Die Entwicklung des kurdischen Freiheitskampfes und die globale Demokratiebewegung

Ein Kampf für eine demokratische Lösung

Duran Kalkan, Mitglied des PKK-Exekutivrats, 27. Januar 2016

Duran Kalkan, Mitglied des PKK-ExekutivratsIn den letzten Jahren wurde die kurdische Freiheitsbewegung sowohl durch die Verbreitung der von Abdullah Öcalan entwickelten Theorie der Demokratischen Moderne als auch durch den heldenhaften Widerstand des kurdischen Volkes gegen den AKP-IS-Faschismus zu einer international noch bekannteren und breiter diskutierten revolutionären Bewegung. Vor allem die emotionale und geistige Entwicklung der kurdischen Jugend und Frauen erregt große Aufmerksamkeit.

Diese Tatsache weist einerseits den globalen revolutionär-demokratischen Bewegungen als auch der kurdischen Befreiungsbewegung neue wichtige Aufgaben zu. Während auf internationaler Ebene revolutionär-demokratische Bewegungen dabei sind, die Kurd*innen, Kurdistan und die kurdische Befreiungsbewegung anzuerkennen und den heldenhaften Kampf gegen den Faschismus des 21. Jahrhunderts zu unterstützen, muss sich die kurdische Befreiungsbewegung der Aufgabe stellen, sich selbst im globalen Kontext bekanntzumachen und mit den revolutionär-demokratischen Bewegungen viel mehr Zusammenarbeit und Solidarität zu entwickeln. Das wird auch einen bedeutenden Beitrag zum Werdegang der globalen demokratischen Bewegung leisten.

Bekanntlich führt die kurdische Befreiungsbewegung momentan einen Kampf für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, die wohl das schwierigste und komplexeste Problem des letzten Jahrhunderts darstellt. Was aber als kurdisches Problem präsentiert wird, ist eigentlich die Tatsache, dass sie einen Kampf gegen die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik führt, um das Regime kulturellen Genozids zu überwinden, als ein Volk mit eigener Sprache, Kultur und Geschichte einem freien Leben den Weg zu ebnen, das zerstreute Volk zu organisieren und das geteilte Land wieder zu vereinen, mit allen benachbarten Völkern im Mittleren Osten eine demokratische Einheit und Geschwisterlichkeit aufzubauen und die Möglichkeiten eines freien Lebens mit ihnen zu ergreifen.

In diese Lage wurden die Kurd*innen im Ersten Weltkrieg und in der Zeit danach gebracht. Der Prozess, der Kurdistan teilte und einem Genozid aussetzte, hatte mit dem sich bald zum 100. Mal jährenden Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916 begonnen und sich im Rahmen des Ankara-Vertrags vom Juni 1926 institutionalisiert. Während das Sykes-Picot-Abkommen zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland vereinbart wurde, wurde der Vertrag von Ankara zwischen Großbritannien und der Türkei geschlossen. Auch Deutschland, als eine Partei des Krieges, und die USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine Führungsrolle für das System übernahmen, tragen in gleicher Weise Verantwortung.

Bei genauerer Betrachtung ist das sogenannte »kurdische Problem« eigentlich ein vom globalen hegemonialen kapitalistischen System geschaffenes und aufrechterhaltenes Problem. Ohne Zweifel spielen der türkische und der iranische Nationalstaat bei der Fortführung dieses Problems eine bedeutsame Rolle. Eigentlich liegt das heutige Chaos des Mittleren Ostens in der kurdischen Frage begründet. Es ist hinzuzufügen, dass neben dem Genozid, zuvor an Armenier*innen und Suryoye und heute an den Kurd*innen, auch die arabische Gesellschaft auf eine Gesellschaft zweiter Klasse reduziert wird.

Heute führen sowohl Kurd*innen als auch Araber*innen einen Befreiungskampf gegen die im Ersten Weltkrieg geschaffene Ordnung. Eigentlich stehen sie schon ein Jahrhundert lang in diesem Kampf und haben sehr große Opfer gebracht. Wie sich in Kurdistan und in der arabischen Welt zeigt, müssen sie heute einen noch höheren Preis zahlen. Die kurdische Freiheitsbewegung PKK ist der letzte Schritt in dieser Widerstandsphase.

