Versuch über den Iran

Mullah-Regime vs. Selbstbestimmung

Fuat Bêrîtan

Die Islamische Republik Iran ist der einzige Staat auf der Erde, in dem sowohl die Gesetze der Scharia als auch die religiösen Führer das Land leiten. Auch wenn in vielen anderen muslimischen Staaten ebenfalls manche Scharia-Gesetze gelten, so werden diese Länder jedoch monarchisch, autokratisch oder mehr oder weniger als Republik geführt. Im Iran aber haben die Mullahs sowohl die Herrschaft über den Scharia-Staat als auch seine Realisierung übernommen. Ursache dafür ist die selbst auferlegte Mission der schiitischen Geistlichen, aus deren Quelle sie schöpfen. Im sunnitischen Glauben haben Geistliche eher die Aufgabe, ihrer Gemeinde Pfade zum richtigen Weg vorzuschlagen. Das Individuum ist dabei frei auf dem Weg zu Glauben/Gebet/Gott. Kein Amt oder keine Person kann über das Heil eines Individuums entscheiden. Es darf dabei in einigen für Interpretationen offenen Situationen nach eigener Wahl entscheiden. Das iranische Regime aber spricht den schiitischen Muslimen die Entscheidungsfreiheit in diesen Situationen ab. Stattdessen tritt das »Welāyat-e Faghīh«-Konzept (»Herrschaft des Rechtsgelehrten«) [1971 erschienenes Buch nach einer Vortragsreihe Chomeinis, auf der die iranische Verfassung von 1979 basiert; d. Übers.] auf den Plan. Und in der Folge interpretieren die Mullahs religiöse Fragen gerade so, wie es nötig ist, um ihr eigenes Regime zu stärken. Dadurch degeneriert der islamische Glaube und wird Mittel zum Zweck für Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Fanatismus, was wiederum die Mullahs zur Erhaltung ihrer Macht einsetzen.

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Das Recht des Einzelnen auf Mündigkeit und Entscheidungsfreiheit in der Ausübung seiner Religion im Islam wird somit von der Politik instrumentalisiert. Da es heutzutage für Religionen und Glaubensgemeinschaften keine weiteren gesellschaftlichen Ausbreitungsmöglichkeiten mehr gibt und Staat und Administration so weitgefächert sind, gibt es nicht einen einzigen Grund, eine Armee durch ein Religionsoberhaupt in den Dschihad zu führen. Es ist unmöglich, dass Menschen, die große politische Organisationen wie z. B. Staatsmechanismen anführen, in der heutigen Zeit neue religiöse Interpretationen entwickeln und dabei in ihren Entscheidungen objektiv bleiben. Und in einem Staat wie dem Iran, der sich mit seiner Politik zahlreiche ausländische Feinde geschaffen hat, eine breite Front Oppositioneller hat und in dem die führenden Mullahs auf Grund ihres religiösen Status über eine sehr starke politische Position verfügen und ökonomische Vorteile genießen, ist dies auf keinen Fall möglich.

Die Islamische Republik Iran ist ein Staat, in dem mehrheitlich schiitische Muslime leben und diese Konfession auch von anderen Ethnien angenommen worden ist. Im Land sind nahezu alle Perser, Aserbaidschaner und Araber, ein Teil des kurdischen Volkes und ein geringer Teil anderer Ethnien Schiiten. Nachdem die Mullahs sich zwischen Heiligkeit und Gesellschaft gedrängt hatten, wandte sich das Regime der Ausbreitung ihrer Ideologie zu. Zunächst wurde ihre Ideologie auf Staaten mit hohem schiitischem Bevölkerungsanteil wie den Libanon, Pakistan, Irak, außerdem einige arabische Emirate und andere muslimische Länder ausgeweitet, um ihr Regime abzusichern. Diese Attacken des iranischen Regimes sorgten oftmals für Chaos und führten an manchen Orten zu Krieg. In einigen Gegenden ließ das Regime mit Hilfe von Tarnorganisationen politisch motivierte Aktivitäten durchführen. Dieser Versuch der Aus- und Verbreitung seiner Ideologie hat jedoch nicht funktioniert und ganz im Gegenteil zu Reaktionen geführt, wodurch es ideologisch stärker als zuvor eingeengt worden ist und seinen Anspruch auf Verkörperung eines neuen Gesellschaftsmodells verwirkt hat.

