Der Kovorsitzende des KCK-Exekutivrats Cemil Bayık über das internationale Komplott und die Entwicklungen im Mittleren Osten

Die PKK als alternative Kraft, die sie nicht akzeptieren konnten ...

Amed Piran, Özgür Gündem

Cemil BayıkCemil Bayık, Mitbegründer der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und Kovorsitzender des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), bewertete in einem zweiteiligen Interview, das am 15. und 16. Februar in der kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem erschien, das internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan, die andauernden Angriffe der kapitalistischen Moderne gegen die kurdische Freiheitsbewegung und die Perspektiven für sozialistisch-revolutionäre Kräfte im Mittleren Osten.

Es sind nun 16 Jahre seit dem internationalen Komplott vergangen. Was für eine Position hatten die internationalen Kräfte zur Zeit des Komplotts inne?

Das internationale Komplott war die größte Katastrophe, die einer Gesellschaft und einer Bewegung widerfahren konnte. So tief, brutal und hart das Komplott war, so entschieden, willensstark und hart war auch unsere Reaktion. Heute befinden wir uns am 16. Jahrestag des Komplotts. Das Komplott nochmals unter verschiedenen Aspekten zu bewerten und zu analysieren, ist notwendig. Denn im Zentrum stand, mit der Person des Vorsitzenden Öcalan, die Zukunft der kurdischen Gesellschaft und der Freiheitsbewegung auf dem Spiel. In diesem Sinne ist eine Diskussion und Analyse angebracht. Doch davor möchte ich mein respektvolles Gedenken und ehrfürchtiges Verbeugen vor allen kämpfenden und gefallenen Genossinnen und Genossen ausdrücken, die sich in den Bergen, Gefängnissen, den vier Teilen Kurdistans und im Ausland mit der Parole »Ihr könnt unsere Sonne nicht verdunkeln« zu Feuerbällen gegen das internationale Komplott machten und als Märtyrer gefallen sind. Außerdem möchte ich nochmal die am Komplott beteiligten Kräfte verurteilen und meinen Glauben daran ausdrücken, dass keine Kraft den Willen des Vorsitzenden und den langen Atem unserer Gesellschaft besiegen kann.

Das Komplott vom 15. Februar 1999 war ein internationales Komplott. An diesem Komplott waren viele Kräfte beteiligt. Doch wir wissen, dass die Rolle der USA dabei entscheidend war. Die Rolle der Türkei überschreitet nicht die einer einfachen Nebenrolle. So sagte der Ministerpräsident Bülent Ecevit, dass er immer noch nicht ganz verstanden habe, warum die USA ihnen Öcalan ausgeliefert hätten. Es gab also ein gemeinsames Spiel zur Unterstützung der Türkei. Israel hat im Sinne seiner technischen Geheimdienstfähigkeiten eine aktive Rolle gespielt. Die EU-Staaten haben sich bis zum letzen Punkt zu einer einzigen Entscheidungsgewalt zusammengefügt und im Komplott eine aktive Rolle gespielt. Als Öcalan durch den europäischen Luftraum flog, gab es solch eine demokratische und kulturelle Tradition, dass kein einziger europäischer Staat seinen Flughafen für Öcalan öffnete oder eine Landung seines Flugzeuges erlaubte. Russland hat für seine ökonomischen Vorteile eine beispiellose Charakterlosigkeit gezeigt und sich dem Komplott angeschlossen. Griechenland hat mit dem Darlegen einer falschen Freundschaft, die ihresgleichen in der Geschichte sucht, ebenfalls seinen Platz im Komplott eingenommen. Daneben haben sich die regionalen reaktionären Kräfte und die kurdischen Kollaborateure dem Komplott angeschlossen.

Was hat sie alle nun zusammengebracht?

