Schwierigkeiten im Umgang mit der »neuen Dynamik« im Mittleren Osten

Wird das Atomabkommen das Kriegsbeil zwischen Teheran und Washington endgültig begraben?

Ismet Kem

Zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland (5+1-Gruppe) wurde am 14. Juli ein Abkommen unterzeichnet, das eine Lockerung der Sanktionen im Gegenzug zu einer Begrenzung seines Nuklearprogramms vorsieht.

Die Parteien haben bis zur Unterzeichnung des Abkommens zäh verhandelt, und dessen Ergebnisse werden sicherlich kurz-, mittel- und langfristige Konsequenzen für das regionale und internationale Mächtegleichgewicht mit sich bringen.

Bemerkenswert ist, dass der Stellvertreterkrieg in Syrien, der vom Westen als störend wahrgenommene Einfluss des Iran auf die irakische Regierung, die Operationen Saudi-Arabiens im Jemen, die Kritik Israels an den Verhandlungen und vielerlei ähnliche hinderliche Faktoren nicht zu einem Abbruch der Verhandlungen geführt hatten. Wie lässt sich diese Standhaftigkeit der VerhandlungspartnerInnen erklären?

Zunächst einmal ist klar, dass internationale Diplomatie einem Schachspiel gleicht. Das gilt umso mehr, wenn eine der Spielparteien der Iran ist. Und natürlich kann ein spontaner Zug in einem solchen Spiel die gesamte Ausrichtung der SpielerInnen verändern. Tatsache ist, dass es in der Realpolitik der internationalen Diplomatie um staatliche Interessen geht. Und im Rahmen dieses Spiels haben sich die Interessen der 5+1-Verhandlungsgruppe und das Interesse des Iran wohl gekreuzt, weshalb beide Parteien gewisse Spielfiguren geopfert haben, um anderen den Weg zu öffnen.

So heißt es beispielsweise von mancher Seite, dass die USA große Schwierigkeiten im Umgang mit der »neuen Dynamik« im Mittleren Osten hätten und deswegen eine Zusammenarbeit mit dem Iran für sie unausweichlich geworden sei. Das treffe beispielsweise für den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu. Andere Kreise begründen die Entwicklungen damit, dass die USA nicht mehr in demselben Maße wie früher vom Öl der Golfstaaten abhängig seien, somit Obama sich so langsam von seinen arabischen Bündnispartnern distanziere und die Annäherung an den Iran suche.

Gleichzeitig wird das Abkommen von etlichen Kreisen als einmalige Chance für den Iran zum Aufbrechen der internationalen Isolation gewertet. Sein ideologischer, politischer, militärischer und ökonomischer Einfluss in der Region werde im Zuge dieses Abkommens deutlich wachsen.

Ich denke, dass dieses Abkommen kurzfristig zu einem Abbau der Spannungen im Mittleren Osten führen kann. Doch mittel- und langfristig darüber hinausgehende Erwartungen daran zu knüpfen erscheint mir unrealistisch. Denn die Übereinkunft wird sicherlich nicht dazu führen, dass der Iran von seiner konfrontativen Politik im Mittleren Osten gegenüber Israel, den USA und Saudi-Arabien ablässt, noch wird das seit 36 Jahren zwischen Washington und Teheran geschwungene Kriegsbeil dadurch endgültig begraben werden. Außerdem werden weder die USA aufhören, der Politik Israels in der Region den Rücken zu stärken, noch wird der Iran aufhören, palästinensische Organisationen und die libanesische Hisbollah weiterhin zu unterstützen. Beide Seiten werden also nicht von ihren politischen Grundlinien in der Region abweichen, sie werden lediglich versuchen, den Raum für Konfrontation ein wenig einzuengen, um den Spielraum für Kooperation ein wenig zu vergrößern. Auch dafür steht das Nuklearabkommen.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein solches Abkommen, bei dem jede Seite nur ihr eigenes Interesse vor Augen hat, zu irgendwelchen Ergebnissen führen kann?

