Fracking bald auch in Kurdistan?

Die Folgen von Fracking in Kurdistan waren bisher verheerend

Ercan Ayboğa

Seit knapp einem Jahrzehnt werden Fracking und seine problematischen Folgen für Natur und Mensch international diskutiert. Vor mehr als drei Jahren erfuhren die Menschen in der Türkei und Nord-Kurdistan, dass Fracking durch den Staat als eine weitere Energiegewinnungsmethode eingeführt werden soll. Damit wird die Gesellschaft mit einer neuen Zerstörungs- und Ausbeutungsgefahr konfrontiert. Der beschleunigte Neoliberalismus der letzten zehn, fünfzehn Jahre in der Republik Türkei hat die Zahl großer Investmentprojekte wie zum Beispiel Talsperren, Bergbauvorhaben und Kohlekraftwerke so sehr wachsen lassen, dass Natur und Klima in dramatischer Weise immer mehr zerstört werden.

frackingBeim Fracking handelt es sich um eine unkonventionelle Methode zur Gewinnung von vor allem Erdgas. Erdöl fällt als Nebenprodukt in nicht geringem Maße ab. Erdgas, das in tiefen Schichten unter der Erde in Felsformationen gebunden ist, wird durch einen Druckstrahl herausgelöst und zur Erdoberschicht in Bohrleitungen gefördert. Der Druckstrahl besteht aus großen Mengen Wasser und feinem Sand mit zahlreichen verschiedenen Chemikalien. Felsschichten mit Erdgasvorkommen liegen meist in Tiefen von 1000 bis 4 000 Metern. Unten angekommen setzen sich die Bohrungen oft bis zu einem Kilometer weit in horizontaler Richtung fort.

Fracking wird weltweit durch Erdöl- und Erdgaskonzerne praktiziert, weil die Methode know-how- und technikintensiv ist. Die Unternehmen stammen bekanntlich aus westlichen Ländern und den Erdölstaaten. Die Förderung durch eine Anlage betrifft ein großes Einzugsgebiet, weil ab einer bestimmten Tiefe die Sprengung von Felsen in horizontaler Richtung verläuft.

Fracking ist in ökologischer und auch sozialer Hinsicht äußerst problematisch, was die bisher zutage getretenen Folgen zeigen. Da es sich um eine neue Technik handelt, ist nicht genau abzusehen, welche negativen Folgen sich noch zeigen können.

Der intensive Chemikalieneinsatz bei der Sprengung von Felsen ist der erste zu erwähnende Kritikpunkt. Die Chemikalien bleiben zu 30 bis 50 % im Grund, können nicht wie angegeben herausgeholt werden und können sich mit dem Grundwasser vermischen. Wenn eine Region mit vielen Fracking-Förderanlagen überzogen wird, kann sich dies in spürbarem Maße auf das Grundwasser auswirken. Es sollen bis zu über 1000 verschiedene chemische Mittel zum Einsatz kommen, von denen ein großer Teil krebserzeugend sein könnte. Da das Grundwasser sehr langsam fließt und tieferes Grundwasser viele Jahre benötigt, bis es sich erdoberschichtnah fortbewegt und damit den Menschen zugänglich wird, sind die Folgen noch nicht in ihrer ganzen Bandbreite zu erfassen. Das Argument der Fracking-BefürworterInnen, dass nur tiefe Grundwasserleiter betroffen seien, die keinen Zugang zu technisch nutzbaren Grundwasserleitern hätten, trifft bei genauerer Betrachtung kaum zu, da Grundwasserleiter selten durchgehend getrennt voneinander verlaufen. Ein Gericht im US-Bundesstaat Pennsylvania verurteilte Anfang 2014 das nach Erdgas bohrende Unternehmen zu Schadenersatz von 1,6 Mio. US-Dollar an drei Familien, weil es die Wasserquellen dieser Familien verschmutzt habe.

Für Fracking werden nicht wenige Bodenflächen in Anspruch genommen, was meistens auf Kosten von Agrarflächen geht. Besonders folgenreich ist jedoch der Einsatz der Chemikalien, die sich durch die Lagerung und Nachbereitung nach ihrem Einsatz auf die Landflächen rund um die Bohrbrunnen auswirken. Flächen in einem Umfang von mehreren hundert Metern können dabei verseucht werden. Das kann sich auf die angebauten Produkte und damit auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken.

Überaus problematisch ist weiterhin der Einsatz großer Mengen Wasser. Gerade in halbtrockenen und trockenen Gebieten mit relativ wenig Wasservorkommen wirkt sich das auf die Wasserquellen von ganzen Siedlungen in der näheren Umgebung aus.

Eine weitere Befürchtung ist, dass durch Fracking Erdbeben verursacht oder verstärkt werden können. Denn die Sprengung zahlreicher Felsen reißt große Lücken in den Erdschichten. Wenn wir bedenken, dass seit dem 20. Jahrhundert viele Elemente – insbesondere Wasser, Kohle, Erdöl und Erdgas – aus den Tiefen der Erde geholt werden, entstehen mit der Zeit immer größere Lücken, die irgendwann nachgeben können.

Ein zusätzlicher Grund, warum sich weltweit Menschen auf dem Land immer stärker gegen Fracking wehren, ist der drohende Preisverfall für Grundstücke und Gebäude in unmittelbarer Nähe. In der Tat ist dies in Fracking-Gebieten eingetreten.

