dyb-29-01-14-akp-mezun-ogrencilere-mudahale2Der lange Kampf um die Aneignung der Definitionshoheit

Maskierte Assimilation: »Akkulturation«

Luqman Guldivê, freier Journalist

Wenn ein Buch vorliegt, das sich einen überaus intelligenten Anstrich gibt und dessen wissenschaftliches Vokabular einem alle eigenen Argumente als »dumm«, »unzureichend«, »veraltet«, »kurzsichtig« abstempelt und geradezu zertrümmert, dann kann der erste Eindruck durchaus positiv sein, weil ja eben Argumente ohne die oben genannten negativen Eigenschaften auf eine »brillante Erkenntnis« vorbereiten sollen. Manche von uns mögen schon einer ähnlichen Illusion aufgesessen sein. Oft ist es nicht einmal wert, darüber zu schreiben. Das Buch des Politikwissenschaftlers Prof. Metin Heper von der Bilkent-Universität Ankara mit dem Titel »The State and Kurds in Turkey: The Question of Assimilation« (New York 2007) aber hat einen sehr hohen Anspruch, darin wird behauptet, das Paradigma von der Entstehung der kurdischen Frage (Assimilationsversuche, Aufstände der Kurden und staatliche Repression als eine Gewaltspirale) sei nicht zutreffend, und insbesondere die Assimilationsversuche des Staates zeichnet es dadurch in milderem Licht, indem es die »Akkulturation« der kurdischen Eliten und wohl der gesamten »Ethnie« als das reale Geschehen darstellt.

 

Aus »wissenschaftlicher« Sicht ein sehr unbedarfter Versuch, um zu verstehen, was in der Geschichte der türkischen Republik seit 1923 (eigentlich seit der spätosmanischen Zeit ab 1830) im Kontext der kurdischen Frage wirklich geschehen ist. Von eigentlich zutreffenden Feststellungen ausgehend kritisiert Heper das, was er als bisheriges Paradigma bezeichnet, und gelangt zu einer These von der »Akkulturation«, die im Kontext des Kurdischen in der Türkei so nicht zutrifft, sogar bewusst (das ist wahrscheinlicher) oder unbewusst aus einem Verbrechen (Linguizid bzw. Mord an einer Sprache) ein unschuldiges staatliches Verfahren, ja sogar einen natürlichen Prozess zu konstruieren versucht. Nicht anders, als würde aus einem tatsächlichen Mord ein Unfall gebastelt.

Es ist richtig, wenn Heper schreibt: »It was highly unlikely that the founders of Turkey toyed with the idea of a Turkey populated only by ethnic Turks.« (S. 4)[1], nur schließt diese Feststellung nicht aus, dass die Gründer der Türkei, zumindest diejenigen, die ab 1924 das Sagen hatten, aus vielerlei ethnischen, nationalen, religiösen, linguistischen Gruppen eine »Türk Milleti« (türkische Nation) zu schmieden versuchten. Eine »Türk Milleti« aus ehemaligen islamischen Elementen des Osmanischen Reiches zu schaffen, war keine einfache Aufgabe. Dafür, wenn auch die wirtschaftlichen Mittel nicht ganz ausreichten, hat die Republik Türkei politische Verfahren entwickelt und Programme durchgesetzt.

Allerdings waren die Gründe für den ersten großen Aufstand der Republik im Jahre 1925 (der zwar als Scheich-Said-Aufstand bekannt ist, aber von der kurdischen Offiziersorganisation »Azadi« vorbereitet worden war) weniger die direkten Repressionen, sondern der Umstand, dass es eben keine gemeinsame identitätsstiftende Instanz mehr gab (Abschaffung des Kalifats etc.). Dieser Aufstand diente der noch im Entstehen begriffenen Republik als Vorwand, um die gesamte Opposition zu eliminieren. Die Bekämpfung der aufeinander folgenden kleineren und größeren Aufstände und die »Säuberungsoperationen« gegen die Kurden (die Vernichtung ganzer Stammesverbände wird von Heper oft als Maßnahme der Wiederherstellung der Ordnung bezeichnet) müssen nicht unbedingt als ein Ziel der Assimilationspolitik, die ich persönlich als physische Vernichtung zu beschreiben tendiere, interpretiert werden. Dass aber das Ergebnis dieser Taten doch die Assimilation der Kurden war, wird mit einem Wortspiel bewusst verschwiegen: Verhinderung der Deakkulturation und Maßnahmen zur Reakkulturation.

