Strafanzeige gegen Erdoğan u. a. Verantwortliche wegen Kriegsverbrechen
Straflosigkeit von Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen verhindern!
Britta Eder, Rechtsanwältin
Am 27. Juni 2016 wurde durch die Rechtsanwältinnen Britta Eder und Petra Dervishaj in Zusammenarbeit mit dem Verein für Demokratie und internationales Recht, MAF-DAD, eine Strafanzeige gegen Recep Tayyip Erdoğan und weitere politisch und militärisch Verantwortliche wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) bei der Generalbundesanwaltschaft eingereicht.
Die Anzeige erfolgte im Namen zahlreicher Anzeigeerstatter_innen aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, u. a. Abgeordneter des Bundestages, Landtagsparlamentarier_innen und Kommunalpolitiker_innen, Ärzt_innen, Flüchtlingsorganisationen, zahlreicher Rechtsanwält_innen sowie Familienangehöriger zweier Opfer.
Die Möglichkeit einer solchen Anzeige von in der Türkei durch türkische Staatsangehörige begangenen Taten besteht, da dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch das sog. Weltrechtsprinzip zugrunde liegt. Das heißt, der Zweck des Völkerstrafgesetzbuchs besteht darin, eine Straflosigkeit von Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, unabhängig davon, wo der Tatort liegt. Es ermöglicht daher eine internationale Strafverfolgung von geächteten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die militärische Befehlshaber und politische Vorgesetzte verantwortlich sind.
Dabei ist die Anzeige jedoch nicht nur der Generalbundesanwaltschaft (GBA) als zuständiger Staatsanwaltschaft übersandt worden, sondern ebenso unmittelbar dem Justizministerium, dem Bundeskanzleramt sowie dem Auswärtigen Amt. Dies zum einen, um ihnen die in der Anzeige in derartiger Systematik und Ausführlichkeit in deutscher Sprache erstmalig so erfassten Informationen zur Kenntnis zu bringen, und sie damit gleichzeitig aufzufordern, sich gegenüber der Türkei dafür einzusetzen, dass die Vereinten Nationen, Menschenrechtsorganisationen, NGOs und Journalist_innen endlich Zugang zu den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei erhalten, dass der vollkommene Ausfall an Informationen darüber, was in dieser Region passiert, beendet wird und Ermittlungen und Untersuchungen hinsichtlich der bereits erfolgten Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiteren Menschenrechtsverletzungen erfolgen kann.
Dahingehend äußerten sich auch die Vereinten Nationen. In ihrer Pressemitteilung vom 10. Mai 2016 heißt es wie folgt:
»Verstörend sind vor allem«, sagte der Hochkommissar, »die Berichte über Angaben von Zeug_innen und Verwandten aus Cizîr (Cizre), die darauf hindeuten, dass mehr als 100 Menschen verbrannt sind, als sie in drei verschiedenen Kellern Schutz gesucht haben, die durch Sicherheitskräfte umzingelt waren.« (...) »Alle diese Anschuldigungen, einschließlich jener, die die gegen die Sicherheitskräfte kämpfenden Gruppen betreffen, sind extrem ernst und sollten sorgfältig untersucht werden, aber scheinen es bisher nicht geworden zu sein. Die türkische Regierung hat bisher nicht positiv auf die Anfragen meines Büros und anderer Teile der Vereinten Nationen, die Region zu besuchen, um aus erster Hand Informationen zu sammeln, reagiert.«
Der UN-Menschenrechtskommissar Prinz Zeid Ra'ad Zeid al Hussein merkt an, dass im Vergleich zu anderen Bezirken, Städten und Dörfern im Mittleren Osten – einschließlich Silopiyas (Silopi), Nisêbîns (Nusaybin) und des Stadteils Sûr von Amed (Diyarbakır), der Hauptstadt der Region –, die über Wochen unbefristet abgeriegelt wurden und der Zugang aufgrund der schweren Sicherheitspräsenz immer noch fast unmöglich ist, mehr Informationen aus Cizîr bekannt geworden sind.
»Im Jahr 2016 ein derartiges Informationsdefizit darüber zu haben, was in einem solch großen und geographisch zugänglichen Gebiet passiert, ist außerordentlich und tiefst beunruhigend«, sagte Zeid al Hussein. »Dieser Totalausfall befeuert den Argwohn über das, was passiert. Ich erneuere deshalb meinen Ruf nach Zugang für Angehörige der Vereinten Nationen und andere objektive Beobachter und Ermittler, einschließlich zivilgesellschaftlicher Organisationen und Journalisten.«
Im Mittelpunkt der Anzeige stehen die Ereignisse während zweier in der Stadt Cizîr, Provinz Şirnex (Şırnak), ausgerufener Ausgangssperren. Die Verhältnisse im Südosten der Türkei werden seit August 2015 durch genau derartige Ausgangssperren, mit der Folge hundettausender von Vertriebenen, hunderter von toten Zivilist_innen und teilweise komplett zerstörter Städten, geprägt.