Ebenso wie seine ideologischen Äußerungen zeigten auch die ökonomischen und sozialen Programme des Regimes keine Wirkung. Mit der Parole »Helfer in der Not« für Slumbewohner und enteignete Dorfbewohner waren die Mullahs an die Macht gekommen, aber die vierzig Milliarden Dollar (2005) Öleinnahmen flossen den Handlangern zu, ohne irgendeine Investition für die verarmte Bevölkerung. Die Armen blieben arm und der Reichtum des Landes, zuvor in den Händen des Schahs und einer Handvoll Kapitalisten, liegt nun in denen der Mullahs und ihrer Helfershelfer. Die Verarmten erhalten nur Proviantgutscheine. Trotz der hohen Öleinnahmen gibt es, wie zu Zeiten des Schahs, keine Entwicklung von Produktionsstätten und die Gesellschaft hat keine Möglichkeiten, sozial und wirtschaftlich gestärkt ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Die Institutionalisierung der Macht des iranischen Regimes in Kurdistan

Um die Hauptinstitutionen der Politik des iranischen Regimes in Kurdistan und im Hinblick auf das kurdische Volk zu erkennen, reicht es, einmal durch Kurdistan zu gehen. Ihr könnt sie überall an dominanten Positionen erbaut, weiß gestrichen und von Weitem erkennen. Es sind an Unterdrückung erinnernde Bauten, für »Sicherheitskräfte« des Regimes, die für die kurdische Bevölkerung jedoch die größte Unsicherheit bieten, in denen jährlich Hunderte von Kurden und Kurdinnen hingerichtet werden und die bewaffneten Kräfte wie ein Gott von oben auf unser Volk herabschauen. So etwas findet sich an keinem anderen Ort wieder, in denen es ordentliche Verwaltungen gibt. Es ist sofort zu erkennen, dass diese Festungen nicht für das Volk gedacht sind, da sie sehr viel größer und feudaler sind und da die in ihnen Lebenden das Volk wie Feinde betrachten. Diese Bauten sehen völlig aus wie Besatzergarnisonen, die den Menschen in ihrer Umgebung kein freies Leben erlauben. Jeder Bewohner und jede Bewohnerin Kurdistans spürt täglich mehr oder weniger die Auswirkungen dieser Festungen auf sich und das eigene Leben. Dieses System wirkt sich oft physisch und ständig psychisch auf die Bevölkerung Kurdistans aus. Es sind die Schwerter der Unterdrückung, die nach jedem Regimewechsel Kurdistan aufs Neue besetzen und unser Volk ausbluten lassen. Zu einer gewissen Zeit gab es auf den höchsten Bergspitzen Südkurdistans ähnliche Paläste und Militärgarnisonen des Saddam-Regimes, die an den Turm von Babel erinnerten. An sich sind in jedem Teil Kurdistans ähnliche Bilder zu entdecken. Das iranische Regime kann deshalb auch nicht behaupten, dass es anders und gerechter als Saddams ist. Denn diese Festungen der Unterdrückung, der Folter und der Hinrichtungen sind so groß und klar zu sehen bzw. arbeiten ganz offen. Diese kurze Ausführung illustriert den Kern der vom Regime im Hinblick auf Kurdistan und das kurdische Volk verfolgten Politik.

