Kurze Zwischenbilanz des »dritten Weges«

Rojava wird zum Vorbild für Syrien

Salih Muslim, Kovorsitzender der PYD

Diverse Mächte der Welt sind in Kriegen und Konflikten vertreten, um ihre Interessen zu wahren. Das betrifft auch den Mittleren Osten. Der Krieg dieser Mächte um Herrschaft und Interessen hat die Region gespalten, geschwächt und schließlich zusammenbrechen lassen. Es ist naheliegend, dass sie ihre Absichten mit der Zeit und im Rahmen der Entwicklung der zugrundeliegenden Konflikte ändern und neu bestimmen.

Die Welt hat sich im 20. Jahrhundert für die Mächte nicht zu ihren Gunsten entwickelt und etabliert. Das betrifft neben dem Fortschritt der technischen Entwicklung auch den der Globalisierung. Die Kolonialmächte trachten die Regionen nach ihren Möglichkeiten zu kontrollieren. Allerdings verstärken die Völker ihren Widerstand und wollen entschlossen Freiheit und Demokratie erlangen. Infolge der andauernden Auseinandersetzungen sind die unterdrückten Völker aufgewacht und akzeptieren nicht weiter die Herrschaft der Besatzer.kobane 240315 dosya 2 detay2

Unsere Region, der Mittlere Osten, ist derzeit am heißesten. Aufgrund seiner Besonderheiten war Mesopotamien das Zentrum für Kriege und Auseinandersetzungen der nationalen und internationalen Besatzer.

Der Wandlungsprozess in der Region und auf der Welt begann nach der Auflösung des Ostblocks zum Ende des 20. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert hat er seinen Höhepunkt erreicht. Die internationalen Mächte hatten geplant, den »gemäßigten Islam« als ideologiebasierte Herrschaft zu etablieren. Diese Form des Islam wird von den internationalen Mächten gefördert und legalisiert und zahlreiche Gemeinschaften und Gruppierungen in der Region sympathisieren mit ihm, sodass die Menschen den »gemäßigten Islam« als eigene Religion und Kultur betrachten. Für den Fall, dass einige Gruppen dieser Gemeinschaften in dieser Hinsicht nicht zu einem Konsens kommen, profitieren die globalen Mächte, indem sie sich einschalten und intervenieren.

Die Regionalmächte haben ihre Pläne an der Politik der internationalen Mächte ausgerichtet, sehen sich in deren politischen und strategischen Rahmen für den Mittleren Osten und versuchen davon zu profitieren. Der »Arabische Frühling« hat dieses Mal mit dieser Form des Islam begonnen. Die Konflikte zwischen den Nationen, Religionen und Glaubensrichtungen wurden aufrechterhalten und verstärkt.
Der sogenannte »Frühling«, der in Syrien begann, wurde von internationalen und regionalen Mächten als Opposition ins Leben gerufen. Diese Opposition wurde anfangs »Nationalrat Syriens« genannt, anschließend als »Nationale Koalition der Syrischen Oppositionskräfte« betitelt, die vollständig unter der Kontrolle der türkischen Regierung stand. Mit dieser Art Opposition beabsichtigte die Türkei, alle oppositionellen Gruppen in Damaskus zu steuern und dort ihre Politik zu verfolgen. Daneben gab es eine weitere Opposition, die »Koordination der demokratischen Kräfte«, die jahrelang einen demokratischen Kampf gegen das Damaskus-Regime führte.

Als Ausweg für die Situation in Syrien einigte sich die internationale Gemeinschaft, in Genf einen internationalen Kongress zu organisieren, Genf 1, der dann ohne Opposition und Regime stattfand und keine Ergebnisse lieferte. Also wurde ein zweiter Kongress einberufen, Genf 2, an dem Opposition und Regime teilnahmen. Auch dieser löste sich auf. Zeitgleich wurden in Syrien Massaker und Zerstörung fortgesetzt. So verfolgt jede bewaffnete Gruppe individuelle Ziele und will alle anderen Gruppen ausschalten.

Unter den Oppositionsgruppen in Syrien sind die Kurden das beste Beispiel für Disziplin und das Einhalten des internationalen Kriegsrechts. Sie haben den Demokratischen Konföderalismus umgesetzt und sich gegen jeglichen Angriff verteidigt. Damit sind sie zum entscheidenden Faktor in ganz Syrien geworden, so wurde ihr Widerstand in Şengal (Sindschar), Cizîrê und Kobanê (Ain al-Arab) weltweit bekannt. Vor allem in Kobanê wurde der Widerstand zur Hoffnung der Menschheit gegen Tod und Terror. Die internationale Koalition entschied sich, die Kurden in ihrem Kampf gegen den Terror zu unterstützen. Sie fassten den kurdischen Widerstand als Gewähr für die eigene Sicherheit auf.

In letzter Zeit fanden aufgrund der Situation in Syrien zwei Kongresse statt. Der erste in Kairo mit dem Ziel, die Oppositionsgruppen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen; dafür ist im Frühling in Kairo eine weitere Zusammenkunft geplant. Ein zweiter Kongress wurde in Moskau abgehalten; er wurde als Treffen zwischen Baath-Regime und Opposition aufgefasst. Der Plan war gewesen, dass alle Beteiligten neben ihren Ansichten auch potentielle Lösungsmöglichkeiten vorstellen. Die Besonderheit war, dass Vertreter des Demokratischen Konföderalismus offiziell zu diesen beiden Kongressen eingeladen gewesen waren.

Wir können sagen, dass sich die Lage im Mittleren Osten allgemein im kurdischen Sinne entwickelt. Das ist das natürliche Resultat der Anstrengungen und des Widerstands der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ und des »dritten Weges«, den die Kurden gewählt haben. Nun öffnen sich alle Türen, die ihnen zuvor immer verschlossen gewesen waren, und sie sowie der Demokratische Konföderalismus werden offiziell anerkannt. So ist der Demokratische Konföderalismus zum Vorbild für ganz Syrien geworden und etliche Oppositionsgruppen beabsichtigen dieses System für die Zukunft Syriens zu implementieren. Ohne Zweifel ist diese Entwicklung eine schwierige Aufgabe für uns Kurden und es werden von uns höhere Leistung und Arbeit erwartet. Vor allem werden die diplomatischen Aufgaben unserer Vertreter in Europa zunehmen. Das Treffen des französischen Präsidenten François Hollande mit VertreterInnen Rojavas war nur der Anfang. Wir müssen uns auf die neue Etappe gut vorbereiten und unser Volk und seine Ideale konsequent und sicher vertreten.