Fracking kam als Erstes vor über zehn Jahren in den USA zum Einsatz, was unter anderem daran liegt, dass es US-Konzerne waren, die diese Technik entwickelt hatten. US-amerikanische Konzerne erhielten mit tatkräftiger Unterstützung der US-Bundesregierung und -Bundesstaaten Förderlizenzen. In den letzten Jahren stieg die Förderung trotz wachsender Proteste rapide an.
In den meisten europäischen Staaten ist Fracking nach schnell aufkommenden Protesten und deren großer Unterstützung aus der Öffentlichkeit entweder eingeschränkt oder de facto verboten worden. Das Land mit dem größten Potential, Frankreich, hat Fracking de facto verboten. In südlichen Staaten sind Regierungen und Konzerne bislang mit weniger Kritik konfrontiert. Weltweit zeigt sich ein differenzierteres Bild. Während in einigen Staaten Fracking stark vorangetrieben wird, kommt es in anderen Staaten nicht zum Einsatz.

Die stark zunehmende Ausbeutung von Fracking in den USA hat dazu geführt, dass die USA seit letztem Jahr von Erdgas- und Erdölimporten weitgehend unabhängig geworden sind. Das ist auch einer der gewichtigen Gründe für den erheblichen Rückgang der Weltmarktpreise für Erdöl und Erdgas in den letzten zwei Jahren.

Fracking in Kurdistan/Türkei

Im Jahre 2012 kam Fracking in der Republik Türkei auf die Tagesordnung. Die AKP-Regierung hat großes Interesse, diese Technik voranzubringen, weil sie an einer eigenen Erdgasförderung stark interessiert ist. Erste Untersuchungen gehen von unkonventionellen Erdgasvorkommen in drei Regionen aus. Das größte Vorkommen mit einer angeblichen Menge von 5 Mrd. Kubikmetern liegt demnach im mittleren Teil Nord-Kurdistans, gefolgt von Thrakien (europäischer Teil der Türkei) und der Konya-Ebene. Es ist anzunehmen, dass sich die Fracking-Region von Nord-Kurdistan weit nach Rojava/Nord-Syrien und Süd-Kurdistan/Irak ausdehnt. Da dort bisher u. a. wegen der politischen Lage keine Untersuchung durchgeführt wurde, ist das aber nicht abschließend festzustellen.
In allen drei Gebieten wurden seit Ende 2013 Probebohrungen durchgeführt. In den kurdischen Provinzen Amed (Diyarbakır), Êlih (Batman) und Erzirom (Erzurum) fanden bisher drei Probebohrungen durch den Weltkonzern Shell statt. Die Bohranlagen wurden jeweils mehrere Monate betrieben und anschließend geschlossen. Der Öffentlichkeit wurden bislang keine Ergebnisse mitgeteilt. In Nord-Kurdistan sollen nach staatlichen Angaben bis zu 3 000 Bohrungen stattfinden. Wann die eigentliche Erdgasförderung mittels Fracking in Amed beginnt, ist unklar. Währenddessen ist die Förderlizenz auf 31 714 Hektar Land in Thrakien vergeben worden.

Die Folgen von Fracking in Kurdistan waren bisher verheerend. Eine Bohrung fand im Osten der Provinz Amed nahe der Stadt Farqîn (Silvan) statt. Das Land um diese Probeanlage herum ist verseucht und die Wasserquelle des naheliegenden Dorfes ausgetrocknet, was sich nach der Probebohrung sehr negativ auf die Landwirtschaft auswirkt. Angesichts der in den letzten Jahren quantitativ als auch qualitativ immer größeren Beeinträchtigung des Wassers in Nord-Kurdistan stellt Fracking eine zusätzliche Belastung dar. Die Wasserkrise in Nord-Kurdistan und ganz Mesopotamien wird verschärft.
Fracking in Nord-Kurdistan betrifft zumeist ein Gebiet mit einem relativ hohen Erdbebenaufkommen. Somit trifft die allgemeine Aussage über die Verstärkung der Erdbebengefahr voll zu.
In Nord-Kurdistan äußern AktivistInnen der Ökologiebewegung Mesopotamien die Befürchtung, dass der Stausee des in Bau befindlichen Staudammes Silvan im Nordosten der Provinz Amed für große Fracking-Vorhaben Verwendung finden könnte. Der Silvan-Staudamm liegt mitten im angeblich großen Fracking-Gebiet Nord-Kurdistans und hat ein Volumen von 7 Mrd. Kubikmetern, womit Unmengen Wasser zur Verfügung gestellt werden könnten. Genauso würde das Wasserkraftwerk dieses Staudammes Strom bereitstellen, denn Fracking ist gleichzeitig stromintensiv. Kurz gesagt, dieser Staudamm würde Fracking in großem Maße überhaupt möglich machen.

In Nord-Kurdistan muss der Kampf gegen Fracking genauso wie gegen zerstörerische Talsperren, Bergbauprojekte und Kohlekraftwerke geführt werden. Denn sie sind eine Gefahr für Mensch und Natur und dienen den Profitinteressen von Konzernen und Regierungen. Doch muss dafür noch weit mehr Öffentlichkeitsarbeit getan werden, da die allermeisten Menschen davon noch nichts gehört haben und empfänglich für die staatliche Propaganda sind, demnach Fracking eine Energiequelle ohne irgendeine Gefahr sei.