Ich möchte betonen, dass weder Öcalan noch unsere Gesellschaft Feindseligkeit gegenüber den Gesellschaften von Europa, Russland, Griechenland und Amerika hegen. Das Problem sind die Staaten selbst, die für ökonomischen und politischen Nutzen keinerlei menschliche, moralische oder internationale Werte kennen. Der Vorsitzende Apo [Öcalan] repräsentiert eine Lebensphilosophie, die Demokratie und Freiheit als Zukunft der Menschheit. Deshalb ist es gerechtfertigt zu sagen, dass alle am Komplott beteiligten Kräfte wahre Feinde von Demokratie und Freiheit sind. Diese Besonderheit ist es, die sie zusammengebracht hat. Öcalan wurde ohne jegliche Wahrung von Recht, Gesetz oder menschlichen und moralischen Werten auf die Insel Imralı gesperrt; seinen eigenen Worten nach wurde er gekreuzigt. Eigentlich wurde in der Person von Öcalan die gesamte Menschlichkeit, allen voran die kurdische Gesellschaft und unsere Bewegung gekreuzigt. Das ist eine große Skrupellosigkeit.

Was war aus dieser Perspektive das Ziel des internationalen Komplotts?

Zunächst möchte ich Folgendes betonen: Öcalan repräsentiert hierbei keine Person, sondern eine Gesellschaft sowie deren Zukunft. In diesem Sinne war die Problematik nicht auf eine Person begrenzt. Das Komplott ist eine Entwicklung, die mit den regionalen Entwicklungen und der erreichten Stufe der kurdischen Frage zusammenhängt. Zur Erinnerung: Es gab zu Zeiten des Komplotts bedeutende Umbrüche im Mittleren Osten. Die Ansichten von Öcalan und die kurdische Freiheitsbewegung hatten ein Niveau erreicht, auf dem sie die Widersprüche und Gleichgewichte im Mittleren Osten beeinflussen und die Richtung von Entwicklungen mitbestimmen konnten. Eine klassische Führungsrolle in Kurdistan war nicht in der Lage, den Entwicklungen im Mittleren Osten sowie den Forderungen der kurdischen Gesellschaft nach Demokratie und Freiheit Antworten zu geben. Öcalan und die Freiheitsbewegung beeinflussten die vier Teile Kurdistans. Diese Situation erschreckte und störte die traditionellen kurdischen Führungskräfte sowie die internationalen Hegemonialmächte auf ernsthafte Weise.

Die Türkei steckte in jeder Hinsicht in einem Dilemma. Sie war ökonomisch und politisch im Würgegriff und erlebte große Turbulenzen. Und das Wichtigste war, dass der türkische Kolonialismus trotz all seiner Unterstützung durch internationale und regionale reaktionäre Kräfte die Freiheitsbewegung nicht besiegen konnte.

In der Gesellschaft Kurdistans entwickelten sich ein unglaubliches nationales Erwachen, ein Bewusstsein und eine Widerstandsausdauer. Die PKK war nun eine nationale und internationale Kraft. Sie zwang die kurdische Frage aus allen Blickwinkeln zu einer Lösung. Der türkische Staat hatte nun nicht mehr viele Möglichkeiten. Entweder es kommt eine Lösung oder es muss nach neuen Möglichkeiten gesucht werden, da die Methoden der speziellen Kriegsführung, die jahrzehntelang angewandt wurden, keine Ergebnisse brachten.

Die kurdische Frage war gleichzeitig ein regionales und internationales Problem. Die internationalen und regionalen Kräfte wollten keine Lösung der kurdischen Frage. Sie wollten das Problem verwalten und hielten Krieg, Gewalt oder eine Lösung mit der traditionellen kurdischen Führung geeigneter für ihre Zwecke.

Wenn schon eine Lösung erzielt werden sollte, dann nicht unter der Vorreiterrolle des Vorsitzenden Öcalan und der PKK. Doch die PKK war die entscheidende Kraft. Deshalb gab es nicht viele Alternativen. Entweder kommen sie zu einer Lösung mit der PKK, oder sie zielen auf die Vernichtung der PKK ab. Dafür musste zuerst der Vorsitzende Öcalan liquidiert werden.