Die kurdische Frage, die die kurdische Bewegung zu lösen versucht, hat offensichtlich ein globales Ausmaß. Folglich weitet sich jedes Bestreben für eine Lösung notwendigerweise auf eine globale Ebene aus. Genau daraus gehen der globale Charakter der kurdischen Freiheitsbewegung und die Notwendigkeit einer Beziehung und Zusammenarbeit mit der globalen demokratischen Bewegung hervor. Wenn sich diese Realität mit einem solidarischen, demokratisch-sozialistischen Verständnis vereinigt, ergibt sich das heutige Bild.

An dieser Stelle muss betont und verstanden werden, dass die PKK nicht von Beginn an so war. Am Anfang stand der nationale Charakter im Vordergrund und es wurde angestrebt, das international Gegebene auf das Nationale anzuwenden. So waren die erste und die zweite Parteiphase der PKK, die wir als Gründungs- und Bewaffnungsphase bezeichnen. Der Führungscharakter der dritten Phase, der den Prozess des Aufbaus der demokratischen Nation darstellt, ist eher global. Hier geht es umgekehrt darum, das national Gegebene zu analysieren und es in einen globalen Kontext zu übertragen. Folglich können wir sagen, dass sich die kurdische Befreiungsbewegung momentan in einer Globalisierungsphase befindet.

Zweifellos sind hier eine Mentalität, ein theoretisches Verständnis und eine ideologisch-politische Richtung von Bedeutung. Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan, der das, was wir von den Kämpfen unterdrückter Völker lernen können, auf Kurdistan übertrug und die revolutionäre Praxis in Kurdistan analysierte, hat es geschafft, mit der Theorie der »Demokratischen Moderne« heute im internationalen Kontext allen Unterdrückten und Völkern eine Perspektive für Freiheit aufzuzeigen. Diese wird charakterisiert durch eine soziale Wirtschaft, Frauenbefreiung und gesellschaftliche Ökologie, auf denen der Aufbau der demokratischen Nation beruht.

Neben der globalen Eigenschaft, die aus dem Wesen der kurdischen Frage folgt, spielt auch die globale Eigenschaft des heutigen theoretischen Verständnisses und der ideologisch-politischen Linie des PKK-Vorsitzenden eine große Rolle. Deshalb müssen alle, die diese Theorie in die Praxis umsetzen wollen, auf globaler Ebene handeln. Denn diese Linie hat das grundlegende Ziel, im Rahmen des Globalen Demokratiekongresses den internationalen Demokratischen Konföderalismus aufzubauen. In diesem Zusammenhang zeigen sich der internationale Charakter der kurdischen Freiheitsbewegung und ihr Platz in der globalen Demokratiebewegung.

Gewiss kommt noch eine politische Dimension hinzu. Die politische Dimension der kurdischen Frage hat ein solches Ausmaß, dass ohne deren Lösung die Probleme des Mittleren Ostens und sogar der ganzen Welt langfristig fast schon nicht mehr gelöst werden können. Was wir heute in der Türkei, in Syrien und im Irak erleben, ist ein deutlicher Ausdruck dessen. Das jüngste Beispiel dafür ist die Genf-III-Konferenz, die zu einer Lösung des Krieges in Syrien führen soll. Offensichtlich muss alles mit der kurdischen Frage verknüpft werden; sie ist wie ein gordischer Knoten, der alle Probleme in sich versammelt. In diesem Sinne ist festzustellen, dass kein Problem langfristig und auf demokratischem Wege gelöst werden kann, bevor dieser gordische Knoten nicht durchschlagen ist.

Auch die jüngsten Geschehnisse in Syrien zeigen deutlich, dass kein Lösungsweg richtig und langfristig sein kann, der die demokratische Lösung der kurdischen Frage nicht mitdenkt. Es ist offensichtlich, dass das etatistische System nicht die Fähigkeit und Stärke besitzt, die selbst erzeugten Probleme zu lösen. Der nationalstaatliche Faschismus lässt dies nicht zu. Aus diesem Grund führt jedes Gefecht oder jeder Versuch einer Lösung innerhalb des herrschenden Systems, der die kurdische Frage nicht miteinbezieht, nur zu einer Vertiefung der Probleme und einem Festzurren des gordischen Knotens. Die ungelöste kurdische Frage bedeutet nicht nur gleichzeitig, dass die Probleme im Mittleren Osten nicht gelöst werden können, sondern verschließt auch weltweit die Möglichkeiten eines demokratischen Lösungsweges für die Menschheit.