Nach einem Bericht der TIHV (Türkiye İnsan Hakları Vakfı - Menschenrechtsstiftung der Türkei) wurden zwischen dem 16. August 2015 und dem 20. April 2016 insgesamt 68 Ausgangssperren in 22 Bezirken von 7 Städten ausgerufen, die jeweils unbefristet und rund um die Uhr galten. 35 Ausgangssperren bezogen sich auf Amed, 10 auf Şirnex (im Bezirk Şirnex liegt auch die Stadt Cizîr), 11 auf Mêrdîn (Mardin), 5 auf Colemêrg (Hakkari), 1 auf Mûş, 1 auf Elazîz (Elazığ), und 2 auf Êlih (Batman). Die Menschenrechtsstiftung geht davon aus, dass entsprechend der Volkszählung von 2014 schlussendlich 1 Million und 642 000 Einwohner_innen durch diese Ausgangssperren betroffen waren und dabei ihre fundamentalen Rechte auf Leben und Gesundheit verletzt worden sind.
Eine Stellungnahme des Gesundheitsministeriums vom 27. Februar 2016 geht davon aus, dass insgesamt 355 000 Bewohner_innen gezwungen waren, ihre Städte und Bezirke zu verlassen, in denen sie lebten. Als Folge dieser Ausgangssperren hat die Menschenrechtsstiftung für die Zeit vom 16. August 2015 bis zum 20. April 2016 338 tote Zivilist_innen dokumentiert. 78 davon waren Kinder, 69 waren Frauen und 30 waren über 60 Jahre. Davon sind 76 Zivilist_innen gestorben, weil sie keine medizinische Hilfe bekommen konnten, 200 Zivilist_innen starben, als sie sich innerhalb der Grenzen ihres eigenen Zuhauses befanden, davon allein 147 Menschen in Cizîr. 182 Zivilist_innen starben durch eröffnetes Feuer oder Raketenbeschuss und 18 aufgrund des psychischen Stresses während der Ausgangssperren.
Nicht in der Anzahl von 338 toten Zivilist_innen enthalten sind 78 Menschen in Cizîr und 15 Menschen in Hezex (Idil), die begraben wurden, ohne dass eine Identifizierung stattfand. Ebenso nicht enthalten sind in den Zahlen 11 Zivilist_innen, die ihr Leben durch willkürlichen Beschuss der Sicherheitskräfte während friedlicher Proteste gegen die Ausgangssperren verloren haben und zwar zu Zeiten, als keine Militäroperationen im Gange waren oder Ausgangssperren an den entsprechenden Tatorten in Kraft waren. Ebenso sind keine Zahlen enthalten für jene Ausgangssperren, die bei Abschluss des Berichtes noch in Kraft waren.
Mittlerweile dürften diese Zahlen (sowohl der Vertriebenen als auch der Toten) noch erheblich angestiegen sein, da in zahlreichen Städten die Ausgangssperren noch andauern und Zahlen daher nicht bekannt sind.
Was bedeuten diese Ausgangssperren für die Bevölkerung?
Meist werden sowohl Strom- als auch Wasserversorgung während der gesamten Ausgangssperre unterbrochen, meist die auf den Häusern sich befindenden Wasserbehälter sowie die an den Häusern befindlichen Klimaanlagen durch Beschuss zerstört. Nahezu die gesamte Infrastruktur der betroffenen Städte ist geschlossen. Auch die Handynetze und Internetverbindungen werden unterbrochen, so dass die Kommunikation in die Städte hinein und heraus meist fast gänzlich abgebrochen ist.
In den betroffenen Stadtteilen müssen nahezu alle Läden schließen, so dass es für die Bevölkerung nicht möglich ist, die Grundbedürfnisse wie Essen, Medizin, Milch, Kindernahrung zu decken; während der Ausgangssperre in Cizîr im September 2015 wurde selbst den Bäckereibesitzer_innen nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Bäckereien zu öffnen. Auch von außerhalb ist es meist nicht möglich, Lebensmittel in die Städte oder betroffenen Stadtviertel zu bringen, weil diese völlig abgeriegelt sind.
