Die YPG auf einem guten Weg

Selbstvertrauen ist der Schlüssel zum Sieg

Sinan Cudi, Journalist

Am 3. Oktober 2014 erreichte die Terrororganisation des Islamischen Staates (IS) das Stadtzentrum von Kobanê (Ain al-Arab). In den Randbezirken brachen Kämpfe aus, und die Türkei schloss den Grenzübergang Mürşitpınar, die Luftröhre der auf drei Seiten von den Terroristen umzingelten Stadt. Diese war im wahrsten Sinne des Wortes belagert. Die internationale Anti-ISIS-Koalition hatte noch nicht damit begonnen, innerhalb von Syrien und Rojava Stellungen des ISIS anzugreifen. Der Kampf gegen die Terroristen wurde einzig von ein paar Hundert Kämpfer*innen der YPG/YPJ geführt, die völlig auf ihre eigenen, begrenzten Mittel und Ressourcen zurückgeworfen waren, und nur von den Kämpfer*innen von Burkan al-Furat (ein Zusammenschluss aus Kräften der Freien Syrischen Armee) und einigen Zivilist*innen unterstützt, die Kobanê nicht verlassen wollten.Kobanês zivile Verteidigung

Zeitgleich erklärten die gegen den ISIS kämpfenden regionalen und internationalen Staaten, dass dieser Kampf nur langfristig gedacht und nur mit einer hohen Anzahl zusätzlicher Waffen und militärischer Kräfte überhaupt ein Sieg erlangt werden könne. Für viele politische Akteur*innen war die Niederlage von Kobanê schon eine ausgemachte Sache: Es wurde schon versucht abzuschätzen, was nach dem Fall der Stadt geschehen würde.

Am selben Tag – dem achtzehnten Tag des Krieges – veröffentlichte das Generalkommando der Volksverteidigungseinheiten YPG eine schriftliche Erklärung und nahm damit der ungünstigen Lage zum Trotz eine Haltung ein, die von vielen verschiedenen Seiten als illusorisch abgetan wurde: »Unser Volk und unsere Freund*innen sollen sich nicht sorgen, Kobanê wird niemals fallen. In Kobanê wird der Widerstand des Jahrhunderts geleistet werden. Kobanê wird ISIS zum Grab werden. Allen sollte klar sein: Wir werden ISIS in der Ebene von Kobanê brechen und den Sieg Westkurdistans und eines freien und demokratischen Syriens der ganzen Welt verkünden.«

Diese Erklärung der YPG strotzt vor Selbstvertrauen – das allerdings auf einem festen Fundament ruht: »Sich der eigenen Kraft bewusst sein.« Der chinesische Stratege Sun Tzu, einer der weltweit größten Meister der Kunst des Krieges, formuliert das so: »Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.«

Dies scheint die größte Erfahrung zu sein, die die YPG aus den heftigen Kriegen und Gefechten gewonnen haben, in die sie ohne jegliche regionale oder internationale Unterstützung gezogen waren. Und es war wahrscheinlich die einzige Option, um die Isolation und den Mangel an militärischer Unterstützung, Waffen und Munition auszugleichen. Eine starke innere Organisiertheit, eine gute Ausbildung, eine disziplinierte Kampfkraft und vor allen Dingen die Auszeichnung durch den Glauben an den Sieg.

Natürlich haben die YPG ihre Kraft nicht nur auf militärischer Ebene bewiesen. Auch die Politik und die diplomatischen Anstrengungen, die sie während des Widerstandes unternommen haben, sorgten dafür, dass die Organisation heute an einem ganz anderen Punkt steht. Je stärker der Nachbarstaat und die umgebenden Kräfte die Ereignisse zu verzerren und die YPG zu isolieren trachteten, desto stärker hat die Organisation sich nach außen geöffnet, Beziehungen geknüpft und niemals die Wege des Dialoges verschlossen. Dieses Vorgehen ist einer der Hauptgründe für den wachsenden Einfluss der YPG auf der internationalen Ebene.

Die größte Quelle ihrer Kraft ist wahrscheinlich die Offenheit für Mitglieder aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Den YPG gelingt es, trotz aller ideologischen Unterschiede eine große Diversität in ihrem Widerstand zu einen. Ganz gleich, wie sich die anderen politischen Parteien und Organisationen verhalten, die YPG weichen Konflikten und Kämpfen mit ihnen aus und versuchen zu allen Machtzentren der Region eine gleiche Distanz zu halten. Das hat bei den Menschen in der Region ein großes Vertrauen geschaffen. Ohnehin müssen politische Modelle im Sinne der Projekte für das neue System, das in Rojava-Kurdistan und Syrien errichtet werden soll, der demographischen Wirklichkeit entsprechend auf Vielfalt und Diversität bauen.