Die gefährliche Aussage in dem Buch an sich ist nicht die Analyse der unterschiedlichen Faktoren, die das Verhalten der türkischen politischen Elite von Anfang an mitbestimmt haben, sondern vielmehr die Darstellung der staatlichen Maßnahmen, die von Verbannung bis zu physischer Vernichtung der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen, vom Verbot des Gebrauchs der Sprache bis zum Negieren der Existenz reichten, als »Akkulturation« und »Reakkulturation« zu bezeichnen. »Akkulturation« kann grob als Hineinwachsen oder Einpassen einer Einzelperson bzw. einer Gruppe in ihre kulturelle Umwelt beschrieben werden, im Kontext der Migration hieße es dann, dass sich ein Erwachsener mit einer ihm fremden Kultur vertraut macht. Es kann vor allem nicht nachdrücklich genug wiederholt werden, dass diese Definition von Heper dazu benutzt wird, um den Begriff Assimilation abzumildern; obwohl die Politik der verschiedenen türkischen Regierungen seit 1923 und ihre Resultate keineswegs durch irgendwelchen wissenschaftlichen verwirrenden Wortsalat zu verharmlosen sind. Es handelte sich um den Mord an einer Sprache (in der Tat mehrerer Sprachen) und zahlreicher Elemente der Kulturen, die mit der genannten Sprache in Verbindung standen.

Hepers Behauptung, es sei der Versuch des Staates gewesen, eine Deakkulturation zu verhindern, ändert an der Tatsache und den Resultaten der staatlichen Unternehmung nicht viel. Denn seine Argumentation – etwa: es habe sich eher um eine Reaktion des Staates auf Teile der kurdischen Ethnie gehandelt, die nicht aus ethnischen Gründen mit dem Staat unzufrieden gewesen seien und sich erhoben – ändert an der grausamen Wirklichkeit der forcierten oder Zwangsassimilation kaum etwas (die Begriffe »Autoassimilation« oder »gewollte Assimilation« in einem Kontext mit einem Staat als handelndem Subjekt sind sehr problematisch, sie werde ich aber hier nicht thematisieren). Ich gehe so weit zu behaupten, dass selbst dann, wenn die Gleichberechtigung der Sprachen in der heutigen Welt der modernen Nationalstaaten nicht akzeptiert ist (d. h. alle Rechte und Förderung durch Öffentlichkeit für alle Sprachen), wir von einem Fall forcierter Assimilation sprechen können.

Bevor ich meine harsche Kritik an Hepers Werk beende, möchte ich seine Definition von »non-recognition« ansprechen. Der Begriff scheint mir eine gestelzte Erfindung des Autors zu sein; nicht etwa, dass es die »Nichtanerkennung« der kurdischen Identität nicht gegeben hat, sondern der Kontext der »non-recognition« sowie der »Akkulturation« und »Reakkulturation« wurde von einem sehr gewaltsamen und gewalttätigen Akteur, nämlich dem Staat, bestimmt. Ohne die Rolle des Staates im Assimilationsprozess zu verstehen, ist dessen objektive Analyse in der Tat nicht wirklich möglich, und seine Folgen und Resultate sollen auch ohne Rechtfertigungen und Vorwände untersucht werden können.

Das ist nicht nur aus historischer Sicht von Bedeutung, es ist ebenfalls wichtig zu verstehen, warum die politischen Protagonisten der kurdischen Befreiungsbewegung darauf beharren, das Kurdische als zweite offizielle Sprache (neben dem Türkischen) anerkennen zu lassen, und beständig fordern, die kurdische Sprache als Unterrichtssprache an öffentlichen Schulen zuzulassen.