Da dieses System das Recht für die Stärkeren geschaffen hat, haben sie sowohl im gesellschaftlichen Leben als auch vor Gericht immer Recht. Nach dem Motto »Wer zahlt, bestimmt die Musik« füllen die Schuldigen die Taschen der Richter und kommen alsbald als Unschuldige heraus. Wie das Regime, das zum Verbergen seines Unrechts das Rechtssystem aushöhlt und ausnutzt, benutzen auch Richter, Staatsanwälte, Polizei und andere zum Schutz ihrer eigenen Vorteile und zum Füllen ihrer Taschen die Institutionen der Sicherheit, des Rechts, der Justiz. Denn das System selbst ist so entstanden. Es ist unmöglich, unten den Schmutz zu entfernen, solange auf höchster Ebene das Rechtssystem nicht seine wahren Aufgaben erfüllt. Sämtliche Sicherheitskräfte sind schon in der Hand des Regimes und auch die Rechtsinstitutionen üben die Funktion von Sicherheitskräften aus. Da fragt man sich, wozu sie dann gebraucht werden. Rechtsinstitutionen, Richter, Staatsanwälte und Gerichte kaschieren Unterdrückung und Unrecht des Regimes mit juristischer Gerechtigkeit, um damit Legalität für dieses zu gewinnen. Diese Institutionen sollen damit die Bevölkerung von der Richtigkeit der Regimepraxis überzeugen. Trotzdem betrachtet der Staat die kurdische Bevölkerung noch immer als unfreiwillige, zwangsweise Staatsbürger. Dieses Regime wird nur freiwillige Staatsbürger haben, wenn sie vom System überzeugt sind. Um Gerechtigkeit zu gewährleisten, müssen Verfassung, Gesetze und Rechtssystem die Beziehungen zwischen Staat und Bürger und Bürgern untereinander regeln und der Beobachtung durch die Judikative unterstellen. Oder mit Gewalt aufrechterhalten. Es kann dort jedoch nicht die Rede sein von Recht, Gerechtigkeit und Freiheit.

Erzwungene Bürgerschaft bringt einem Regime aber keine Sicherheit, sondern das genaue Gegenteil dessen. Das iranische Regime ist in Kurdistan ein Zwangsregime. Das kurdische Volk vertraut der heutigen Staatsmacht, der Verfassung, den Gesetzen und den Protagonisten des Rechts nicht und betrachtet diese Organe nicht als Garantie für sein Existenzrecht und seine heiligen Werte. Das hängt nicht von der falschen Sichtweise und Haltung unseres Volkes ab, sondern ist Ergebnis der Forderungen nach Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit, ausgelöst durch die Respektlosigkeit des Mullah-Regimes gegenüber den nationalen kulturellen Werten, Menschenrechten, der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Betrachten wir nur einmal, wie dieses in Kurdistan herrschende Regime die Staatsangehörigkeit der kurdischen Bevölkerung nicht auf ein gewolltes und rechtlich legales Fundament hebt, sondern gewaltsam aufrechterhält und sie zu beherrschen versucht.

Es ist zudem notwendig, auch die Gefängnisse, die Quelle vieler Krankheiten, zu erwähnen, die das unrechte iranische System und diese Regimepolitik uns aufdrängen. Die Gefängnisse sind die Orte, an denen das herrschende System seine größte Wirksamkeit erreicht und den Gefangenen nichts außer ihrem Willen bleibt. Es ist eine Umgebung, in der alle natürlichen Bedürfnisse wie Essen und Schlafen als Waffe gegen den Menschen eingesetzt werden und ihm außer seinen Gedanken und seinem Willen nichts bleibt. Der Kampf gegen das Regime verlangt dort weitaus mehr Selbstlosigkeit als draußen. Und wenn sich starker Wille und Bewusstsein unter diesen schwierigsten Gefängnisvoraussetzungen organisieren und gesellschaftlichen Charakter annehmen, dann kann das selbstverständlich große Auswirkungen auf das herrschende Regime haben. In dieser Situation kann die organisierte Widerstandshaltung dieser willensstarken Menschen viele andere darin ermutigen, den Kampf gegen das Regime aufzunehmen.

Die Gefängnisse im Iran werden vollgestopft mit denen, die sich nicht dem Regime ergeben, die nicht die Taschen der Staatsbediensteten füllen, die nicht die Arbeit des Regimes würdigen und mit politisch Oppositionellen. Die Menschen erfahren schon während des Verhörs Schläge und Misshandlung. Und wenn dieser Mensch ein Oppositioneller ist oder seine nationalen Rechte verteidigt, also nicht zum Kreis regulärer Verbrecher gehört, dann wird zunächst versucht, ihn zur Reue zu bewegen, und im Anschluss werden alle möglichen Arten von Folter und Erpressung angewandt, um ihn in einen Denunzianten zu verwandeln. Das Ziel des Regimes ist dabei sehr eindeutig. Der Gefangene soll gestehen und gegen sein eigenes Volk, dessen nationale Werte und seine Kampfgenossen instrumentalisiert werden. Wenn das alles keine Wirkung zeigt, dann wird die Familie der Person eingebunden und versucht, durch eine hohe Kautionszahlung und eine vergleichsweise niedrige Strafe ihren Willen zu brechen. Und wenn auch das nicht zum Erfolg führt, dann wird sie zu einer hohen Haftstrafe verurteilt und ins Gefängnis gesteckt.