Es gibt weltweit ähnliche Fälle. Wenn der Führung von Bewegungen der Einfluss entzogen wurde, sie getötet oder festgenommen wurden, blieb auch nichts von den Bewegungen übrig. Viele revolutionäre Bewegungen wurden auf diese Weise liquidiert. Der Mentalität zufolge, nach der das internationale Komplott verwirklicht wurde, dachte man, dass mit der Isolierung von Öcalan und der Trennung von der Gesellschaft vom Widerstand nichts übrig bleiben werde und die PKK liquidiert sei. Doch diese Mentalität ist angesichts der Realität der kurdischen Führungspersönlichkeit Öcalan und der Freiheitsbewegung ins Leere gelaufen. Denn der Vorsitzende hat solch eine Gesellschaft und Bewegung hervorgebracht, dass selbst, wenn die Welt sich gegen sie verbünden würde, keine Ergebnisse erzielt werden könnten. Die Entwicklungen haben dies bestätigt. In der Realität der PKK und ihrer Entwicklungsdialektik sind Schwierigkeiten nur der Grund für eine Stärkung der Bewegung. Die von Öcalan entwickelte Ideologie und das neue Paradigma waren für unsere Bewegung und unsere Gesellschaft wie ein Neuanfang. Die Gewinner sind der Vorsitzende Öcalan, die Freiheitsbewegung, unsere Gesellschaft und die Menschheit; die Verlierer sind alle reaktionären Kräfte, die Teil des internationalen Komplotts waren.Zehntausende demonstrieren in Gever (Nordkurdistan) gegen das internationale Komplott | DIHA

Was war das Bestimmende für die Kräfte in diesem Komplott, gegen die kurdische Führungspersönlichkeit Öcalan aktiv zu werden? Wo lässt sich dieser Vorstoß in ihren Mittelostplänen verorten?

Wie ich bemerkte, war der grundlegende Punkt für die Aktivierung der Kräfte im Komplott ihr schmutziges, ökonomisches und politisches Interesse. Die Freiheitsbewegung Kurdistans bedrohte die Kräfte der kapitalistischen Moderne und die nationalstaatlichen Regionalkräfte auf allen Ebenen. Im Mittleren Osten gab es einen Status, der den Völkern aufgezwungen wurde. Dieser Status wurde nach nationalstaatlicher Mentalität aufgebaut und organsiert. Das System war vollständig auf Zwang und Verleugnung aufgebaut. Demokratie und Freiheit wurden für die Völker des Mittleren Ostens als nicht würdig angesehen; die Existenz der Völker, Glaubensrichtungen und Kulturen wurde verleugnet. Die internationalen Hegemonialmächte organsierten ihre Interessen im Mittleren Osten über nationalstaatliche, oligarchisch-faschistische Regime. Dieser Status sollte geschützt und nicht verändert werden.

Die Existenz der PKK und die Entwicklung der Freiheitsbewegung repräsentierten genau das Gegenteil. Sie ebneten den Weg für die Aufklärung, Bewusstwerdung und Organisierung der Völker, Glaubensrichtungen und Kulturen im Mittleren Osten. Das Demokratiebewusstsein und die Freiheitssuche der Völker störten diese Kräfte. Sie wollten keine Veränderungen und neuen Formationen im Mittleren Osten jenseits ihrer eigenen Vorstellungen. Der Status musste geschützt werden; und wenn es Veränderung gäbe, dann nach ihren eigenen Vorstellungen. In diesem Sinne stellte die PKK einen Demokratie- und Freiheitswillen dar, der auf der eigenen Kraft der Völker beruhte und nicht von außen kontrolliert werden konnte.

Sie war folglich ein Hindernis, das überwunden werden musste. An diesem Punkt gab es eine einheitliche Bewegung der internationalen Hegemonialmächte, der regionalen Reaktionäre und Kollaborateure. Ihre Interessen überschnitten sich. Daneben war die eigentliche Befürchtung die neue Lebensweise, die die PKK versuchte, ideologisch und philosophisch zu entwickeln, sowie ihr Kampf für Demokratie und Freiheit. Die PKK war in diesem Sinne eine alternative Kraft, die sie nicht akzeptieren konnten. Mit einer Vernichtung der PKK wären systemimmanente Lösungen leichter gewesen. Ich kann die Elemente, die am stärksten zur Aktivierung der internationalen Kräfte des Komplotts beitrugen, so kurz zusammenfassen.

Die kurdische Freiheitsbewegung erklärt, die Ziele der am Komplott beteiligten Kräfte seien ins Leere gelaufen. Was hat dies bewirkt?

