Strafverfolgung von Kurdinnen und Kurden nach § 129b StGB:

Änderung der Rechtsprechung nur durch grundlegenden politischen Meinungswandel

AZADÎ sprach mit Verteidiger RA Heinz Schmitt, 20. März 2015

Am 5. März 2015 endete der im Juni vor zwei Jahren eröffnete § 129b-Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Abdullah S. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren – das bislang höchste Strafmaß in ähnlichen Verfahren wegen des Vorwurfs der PKK-Mitgliedschaft. Seit seiner Festnahme am 12. April 2012 in Köln befindet sich Abdullah S. in U-Haft in der JVA Düsseldorf.

Der Prozess gegen Ihren Mandanten dauerte fast zwei Jahre und endete für ihn mit einer relativ hohen Haftstrafe. Die Bundesanwaltschaft hatte für eine noch höhere Strafe plädiert. Wie bewerten Sie dieses Urteil und die Begründung des Gerichts ?

Das Urteil des 5. Strafsenats des OLG Düsseldorf war sowohl im Ergebnis wie in der Höhe zu erwarten. Mit dem Urteil wird die Rechtsprechung sämtlicher Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte in der Bundesrepublik fortgeschrieben, wonach es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung handelt und demzufolge die Betätigung für sie gemäß §§ 129a und 129b strafbar ist und bleibt.
Allerdings hob sich die mündliche Urteilsbegründung erheblich ab von den mir bekannten schriftlichen Begründungen früherer Urteile. Zwar wird regelmäßig konzediert, dass der türkische Staat seinerseits Menschenrechtsverletzungen bei der Verfolgung des kurdischen Volkes und insbesondere der PKK begangen hat, diese aber nicht zu verhandeln sind.

Die mündliche Begründung im Falle unseres Mandanten beinhaltete aber eine weit deutlichere Verurteilung hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen der türkischen Seite. Der Vorsitzende Richter formulierte, dass »das Handeln der türkischen Republik völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen sei, dass die verdeckten heimlichen Morde als rechtsstaatliche Verfolgung verschleiert würden«, dass es eine Entrechtung und Missachtung der Kurden insgesamt gegeben habe und als Unrecht des türkischen Staates festzustellen sei. Würden die betreffenden Personen der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, würden diese ebenfalls verurteilt werden.

In sehr persönlichen Worten führte der Vorsitzende weiter aus, dass der Senat ein Wechselbad der Gefühle durchlebt habe, aber – und ohne dieses Aber wäre das Urteil nicht nachvollziehbar – auch die PKK hätte Verbrechen begangen. Es seien Sprengstoffanschläge aus dem Hinterhalt durchgeführt worden und mit politischen Abweichlern sei man in nicht zu rechtfertigender Weise umgegangen. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen. Konsequent »bilanzierte« er aber ein »Gerechtigkeitsdefizit« hinsichtlich einer fehlenden strafrechtlichen Verfolgung der Staatsorgane. Zudem äußerte er, dass die »politische Relativität der Strafverfolgung durch die in die deutsche Regelung des § 129b eingeführte politische Verfolgungsermächtigung einen faden Beigeschmack hinterlasse«.

Haben die aktuellen politischen Entwicklungen im Mittleren Osten und der gemeinsame Kampf von YPG/YPJ und der PKK-Verteidigungskräfte gegen die Terrormiliz »Islamischer Staat« in der Urteilsbegründung eine Rolle gespielt? Schließlich bezieht sich der § 129b auf ein Geschehen im Ausland.

Der Vorsitzende hat eingeräumt, dass es für unseren Mandanten vor dem Hintergrund der Verbrechen des IS und der Teilnahme des Kampfes der PKK auch mit Unterstützung deutscher Waffenhilfe zweifelhaft erscheinen mag, dass er als PKK-Mitglied strafverfolgt wird. Darüber hinaus habe es für den Senat in diesem Verfahren viel zu lernen gegeben, was letztlich auch der Verteidigung zu verdanken sei.

Was waren die konkreten Vorwürfe gegen Abdullah S. und auf welche zentralen Punkte haben Sie sich als Verteidiger in diesem Verfahren konzentriert, welche Beweisanträge gestellt bzw. welche Sachverständigen oder Zeugen beantragt?

Auf diese Frage möchte ich gerne eingehen. Alle diese von der Verteidigung aufgeworfenen Fragen betrafen die politische Verfolgung der Kurden seit ihrer kemalistischen Ausgrenzung bis heute. Der Schwerpunkt der Anträge war regelmäßig die verbrecherische und terroristische Staatsverfolgungspraxis in der Türkei, aus der sich ein völkerrechtlich zulässiges Widerstandsrecht folgern lässt. Die Vorwürfe der Anklage und entsprechend die Feststellungen des Gerichts, dass unser Mandant von 2003 bis 2004 hauptamtlicher Kader der PKK gewesen sei, sich von 2005 bis 2007 in Teheran und im Nordirak bei der obersten Führungsebene aufgehalten habe und seine Tätigkeit für das europäische Finanzbüro der PKK, waren selbstverständlich weitere wichtige Verhandlungsthemen. Aus Sicht des Senats sprachen die zumeist im so genannten Selbstleseverfahren eingeführten Beweismittel – beschlagnahmte Unterlagen aus Wohnungsdurchsuchungen in Belgien, OLG-Urteile in Parallelverfahren und mehr noch aus der Türkei gelieferte Akten – gegen den Angeklagten.