Meist ist die Gesundheitsversorgung in den Städten nur sehr eingeschränkt bis gar nicht vorhanden. So wurden in Cizîr bei der Ausgangssperre im September außer zwei Apotheken, die für eine sehr begrenzte Zeit geöffnet waren, als keine Operationen durchgeführt wurden, alle Apotheken auf Anordnung des Gouverneursamtes, die besagte, dass alle Apotheken außer der gegenüber dem staatlichen Krankenhaus von Cizîr zu schließen seien, geschlossen gehalten. Ebenso waren alle Gesundheitszentren und Familiengesundheitszentren geschlossen.
Schwangere Frauen konnten während einer Ausgangssperre ihre Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrnehmen, da alle Gesundheitszentren geschlossen waren, und viele haben deshalb während der Ausgangssperre im September in Cizîr ihre Kinder zu Hause ohne ärztliche Hilfe zur Welt gebracht. Dialysepflichtige Patienten konnten keine Versorgung erhalten. Unmittelbar nach dem Ende der Ausgangssperre im September in Cizîr berichtete das Krankenhauspersonal gegenüber einer Anwaltsdelegation, dass das Krankenhaus nach dem Beginn der Ausgangssperre für Zivilist_innen fast vollständig geschlossen wurde. Es war nur geöffnet für Polizei und Soldaten. Personal, das versuchte, verletzten Zivilist_innen zu helfen, wurde bedroht.
Der Zugang für Krankenwagen zu Kranken, Verwundeten oder Toten wird oftmals und systematisch durch Sicherheitskräfte verhindert. Auch freiwilliges ärztliches und sonstiges medizinisches Personal wird oftmals nicht durchgelassen.
Die Körper der Verstorbenen können oft nicht abtransportiert werden, teilweise liegen sie über Tage, Wochen und Monate in den Straßen, teilweise haben die Menschen sie privat in Kühlschränken oder Kühllagern von Gemüsemärkten etc. gelagert.
Auch unabhängig von den zahlreichen toten Zivilist_innen sind die Auswirkungen für alle sich in den betroffenen Städten oder Stadtvierteln aufhaltenden Menschen sehr belastend und schwer traumatisierend, wenn sie oft tagelang oder auch wochenlang in ihren Häusern ausharren, die sich unter ständigem Beschuss befinden und sie miterleben müssen, wie neben ihnen die Wände ihre Häuser einfallen, und sie keine Möglichkeit haben, sich zu schützen oder in Sicherheit zu bringen.
Ein Lehrer aus Cizîr beschreibt dies wie folgt:
»Am 04. September gab es um 19 Uhr eine Ankündigung, die besagte, dass es eine Ausgangssperre geben würde, und um 20 Uhr wurde sie eingeführt und unmittelbar danach begannen Schießereien in der Botas-Straße in der Nähe des städtischen Kulturzentrums, wo die Polizei stationiert war. Unser Haus befindet sich an der Botas-Straße und wurde übersät mit Maschinengewehrfeuer. Am dritten Tag der Ausgangssperre verließen wir unser Haus und gingen zum Haus meines jüngeren Bruders an der Straße hinter unserer, wo es ruhig war.
Aber dann begann das Granatfeuer. Mit meiner Frau, den Kindern, der Mutter und anderen Verwandten waren wir insgesamt 18 Personen und waren von 18:30 Uhr in der 4. Nacht bis um 6 Uhr des folgenden Morgens in einem Zimmer. Meine Mutter war krank mit einem Herzleiden, meine Frau war erstarrt vor Angst. Ich versuchte, alle zu beruhigen. Es gab kein Essen, wir konnten das Zimmer nicht verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Wir blieben einfach die ganze Nacht in dem einen Raum. Die Fenster zerbarsten und das Gebäude wackelte. Alle waren traumatisiert. Meine Frau kam nicht darüber hinweg und zittert immer noch vor Angst. Gegen 6 Uhr morgens verließen wir das Haus und gingen in ein drittes Haus, wo meine Tante mütterlicherseits lebt. Dort waren fünf oder sechs Familien, zwischen 50 oder 60 Personen, da war nicht mal Platz zum Sitzen. Sie hatten ein Loch in eine Wand gemacht, die angrenzte an das Haus meiner älteren Schwester, so dass wir in der Lage waren, dort hindurchzugehen. Dort blieben wir in zwei Zimmern. Dort war kein Wasser und wir benutzten einen alten ungenutzten Eimer. Wir ließen einen herunter, um das modrige Wasser vom Grund zu bekommen. Aber es war nicht trinkbar, deshalb versuchten wir, es durch Kleidung zu filtern. Am siebten Tag ging meine Schwester, um zu versuchen, Wasser zu bekommen. Sie wäre fast erschossen worden. Wir gingen zu einem anderen leeren Haus durch die Fenster und tranken dort Wasser. An diesem Tag war das Wasser wiederhergestellt, aber manchmal gab es immer noch keine Elektrizität und es war 40 Grad. Wir konnten in dieser Hitze kaum atmen. Ich wurde beschossen, als ich versuchte rauszuschauen. Wir waren so besorgt um unsere Verwandten.
