Russland, die KurdInnen und der Nahe und Mittlere Osten

Es wird keine neuen Selims, Mustafa Barzanîs oder Qazî Mihemeds geben ...

Selahattin Soro

Vor etwa 200 Jahren reichte das russische Einflussgebiet an die Grenzen des kurdischen Siedlungsgebiets heran. Seitdem forschen RussInnen über die kurdische Kultur und Geschichte. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass die ersten KurdologInnen aus Russland stammten. Zu den Bekanntesten zählen Java, Nikitin und Minorski.

Seit dem 30. September beteiligt sich Russland aktiv am Krieg in Syrien. Seine Luftwaffe fliegt seitdem nahezu täglich Angriffe auf Stellungen des Islamischen Staates (IS) und anderer islamistischer Gruppierungen. Die Beteiligung der russischen Armee hat einen wesentlichen Einfluss auf die KurdInnen Syriens und ihr autonom verwaltetes Gebiet von Rojava. Zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Geschehnisse ist eine kurze historische Betrachtung der kurdisch-russischen Beziehungen von Vorteil.

Mit seinen Zaren und Zarinnen, seiner revolutionären Führung, seinen Kriegen, LiteratInnen und SchriftstellerInnen, dem endlos weiten Land und dessen Reichtum war Russland, wie in seiner Vergangenheit, so auch in der Gegenwart, stets ein Hauptakteur der globalen Politik; stets hatte die russische Führung das Ziel vor Augen, die Route über das Schwarze Meer bis zu den warmen Gewässern, insbesondere zum Mittelmeer, zu kontrollieren.

Die Mittelmeerregion hat für Russland eine ähnlich wichtige Bedeutung wie die des Schwarzen Meers. Baltikum, Schwarzes Meer, Mittelmeer und Pazifik sind Russlands strategisch wichtigste Gebiete in seiner globalen Strategie. In diesem Sinne kommt dem Hafen Tartus an der syrischen Mittelmeerküste eine für Russland lebenswichtige Bedeutung zu.Russland trachtet nicht nur danach, am globalen  Machtspiel zu partizipieren, sondern vielmehr  die neue Weltordnung entscheidend zu  beeinflussen.

Der Westen, allen voran die USA, verfolgt gegen Russland eine Strategie der Eingrenzung. Das sehen wir heute in Osteuropa (Ukraine), im Mittleren Osten (Levante), in Kaukasien und im Fernen Osten. Die Route zum Mittelmeer verläuft vom Irak über Syrien bis zum Libanon, zum Schwarzen Meer über Abchasien, Daghestan und Georgien.

Es ist eigenartig, unsere AhnInnen pflegen es zu sagen, dass die Geschichte sich ständig wiederholt. Wenn wir nun die Geschichte und die aktuellen Geschehnisse im Mittel- und im Schwarzen Meer vergleichen, könnten wir fast behaupten, dass es sich um eine Wiederholung des historischen Spiels in der Region in seiner Version des 21. Jahrhunderts handelt. Während die USA mittlerweile die ehemalige Rolle der BritInnen übernommen haben, hat Russland seine Funktion behalten. Interessant an dieser Partie ist die Rolle der Türkei. Nachdem der listige Westen in der Phase des Ersten Weltkriegs nahezu die gesamte Welt in Brand gesetzt hatte, teilten Großbritannien und Frankreich den Nahen und Mittleren Osten untereinander auf.

Angesichts der derzeitigen Geschehnisse erkennen wir, dass die führenden globalen Akteure in dieser Region erneut um ihre Macht ringen. Die USA und die anderen Mächte bewegen sich in Richtung eines neuen Sykes-Picot-Abkommens, ohne es konspirativ halten zu wollen. Ähnlich wie während des Ersten Weltkriegs, als sich die wesentlichsten Widersprüche und Kriege auf der Schwarzmeer-Krim- und der Mittelmeer-Levante-Linie abzeichneten, lässt sich die derzeitige Krise ebenfalls in dieser Region verorten. Dabei setzt die Türkei auf ihren traditionellen Neoosmanismus.

Dabei ist sie bemüht, ihre regional-hegemoniale Expansion in der Mittelmeerregion über Syrien durchzuführen. Sie hatte ein Neokalifat zum Ziel, doch machte ihr IS-Führer al-Baghdadi mit der Proklamation seines Kalifats einen Strich durch die Rechnung.