Zunächst einmal misstrauen sich beide Parteien. Sie bezweifeln, dass die Gegenseite Wort halten wird. Und auf beiden Seiten gibt es breiten Widerstand gegen eine mögliche Beilegung der gegenseitigen »Feindschaft«. Diese Feindschaft ist zu einem Grundpfeiler der Außenpolitik beider Staaten geworden, die auch jeweilige Regierungswechsel überlebt.

So verwundert es auch nicht weiter, dass in der iranischen Bevölkerung sowohl Zuversicht als auch Unverständnis gegenüber dem Atomabkommen herrschte. Diejenigen, die das Demokratiedefizit und die wirtschaftlichen Probleme im Land auf die internationalen Sanktionen zurückführen, begrüßen es. Aber auch nicht wenige werten es als Debakel für den Iran. Einer der schärfsten KritikerInnen des Abkommens im Iran ist Hossein Shariatmadari, der Herausgeber der konservativen iranischen Tageszeitung Keyhan. Da er gleichzeitig auch Berater des obersten religiösen Führers Ali Chamene’i ist, wirft das die Frage auf, ob der iranische Präsident Hassan Rohani durch die Übereinkunft mit der 5+1-Gruppe den Bruch mit Chamene’i riskiert hat. Rohani, der als sogenannter Gemäßigter keinen leichten Stand in der iranischen Staatspolitik hat, muss bei jedem seiner Schritte unbedingt die religiöse Führung überzeugen. Insbesondere in der Amtszeit Ahmadinedschads, seines Vorgängers, ist der Einfluss der iranischen Revolutionsgarden und der religiösen Stiftungen (Bunyad), die mehr als die Hälfte der Wirtschaft des Landes kontrollieren, deutlich gestärkt worden. Beide Institutionen unterstehen nicht Rohani, sondern dem religiösen Oberhaupt Chamene’i. Aus diesem Grund kann sich der Staatspräsident eigentlich keinen Bruch mit Chamene’i leisten.

Die gegenseitige Annäherung der beiden Konfliktparteien hat sicherlich Hoffnungen auf ein Ende der Konfrontation gestärkt. Doch angesichts der zugrundeliegenden Realität muss diese Hoffnung relativiert werden.

Die MachthaberInnen im Westen haben erkannt, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden wäre, den Iran durch eine militärische Intervention »auf Linie« zu bringen und in das internationale System einzubinden. Nun soll er stattdessen entweder mittel- und langfristig mit schrittweisen Zugeständnissen vom Westen abhängig gemacht werden, oder im Land sollen durch Provokationen unter Federführung Israels und Saudi-Arabiens die Widersprüche zwischen den Herrschenden und der Opposition in der Bevölkerung vertieft und der Iran so durch interne Auseinandersetzungen und Chaos geschwächt werden.op

Neben dieser Alternative, die ihm wohl wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera erscheinen muss, gibt es aber auch einen dritten Weg, der auf der historischen und gesellschaftlichen Realität des Landes basiert. Dieser Weg führt über die demokratische, freiheitliche und gleichberechtigte Anerkennung der ethnischen, religiösen, klassenbezogenen und kulturellen Vielfalt des Landes im Rahmen einer föderalen oder konföderalen Gesellschaftsordnung. Die iranische Gesellschaft ist in ihrer religiösen wie auch ethnischen Zusammensetzung pluralistisch. Diese pluralistische Gesellschaft mit der Hegemonie einer nationalistischen oder religiösen Ideologie zusammenzuhalten, wird vor dem Hintergrund der anstehenden Herausforderungen immer schwerer fallen. Doch der Iran setzt gegen die kapitalistische Moderne auf antimodernistische Propaganda und versucht mögliche revolutionäre und demokratische Entwicklungen im Land durch eine traditionalistische Zivilisationskultur zu ersticken. Dadurch wird ein despotisches Regime auf raffinierte Weise am Leben erhalten. Das führt aber nicht daran vorbei, dass der Iran zu den Ländern der Region mit den stärksten gesellschaftlichen Spannungen gehört. Auch wenn die Erdölgewinne diese Spannungen ein wenig zu lindern vermögen, ist die Gefahr einer Spaltung des iranischen Nationalstaates nicht zu leugnen.

