Wir brauchen eine politische Haltung, die den Ausbruch neuer Kriege verhindert

Es war von einem Lösungsprozess die Rede ...Es war von einem Lösungsprozess die Rede ...

KCK-Erklärung zu den erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Türkei

In einer schriftlichen Erklärung weist der Kovorsitz des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) darauf hin, dass sie als Befreiungsbewegung Kurdistans mehrere Male einen Waffenstillstand ausgerufen hätten, ohne dass diese Chance für eine demokratische, politische Lösung jemals von der Gegenseite ergriffen worden wäre. Stattdessen sei immer wieder auf eine Kriegs- bzw. Vernichtungspolitik gesetzt worden, weshalb die kurdische Frage weiterhin ungelöst bleibe.

»Solange die kurdische Frage nicht gelöst wird, kommen wir aus dieser Zwickmühle nicht heraus. Daher brauchen wir endlich eine demokratische politische Haltung, die dem Missbrauch von Waffenstillständen und konfliktfreien Perioden vorbeugt und verhindern kann, dass erneut der bewaffnete Konflikt und Krieg ausbrechen. Wir brauchen eine Haltung, die eine Einstellung der Kampfhandlungen nicht ausnutzt, sondern zu einem dauerhaften Frieden führt.

Amed: Der Versuch einer Demonstration für den Frieden | Foto: DIHADie Öffentlichkeit sucht derzeit nach Antworten auf die Frage, warum nach fast drei Jahren ohne bewaffnete Auseinandersetzungen der militärische Konflikt jetzt wieder ausgebrochen ist. Es war von einem Lösungsprozess die Rede, aber die Probleme wurden nicht gelöst. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Antworten auf ihre berechtigten Fragen. Denn wenn die Gründe verstanden werden, lassen sich auch Auswege finden.

Seit den 90er Jahren erklärte die kurdische Bewegung neun Mal einen einseitigen Waffenstillstand und gab dem türkischen Staat und seinen jeweiligen Regierungen die Möglichkeit, die bestehenden Probleme auf demokratischem, politischem Wege zu lösen. Die meisten Waffenstillstände und Lösungschancen wurden den AKP-Regierungen geboten. Anstatt diese Annäherungsprozesse jedoch konstruktiv zu nutzen, machte die AKP verschiedene Zugeständnisse, mit denen sie die eigentlichen Probleme nicht gelöst, sehr wohl aber Wahlen gewonnen hat, und spielte auf Zeit, um eine Gelegenheit zu finden, die kurdische Befreiungsbewegung auszulöschen. Mit einem Politikstil, der große Erwartungen weckte, die Probleme aber nicht anging und mit genau diesem Schwebezustand ihren Machterhalt sicherte, hat die AKP die bisherigen Waffenstillstände vergeudet.

Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan erreichte in den Jahren 2011 und 2012, als der Mittlere Osten und insbesondere Syrien ins Chaos gewaltvoller Konflikte rutschten, einen Waffenstillstand, mit dem die Auseinandersetzungen in der Türkei und in Nordkurdistan gestoppt werden konnten. Damit entstand eine Chance für die Türkei, ihre kurdische Frage zu lösen und in der Türkei eine Demokratisierung zu beginnen, die das Land in eine Insel der Stabilität im Mittleren Osten hätte verwandeln können. Mit dieser Perspektive veröffentlichte er im März 2013 ein Demokratisierungsmanifest, das auf eine Lösung der dringenden Probleme der Türkei und des Mittleren Ostens abzielte.