Nach dem Zerfall der UdSSR ist Russland bestrebt, seine ehemalige Stärke im Weltsystem wiederzuerlangen. Vor allem seine Beziehungen zu einigen Staaten des Ostens fallen besonders auf. Am 21. Mai 2014 kam es zu einem Erdgas-Abkommen zwischen Russland und China. Dem auf dreißig Jahre projektierten Abkommen mit einem Handelsvolumen von mehr als 400 Milliarden US-Dollar gemäß wird Russland China jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas liefern.

Am 24. November unterzeichnete Russland mit dem von Georgien abgespaltenen Abchasien ein Bündnisabkommen über strategische Kooperation. Diese enthält die Zusammenarbeit in den Bereichen Sozial-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Am 26. November kam Putin mit dem syrischen Außenminister Walid al-Muallim in Sotschi zusammen. Hauptthemen ihres Gesprächs waren die Lösung der Syrienkrise und die Entwicklung strategischer Beziehungen. In der Folge kam es zu einem Besuch Putins in Ankara, bei dem der russische Staatspräsident von zehn weiteren MinisterInnen begleitet wurde. Zu erwähnen gilt es an dieser Stelle auch ein Abkommen mit Indien, das wirtschaftlichen und forschungstechnischen Austausch in den Bereichen Energie, Weltraumforschung, Chemie, Eisenbahntechnik und Finanzen und Weiteres umfasst. Dabei handelt es sich um ein langfristiges und strategisches Abkommen, das von den USA und dem Westen mit Sorge betrachtet wird. Diese außenpolitischen Interaktionen haben mit der aktiven Intervention im Syrienkrieg am 30. September 2015 einen neuen Höhenpunkt erreicht.

Russland trachtet nicht nur danach, am globalen Machtspiel zu partizipieren, sondern vielmehr die neue Weltordnung entscheidend zu beeinflussen.

Die strategische Intention Russlands lässt sich am Beispiel Abchasiens ablesen. Das Konzept: Sollte Georgien sich gegen Russland an anderer Front positionieren, würde Russland an sich gebundene Puffergebiete konstituieren. Bei Abchasien handelt es sich eben um eines dieser Gebiete. Ähnliche Pufferzonen wurden mit dem Donbass in der Ukraine, Transnistrien in Moldawien, Inguschetien, Daghestan und Abchasien in Kaukasien gebildet.

Dementsprechend will Russland auch in Syrien eine effektivere und dominantere Mission übernehmen. Dabei gilt es anzumerken, dass Syrien für die Russlandpolitik, vor allem im Hinblick auf den Irak und den Iran, eine wesentliche Rolle spielt.

Russland verfügt über sehr große Erdöl- und Erdgasvorkommen. Dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) zufolge handelt es sich bei der russischen um die neuntgrößte Wirtschaft weltweit, entsprechend ihrer Kaufkraftparität sogar um die sechstgrößte.
Die hohe Produktionsrate im Inland und die politische Stabilität der letzten zwanzig Jahre hat zum Wachstum der russischen Wirtschaft beigetragen. Das BIP betrug 2010 19 840 US-Dollar pro Person. Das Wirtschaftswachstum ist vor allem dem Export von Inlandsprodukten geschuldet und weniger den Erdölverkäufen.
Erdöl, Erdgas, Holz und Metalle machen mehr als achtzig Prozent der russischen Exportgüter aus. Durch den binnenwirtschaftlichen Aufschwung seit 2003 hat der Export von Rohstoffen deutlich an Bedeutung verloren.

Der russische Staatspräsident Wladimir Putin veranstaltete am 18. Dezember 2014 eine Sonderkonferenz im Kreml, um in dieser Situation Klarheit zu schaffen.