Wenn man sich die Geschichte der Freiheitsbewegung vor Augen führt, dann sieht man, dass die kleinste Errungenschaft, die im Namen von Demokratie und Freiheit gewonnen wurde, jeder einfache kleine Schritt, mit großen Opfern bezahlt wurde. Und das ist eine Besonderheit der PKK. Die PKK ist eine Bewegung, die nicht auf Bequemlichkeit setzt und mit der Überwindung von Schwierigkeiten Identität gewinnt und entwickelt. In ihrer 40-jährigen Widerstandsgeschichte hat sie alle Probleme und Schwierigkeiten auf diese Weise überwunden.

Beim Komplott wurde in der Person des Vorsitzenden Öcalan unserer Bewegung und unserer Gesellschaft das Leichentuch aufgelegt. Es wurde gesagt, dass die PKK ihre Existenz nicht mehr schützen, fortführen und kämpfen könne. Doch der Vorsitzende Öcalan hat einen neuen Vorstoß mit dem Paradigma der Demokratischen Nation und des Demokratischen Konföderalismus vorgenommen; und das auf einem Niveau, dass alle überraschte. Das war sehr historisch und bedeutend. Im Grunde hat das Komplott genau an diesem Punkt verloren.

Öcalan hat nicht mit einer traditionellen und üblichen Art von Führungspersönlichkeit reagiert, sondern mit einer eigenen Art und Weise, mit einem Vorstoß auf höchstem Niveau alle Rechnungen der Kräfte des Komplotts ins Chaos gestürzt und einen neuen Prozess begonnen. Bei der Verteidigung gegen das Komplott waren die Haltung und das neue Paradigma Öcalans sicher das Entscheidendste. Daneben sind auch die Vergesellschaftung unserer Bewegung und ihre Einheit mit der Führungspersönlichkeit wichtig im Kampf gegen das Komplott. Wie bereits am Anfang erklärt, haben sich dutzende unserer Genossinnen und Genossen und dutzende kurdische Menschen und Freunde, die den Vorsitzenden nie gesehen oder gekannt haben, in Feuerbälle verwandelt und das Komplott verurteilt. Ich möchte nochmals dieser willensstarken großen Revolutionäre gedenken. Es war die Entschlossenheit und die Willenskraft, die das Komplott besiegt haben. Der Widerstand braucht zusammen mit Entschlossenheit und Willenskraft eine richtige Führung und Organisierung. Dies gab es bisher nicht in der Geschichte Kurdistans. Die PKK und ihr Vorsitzender haben in diesem Sinne eine Antwort auf die tausendjährigen Sehnsüchte unserer Gesellschaft gegeben. Seine ideologisch-politische Richtung, seine Ansichten und das Paradigma haben diesen unbesiegbaren organsierten Widerstand hervorgebracht und zum Erfolg geführt.

Mit solch einer Führung und opferbereiten Bewegung und Gesellschaft konnte natürlich kein Komplott die erhofften Ergebnisse erzielen.

Dauern diese Pläne der internationalen Kräfte des Komplotts heute noch an? Oder wurden sie revidiert? Falls sie revidiert wurden, weshalb?

Das Komplott hat nicht seine Ziele oder Absichten erreicht. Öcalan, dem man seinen Einfluss nehmen wollte, ist heute nicht nur für die kurdische Gesellschaft relevant, sondern spielt eine dynamischere, aktivere und einflussreichere Rolle für die Menschheit. Die PKK-Bewegung hat sich auf Grundlage des neuen Paradigmas selbst geschult, organsiert und eine hohe Organisierungsstufe erreicht. Die Gesellschaft Kurdistans hat sich um den Vorsitzenden Öcalan zusammengeschlossen und sich auf eine unvergleichliche Weise mit der Freiheitsbewegung vereint. Die PKK, die man liquideren wollte, hat sich in eine große regionale Kraft verwandelt, die den Demokratie- und Freiheitswünschen der Gesellschaften die Richtung weist und Vertrauen und Hoffung geben kann. Dies alles zeigt, dass das Komplott seine Ziele nicht erreicht hat.

Doch ich muss Folgendes klarstellen: Natürlich waren wir durch das Komplott mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Uns wurde eine unvergleichliche Liquidation aufgezwungen. Falsche Freunde, ambivalente, unentschlossene und willensschwache Revolutionäre wurden erfasst und sind gebrochen. Die Kräfte des Komplotts haben versucht, sich in die Bewegung einzuschleusen, um eine falsche Führung zu erschaffen.