Die AKP handelt mit der Gewieftheit von Provinzpolitikern

Anstatt aber die politische Stimmung und die Aufrufe Öcalans richtig zu verstehen, bog sich die AKP-Regierung mit der Gewieftheit von Provinzpolitikern alles so hin, wie es ihr am besten passte, und brachte vor allem ihre eigenen Schäfchen ins Trockne. Anstatt darauf einzugehen, dass nach dem Waffenstillstand die Guerillakräfte aus der Türkei abgezogen wurden, verhielt sie sich so, als erforderten diese Schritte überhaupt keine Gegenleistung. Von Anfang an machte ihre Haltung einen Waffenstillstand, einen Abzug der PKK-Kräfte und einen Verhandlungsprozess eigentlich sinnlos. Während die Waffen schwiegen, baute die Regierung zuallererst neue Kontrollpunkte, stark befestigte Militärstützpunkte im Gelände und militärisch zu nutzende Straßen und Staudämme. Damit bereitete sie sich auf den Krieg vor. Diese verantwortungslose Haltung in Verbindung mit dem Ausbleiben verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Schritte führte dazu, dass wir nach drei Monaten den Abzug unserer Kräfte stoppten, ohne allerdings die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. Die AKP-Regierung hat sich allerdings in keinster Weise an die auseinandersetzungsfreie Zeit gehalten. Vielmehr hat sie eine neue Strategie der Sonderkriegsführung umgesetzt. Vom Inkrafttreten des Waffenstillstandes im März 2013 bis auf den heutigen Tag sind Dutzende von Zivilisten ermordet und Tausende von Politikern, Jugendlichen und Frauen verhaftet worden, und die AKP hat aus Feindschaft gegenüber der Revolution von Rojava den IS unterstützt und somit die auseinandersetzungsfreie Zeit nicht zur Lösung der kurdischen Frage, sondern zu einem Aufreiben der Befreiungsbewegung auf Raten genutzt.

Mit dem Gerede von einem Lösungsprozess wurden bei der Bevölkerung hohe Erwartungen geweckt, aber es wurde kein Schritt in Richtung einer Lösung unternommen. Der Vorsitzende Öcalan und unsere Bewegung handelten trotz des Todes so vieler Zivilsten und der Verhaftung tausender Jugendlicher, älterer Menschen, Frauen und Männer und trotz der offensichtlichen Kriegsvorbereitungen besonnen und geduldig. Jenseits zweier sehr begrenzter Vergeltungsschläge mit Warncharakter änderten wir unsere Haltung nicht, sondern bewahrten unsere Position der Konfliktfreiheit. Obwohl die AKP-Regierung dutzende Male Handlungen vornahm und Maßnahmen ergriff, die einen Waffenstillstand verletzen und sinnlos machen, haben wir dies weggesteckt, um der Gesellschaft, dem Staat und den politischen Kräften die Möglichkeit zu geben, sich auf den Lösungsprozess einzulassen und nötige Schritte zu unternehmen.

Der Vorsitzende Öcalan hat die Gespräche auf der Gefängnisinsel Imralı mit großer Geduld, Ausdauer und viel Fingerspitzengefühl geführt. Um der AKP-Regierung die Möglichkeit zu bieten, einen Weg zu eröffnen, hat er ihre inakzeptablen Haltungen und Maßnahmen nicht in den Vordergrund gestellt. Anstatt allerdings diese Vorgehensweise Öcalans als verantwortungsvoll aufzufassen, die der Regierung einen Handlungsspielraum bietet, ließ sie nicht von ihren Versuchen ab, Öcalan zu instrumentalisieren, um den Kampf der PKK zu beenden und sie als Bewegung auszuschalten. Es wurde auch dann nicht abgelassen, als Öcalan sie wiederholt warnte, endlich die Versuche der Instrumentalisierung seiner Person einzustellen. Sie betrachteten sich selbst als schlau und die Menschen ihnen gegenüber als Verhandlungspartner, die hinters Licht geführt und hingehalten werden konnten. Sie schienen darauf zu setzen, wieder die alten rassistischen Stereotype hervorzuholen, denen zufolge Kurden leicht für jede Drecksarbeit eingespannt werden können. Bei einem so ernsten Thema gelang es ihnen nicht, den engen Horizont simpel gestrickter Politiker zu überwinden. Anstatt einen Schritt auf den großen Freiheitskampf zuzugehen, den das kurdische Volk seit vierzig Jahren führt, ist in der Person Erdoğans ein Politikstil etabliert worden, der sich für schlau genug hält, die Kurden mit ein paar Brosamen abzuspeisen, die sie dankbar anzunehmen haben, und sich damit des Problems zu entledigen.«

Die AKP schafft sich ihre eigene Niederlage

In der Erklärung des KCK-Exekutivrats wird weiter ausgeführt, dass Öcalan die Gefahr, die in der gegenwärtigen chaotischen Situation des Mittleren Ostens für die Türkei von einer leichtsinnigen Herangehensweise an die kurdische Frage ausgeht, vorausgesehen habe und deshalb im November 2014 der türkischen Regierung den Entwurf eines dreistufigen Plans für demokratische Verhandlungen über die Lösung der Frage vorgelegt habe. Doch die AKP-Regierung habe auch bei dieser Gelegenheit auf ihre Hinhaltetaktik gesetzt und es vorgezogen, die Frist des 15. Februar, Schritte in Richtung von Verhandlungen zu unternehmen, verstreichen zu lassen. Weiter heißt es in der Erklärung:

»Die AKP verabschiedete, statt auf den Verhandlungsentwurf zu antworten, das sogenannte ›Gesetzespaket Innere Sicherheit‹ und traf Vorbereitungen, nach den Wahlen vom 7. Juni ihr hegemoniales Präsidialsystem zu errichten. Unserem Vorsitzenden Öcalan gelang es allerdings abermals, mit der Deklaration vom Dolmabahçe-[Präsidenten-]Palast die Diskussionen in Richtung Demokratisierung der Türkei zu lenken und den Plänen Erdoğans somit vorerst einen Riegel vorzuschieben. Bis zur Verkündung der Deklaration ist deren Entwurf einige Male auf Imralı, in der AKP und in den Qandil-Bergen diskutiert, verändert und der daraus entstandene Kompromiss schließlich im Dolmabahçe-Palast verlesen worden. Bis dahin stellten unser Vorsitzender und unsere Bewegung erneut ihre Geduld und ihre Beharrlichkeit im Sinne einer Lösung unter Beweis und drängten Staat und Regierung dadurch dazu, sich auf den Lösungsprozess einzulassen und an die Schwelle der Verhandlungen zu treten. Die seit 22 Jahren anhaltenden Bemühungen unseres Vorsitzenden und unserer Bewegung um eine demokratische politische Lösung weckten mit dieser Deklaration in unserer Bevölkerung große Hoffnungen auf einen Erfolg.

Doch während die Menschen diese Hoffnung schöpften und eine positive Grundstimmung die Öffentlichkeit belebte, stieß Tayyip Erdoğan sie mit seiner Erklärung vor den Kopf: ›Ich akzeptiere die Deklaration nicht, die Newroz-Erklärung dient allein der Legitimierung Imralıs, es gibt keine [Verhandlungs-]Parteien, es gibt keinen [Verhandlungs-]Tisch, es gibt keine Beobachtungskommission und es gibt keine kurdische Frage.‹ Mit diesem Statement Erdoğans kehrten dieselben Sprecher und Unterstützer der AKP, die kurz zuvor noch die Dolmabahçe-Deklaration gepriesen hatten, nun wieder zu ihrer konfrontativen Rhetorik zurück. Alle sprachen sie nun von vermeintlichen inneren und äußeren Gefahren und alle verteidigten sie wieder die Pläne für ein autoritäres Präsidialsystem. Als die HDP daraufhin mit dem Motto ›Wir werden dich nicht zum Präsidenten machen‹ in den Wahlkampf zog, griff die Regierung zu einer in der Geschichte der Türkei noch nie dagewesenen Welle der Gegenpropaganda, um sie unter die 10%-Wahlhürde zu drücken.

Erdoğan beließ es nicht nur bei seiner Ablehnung der Dolmabahçe-Deklaration. Er gab auch Befehl, die Isolationspolitik gegen unseren Vorsitzenden, der für das Schweigen der Waffen gesorgt und die Demokratisierung auf die Tagesordnung der Türkei gesetzt hatte, wieder aufzunehmen. Das war die Reaktion auf den Vorschlag unseres Vorsitzenden an die HDP, unter ihrem Parteilogo, in dem die gesamte Türkei umarmt wird, als Partei bei den anstehenden Parlamentswahlen anzutreten. Und eben dieser Vorschlag hat schließlich zu ihrem Erfolg geführt und dem autoritären und hegemonialen Präsidialprojekt der AKP eine empfindliche Niederlage bereitet. Somit ist die abenteuerliche Politik Tayyip Erdoğans sowohl im In- als auch im Ausland gescheitert. Stattdessen hat sich der Weg der Demokratisierung zur Lösung der inneren und äußeren Probleme herauskristallisiert.