Es wurden Militärmärsche aus den bewaffneten Fahrzeugen abgespielt und es erfolgten Ansagen über Lautsprecher wie: ›Stadtviertel Nur, Apos Bastarde (bezugnehmend auf Abdullah Öcalan, den inhaftierten PKK-Führer), armenische Bastarde, wir werden Euch zur Hölle schicken.‹ ....«
Dabei ist aufgrund der nahezu völligen Absperrung der betroffenen Städte und Regionen eine Dokumentation der Ereignisse oftmals sehr schwierig bis fast unmöglich. Insofern konzentriert sich die Anzeige auf zwei Ereignisse, die relativ gut dokumentiert sind bzw. hinsichtlich derer zumindest viele Informationen vorhanden sind. Diese Erkenntnisse wiederum lassen nur erahnen und Schreckliches für die Regionen befürchten, aus denen sehr wenig Einzelheiten bekannt sind.
Im Mittelpunkt der Anzeige stehen (beispielhaft und gleichzeitig stellvertretend für all das, was derzeit in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei passiert) deshalb im Wesentlichen zwei Ereignisse.
Zum einen ein Ereignis, das während der ersten der zahlreichen zwischen Mitte August bis heute erlassenen Ausgangssperren stattfand. Es handelt sich um die Ausgangssperre vom 4. bis zum 11. September 2015 in Cizîr, als deren Folge 22 Zivilist_innen, die alle in Cizîr wohnhaft waren (darunter Frauen, Kinder, Babys und Alte), ihr Leben verloren haben, davon viele durch Beschuss von Scharfschützen und Artillerie. Einige erlagen ihren Verletzungen, weil sie keine ärztliche Hilfe erlangen konnten. Die Anzeige enthält für fast alle Toten detaillierte Zeugenaussagen. Schließlich wurden viele Bewohner_innen während dieser acht Tage verletzt – teilweise schwer. Auch diesbezüglich sind einige Fälle in der Anzeige detailreich dokumentiert, unzählige hingegen bleiben unbekannt, weil viele Verletzte Angst hatten, Krankenhäuser aufzusuchen, da die Befürchtung besteht, als Verletzter von der Polizei als Terrorist_in angesehen und verhaftet zu werden.
Die Anzeige geht davon aus, dass es sich bei den Einzelfällen der getöteten Zivilist_innen jeweils um Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB und Kriegsverbrechen nach § 8 VStGB handelt. Darüber hinaus geht sie davon aus, dass auch bereits die systematisch angewandten Ausgangssperren als solche, mit denen den Menschen jegliche Lebensgrundlage entzogen wird, der Zugang zu jeder Hilfe, nicht nur medizinischer Art, verunmöglicht wird, und zivile Viertel über Tage, Wochen und Monate mit schweren militärischen Waffen beschossen werden, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB darstellen, insbesondere nach § 7 Abs. 1Nr. 2, Nr. 8 und Nr. 9 VStGB, sowie gleichzeitig als Anwendung verbotener Methoden der Kriegsführung nach § 11 Abs. 1, Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 VStGB zu bewerten sind.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Tod von mindestens 178 Menschen (die meisten Zivilist_innen, einige Mitglieder einer zivilen Selbstverteidigungseinheit), die während einer weiteren 2 ½ Monate dauernden Ausgangssperre (14. Dezember 2015 bis 2. März 2015) in Cizîr in der Zeit von Ende Januar bis Anfang Februar 2016 in drei Kellerräumen Schutz vor den Angriffen des türkischen Militärs mit Artillerie, Panzern und weiteren schweren Waffen Schutz gesucht hatten. Sie teilten ihre Lage (dass die Keller weiter angegriffen werden und viele Menschen dringend ärztliche Hilfe benötigen sowie einen großen Teil ihrer Namen) per Telefon Abgeordneten, Presse und Amnesty International mit. Amnesty International startete daraufhin eine Urgent Action. Dennoch wurden keine Krankenwagen durchgelassen und während der Kontakt zu den Personen, die sich aus den beiden zuerst bekannt gewordenen Kellern gemeldet hatten, bereits abgebrochen war, meldeten sich aus einem weiteren dritten Keller Menschen und teilten mit, dass in dem Haus, in das sie geflüchtet waren, bereits 20 Personen durch Sicherheitskräfte angezündet worden waren und von den übrigen noch Lebenden die meisten teils schwer verletzt seien. Auch der Kontakt zu diesen Personen brach ab. Am Tag danach, dem 11. Februar 2016, erklärte Innenminister Efkan Ala, einer der angezeigten Verantwortlichen, die Operation mit großem Erfolg für beendet.