Doch all dies wurde durch die Bestrebungen Öcalans und die Verbundenheit unserer Bewegung mit ihm ins Leere laufen gelassen. Wenn heute das Komplott besiegt wurde, wird mit dem Kampf zur Befreiung des Vorsitzenden Öcalan und Kurdistans auch die Reaktion weitergehen.

Das Komplott wird ohne Zweifel nicht mehr mit den offenen Methoden, sondern, wie erklärt, mit den revidierten Methoden weitergehen. Sie werden alles Mögliche tun, um die Bewegung zu lenken, falsche Tagesordnungen zu schaffen, um sie ins System zu integrieren. Gegen das von Öcalan entwickelte Paradigma des Demokratischen Konföderalismus und der Demokratischen Nation werden die nationalstaatliche Mentalität und die Kräfte der kapitalistischen Moderne im Sinne von Ideologie, Politik, Moral und Ethik kontinuierlich im Kampf gegen uns sein. Dies ist eine Seite des Komplotts. Eine andere Dimension ist, dass sie immer noch nicht von den alten Methoden gelassen haben. Dies wurde durch die Morde von Paris sichtbar. Die Ermordung der drei großen revolutionären kurdischen Frauen Sakine, Rojbîn und Ronahî im Herzen von Paris ist eine Spielart des internationalen Komplotts. Die Einzelheiten können anders sein. Doch im Kern handelt es sich um einen Schlag gegen den Vorsitzenden Öcalan und unsere Bewegung und um den Versuch, das Paradigma von Öcalan und die Lösung der kurdischen Frage ins Leere laufen zu lassen. Sie versuchen heute Kräfte wie die Hizbullah gegen unsere Bewegung und unsere Gesellschaft in Bewegung zu setzen. Solche Kräfte ohne ihren internationalen Einfluss zu bewerten, ist nicht möglich. Man muss wissen, dass dies die Ausrichtung ist, solange Öcalan und die Gesellschaften Kurdistans nicht befreit sind, auch wenn die Kräfte und Methoden des Komplotts sich ändern.

Wie sieht die heutige Kurdenpolitik der Staaten, die aktiv am Komplott teilgenommen haben, aus? Wenn es einen Politikwechsel gibt, was sind die Faktoren hierfür?

Seit dem Komplott vom 15. Februar sind nun 16 Jahre vergangen. In diesen vielen Jahren gab es wichtige Entwicklungen in Kurdistan und im Mittleren Osten. Auch wenn es mit dem kolonialistischen türkischen Staat von Zeit zu Zeit Gespräche gab, wie z. B. in Oslo, ist er insbesondere im Jahr 2011 mit einem Vernichtungskonzept gegen unsere Bewegung und einer Verschärfung der Isolations-Bedingungen gegen unseren Vorsitzenden zum Angriff übergegangen. Der Krieg ist eskaliert. Während der Staat dachte, freie Gebiete zu übernehmen und zu zerschlagen, haben sich in Nordkurdistan freie Gebiete entwickelt. Die Kräfte der türkischen Armee haben schwere Niederlagen erlitten. Die AKP-Politik wurde zu großen Teilen ins Leere laufen gelassen. Unser Vorsitzender hat daraufhin an Newroz 2013 einen neuen Prozess begonnen. Und dieser Prozess dauert mit seinen Schwierigkeiten weiter an.

Die Interventionen in den Mittleren Osten, insbesondere die IS-Faschisten in Kurdistan, haben mit neuen Widersprüchen auch neue Gleichgewichte hervorgebracht. Der von unserer Bewegung in Rojava, Şengal und vielen anderen Orten Kurdistans gegen den IS-Faschismus geführte Widerstand hat bei den Gesellschaften große Hoffnung und Euphorie hervorgebracht und wieder einmal gezeigt, dass unsere Bewegung Demokratie, Freiheit und menschliche Werte verteidigt. Die Kurden haben mit der Vorreiterrolle der Freiheitsbewegung die Rolle einer Willenskraft im Mittleren Osten erlangt. Angesichts des Willens der Kurden zur Verteidigung von Demokratie und Freiheit entwickelte sich eine große Sympathie in der Welt, die die internationalen Kräfte nicht unbeachtet lassen konnten. Aus diesem Grund sind die schwarze Propaganda und das Image gegenüber unserem Vorsitzenden und unserer Bewegung, welche (seit fast einem halben Jahrhundert) auf eine sehr bewusste und organsierte Weise aufgebaut wurden, zusammengebrochen. Es hat sich erwiesen, dass ohne eine Befreiung der Kurden auch der Mittlere Osten nicht frei sein wird. Die Freiheitsgarantie für die Kurden ist die Befreiung des Mittleren Ostens. Ohne die Kurden ist keine nachhaltige Lösung im Mittleren Osten möglich. Das hat sich klar gezeigt.