Leider sind nicht alle Menschen Anhänger*innen von Vielfalt. Nicht nur die ISIS-Terrorist*innen, sondern etliche Machtzentren wollen die Revolution von Rojava und ein demokratisches Syrien mit militärischen Angriffen verhindern. Obwohl sie an vielen Fronten in die Defensive geraten sind, bereiten sich die Terrorgruppen laut eingehenden Informationen auf neue Angriffe vor. Auch dass Organisationen wie an-Nusra, die mit ISIS Seite an Seite kämpfen, täglich an Einfluss gewinnen, stellt eine ernste Gefahr dar. Aber auch die Beteuerungen der türkischen Staatsvertreter*innen, im Norden Syriens eine Struktur wie im Nordirak nicht hinzunehmen, bedeuten ein großes Risiko für die Revolution von Rojava und damit ein demokratisches Syrien.

Die größte Bedrohung hingegen stellt der Iran dar. Das zeigt sich an den Machenschaften des iranischen Regimes in Hesekê (al-Hasaka), einer Provinz, die aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Menschen verschiedener Volks- und Religionszugehörigkeiten wie ein kleines Modell Syriens anmutet. Als am 17. Januar die Kräfte des syrischen Regimes die Stellungen der YPG in Hesekê angriffen und sich einwöchige Auseinandersetzungen entsponnen, war der iranische Staat aktiv involviert. Laut Nachrichtenmeldungen waren iranische Generäle persönlich an den Angriffen beteiligt und Kommandanten der vom Iran abhängigen Hezbollah bildeten die örtlichen bewaffneten Banden im Vorlauf aus. In Kommentaren wurde betont, der iranische Staat habe mit diesen Angriffen erstens den Druck auf den Iran mindern, zweitens den in Rojava-Kurdistan verlorenen Einfluss des Baath-Regimes wiederherstellen und drittens den YPG eine Warnung erteilen wollen. Die Angriffe selbst blieben zwar erfolglos, doch als ein großer Risikofaktor bleiben sie weiter am Horizont.

Inmitten all dieser Gefahren geht der Aufstieg der YPG weiter. In Kobanê stehen sie kurz vor einem endgültigen Sieg und es sieht ganz so aus, als würden sie mit ihren Bündnissen und Beziehungen in der Politik des Mittleren Ostens in naher Zukunft ein wichtiger Akteur werden. Im Bewusstsein dieser auf sie zukommenden Aufgaben organisieren sie sich, so stark sie können. Quantitativ gesehen wachsen die YPG Tag um Tag. Ihr großer Schwachpunkt aber ist der Mangel an schweren Waffen. Obwohl ihre Kriegsführung gegen den ISIS-Terror effizienter ist als die aller anderen Akteure, erhalten sie keine Waffen und Munition. Am 20. Oktober lieferte die Koalition einmalig mit Transportflugzeugen in begrenztem Maße leichte Waffen. Die Wirkung dieser Intervention ist jedoch längst vergangen.

Die YPG stellen nicht dieses Problem in den Vordergrund, sondern verlassen sich weiterhin auf ihre eigene Kraft, um den Kampf gegen den ISIS-Terror entschlossen fortzusetzen. Am 26. Januar konnten sie verkünden, dass das Stadtzentrum von Kobanê von den ISIS-Terroristen befreit worden sei. In derselben Erklärung drückten sie nicht nur ihre Entschlossenheit aus, den Kampf fortzuführen, sondern verkündeten gleich neue Ziele.

»Der Verlust von Kobanê bedeutet für ISIS den Anfang vom Ende. Der Krieg um Kobanê ist zum eigentlichen Maßstab geworden. Die Niederlage des ISIS in Kobanê beschränkt sich nicht nur auf dieses Gebiet. Vielmehr bedeutet sie einen Zusammenbruch der psychischen Verfasstheit und Kampfmoral. Wir sind überzeugt davon, dass wir nach unserem Sieg in Kobanê wachsende Erfolge gegen ISIS verzeichnen werden. In naher Zukunft werden wir weitere gute Nachrichten bringen können.«