1 - »Es ist höchst unwahrscheinlich, dassdie Gründer derTürkeimit dem Gedankeneiner nur vonethnischenTürkenbevölkerten Türkeispielten

Der lange Kampf um die Aneignung der Definitionshoheit

Maskierte Assimilation: »Akkulturation«

Luqman Guldivê, freier Journalist

 

Wenn ein Buch vorliegt, das sich einen überaus intelligenten Anstrich gibt und dessen wissenschaftliches Vokabular einem alle eigenen Argumente als »dumm«, »unzureichend«, »veraltet«, »kurzsichtig« abstempelt und geradezu zertrümmert, dann kann der erste Eindruck durchaus positiv sein, weil ja eben Argumente ohne die oben genannten negativen Eigenschaften auf eine »brillante Erkenntnis« vorbereiten sollen. Manche von uns mögen schon einer ähnlichen Illusion aufgesessen sein. Oft ist es nicht einmal wert, darüber zu schreiben. Das Buch des Politikwissenschaftlers Prof. Metin Heper von der Bilkent-Universität Ankara mit dem Titel »The State and Kurds in Turkey: The Question of Assimilation« (New York 2007) aber hat einen sehr hohen Anspruch, darin wird behauptet, das Paradigma von der Entstehung der kurdischen Frage (Assimilationsversuche, Aufstände der Kurden und staatliche Repression als eine Gewaltspirale) sei nicht zutreffend, und insbesondere die Assimilationsversuche des Staates zeichnet es dadurch in milderem Licht, indem es die »Akkulturation« der kurdischen Eliten und wohl der gesamten »Ethnie« als das reale Geschehen darstellt.

Aus »wissenschaftlicher« Sicht ein sehr unbedarfter Versuch, um zu verstehen, was in der Geschichte der türkischen Republik seit 1923 (eigentlich seit der spätosmanischen Zeit ab 1830) im Kontext der kurdischen Frage wirklich geschehen ist. Von eigentlich zutreffenden Feststellungen ausgehend kritisiert Heper das, was er als bisheriges Paradigma bezeichnet, und gelangt zu einer These von der »Akkulturation«, die im Kontext des Kurdischen in der Türkei so nicht zutrifft, sogar bewusst (das ist wahrscheinlicher) oder unbewusst aus einem Verbrechen (Linguizid bzw. Mord an einer Sprache) ein unschuldiges staatliches Verfahren, ja sogar einen natürlichen Prozess zu konstruieren versucht. Nicht anders, als würde aus einem tatsächlichen Mord ein Unfall gebastelt.

Es ist richtig, wenn Heper schreibt: »It was highly unlikely that the founders of Turkey toyed with the idea of a Turkey populated only by ethnic Turks.« (S. 4)[1], nur schließt diese Feststellung nicht aus, dass die Gründer der Türkei, zumindest diejenigen, die ab 1924 das Sagen hatten, aus vielerlei ethnischen, nationalen, religiösen, linguistischen Gruppen eine »Türk Milleti« (türkische Nation) zu schmieden versuchten. Eine »Türk Milleti« aus ehemaligen islamischen Elementen des Osmanischen Reiches zu schaffen, war keine einfache Aufgabe. Dafür, wenn auch die wirtschaftlichen Mittel nicht ganz ausreichten, hat die Republik Türkei politische Verfahren entwickelt und Programme durchgesetzt.

Allerdings waren die Gründe für den ersten großen Aufstand der Republik im Jahre 1925 (der zwar als Scheich-Said-Aufstand bekannt ist, aber von der kurdischen Offiziersorganisation »Azadi« vorbereitet worden war) weniger die direkten Repressionen, sondern der Umstand, dass es eben keine gemeinsame identitätsstiftende Instanz mehr gab (Abschaffung des Kalifats etc.). Dieser Aufstand diente der noch im Entstehen begriffenen Republik als Vorwand, um die gesamte Opposition zu eliminieren. Die Bekämpfung der aufeinander folgenden kleineren und größeren Aufstände und die »Säuberungsoperationen« gegen die Kurden (die Vernichtung ganzer Stammesverbände wird von Heper oft als Maßnahme der Wiederherstellung der Ordnung bezeichnet) müssen nicht unbedingt als ein Ziel der Assimilationspolitik, die ich persönlich als physische Vernichtung zu beschreiben tendiere, interpretiert werden. Dass aber das Ergebnis dieser Taten doch die Assimilation der Kurden war, wird mit einem Wortspiel bewusst verschwiegen: Verhinderung der Deakkulturation und Maßnahmen zur Reakkulturation.