Es ist für die Kräfte, die im Mittleren Osten Politik machen und die Region nach ihren Interessen gestalten wollen, nicht möglich, diese Realität der PKK und den Willen der kurdischen Gesellschaft außen vor zu lassen. Denn die PKK, mit ihrem Demokratie- und Freiheitskampf, nimmt als eine starke Willenskraft einen festen Platz in der Politik des Mittleren Ostens ein. Zusammen mit diesen Erkenntnissen ist es aufgrund der inneren türkischen Entwicklungen und der hegemonialen Außenpolitik des AKP-Staats mit der türkisch-islamischen Synthese eine natürliche Sache, dass die USA, die EU und viele andere regionale Staaten im Hinblick auf die kurdische Frage, und damit verbunden in ihrer Politik gegenüber der PKK und der Türkei, bestimmte Veränderungen aufweisen. Unsere Bewegung hat mit der Verteidigung von Demokratie, Freiheit und menschlichen Werten gegenüber dem IS-Faschismus in den Augen der Menschheit ein großes Ansehen erlangt. Gewissenhafte Demokraten, Revolutionäre, Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler, Akademiker und Politiker haben die Realität der PKK nun besser verstanden. Diese positiven Reaktionen in der Öffentlichkeit auf die PKK haben einen Einfluss auf die Staaten ausgeübt. Aus diesem Grund gab es intensive Diskussionen darüber, dass die PKK nicht terroristisch sei und von der Terrorliste gestrichen werden sollte.

Nach all dem ist es für die USA schwer, eine Politik der Feindschaft gegenüber der PKK zu verfolgen. Die Revolution von Rojava, die auf ihre eigene Kraft gestützt gekämpft und gewonnen hat, hat die USA, Frankreich und weitere europäische Staaten gezwungen, ihre Haltung zu ändern. Auch für Israel ist es unrealistisch und schwer, eine Politik gegenüber der Türkei zu betreiben, die auf Feindschaft gegen Kurden und die PKK beruht, da es widersprüchliche Interessen zwischen Israel und der AKP-Regierung unter Erdoğan gibt. Russland war gegenüber der kurdischen Frage von Anfang an passiv. Wenn es eine Politik im Mittleren Osten verwirklichen will, muss es die kurdische Realität und die PKK sehen und verstehen. Und Griechenland, unsere Worte waren gegen die damalige PASOK und den damaligen griechischen Staat gerichtet. Denn ich glaube daran, dass die griechische Gesellschaft den Kurden immer freundschaftlich verbunden war. Dem Sieg der SYRIZA in den letzten Wahlen begegnen wir positiv. Ich weiß nicht, wie sehr sie gegen die ökonomische Politik und die neoliberale Ideologie der kapitalistischen Moderne ankämpfen können. Doch sie haben einen wertvollen und sinnvollen Vorstoß gemacht. Ich glaube daran, dass die griechische Gesellschaft mit der neuen griechischen Regierung zusammen die Freiheit der kurdischen Gesellschaft unterstützen wird. Das heißt, die Annäherung der genannten Staaten an die PKK und die kurdische Frage ist keine vorsätzliche Annäherung. Wenn die Kurden in Kobanê besiegt worden wären, der türkische Staat gegen die Freiheitsbewegung erfolgreich gewesen wäre, wären die Kurden sicher auf keiner Tagesordnung. Nur mit Kampf, Stärke, Organisierung und der Einflussnahme auf politische Verhältnisse werden die Staaten einen Wechsel in ihrer Politik vornehmen. Das Gesagte gilt aber nicht für Gesellschaften. Die Interessen der Gesellschaften sind gleich, einheitlich. Was diese geschwisterlich vereint, ist der Wunsch nach Demokratie und Freiheit. In diesem Sinne sind wir sowieso freundschaftlich und geschwisterlich mit den Gesellschaften verbunden.