Die AKP ist ein Abbild des autoritären Politikverständnisses im Mittleren Osten

Doch nach kurzer Zeit zeigte sich, dass die AKP keine demokratische politische Kraft ist, die bereit ist, ihre Wahlniederlage anzuerkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie ist vielmehr ein Abbild des autoritären Politikverständnisses im Mittleren Osten und klammert sich dementsprechend an das Alleinregieren. Aus eben diesem Grund reagierte sie auf die Wahlergebnisse vom 7. Juni und die sich daraus ableitende Notwendigkeit einer Demokratisierung und einer Lösung der kurdischen Frage mit einem zivilen Putsch, indem sie für eine Atmosphäre der Spannung und der Auseinandersetzungen sorgte. Sie hat der HDP, die ihr Projekt der Alleinregierung und des Präsidialsystems stoppen konnte, den Krieg erklärt. Damit will sie sie bei möglichen Neuwahlen unter die Wahlhürde drücken, denn nur so kann sie ihre eigentlichen gescheiterten Pläne doch noch realisieren. Die aktuellen Spannungen, Auseinandersetzungen und der Kriegszustand rühren also nicht von der Tötung zweier Polizisten in Serê Kaniyê (Ceylanpınar) her, sondern sind Ergebnis des dargestellten Verständnisses. Jegliche anderweitige Erklärung dafür ist ein Betrug an der Öffentlichkeit.

Der seit knapp drei Jahren von unserer Seite aufrechterhaltene Waffenstillstand wurde von unzähligen Ereignissen gestört, doch trotz alledem haben wir verantwortungsvoll und geduldig gehandelt und somit an einer demokratisch-politischen Lösung festgehalten. Dutzende Zivilisten wurden ermordet, doch diese Ereignisse wurden von der kurdischen Freiheitsbewegung nicht zum Anlass genommen, den Waffenstillstand zu beenden. Dass nun auf der Gegenseite die Tötung zweier Polizisten als Reaktion auf ein ziviles Massaker zum Anlass für einen Krieg genommen wird, ist ohne Zweifel vonseiten der Regierung so gewollt.

Und jeder weiß auch, dass noch vor dem Massaker von Pîrsûs (Suruç) die AKP-Verantwortlichen mit Kriegsdrohungen um sich warfen. So erklärte Bülent Arınç in Trabzon: ›Die Terrororganisation erwarten schwere Tage, sie wird großes Leid erfahren und alles Nötige für ihre Vernichtung wird unternommen werden.‹ Allein aus diesen Aussagen wird deutlich, dass die Tötung der zwei Polizisten als willkommener Vorwand diente.

In den drei Jahren des Waffenstillstandes hat die AKP-Regierung weiterhin Zivilisten getötet, Aktivisten festgenommen, neue Militärstationen errichtet und für militärstrategische Zwecke Straßen und Staudämme gebaut. Seit dem 24. Juli hat sie schließlich ihre Angriffe mit dem Ziel ausgeweitet, die kurdische Freiheitsbewegung zu vernichten und die kurdische Bevölkerung zu zermürben, und die kriegerischen Angriffe zum Alltag gemacht. Die Guerilla greift gegen die Behauptungen, bei den Luftangriffen seien 400 ihrer Kämpfer getötet worden, und gegen die Tag für Tag wie im Dorf Zergelê stattfindende Ermordung von Zivilisten bislang auf ihr Vergeltungsrecht zurück. Gegen eine Konfliktpartei, die täglich davon spricht, die Gegenseite ›vernichten und zerschlagen‹ zu wollen, hat die Guerilla auch im Rahmen der internationalen Kriegskonvention das legitime Recht auf Selbstverteidigung.

Das kurdische Volk und die Freiheitsbewegung nutzen ihr Recht der legitimen Selbstverteidigung

Während die AKP-Regierung einen Vernichtungsfeldzug gegen unsere Guerilla und unsere Bevölkerung gestartet hat, ruft sie zugleich unsere Bewegung dazu auf, die Waffen niederzulegen. Sie hält diese Forderung ununterbrochen auf ihrer Tagesordnung. Doch das kurdische Volk und die Freiheitsbewegung nutzen gegen die Vernichtungsangriffe der AKP ihr legitimes Recht der Selbstverteidigung. Wir haben unser Paradigma seit dem Jahr 2003 geändert. Alle wissen, dass wir seitdem nicht die Strategie verfolgen, die kurdische Frage mit Waffengewalt zu lösen. Unsere Guerillakräfte halten eine Position, in der sie die Existenz des kurdischen Volkes und seinen Kampf um ein freies und demokratisches Leben schützen. Gegen die aktuellen Angriffe des türkischen Staates nehmen sie eben auch genau diese Verteidigungsposition ein.