Die Weltöffentlichkeit hörte voller Spannung auf die Rede Putins. Spekulationen über mögliche Äußerungen, die eine neue Weltwirtschaftskrise zur Folge haben könnten, hatten bereits vor der Konferenz die Runde gemacht. Putin sagte: »Der derzeitigen russischen Wirtschaftlage liegen äußere Faktoren zugrunde. Um die Wirtschaft zu regulieren, haben die Zentralbank und die russische Regierung die notwendigen Maßnahmen getroffen. Zweifellos wird Russland die derzeitige Wirtschaftskrise überwinden, das wird höchstens zwei Jahre dauern. Für einen stabilen Rubel bedarf es der Liquidität. Dafür werden die Reserven der Zentralbank benötigt.«

Weiter betonte Putin, dass die Wirtschaftskrise in seinem Land nicht den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der russischen Regierung, sondern der Politik des Westens, die er als Nachfolge der Politik des Kalten Krieges interpretierte, geschuldet sei. Weiter kritisierte er scharf das Voranschreiten der NATO gen Osten:

»Es wurde oft von der Berliner Mauer gesprochen. Heutzutage sind es unsichtbare Mauern, von denen gesprochen werden muss. Der Bau dieser Mauern hatte schon lange vor dem Fall der Berliner Mauer begonnen. Die Ausweitung der NATO nach Osten ist nie eingestellt worden. Die Aktivitäten der NATO und die Stationierung von Raketenabwehrsystemen haben folgende Bedeutung: Unserer Partner müssen verstehen, dass die USA sich weiter als siegreicher Imperator betrachten, und dahingehend unserer Forderung nach einer gemeinsamen Schutzzone Bedeutung beimessen.« Aus diesen Worten lässt sich entnehmen, dass ein ausgedehnter Wirtschaftsangriff auf Russland, mit den USA und der EU im Zentrum, geführt wird. Bei diesem Angriff sieht sich Putin als größter Widersacher. Während der Sitzung signalisierte er, dass Russland für die anstehende Krise gewappnet sei.

An dieser Stelle gilt es, die Frage aufzuwerfen, inwiefern die russische Gesellschaft und Öffentlichkeit in diesem Kampf involviert sind. Westlichen ExpertInnenkreisen zufolge wird eine innerrussische Rebellion gegen die herrschenden Autoritäten vermutet.

Bei der Kiew-Krise handelt es sich um eine neue Kampfkonstellation gegen Russland in der Schwarzmeerregion, beim Syrienkonflikt dagegen um eine Projektionsebene. Kiew repräsentiert die [historisch] politische und kulturelle russisch-ukrainische Hauptstadt. Die westliche Betrachtungsweise, wonach Kiew die Hauptstadt eines anderen Landes sei, wird von der russischen Gesellschaft nicht geteilt. Die Annäherung Kiews an den Westen wird auf russischer Seite als Teilung und Trennung von der gesellschaftlichen und politischen Geschichte betrachtet. Entsprechend scharf sind die Reaktionen des Staates, der Politik und der Gesellschaft. Die Geschichte von RussInnen und SlawInnen des 14. und 15. Jahrhunderts ist auch als die des Großreichs »Kiewer Rus« bekannt. Nachdem die RussInnen MongolInnen und TatarInnen besiegt hatten, etablierten sie sich in Moskau. Heute sind die ukrainisch-russischen Beziehungen, früher eine Gesellschaft, in zwei Staaten gemündet. Entsprechend dieser historischen Mentalität empfinden die RussInnen den Konflikt, als versuche der Westen erneut einen Teil ihres Landes und ihrer Geschichte zu entreißen.

Dies ist vor allem auf die Politik des Westens zurückzuführen, vor allem Deutschlands, der in der Geschichte permanent bestrebt war, slawischen Boden einzunehmen. Im Europa des 19. Jahrhunderts beispielsweise hatte Frankreich unter der Führung Napoleons dem russischen Zaren am 22. Juni 1812 den Krieg erklärt und war bis Moskau vorgerückt. 129 Jahre später, wieder am 22. Juni, dieses Mal des Jahres 1941, griffen die deutschen Truppen unter dem Befehl Hitlers die Sowjetunion an. Es ist bekannt, dass England als unumstrittene Seemacht Europas andere Kontinentalmächte zu ähnlichen hegemonialen Bestrebungen auf dem Land verleitete.