Wie hat die Revolution von Rojava den Blick der Gesellschaften und internationalen Kräfte auf die kurdische Freiheitsbewegung, Öcalan und das Komplott beeinflusst?

Die Revolution in Rojava hat in diesem Sinne zweifellos eine positive Wirkung auf die Gesellschaften und Kräfte gehabt. Aus diesem Grund wird die Freiheit des Vorsitzenden Öcalan von allen Gesellschaften gefordert. Deshalb haben sich zusammen mit den Gesellschaften auch die Sichtweisen von einigen Staaten auf das internationale Komplott geändert, oder sie waren dazu gezwungen. Dies hat Öcalan mit seinen Einsichten erschaffen und unsere Gesellschaft und unsere Freiheitsbewegung in die Praxis umgesetzt. Es ist allgemein bekannt, dass politische und gesellschaftliche Führungspersönlichkeiten bei ihrem ersten Hervortreten nicht leicht verstanden, sogar verurteilt werden. Die Größe dieser Menschen wird leider erst später gesehen. Erst fast ein halbes Jahrhundert später wird der Vorsitzende Öcalan langsam von den Menschen verstanden. Die internationalen Kräfte des Komplotts sind heute sogar in eine Lage gekommen, in der sie nicht mal mehr das Komplott verteidigen können. Die aufsteigenden Werte von Demokratie und Freiheit machen Öcalan verständlicher und die Kräfte des Komplotts schwächer.

Wie sah die Annäherungsweise der Demokraten und fortschrittlichen Kräfte der Türkei aus? Sehen sie dies als ausreichend an?

Der Vorsitzende Öcalan sagt: »Ich habe nicht, weil ich Kurde bin, den Freiheitskampf Kurdistans organisiert, sondern weil ich Sozialist bin.« Seine ersten Freunde waren ohnehin türkischstämmige Revolutionäre. Es wurde darauf bestanden, zusammen mit der sozialistischen Bewegung der Türkei eins zu werden. Erst als gesehen wurde, dass sich dies nicht verwirklicht, wurde sich auf Kurdistan fokussiert. Er sagt immer, dass er das Erbe und den Kampf von Mahir Çayan, Deniz Gezmiş und Ibrahim Kaypakkaya weiterführt. Die Genossen, denen er innerhalb unserer Bewegung am nächsten stand und am meisten vertraute, waren Haki Karer und Kemal Pir. Ich möchte Folgendes ausdrücken: Die Persönlichkeit Öcalans und seine Philosophie sowie sein Widerstand lassen sich nicht nach Kurdistan zwängen, sondern er ist auch eine internationale revolutionäre Persönlichkeit, allen voran jedoch gilt das für die Türkei.

Mit der Wahrnehmung der Ideen Öcalans in seinen Verteidigungsschriften und der Bewertung dieser Ideen durch verschiedene Menschen und Organisationen wurden einige wichtige Dinge verstanden. Dies ist ebenfalls wichtig. Der Vorsitzende Öcalan, der für die Befreiung der Gesellschaften Kurdistans immer die Demokratisierung der Türkei zur Grundlage nahm, ist eigentlich der nächste Genosse für linke, sozialistische Kräfte der Türkei. Dies ist auch in seinem heutigen Widerstand, seiner entwickelten Perspektive und Politik zu sehen.

Es ist die Zeit für eine Einheit aller sozialistischen, revolutionären Kräfte, die den Antikapitalismus, die Antistaatlichkeit, den demokratischen Sozialismus und die Freiheit als Grundlage nehmen, es ist Zeit für eine Verstärkung des gemeinsamen Widerstands. In diesem Kontext ist mein Aufruf folgender: Die PKK ist offen hierfür. Sie ist bereit dafür, allen Aufgaben und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Ich rufe alle revolutionären, sozialistischen Kräfte auf dieser Grundlage nochmals zu einer Widerstandseinheit auf.PKK

Wo lässt sich die Forderung nach Freiheit für Öcalan in der Demokratisierung der Türkei verorten? Was muss geschehen?