Das iranische Regime verhängt und exekutiert im Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl weltweit die meisten Todesstrafen, die vorwiegend durch Hängen oder Steinigung durch die Bevölkerung auf öffentlichen Plätzen ausgeführt werden. Nicht eine einzige zivilisierte Lebensweise oder Philosophie akzeptiert Methoden wie Steinigen und Kreuzigen, die primitivsten Zeiten entstammen. Menschen oder eine Gesellschaft, die einen Menschen öffentlich hinrichten oder ihm den Hals aufschlitzen und sich daran ergötzen, müssen alle zivilisierten, humanen Werte verloren haben. Die Botschaft des Regimes an die Gesellschaft ist hier offensichtlich: Wenn ihr uns nicht gehorcht, dann werden wir euch fertig machen, wann und wo immer es uns passt.

Neben diesen gewalttätigen Institutionen des iranischen Regimes dienen auch alle anderen Einrichtungen derselben Politik. Jegliche Aktivität an Schulen, in Medien und Wirtschaft soll im Grunde unser Volk der Regimepolitik sich ergeben und von ihr abhängig werden lassen.

Die Wahlen des Regimes und seine politische Ansichten darüber

Das gesamte iranische Volk wie auch das kurdische haben genug von dieser perfiden Politik. Daher sinkt die Wahlbeteiligung von Wahl zu Wahl. Nichtwählern, die keinen Wahlstempel in ihrem Ausweis vorweisen können, werden wirtschaftliche Nachteile angedroht, was jedoch keine Wirkung mehr zeigt. Für die kurdische Bevölkerung, die aus wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Gründen noch stärkere Unterdrückung und Diskriminierung erlebt, hat das Wählervotum eine weit höhere Bedeutung als für andere. Der nationale Befreiungskampf hatte zwar schon zu einem tiefen Vertrauensbruch mit den herrschenden Regimen geführt, aber das eigentliche Problem liegt in der Diskriminierung und Assimilation des kurdischen Volkes durch sie. Die vorwiegend sunnitische kurdische Gesellschaft wurde mit Artikel 12 der aktuellen Verfassung, Staatsreligion sei der Schiismus, zu »inoffiziellen« Bürgern erklärt, was eine erhebliche Diskriminierung bedeutet und unser Volk ausgrenzt.

Bei den Wahlen dieses Regimes seine Stimme abzugeben bedeutet, dessen Politik in seinen Grundzügen anzuerkennen. Es gibt nichts Gefährlicheres für uns, als diesem Regime aus persönlicher Sorge oder wegen unzureichenden politischen Bewusstseins die Stimme zu geben. Die Wahlen dienen dem Regime lediglich zur eigenen Legitimation. Blindlings an die Urne zu gehen heißt, dem Regime die Munition für die Waffen zu liefern, die unserem Volk vorgehalten werden. Bedenkt man, dass das Gefährlichste das Aushändigen gefährlicher Waffen in unbefugte Hände ist, so wird klar, dass wir uns dessen so schnell wie möglich bewusst werden müssen und uns nicht als Mittel zum Zweck ausnutzen lassen dürfen. Von starken nationalistischen Gefühlen geleitet in Aktion zu treten ist für unser Volk ebenso nachteilig und dient nur dem Regime. Die Aussage »Im iranischen Parlament sollen ein paar Kurden sitzen« ist keine politische, sondern eine emotionale Auffassung. Wenn dieser Jemand nicht deine Vorteile, Ehre, gesellschaftlichen und immateriellen Werte und wirtschaftlichen Interessen verteidigt und nur mit geöffneter Hand den Herrschenden dient, auf deinem Rücken seine Taschen füllt, was bringt es dann, dass dieser Jemand Kurde ist. Lass zumindest nicht zu, dass jemand aus deinem Volk und mit deiner Stimme in diesem repressiven und unsere Gesellschaft diskriminierenden System steckt. Es wird dich immerhin vor einem schlechten Gewissen bewahren. Herrschende Kräfte versuchen sich durch die Integration mancher Personen aus dem Kreis der Unterdrückten Legitimation in der internationalen Politik und Diplomatie zu verschaffen. Das iranische Regime sieht sich der internationalen Öffentlichkeit und der intensiven politischen, diplomatischen Arbeit des kurdischen Volkes gegenüber gezwungen, einige Kurdischstämmige in sein Parlament aufzunehmen.