Wird die Verteidigung gegen das Urteil Revision einlegen? Im vergangenen Jahr hatte der Bundesgerichtshof die Revisionen in anderen § 129b-Verfahren gegen kurdische Aktivisten verworfen. Glauben Sie, dass sich diese Entscheidungen erschwerend auswirken könnten auf die Überprüfung des Urteils im Verfahren gegen Abullah S.?

Selbstverständlich hat die Verteidigung gegen das Urteil Revision eingelegt und wird diese auch begründen. Die Frage, ob sich bereits erfolgte BGH-Entscheidungen auf unser Verfahren »erschwerend« auswirken könnten, setzt voraus, dass auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, was mir nicht bekannt ist. Die Staatsanwaltschaft hatte 7 Jahre, 9 Monate beantragt und ist – bis auf die Strafhöhe – mit ihrer rechtlichen Beurteilung im Gleichklang mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts. Erwähnt werden muss aber, dass sich die Änderung der Rechtsprechung durch die Entscheidung des BGH vom Oktober 2010 insoweit übel für Abdullah S. ausgewirkt hat, als dieser bereits 2010 – damals noch in Freiheit – angeklagt wurde wegen teilweise des gleichen Vorwurfs (Kadertätigkeit für die PKK 2003/2004), seinerzeit noch eingestuft als »kriminelle Vereinigung« gemäß § 129 StGB.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte diese Anklage zurückgenommen, zwei Jahre später dann aber erneut angeklagt, diesmal erschwert als Verfolgung wegen Mitgliedschaft in einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« nach § 129b. Dadurch war die Möglichkeit eröffnet, nicht in erster Linie die Tätigkeit für die Organisation im Inland strafzumessungsrechtlich zu werten, sondern die der PKK insgesamt.

Diese »Würdigung« der Mitgliedschaft von Abdullah S. in der »neuen« Vereinigung hatte für ihn eine Strafverschärfung um mehr als das Doppelte der zu erwartenden Strafe zur Folge.
Mit den Hinweisen auf die Tätigkeiten unseres Mandanten für das europäische Finanzbüro, seine Zugehörigkeit zur PKK-Führungsriege und seinen Aufenthalt in den Kandil-Bergen hielt der Senat die Strafhöhe für gerechtfertigt.

Die heftige Kritik des Senats an der türkischen Verfolgungspolitik und dem nicht zu rechtfertigenden Vorgehen der Sicherheitskräfte unter dem Mantel der »Abwehr des Terrorismus« könne aber nicht dazu führen, Vergeltungsschläge jederzeit als legitim und völkerrechtlich zulässig zu betrachten.

Leider hat dann der Senat hinsichtlich der Strafzumessung die kritische Ebene gegenüber dem türkischen Staat wieder verlassen und gemeint, dass Kurdinnen und Kurden trotz der Menschenrechtsverletzungen (Folter, Vertreibungen, extralegale Morde) das aktive Wahlrecht gewährt werde und prokurdische Parteien trotz Einschränkungen bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung »in der Gesamtwürdigung« erlaubt seien. Es wurden ihnen außerdem Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt und sie hätten vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof auch vielfach Rechtsschutz erstreiten können. Deshalb – so der Senat – sei die physische Vernichtung des Gegners in Form von Attentaten kein legitimes Vorgehen.

Ist das Gericht in seiner Begründung auch auf Ihren Mandanten persönlich eingegangen, der schließlich sein ganzes politisches Leben der kurdischen Bewegung gewidmet und hierfür einen hohen Preis gezahlt hat ?

Ja, in gewisser Weise schon. Trotz des seit Jahrzehnten dauernden Konflikts und auch der persönlichen Betroffenheit von Abdullah S. seit seiner frühen Jugend und seinem Verfolgungsschicksal und das seiner Familie sowie seiner festen Überzeugung, dass die Politik der PKK der einzig Erfolg versprechende Weg zur Anerkennung im türkischen Staat darstelle und er der »kurdischen Sache« sein Leben gewidmet und keine eigenen Ziele verfolgt habe, hat der Senat letztlich wieder nur Herkömmliches ausgekramt. Hierbei ging es insbesondere um seine langjährige PKK-Mitgliedschaft, seine Tätigkeit als Finanzverantwortlicher, die für die Organisation von zentraler Bedeutung gewesen sei, und schließlich – quasi als abschließende Bemerkung für den Angeklagten – der Hinweis darauf, dass es auch ein »hässliches Gesicht der PKK« gebe. Wenn es das Lebensanliegen des Angeklagten sei, der PKK internationale Anerkennung verschaffen zu wollen, möge er hiervor nicht die Augen verschließen.

Halten Sie es für denkbar, dass die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in der Türkei bzw. im Mittleren Osten künftig kritischer mit der Haltung der herrschenden Politik gegenüber der kurdischen Bewegung und ihrer Aktivist*innen umgehen könnten?

Ob die Staatsschutzsenate vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in der Türkei bzw. im Mittleren Osten kritischer mit der Haltung der herrschenden Politik umgehen werden, ist eine ausschließlich politische Frage. Ich will daran erinnern, dass sich die Staatsschutzsenate aller Bundesländer regelmäßig treffen. Gerade mit Blick auf die politische Ermächtigung durch das Bundesjustizministerium zur Strafverfolgung in Fällen des § 129b ist eine Änderung der Rechtsprechung nur zu erwarten, wenn sich in der bundesdeutschen, mehr noch der europäischen Politik zu den anstehenden Fragen der Streichung der PKK von der EU-Terrorliste und der Aufhebung des PKK-Verbots ein grundlegender Meinungswandel vollzieht.

Azadî: Wir bedanken uns für das Gespräch.

azadi