Danach wurde die Ausgangssperre jedoch bis zum 2. März aufrechterhalten und nach allen in der Anzeige dokumentierten Erkenntnissen drängt sich der erschreckende Vorwurf auf, dass diese Zeit von den Sicherheitskräften u. a. dafür verwendet wurde, Leichen oder Teile der Leichen ohne Anwesenheit von Familienangehörigen, Anwält_innen oder Beobachter_innen von bspw. Menschenrechtsorganisationen oder auch der UNO zu bergen. Ebenso ergibt sich der Eindruck, dass keine ordnungsgemäße Spurensicherung erfolgt ist, sondern vielmehr Beweise vernichtet wurden, bis dahin, dass Leichenteile gemeinsam mit Schutt aus den Häusern auf einer Müllkippe am Ufer des Flusses auf einer Mülldeponie abgeladen wurden. Menschenrechtler_innen haben menschliche Knochen am Ufer des Flusses und auf der Mülldeponie gefunden. Aus der Aussage einer als Taybet genannten Zeugin ergibt sich zudem der Verdacht, dass Leichen sogar nach ihrem Tod absichtlich verbrannt wurden.
Nach Veröffentlichungen eines unmittelbar nach den Ereignissen von der Partei der Demokratischen Regionen DBP, dem Verein der Angehörigen der Verschwundenen MEYA-DER und dem Mesopotamischen Anwaltsverein MHD gegründeten Krisenstabes zum Zwecke der Identifizierung der Opfer der Massaker von Cizîr wurden bisher 178 größtenteils verbrannte Leichen aus den drei Kellern geborgen.
Für die Menschen und insbesondere die Familien der Getöteten ist es besonders belastend und in Folge der großen Anzahl der auch bis heute nie aufgeklärten Fälle von Verschwundenen in den 90er Jahren auch retraumatisierend, dass zum einen wohl nie sicher gesagt werden kann, ob alle Toten überhaupt identifiziert werden (so gab der Krisenstab bereits Ende Februar bekannt, dass 13 unidentifizierte Opfer, die nach Şirnex (Şırnak) gebracht wurden, durch staatliche Kräfte quasi gekidnappt und später auf dem Friedhof der Unbekannten begraben worden seien), und zum anderen den Familien oft nach Abgabe von DNA-Proben ein Sack mit verbrannten Leichenteilen mit der Ansage übergeben wurde, es seien die Leichenteile ihrer Verwandten, die Menschen auf die Richtigkeit dieser Aussage aber nicht vertrauen können, da die Untersuchungen der Leichen, die Autopsien ohne Anwesenheit von Anwält_innen, unabhängigen Sachverständigen oder bspw. Vertreter_innen der UNO oder von Menschenrechtsorganisationen stattfinden.
Insbesondere die Vorgaben des Minnesota-Protokolls (wobei es sich um internationale Prinzipien hinsichtlich des Vorgehens bei der Dokumentation und der Durchführung von Ermittlungen bei Todesfällen, bei denen der Verdacht von Menschenrechtsverletzungen besteht, handelt) wurden in keiner Weise eingehalten.
Auch in diesem Fall geht die Anzeige davon aus, dass die Tötung dieser Menschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB und Kriegsverbrechen nach § 8 VStGB darstellen.
Darüber hinaus geht sie hinsichtlich des Umgangs mit den Toten, deren Würde in keiner Weise geachtet wurde, und hinsichtlich derer sich eher dieser Eindruck aufdrängt, davon aus, dass das entwürdigende Umgehen mit den Leichen und den Leichenteilen, als ein weiteres Mittel der Kriegsführung gerade auch gegen die Überlebenden und die Familienangehörigen angewandt wird und ein Kriegsverbrechen nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB ist.