Die gefährliche Aussage in dem Buch an sich ist nicht die Analyse der unterschiedlichen Faktoren, die das Verhalten der türkischen politischen Elite von Anfang an mitbestimmt haben, sondern vielmehr die Darstellung der staatlichen Maßnahmen, die von Verbannung bis zu physischer Vernichtung der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen, vom Verbot des Gebrauchs der Sprache bis zum Negieren der Existenz reichten, als »Akkulturation« und »Reakkulturation« zu bezeichnen. »Akkulturation« kann grob als Hineinwachsen oder Einpassen einer Einzelperson bzw. einer Gruppe in ihre kulturelle Umwelt beschrieben werden, im Kontext der Migration hieße es dann, dass sich ein Erwachsener mit einer ihm fremden Kultur vertraut macht. Es kann vor allem nicht nachdrücklich genug wiederholt werden, dass diese Definition von Heper dazu benutzt wird, um den Begriff Assimilation abzumildern; obwohl die Politik der verschiedenen türkischen Regierungen seit 1923 und ihre Resultate keineswegs durch irgendwelchen wissenschaftlichen verwirrenden Wortsalat zu verharmlosen sind. Es handelte sich um den Mord an einer Sprache (in der Tat mehrerer Sprachen) und zahlreicher Elemente der Kulturen, die mit der genannten Sprache in Verbindung standen.

Hepers Behauptung, es sei der Versuch des Staates gewesen, eine Deakkulturation zu verhindern, ändert an der Tatsache und den Resultaten der staatlichen Unternehmung nicht viel. Denn seine Argumentation – etwa: es habe sich eher um eine Reaktion des Staates auf Teile der kurdischen Ethnie gehandelt, die nicht aus ethnischen Gründen mit dem Staat unzufrieden gewesen seien und sich erhoben – ändert an der grausamen Wirklichkeit der forcierten oder Zwangsassimilation  kaum etwas (die Begriffe »Autoassimilation« oder »gewollte Assimilation« in einem Kontext mit einem Staat als handelndem Subjekt sind sehr problematisch, sie werde ich aber hier nicht thematisieren). Ich gehe so weit zu behaupten, dass selbst dann, wenn die Gleichberechtigung der Sprachen in der heutigen Welt der modernen Nationalstaaten nicht akzeptiert ist (d. h. alle Rechte und Förderung durch Öffentlichkeit für alle Sprachen), wir von einem Fall forcierter Assimilation sprechen können.

Bevor ich meine harsche Kritik an Hepers Werk beende, möchte ich seine Definition von »non-recognition« ansprechen. Der Begriff scheint mir eine gestelzte Erfindung des Autors zu sein; nicht etwa, dass es die »Nichtanerkennung« der kurdischen Identität nicht gegeben hat, sondern der Kontext der »non-recognition« sowie der »Akkulturation« und »Reakkulturation« wurde von einem sehr gewaltsamen und gewalttätigen Akteur, nämlich dem Staat, bestimmt. Ohne die Rolle des Staates im Assimilationsprozess zu verstehen, ist dessen objektive Analyse in der Tat nicht wirklich möglich, und seine Folgen und Resultate sollen auch ohne Rechtfertigungen und Vorwände untersucht werden können.

Das ist nicht nur aus historischer Sicht von Bedeutung, es ist ebenfalls wichtig zu verstehen, warum die politischen Protagonisten der kurdischen Befreiungsbewegung darauf beharren, das Kurdische als zweite offizielle Sprache (neben dem Türkischen) anerkennen zu lassen, und beständig fordern, die kurdische Sprache als Unterrichtssprache an öffentlichen Schulen zuzulassen.



[1] »Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Gründer der Türkei mit dem Gedanken einer nur von ethnischen Türken bevölkerten Türkei spielten