Die Strategie Russlands, bis zu den warmen Meeren zu expandieren, blickt auf eine 200-jährige Tradition zurück. Für dieses Ziel wurden sowohl im Zarenreich als auch in der Sowjetunion und im heutigen Russland sämtliche Mittel in Erwägung gezogen. Damit Russland als globaler Akteur auftreten konnte, bedurfte es dieser Expansion bis ans Mittelmeer. Weiter bedurfte es der Kontrolle, bzw. der Vorherrschaft, im Schwarzen Meer. Die russisch-osmanischen Kriege sind allgemein bekannt. Angesichts dieser historischen Tradition lässt sich die geopolitische Bedeutung der Route Ukraine-Krim-Schwarzmeer für Russland besser verstehen. Im globalen Machtkampf sind die USA und die EU (vor allem Deutschland) bestrebt, den russischen Einfluss auf die Mittelmeerregion und den Nahen Osten zu begrenzen, bzw. Russland ganz aus der Region zu vertreiben, um dessen hegemoniale Absichten einzudämmen. Die im Oktober 2013 auf dem Kiewer Maidan begonnenen Proteste wurden von Deutschland und den USA regelrecht angefacht. Ein Russland ohne wesentlichen Einfluss auf die Ukraine könnte seine Ambitionen als globale Hegemonialmacht begraben. Der russische Marinestützpunkt auf der Krim würde fallen, Russland in der Folge seinen Anschluss an das Mittel- als auch an das Rote Meer verlieren.
Eine ähnliche Parallele ist hinsichtlich Syriens zu ziehen. Falls das Assad-Regime fallen sollte, wäre der einzige russische Militärstützpunkt im Mittelmeer im syrischen Tartus verloren.

Bei einer oberflächlichen Betrachtung des Syrien- und des Ukraine-Konflikts scheint es sich um einen Kampf zwischen Regierung und Opposition zu handeln. Doch bei näherer Analyse treten andere Akteure des globalen Machtkampfs in den Vordergrund. Dabei handelt es sich neben der EU und Russland auch um die USA und die UN. Der gewählte ukrainische Staatspräsident wurde zur Flucht aus dem eigenen Land getrieben. Dazu schwiegen die EU und der Westen. Während Russland daraufhin die Krim annektierte. In Donezk und Luhansk wurden autonome Republiken ausgerufen.

Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1990 ging das Weltsystem in eine unipolare Ordnung, unter Führung der USA/EU über. In der Zeit zwischen 1950 und 1990 hatte die Welt eine Phase des Kalten Kriegs erlebt, der in einen Atomkrieg hätte münden können. Die Welt war in Ost und West aufgeteilt gewesen, sowohl in militärischer, politischer als auch in sozialer, kultureller, ökonomischer, sportlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Hatte der Westen seine Struktur in Organisierungsformen wie NATO, UN, IWF etc. institutionalisiert, so der Osten sein System vor allem im Rahmen des Warschauer Paktes. Während das liberale System des Westens sich auf die kapitalistische Moderne gestützt hatte, war der Osten bestrebt gewesen, eine scheinbar grenzenlose und klassenlose Welt nach sozialistischem Vorbild aufzubauen. Zwischen den Blöcken hatte Kompromisslosigkeit geherrscht, die zu großen Diskrepanzen untereinander führte mit der Folge einer fünfzigjährigen Unterjochung der Menschheit.

Die Etablierung der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Süd-Afrika) seit 2009 lässt vermuten, dass sich eine neue Polarisierung zwischen den ehemaligen Ost- und Westblöcken zu formieren scheint.

Zweifellos handelt es sich bei der Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr um dieselbe wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Es stehen keine Blöcke einander kompromisslos und abstoßend gegenüber. Nach der Auflösung der Sowjetunion besetzten die USA etwa zwanzig Jahre lang die alleinige Führungsrolle im Weltsystem. Entgegen dieser Unipolarität begründete zunächst Putins Russland sein eigenes Modell, was sich in BRICS konkretisiert hat. Die heutige Welt tendiert nun vielmehr zu einem multipolaren System, wodurch das 21. Jahrhundert im Gegensatz zum 20. charakterisiert wird.

Das offensichtlichste Beispiel aus wirtschaftspolitischer Sicht stellen die BRICS-Staaten dar. Dieses Modell differenziert sich in ideologischer Hinsicht nicht zu den europäischen und amerikanischen Zusammenschlüssen aus. Daher wäre die Schlussfolgerung, es handelte sich um die Suche nach einer Alternative zum kapitalistisch-liberalen System, irreführend. Vielmehr geht es darum, entgegen der US-/EU-Vorherrschaft eine eigene Hegemonie zu begründen.