Hier stellt sich nun die Frage: Wollen wir diesem Regime durch unsere Stimmabgabe zu internationaler Legitimation verhelfen oder wollen wir seine Politik entlarven? Genau darauf müssen wir achten. Das bedeutet für uns jedoch nicht die Teilnahme an irgendeiner weiteren Wahl. Selbstverständlich müssen wir bei Kommunalwahlen eine hohe Wahlbeteiligung erreichen. Und selbstverständlich müssen wir uns intensiv an den Wahlen beteiligen, die unsere vom Regime verbotenen eigenen politischen Parteien als wichtig erachten.

Religiöse und konfessionelle Ansätze

Die persische Safawiden-Herrschaft erhoffte sich Anfang des 15. Jahrhunderts durch die offizielle Anerkennung des Schiismus, das Vordringen des sunnitischen osmanischen Imperiums nach Osten einzudämmen. Offensichtlich also erfolgte die erstmalige offizielle Anerkennung dieser Religion nicht aus tiefer Gläubigkeit, sondern zum politischen Vorteil der Herrschaft. Genau das wollen wir unserem Volk verständlich machen. Wir haben Respekt vor allen gelebten Religionen und Konfessionen, aber wir werden jede Herrschaft enttarnen, die diese emotionale Bindung missachtet und ihrem politischen Vorteil opfert.

Im Iran sind Schiismus, Sunnismus, Judaismus, Zoroastrismus und Christentum offiziell anerkannte Religionen. Der Bahaismus, eine vom Schiismus abgespaltene Glaubensrichtung, wird trotz einer sehr hohen Zahl an Anhängern nach der Logik »Verrat am Glauben« offiziell nicht anerkannt und ist verboten. Die Unterdrückung, die der Bahaismus erfahren hat, zeigt das wahre Gesicht des Regimes im Hinblick auf religiöse Freiheit.

Nach Artikel 12 der iranischen Verfassung ist der Schiismus offizielle Staatsreligion der Islamischen Republik Iran. Der Sunnismus wird hier ausgegrenzt. Im Parlament sind zudem Quoten für Nichtmuslime und andere Minderheiten vorgesehen (insgesamt fünf Sitze: für armenische Christen zwei, für Zoroastrier, Juden und assyrische/chaldäische Christen jeweils einer), wobei die Sunniten weder in religiöser noch in völkerrechtlicher Hinsicht berücksichtigt werden. Wenn sunnitischen Muslimen weder ein verfassungsmäßiger Status gewährt wird und sie dadurch im Staat keine wichtigen Posten erreichen können noch bei Parlamentswahlen quotiert werden, dann ist das eine ungerechte Behandlung. Das Regime benutzt genau diesen religiösen Missbrauch für eine Teile-und-herrsche-Politik gegen uns. Wir sind mehrheitlich sunnitische Muslime, ein größerer Teil Schiiten und ein kleinerer Zoroastrier. Das Volk muss darauf achten, dass es diese Diskriminierung nicht auf die internen Beziehungen überträgt, denn dann würde es genau in diese Falle tappen. Durch eine zuvorkommendere Behandlung der Schiiten in der Verwaltung als anderer Religionsangehöriger soll ihr Gefühl der Verbundenheit mit dem Regime gestärkt werden. Damit sollen sie den Sunniten gleichzeitig als Kollaborateure vorgeführt werden. Während mit dieser Politik ein Keil in unsere Bevölkerung getrieben wird, trägt der heilige Islam den größten Schaden davon. Unter dem Vorwand einer heiligen Religion werden nationalgesellschaftliche Forderungen und Vereinigungsversuche zu verhindern versucht. Das Ausnutzen des Schiismus als politisches Werkzeug durch die Mullahs ist nicht die Schuld der schiitischen Kurden, Aserbaidschaner, Perser oder anderer.

Wenn wir in unserem Kampf für das freie und gleichberechtigte Leben aller Völker im Iran in einem demokratischen System die Führung übernehmen wollen, dann muss unser Volk in dieser Verantwortung bewusst aktiv werden.
Es ist nicht nötig, jetzt auf Details der täglichen politischen Methoden der religiösen Diskriminierung einzugehen, die aufgrund der Gesetze des Regimes von der Schule bis zur Arbeit, im sozialen und kulturellen Umfeld erlebt werden.

