordsyrien sowohl die Zufuhr von nötigen Waren als auch den Kontakt zur Außenwelt abzuschneiden.

Der Vertreter des Büros von Tev-Dem in der KRG, Gelib Afrîn, sagte: »Wir sind Gästen, die nach Rojava reisen möchten, gerne behilflich. Die meisten kommen, um den KurdInnen ihren Respekt auszudrücken, die Revolution in Rojava kennenzulernen, den Wiederaufbau zu unterstützen, um ihnen zu ihrem Kampf gegen den IS zu gratulieren. Jedoch erteilt die KRG im Moment keine Ausreisegenehmigungen mehr. Menschen reisen über mehrere Grenzen über Tausende von Kilometern an, um nach Rojava zu kommen. Da aber die KRG keine Ausreisegenehmigung erteilt, müssen sie dann auf den letzten hundert Metern umdrehen und unverrichteter Dinge wieder zurückfahren. Menschen, die nach Rojava eingereist sind, bzw. Menschen, die sich auch andere Wege zur Einreise gesucht haben, werden von der PDK festgenommen. Zurzeit werden ein Engländer, ein Amerikaner und ein Italiener im Gefängnis der KRG festgehalten. Es ist kaum zu glauben, aber so sieht derzeit die Situation aus.«

Die damalige Kovorsitzende des Kantons Cizîrê, Hediye Yusuf1, sagte bereits im Dezember letzten Jahres in einem Interview: »Aufgrund der zahlreichen zerstörten Gebäude und Städte in Rojava sind viele Menschen zu Flüchtlingen geworden. Auch kommt aufgrund des anhaltenden Krieges wöchentlich eine große Anzahl Flüchtlinge aus den syrischen und auch aus irakischen Städten nach Rojava. Die Regierung der Demokratischen Selbstverwaltung zählt, dass ein Viertel der Bevölkerung von Rojava mittlerweile Flüchtlinge sind. Die Versorgung und Unterbringung ist ein großer logistischer und finanzieller Aufwand. Für uns ist die Unterbringung und Versorgung von Menschen in Not etwas Selbstverständliches. Wir haben die Kraft und das Know-how dieser Herausforderung trotz Embargo zu begegnen. Allerdings wäre eine politische, materielle und finanzielle Unterstützung aus Europa hilfreich.«

Die Anzahl der Flüchtlinge aus syrischen und irakischen Städten hat sich nochmals erhöht. Allein im März sind 1600 Flüchtlinge aus Mosul (Irak) nach Rojava geflüchtet. Die Embargopolitik der Türkei erschwert die Situation, in der es gilt, allen Flüchtlingen gerecht zu werden, enorm.

Zahlreiche Hilfsorganisationen können seit September 2015 die Grenze nicht überqueren, um ihrer Arbeit nachzugehen. Hilfsgüter erhalten von der KRG keine Erlaubnis, nach Rojava auszureisen. Seit 8 Monaten stehen die Hilfslieferungen für den Wiederaufbau in Kobanê an der Grenze und werden nicht durchgelassen. Auch Handel ist nicht mehr möglich. Nahrungsmittel und Baumaterialien wie Bulgur und Reis, Zement und Stahlstangen werden nicht durchgelassen.

Xelil Afrîn gibt ein Beispiel der Argumentationen für Beschränkungen: »Neulich wollte ein kurdischer Kinderarzt über die Grenze in Semalka nach Kobanê, um die Kinder, die zurückgekehrt sind und die Angriffe des IS überlebt haben, zu unterstützen. Er erhielt von der KRG keine Genehmigung, die Grenze zu überqueren, weil er angeblich als Arzt für die YPG gekommen sei. ZivilistInnen aus den USA, die den Aufbau einer Schule in Kobanê unterstützen wollten, erhielten keine Ausreiseerlaubnis (der KRG). Vielen sagen wir schon vorher, dass sie nicht anreisen sollen, da die Aussichten schlecht sind. Dennoch haben 68 Personen einen Antrag auf eine Ausreise nach Rojava gestellt. Von diesen sind nur 5 bewilligt worden.«

Xelil Afrîn führt weiter aus und bewertet die Situation: »Die Leichname der Gefallenen, die im Kampf gegen den IS ihr Leben gelassen haben, können seit Monaten nicht an die Familien übergeben werden. Menschen möchten ihre verletzten Familienangehörigen oder die Gräber ihrer gefallenen Familienangehörigen in Rojava besuchen und erhalten seitens der KRG keine Genehmigung. Eine Grenzschließung bedeutet, die Seele und den Willen von Rojava anzugreifen. Die Behinderungen der Demokratischen Autonomie Rojava durch die KRG sind weitreichend. Die KRG macht ihre Politik im Sinne der Türkei.«

Mittlerweile sind Proteste zahlreich zu hören. Aus Rojava und auch aus dem KRG-Gebiet sind Menschen in einem Protestmarsch an die Grenze gezogen. Gegen sie wurden von der KRG Spezialeinheiten eingesetzt. Auch die internationale Presse greift das Thema zunehmend auf. Am 7. Juni erklärte die PDK auf Druck der Proteste gegen die Grenzschließung die erneute Grenzöffnung. Dennoch hat auch nach der Grenz­öffnung kaum jemand das nötige Einverständnis der KRG zur Ausreise nach Nordsyrien erhalten. Bei der Erklärung handelt es sich also nur um einen medialen Schachzug, um von der Politik der KRG abzulenken.

Die in Deutschland ansässige Kampagne Tatort Kurdistan hat am 4. Mai eine Change-Petition mit dem Namen »Humanitarian Corridor for Kobane and all Rojava«2 an den Präsidenten der KRG Mesud Barzanî initiiert, um auf die Situation aufmerksam zu machen.

Von der Vertretung der Demokratischen Autonomie in der kurdischen Autonomie-Region im Nordirak werden solche Initiativen sehr begrüßt, da sie auf die Situation an der Grenze aufmerksam machen und den Druck auf die KRG erhöhen.

Fußnoten:

1 Hediye Yusuf ist mittlerweile Ko-Vorsitzende des Kongresses für ein Demokratisches Syrien.

2 https://www.change.org/p/diwan-krp-org-humanitarian-corridor-for-kobane-and-all-rojava