Die Probleme in der Türkei werden nicht durch die Existenz der Guerilla erzeugt. Es ist das monistische Staatsverständnis des türkischen Staates, das rechtlich und verfassungsrechtlich keine andere Identität akzeptiert und sie verleugnet und zu vernichten sucht, was die Ursache für die Probleme dieses Landes ist. Dieses Verständnis wird gegenwärtig auch von Tayyip Erdoğan durch die Worte von ›einer Nation, einem Vaterland, einem Staat und einer Fahne‹ immer wieder artikuliert. Nach der aktuellen Gesetzeslage der Türkei gehören zu diesem Verständnis zudem ›eine Sprache und eine Religion‹. Die kurdische Frage hat ihren Ursprung in eben diesem Verständnis und der Grund dafür, dass sie immer noch ungelöst ist, liegt in dessen Fortexistenz. Niemand kann behaupten, dass die kurdische Frage gelöst sei. Eine solche Behauptung aufzustellen hieße, an der Verleugnungs- und Vernichtungspolitik festzuhalten. Und eben das passiert gegenwärtig.

Den Karren vor das Pferd spannen ...

Auf der einen Seite wird an der beschriebenen Politik festgehalten und auf der anderen Seite wird gefordert, wir sollten die Waffen niederlegen. Das kommt uns so vor, als versuche man den Karren vor das Pferd zu spannen. Und beharrt man auf dieser Forderung, so beharrt man auf der Lösungslosigkeit der kurdischen Frage. Ohne dass der Wille und die daraus folgende Praxis für die Lösung der kurdischen Frage unter Beweis gestellt werden, bedeutet die Forderung nach dem Niederlegen der Waffen der Guerilla oder die Forderung nach ihrem Rückzug aus der Türkei nichts anderes, als den Willen zur Fortsetzung des Krieges zu unterstützen. Unter Bedingungen, unter denen die Lösung der kurdischen Frage nicht angegangen wird, hat niemand das Recht, von der PKK das Niederlegen ihrer Waffen zu fordern. Weder hat sich die Türkei demokratisiert, noch wurde der Wille gezeigt, die Probleme des Landes auf demokratischem Wege zu lösen. Aus diesem Grund muss sich die Türkei zunächst dringend zum Ziel setzen, eine Demokratisierung in Gang zu setzen und so ihre brennenden Fragen, allen voran die kurdische Frage, zu lösen. Passiert dies nicht, dann sind die Forderungen an uns bedeutungslos. Denn so wird lediglich eine seit hundert Jahren anhaltende Verleugnungs- und Vernichtungspolitik entsprechend den gegenwärtigen Bedingungen fortgesetzt. Und in diesem Falle soll niemand erwarten, dass sich die kurdische Bevölkerung einem Opfertier gleich ergibt und freiwillig in die Mühlen des kulturellen Genozids begibt. Die Politiker sollten deshalb, statt diese Forderung an uns zu stellen, daran arbeiten, die Ursachen für diese Probleme zu erkennen und sie aus der Welt schaffen.

Die kurdische Freiheitsbewegung ist weiterhin gewillt, die kurdische Frage innerhalb der Grenzen der Türkei auf demokratischem Wege zu lösen. Das ist ihr erklärtes ideologisches, politisches und strategisches Ziel. Sie hat bei jeder Gelegenheit unter Beweis gestellt, dass sie hinter diesem Ziel steht. Warum sie das Projekt der HDP unterstützt und sich unermüdlich für den Frieden eingesetzt hat, liegt darin begründet. Statt einer nationalistischen Lösung bevorzugen wir eine Lösung, die auf der Geschwisterlichkeit der Völker, der Gerechtigkeit und dem freien Leben in der Türkei beruht. Doch die AKP ist zu einem politischen Akteur verkommen, der Wasser auf die Mühlen nationalistischer Projekte gießt und die Türkei an den Abgrund des Krieges und des Chaos im Mittleren Osten führt.Straßenkontrolle der HPG in Dersim | Foto: DIHA