Die Situation der Frauen und die auf ihrem Rücken betriebene Politik

Es ist nicht möglich, von der Freiheit und Gleichberechtigung der Frau im iranischen System zu sprechen oder dies mittel- bzw. langfristig umzusetzen. Denn sämtliche Institutionen, die noch mehr Einfluss auf Recht und Gesetze haben als die Verfassung, sind von Männern besetzt und diese verhängen tagtäglich Fatwas im Sinne des Systems. Diese Akte erscheinen uns bei den heutigen politischen und juristischen Prozessen widrig und kurios. Aber gerät das Mullah-Regime in Bedrängnis, dann gewinnt es dadurch ganz nach Machiavelli Manövrierfähigkeit und Flexibilität. Die höchsten Organe dieses Regimes stellen das Konzept des Welāyat-e Faghīh und das Chobregan-e-rahbari-Parlament [Expertenrat] dar, dessen Mitglieder alle einem Orden angehören und in dem Frauen nichts zu suchen haben. Sofort nach der Machtübernahme der iranischen Mullahs waren die Frauen in schwarze Leichentücher gepackt worden und all ihre »Scham« wurde verhüllt. Nach der Vorstellung des Regimes sind Frauen kaum halbe Menschen, da sie schamlos, verführerisch, provozierend, vertrauensunwürdig, geistlos, willenlos sind und keine Selbstbeherrschung haben. Nach dieser Vorstellung ist der Mensch gleichbedeutend mit dem Mann. Und aus diesem Grund ist die Frau kein Mensch. Würden Frau und Mann beide als Menschen anerkannt, dann würde die Frau nicht allein wegen ihres Geschlechts so stark diskriminiert und erniedrigt werden. Diese Mentalität betrachtet die Frau nur als für den Mann geschaffene Lustbefriedigung und zu seiner Fortpflanzung bestimmt. Sie ist sein Land, sein Eigentum, niemand darf sie berühren, niemand besitzen. Der Mann kann sie nach Lust und Laune prügeln, sie verkaufen (sich scheiden lassen) oder er kann noch mehr Frauen dazunehmen.

Atomabkommen mit dem Iran

Das Atomabkommen wird im Mittleren Osten nicht viel ändern. Es kann als Wegweiser für die Problemlösung, Iran inbegriffen, auf diplomatischem Wege dienen. Die regionalen Probleme betreffen nicht nur den Iran und den Westen. Das Atom-Thema betrifft viele Akteure, regionale wie lokale.

Wir sind der Auffassung, dass kurzfristig keine großen Veränderungen stattfinden werden. Es könnte sich folgende Situation ergeben: Der Iran fasst aus diesem Abkommen heraus Mut und eröffnet aufgrund der regionalen Probleme eine diplomatische Initiative. Natürlich ist zunächst von Bedeutung, wie er das Abkommen bewertet. Wie interpretiert es die Geistlichkeit? Aus der Nachricht »das Abkommen ist besiegelt« ist zu entnehmen, dass ein Entwurf erarbeitet wurde und sowohl Teheran als auch Washington darüber urteilen werden. Falls es für den Iran intern als »erfolgreich« bewertet wird, wird die Geistlichkeit gestärkt und das erleichtert ihnen, regionale Themen in Angriff zu nehmen.

Auch der Weg zur Lösung weiterer Probleme zwischen Iran und Westen würde eröffnet werden. An sich gibt es eine Menge Probleme, und es scheint auch nicht so, als könnten sie kurzfristig gelöst werden. Je nach Situation und Region werden Allianzen gebildet; es sind schon jetzt Beispiele für ein pragmatisches Bündnis erkennbar. Es könnte gestärkt werden, würde aber das regionale Kräfteverhältnis nicht völlig verändern. Andererseits hat der Iran Konkurrenten. Insbesondere Saudi-Arabien und Israel. Bekanntlich waren diese beiden von Anfang an gegen die Atomgespräche. Das vorliegende Ergebnis wird sie nicht wirklich ansprechen, aber reizen. Denn sie werden das Bedürfnis haben, den Iran zu destabilisieren und zu bremsen. Und das erschwert eine optimistische Betrachtung der Entwicklungen in der Region.