Die Festnahme und die Freiheit Öcalans sind nicht auf ihn selbst begrenzt. Die Freiheit Öcalans ist für unsere Gesellschaften gleichzeitig ein Triumph der Demokratie und Freiheit. So versteht unsere Gesellschaft das auch. In einer Türkei, die sich nicht demokratisiert, kann man nicht von einem freien Kurdistan sprechen. Bei einem nicht befreiten Kurdistan kann man auch nicht von einer demokratischen Türkei sprechen. Die demokratische und freie Zukunft unserer Gesellschaften ist also miteinander verbunden. Das Paradigma für deren Verwicklung sind die Demokratische Nation und der Demokratische Konföderalismus.

Öcalan hat für den Aufbau einer Organisation und einer Perspektive Projekte entwickelt und viel Mühe aufgewendet, um alle revolutionären, sozialistischen und alle antikapitalistischen Kräfte an einem Widerstandspunkt zu vereinen. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) ist als Ergebnis dessen entstanden. Die HDP ist abseits von jeglichem Chauvinismus und Nationalismus die einzige Widerstandsadresse, die alle Unterdrückten, Arbeiter, Frauen, Jugendlichen und Glaubensrichtungen mit der Perspektive der Demokratischen Nation vereint.

Die HDP trägt mit der Lösung der kurdischen Frage und der Demokratisierung der Türkei eine historische Aufgabe und Verantwortung. Wenn diese richtige Widerstandsperspektive und dieses Projekt mit der richtigen Organisierung entschlossen in die Praxis umgesetzt werden, sind die Befreiung Kurdistans, des Vorsitzenden Öcalan und die Demokratisierung der Türkei sicher.

Aus dieser Sicht ist die begonnene Kampagne mit der Forderung nach Freiheit für Öcalan gleichzeitig der Kampf für eine Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei. Aus diesem Grunde führen die Gesellschaften in Kurdistan und der Türkei diese Kampagne für die Freiheit Öcalans. Dies ist eigentlich ein Kampf für die eigene Freiheit. In diesem Kontext grüße ich die Kampagne mit der Forderung nach Freiheit für Öcalan, für eine Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei und beglückwünsche alle, die diese wertvolle Kampagne organisieren und Arbeit investieren.

Mit der Festnahme Öcalans wollte man ihn anschließend ohne Einfluss lassen. Doch heute ist er insbesondere mit der Revolution in Rojava und dem Sieg von Kobanê zu einem einflussreichen Akteur im Mittleren Osten geworden. Wie sehen Sie die Verbindung?

Es gibt das Sprichwort »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker«. Sie konnten den Vorsitzenden Öcalan nicht töten, da er eine Gesellschaft, eine Zukunft repräsentierte. Eine organisierte Gesellschaft und eine widerständige Bewegung, die die Welt aus den Angeln gehoben hätte! Und die hat Öcalan geschaffen. Denn wir kennen das Schicksal der Anführer kurdischer Aufstände. Viele wurden vertrieben oder erhängt. Von den meisten ist nicht einmal bekannt, wo ihre Gräber oder Leichen sind. Der Vorsitzende Öcalan hat dies mit einer organsierten gesellschaftlichen Kraft verhindert. Doch die internationalen Kräfte des Komplotts erwarteten mit der Isolierung Öcalans von unserer Bewegung und der Gesellschaft, die Liquidierung der PKK und die gesellschaftliche Akzeptanz der Sklaverei durchzusetzen. Diese Rechnungen hatte Öcalan vom ersten Tag auf Imralı an auf den Kopf gestellt.

Der Vorsitzende Öcalan kämpft nicht nur gegen den türkischen Staat, sondern gegen ein internationales System. Gegen die kapitalistische Moderne hat er ein Paradigma mit der Perspektive der Demokratischen Nation entwickelt. Die Revolution in Rojava und der Widerstand in Kobanê haben diese Realität offengelegt und stellen deren Höhepunkt dar. Man kann weder die Revolution in Rojava, den Widerstand in Kobanê und Şengal, noch den Demokratie- und Freiheitskampf der kurdischen Gesellschaft in allen Teilen Kurdistans von Öcalan getrennt sehen. Aus diesem Grund ist sein Ansehen in den Gesellschaften gestiegen. Sie sprechen von einem einflussreichen Akteur im Mittleren Osten.