In seiner Verteidigungseingabe am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschreibt der inhaftierte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan das gesellschaftliche Leben im Iran so: »Wenn der Iran sich am Konzept der demokratischen Moderne orientiert, kann das einen bedeutenden Beitrag zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme im Land leisten. Trotz aller zentralistischen Bestrebungen seiner Machthaber wird an der Basis doch auch ein föderaler Iran gelebt. Wenn nun die demokratische Zivilisation auf die föderalistischen Subjekte, also auf die KurdInnen, AraberInnen, AserbaidschanerInnen, BelutschInnen und TurkmenInnen trifft, dann kann die Vorstellung der Iranischen Demokratischen Konföderation an Leben gewinnen und sie zu einem Anziehungspunkt werden. Auch die Frauenfreiheitsbewegung und die kommunalen Lebensformen werden bei der Umsetzung dieses Projekts eine wichtige Rolle spielen. Der Iran kann seine historische Vorreiterrolle im Mittleren Osten nur wiedererlangen, wenn er sich mit den Grundpfeilern der demokratischen Moderne (der demokratischen, ökonomischen und ökologischen Gesellschaft) vereint.« (Abdullah Öcalan, Manifest für eine Demokratische Zivilisation, Zivilisationskrise im Mittleren Osten und die Lösung der Demokratischen Zivilisation, Band 4, Kapitel 6 D 1d)

Die Kurdinnen und Kurden im Iran bilden die dynamische Kraft für den Aufbau des Konzepts der Demokratischen Nation. Sie stellen nicht nur in sich eine sprachliche und religiöse Vielfalt dar, sie verfügen auch wie in Nordkurdistan/Türkei und Rojava/Syrien über eine organisierte politische Kraft, die sich zum Ziel gesetzt hat, dieses Konzept ins Leben zu rufen. Der Iran hingegen betreibt ähnlich wie sein Nachbarstaat Türkei eine äußerst repressive Politik gegenüber den KurdInnen. Die staatliche Elite in Teheran verleugnet allein die Existenz einer »kurdischen Frage im Iran«. Stattdessen verlautbart sie, keine Probleme mit den Kurdinnen und Kurden zu haben, sondern lediglich mit den kurdischen Organisationen. Gleichzeitig scheute das Regime auch nicht davor zurück, gegen Errungenschaften der KurdInnen in Rojhilat (Ostkurdistan)/Iran, aber auch in den anderen Teilen Kurdistans, punktuell antikurdische Bündnisse mit der Türkei, dem Irak und/oder Syrien einzugehen. Aus diesem Grund hat der Iran alles dafür getan, um dem Lösungsprozess in der Türkei ein Ende zu setzen, ist gemeinsam mit dem Assad-Regime gegen die KurdInnen in Rojava vorgegangen und hat seinen Einfluss auf die irakische Regierung gegen den Status der KurdInnen in Südkurdistan genutzt.

In Rojhilat ist die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK) derzeit die effektivste und von der Bevölkerung am stärksten unterstützte politische Kraft der KurdInnen. Sie plädiert für eine politische Lösung der kurdischen Frage mittels Dialog und für die Anerkennung der KurdInnen. Die Kurzfassung ihrer Zielsetzung lautet »freies Kurdistan – demokratischer Iran«. Die Antwort des iranischen Regimes darauf ist allerdings eine allgegenwärtige Unterdrückungspolitik und die Hinrichtung kurdischer politischer AktivistInnen. Doch die kurdische Bevölkerung bleibt gegenüber der iranischen Repression nicht regungslos. Zuletzt im Mai dieses Jahres kam es in der Stadt Mahabad zu tagelangen Protesten und gesellschaftlichem Aufruhr, nachdem die junge Frau Ferînaz Xosrowanî einer Vergewaltigung durch einen iranischen Geheimdienstagenten durch Suizid entflohen war. Dieser Aufruhr war als eine deutliche Warnung der kurdischen Bevölkerung an das iranische Regime zu werten.

Sollten die Herrschaften in Teheran weiterhin den von den KurdInnen geforderten Weg einer politisch-friedlichen Lösung ausschlagen und auf ihrer Unterdrückungspolitik beharren, dann erwarten den Iran bewegte Zeiten und politische Beben, die sowohl von Rojhilat als auch von der internationalen politischen Arena ausgehen werden.