Das globale kapitalistische System als hegemoniale Macht konnte das selbst erschaffene kurdische Problem nicht lösen und wird es wohl auch in naher Zukunft nicht können. Das hebt auch die Bedeutung einer demokratischen Lösung und die Rolle der globalen demokratischen Bewegung hervor. Es ist klar, dass die Probleme, die vom kapitalistischen System selbst geschaffen wurden und nicht gelöst werden können, nur mit globaler Demokratie gelöst werden können. So muss die globale Demokratiebewegung die kurdische Frage noch näher betrachten und eine Bewegung aufbauen, die sich an die Lösung der kurdischen Frage macht.

Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan bezeichnet diese Lösung als Lehre der Demokratischen Moderne, die durch Demokratische Autonomie und Demokratischen Konföderalismus charakterisiert ist. So muss die globale Demokratiebewegung gegen die kapitalistische Moderne, die auf maximalem Profit, Industrialismus und Nationalstaat beruht, ihre eigene Demokratische Moderne auf der Basis einer ökologischen, ökonomischen und demokratisch-konföderalen Gesellschaft schaffen, um erfolgreich zu sein.

In deren Mittelpunkt stehen wirtschaftliche Autonomie, gesellschaftliche Ökologie und die Befreiung der Frau. Eine solche Bewegung muss die Werte des Realsozialismus und der Anarchie, der ökologischen und feministischen Bewegungen miteinander vereinen und umsetzen. Mit der Vorreiterrolle der organisierten Frauen und der Jugend muss sie es schaffen, alle Arbeiter*innen zu mobilisieren. Auch alle ethnischen Bewegungen müssen in diesen demokratischen Wandel bringenden Kampf miteinbezogen werden.

Die heutige globale Demokratiebewegung ist ohne Orientierung und sehr zerstreut, obwohl sie großes Potenzial und die Fähigkeit zum Widerstand besitzt. Die Ausweglosigkeit des kapitalistischen etatistischen Systems heißt für sie, dass sie die einzige lösende Kraft ist. So muss sie sich reorganisieren und stärken, um die von ihr erwartete Rolle und Mission angemessen zu erfüllen. An genau diesem Punkt kann sie von der kurdischen Freiheitsbewegung sehr viel lernen. Um erfolgreich zu sein, muss auch diese Impulse geben und sich selbst mit der globalen Demokratiebewegung vervollständigen.

Als Orientierung soll das von Abdullah Öcalan entwickelte Modell der Demokratischen Moderne von allen Bewegungen diskutiert und bewertet werden. Natürlich sagen wir nicht, dass es einfach nur hingenommen werden soll, denn das wäre weder richtig noch notwendig. Unser Vorsitzender und Genosse Abdullah Öcalan stellt persönlich klar, dass er für jede konstruktive Kritik jederzeit offen ist. Die Lehre der Demokratischen Moderne kann zur globalen revolutionären Demokratiebewegung sehr viel beitragen.

Damit einhergehend kann der kurdische Freiheitskampf auch auf politischer und praktischer Ebene viel zur globalen Demokratiebewegung beisteuern. Die Solidarität im Kampf gegen den IS-Faschismus und die Aktivitäten am »Welt-Kobanê-Tag« am 1. November zeigen ihre Wirkung. Es hat sich gezeigt, dass eine globale demokratische Bewegung mit einem klaren Weg fähig ist, jede Art faschistischer Barbarei zu bekämpfen.

So ist es an der Zeit, dass gegen das etatistisch-kapitalistische System, das den nationalstaatlichen Faschismus nährt und die Ausweglosigkeit vertieft, eine globale Demokratiebewegung aufgebaut wird, die sich auf die Lösung der Demokratischen Moderne beruft und sie weiterentwickelt. Das ist der einzige Weg für die Rettung und Befreiung der Menschheit von den zerstörerischen Auswirkungen des dritten Weltkriegs und der Ausweglosigkeit der Menschen.