Die USA waren in den Vertrag von Lausanne im Jahre 1923 nicht involviert gewesen. Zu seinem 100. Jahrestag verfällt das Abkommen. In diesem Sinne ist Russland bestrebt, bei der Neustrukturierung des Nahen und Mittleren Ostens eine aktive Rolle zu spielen. Wie auch die Strukturierung des Nahen und Mittleren Ostens um Syrien, sprich in Kurdistan, wird auch die Neu-Strukturierung in derselben Region bestimmt werden. Folglich wird die aus der Syrienkrise hervorgehende Lösung die gesamte Region entscheidend beeinflussen.

Seinen imperialen und globalen Ambitionen geschuldet interagiert Russland auf diesem Feld proaktiv. Statt auf einen Stellvertreterkrieg bereitet sich Russland auf einen Führungskrieg vor. Auf dieselbe Art und Weise sind die USA bemüht, als lonesome cowboy die Alleinherrschaft zu forcieren. In welcher Weise das aktive Einschreiten Russlands in Syrien die Errungenschaften von Rojava und der kurdischen Freiheitsbewegung beeinflussen wird, muss der Kampf der KurdInnen zeigen. Putin äußerte vor Kurzem, dass es sich bei ihnen um einen wesentlichen Akteur im Kampf gegen den IS handele. Genauso werden die KurdInnen von den USA als ebensolcher Partner betrachtet.

Nach dem 1979 begonnenen achtjährigen Afghanistankrieg engagiert sich Russland zum ersten Mal wieder in einem Militäreinsatz außerhalb des ehemaligen Sowjet-Territoriums. Das verleiht seinem neuen Führungsstreben neuen Ausdruck. Die Ansichten, wonach der Nahe und Mittlere Osten nicht mehr dem früheren gleichen und auch der Syrienkrieg neue Dimensionen annehmen werde, überschneiden sich.

Bekanntlich hat es mehrere historische russisch-kurdische Zusammentreffen gegeben. Vom Bidlîs-(Bitlis-)Aufstand 1914 über die Gründung der kurdischen Republik von Mahabad 1946, den Exilaufenthalt Mustafa Barzanîs bis zuletzt zur Ausweisung Abdullah Öcalans aus Russland, wo er nach dem Verlassen Syriens auf seiner Odyssee Zuflucht gesucht hatte. Der Grund für die Intervention Russlands in den Syrienkonflikt wurde in diesem Text anhand der ökonomischen, politischen, militärischen und geostrategischen Interessen detailliert beschrieben. Vor allem die enge Beziehung zur Partei der Demokratischen Einheit PYD, als einer wesentlichen Vertreterin des Widerstands von Rojava, verdeutlicht dies. Mehrere hochrangige RepräsentantInnen der russischen Regierung trafen sich mehrmals mit VertreterInnen der PYD. Russland will seine Interessen in Syrien und in der Mittelmeerregion schützen. Daher sieht es sich gezwungen, eine strategische Beziehung zu den KurdInnen in Syrien und der Region zu knüpfen. Die Annäherung Russlands wird entscheidend von der kurdischen Politik, den vier Teilen Kurdistans und auf internationaler Ebene bestimmt werden. Falls die KurdInnen eine eklektische und unorganisierte Annäherungsweise zeigen sollten, könnten sie mit neuen internationalen Komplotten konfrontiert werden. Falls sie jedoch aus der Geschichte und den aktuellen Weltgeschehnissen Lehren ziehen sollten und die notwendige Politik der Einheit forcieren, werden sie zum Stern des Jahrhunderts avancieren können.

Entsprechend dieser politischen Konjunktur wird Russland seine Beziehung zu den KurdInnen in der Region, vor allem aber zu den Rojava-KurdInnen, zu intensivieren versuchen. Dabei gilt es zu betonen, dass sie aus der Vergangenheit gelernt haben und keine KriegerInnen irgendeiner Macht mehr darstellen werden. Es wird keine neuen Selims, Mustafa Barzanîs oder Qazî Mihemeds mehr geben. Mit der Rojava-Politik Russlands wird seine Annäherung an die KurdInnen und seine angestrebte Rolle im globalen Weltsystem konkreter hervortreten.