Wir messen deshalb den Aufrufen der Völker der Türkei und der demokratischen Weltöffentlichkeit zu Frieden, einer Waffenruhe und der demokratischen Lösung der Probleme große Bedeutung bei. Denn die Auseinandersetzungen infolge der Kriegspolitik der AKP scheinen den Krieg im Mittleren Osten in die Türkei hineinzutragen und gleichzeitig den Krieg in der gesamten Region zu vertiefen. Die AKP verfolgt eine Politik, die große Gefahren für unsere Völker mit sich bringt. Das macht die Notwendigkeit für die Türkei, die kurdische Frage zu lösen und demokratische Stabilität im Lande zu schaffen, umso wichtiger. Mit ihrer gegenwärtigen Praxis, dem Beharren auf der Lösungslosigkeit der kurdischen Frage und dem erklärten Ziel, uns durch Gewalt und Krieg zu vernichten, gibt sie allerdings die Lösungsmöglichkeit, die wir ihr bieten, aus der Hand.
Es ist von großer Bedeutung, dass die Demokratiekräfte und unsere Völker den Kampf um den Frieden aufgenommen haben und so für ein Ende der Gefechte und die demokratische Lösung der Probleme plädieren. Wir wünschen uns sehr, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen. Wir sind davon überzeugt, dass die Demokratisierung und die Lösung der kurdischen Frage nicht dem ›Wohlwollen‹ von Regierungen überlassen werden darf, welche die monistische Mentalität repräsentieren, sondern dass die Ziele allein mit der Unterstützung der Demokratiekräfte und unserer Völker verwirklicht werden.

Wir benötigen eine Haltung, die den nachhaltigen Frieden fördert

Wir haben als Freiheitsbewegung oftmals einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen. Doch keiner dieser Waffenstillstände wurde im Sinne einer demokratischen politischen Lösung genutzt. Stattdessen wurde immer wieder auf Krieg gesetzt und die kurdische Frage ungelöst gelassen. Ohne eine Lösung in der kurdischen Frage wird es auch keinen Ausweg aus diesem Teufelskreis geben. Deshalb ist ein demokratischer politischer Wille nötig, der den Missbrauch der Waffenstillstände für eigene Zwecke verhindert und neue kriegerische Auseinandersetzungen unterbindet. Es bedarf eines politischen Willens, der den nachhaltigen Frieden fördert.

Zunächst einmal ist dafür der politische Wille zu einem Lösungsprozess nötig, in dem unser Vorsitzender Herr Öcalan unter freien Bedingungen politische Verhandlungen über eine Lösung führen kann und in dem die Verhandlungsergebnisse im Parlament in verfassungsrechtliche und gesetzliche Normen übertragen werden. Und um das zu verwirklichen, bedarf es eines Waffenstillstands, bei dem es zu keinen Verhaftungen, keiner Verhinderung demokratischer Organisierung, keinem Bau von Militärstationen, Kasernen und für militärische Zwecke bestimmten Straßen und Staudämmen kommt. Ohne dass Verhandlungen und ein Lösungsprozess, der auf einem solchen Waffenstillstand beruht, geschaffen werden, wird es nicht möglich sein, die Auseinandersetzungen und den Krieg zu beenden. Denn all die Auseinandersetzungen sind Ergebnis einer Politik, die auf der Lösungslosigkeit der kurdischen Frage und Vernichtung der politischen Kräfte beruht, die sich für eine Lösung einsetzen.

Die Verhandlungen mit unserem Vorsitzenden unter freien Bedingungen müssen ohne Verzögerung aufgenommen werden. Dafür sind zudem alle seit dem Newroz-Fest 2013 festgenommenen politischen Gefangenen in die Freiheit zu entlassen und ist ein Waffenstillstand zu erklären. Es bedarf eines dritten, unabhängigen Auges, das die Verhandlungen beobachtet und den Waffenstillstand prüft. Ohne dass solch ein Waffenstillstand erklärt und der Weg zu Verhandlungen aufgenommen wird, werden die Forderungen nach Frieden zu keinem Ergebnis führen. Im Gegenteil, unsere Völker mit falschen Erwartungen hinzuhalten und so letztlich bitter zu enttäuschen, wird zu noch heftigeren Auseinandersetzungen führen. Deshalb tragen wir eine große Verantwortung dafür, den Kampf für Demokratisierung und Frieden einheitlich und erfolgreich zu führen, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Der Kampf um Frieden und Demokratie muss sich von nun an zum Ziel setzen, die zentralistische, hegemoniale und autoritäre Türkei zu überwinden und eine dezentrale, auf lokaler Demokratie beruhende Türkei zu schaffen. Dieser Kampf muss bis zum Erfolg weitergeführt werden. Unsere Völker fordern ohne Zweifel die Demokratisierung. Wenn wir uns nach dieser Forderung richten und den Kampf für ihre Umsetzung führen, wird die Türkei zu ihrem wirklichen Frieden finden und so den Weg für den Frieden und die Demokratisierung des Mittleren Ostens eröffnen.«