rojava frauenverteidigungseinheitenZur Darstellung von kurdischen Kämpferinnen in den Medien

Sexistische Propagandamethoden zur Delegitimierung der Frauenbewegung

Dilar Dirik

In der Zeit nach den Morden an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 in Paris richteten die Mainstream-Medien ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf ein lang vernachlässigtes, aber dennoch faszinierendes Thema: auf die bemerkenswerte Rolle der Frau in der kurdischen Freiheitsbewegung.

In den letzten zwei Jahren übernahmen die Kurden die Kontrolle über Westkurdistan (Rojava) und etablierten dort nach und nach Selbstverwaltungsstrukturen inmitten des syrischen Bürgerkriegs. Von Anfang an nahmen Frauen an der Rojava-Revolution durch ihren sozialen und politischen Aktivismus teil, aber was die westlichen Mainstream-Medien vor allem verwunderte, ist die Teilnahme dieser Frauen als gleichberechtigte Kämpferinnen im Krieg. Diese Frauen, die sowohl gegen das Assad-Regime als auch gegen dschihadistische Gruppen kämpfen, betonen immer wieder, dass sie an mehreren Fronten für ihre Freiheit als Kurdinnen und als Frauen Widerstand leisten. Auch wenn die Existenz von weiblichen Kämpferinnen seit Jahrzehnten ein natürliches Element der Politik in Kurdistan ist, scheint die Weltöffentlichkeit erst jetzt zu dieser Einsicht gekommen zu sein. Vor allem nach den Ereignissen der letzten zwei Jahre hat die kurdische Frauenbewegung das Vorstellungsvermögen der Mainstream-Medien auf verschiedenste Weise vereinnahmt, von erstaunter Ehrfurcht über arroganten Orientalismus bis zu schierem Sexismus.

 

Die meisten Artikel über die kurdischen Kämpferinnen sind gelinde gesagt banal, frauenfeindlich, orientalistisch oder herablassend. Anstatt zu versuchen, das faszinierende Phänomen in all seiner Komplexität zu verstehen, beuten diese Artikel mit ihren sensationalistischen Aussagen das Erstaunen der Leserschaft über die Tatsache, dass »die armen Frauen des Nahen Ostens« Militante sein könnten, aus. Statt die kulturelle Revolution, die diese Frauen in einer ansonsten konservativ-patriarchalischen Gesellschaft bewirken, anzuerkennen, fallen viele Reporter auf die gleichen veralteten Kategorien rein: Während die staatsnahen Medien, insbesondere in der Türkei und im Iran, Guerillakämpferinnen als »böse terroristische Prostituierte«, familienhassende, Gehirnwäsche unterzogene Sex-Spielzeuge der männlichen Kämpfer porträtieren, bezeichnen westliche Medien diese Frauen häufig als »unterdrückte Opfer, die einen Ausweg aus ihrer rückständigen Kultur suchen«, um einem Leben voller Ehrenmorde und Kinderheirat zu entkommen. Abgesehen davon, dass sie die Menschenrechtsverletzungen gegen die Kurden, die diesen Widerstand überhaupt erfordert haben, völlig ignorieren, basieren diese Aussagen nicht nur nicht auf Fakten, sondern verzerren die Realität absichtlich. Ja, kurdische Frauen sind mit einer stark patriarchalischen Gesellschaft mit ungeheurer Gewalt gegen Frauen konfrontiert, aber die Motivation dieser kämpfenden Frauen ist sehr vielfältig und komplex, und – wenn man die gesellschaftlichen Strukturen Kurdistans und des Nahen Ostens berücksichtigt – in vielerlei Hinsicht revolutionär. Ob man ihre Ziele unterstützt oder nicht, ist nicht wichtig, um einzusehen, dass die Annahme, diese Frauen suchten bloß eine »Flucht«, ungerechtfertigt und problematisch ist. Diese Frauen kämpfen aktiv gegen das Patriarchat – wie kann man das nur als »Flucht« bezeichnen?! Sobald man aber die Gründe für diese verzerrten Darstellungen betrachtet, wird deutlich, dass die Anerkennung der Entschlossenheit dieser Frauen eindeutig eine Gefahr für das System darstellt ...

Militant zu sein gilt als »unweiblich« ...

Die Tatsache, dass kurdische Frauen zur Waffe, dem traditionellen Machtsymbol des Mannes, greifen, ist in vielerlei Hinsicht eine radikale Abwendung von der Tradition. Daher ist es wichtig festzustellen, dass die Kritik der Mainstream-Medien an der Beteiligung kurdischer Frauen am Kampf nicht auf pazifistischen Gründen beruht, sondern auf essentialistischen binären Vorstellungen von »Weiblichkeit«. Militant zu sein gilt als »unweiblich«, es überschreitet soziale Grenzen und rüttelt an den Grundlagen des Status quo. Militanten Frauen wird vorgeworfen, die »Heiligkeit der Familie« zu verletzen, weil sie es wagen, aus dem jahrhundertealten Gefängnis, das ihnen zugewiesen wurde, auszubrechen. Weil sie es wagen, sich dem patriarchalen, frauenmordenden System als agierende Subjekte entgegenzustellen, statt Opfer zu sein. Krieg wird als Männersache betrachtet; von Männern angefangen, geführt und beendet. Es ist demnach der Teil »Frau« in »militante Frau«, der dieses allgemeine Unbehagen verursacht. Auch wenn die Verteilung von traditionellen Geschlechterrollen Frauen oft als Heilige essentialisiert und idealisiert, ist die Strafe für Frauen, die diese zugewiesenen Rollen verletzen, recht bösartig. Das ist auch der Grund, warum viele widerstandleistende Frauen, überall auf der Welt, als Kämpferinnen im Krieg und als politische Gefangene sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Wie viele Feministinnen darauf hingewiesen haben, haben Vergewaltigung und sexuelle Gewalt kaum etwas mit sexuellem Verlangen zu tun, sondern sind Werkzeuge der Macht, um das Gegenüber zu dominieren. Im Zusammenhang mit militanten Frauen ist das Ziel sexualisierter Gewalt, ob körperlich oder verbal, diese Frauen dafür zu bestrafen, sich in eine für männliche Privilegien vorbehaltene Sphäre gewagt zu haben.

Ein Kampf aus Überzeugung

Ein kurzer Blick auf die Darstellungen von kurdischen militanten Frauen in türkischen und iranischen Medien zeigt Schlagzeilen wie »Sie wurde schwanger«, »Verzweifelte Bergfrauen«, »Die Vergewaltigungsrealitäten in den Bergen«, »Schau, wessen Liebhaberin sie ist«, »Sie war keine Jungfrau« etc. Dies gibt die diesen Aussagen zugrundeliegende sexistische Mentalität preis, welche verbreitete konservative soziale Werte wie die sexuelle »Ehre« der Familie instrumentalisiert und Frauenfeindlichkeit mit rassistischen Stereotypen von Kurden als rückständiges Volk kombiniert. Statt sich über die Vergewaltigung und sexuelle Gewalt durch die Armee und Gefängniswärter (vor allem an Kindern im Gefängnis) zu empören, sind die Medien von der »Jungfräulichkeit« der Guerilla-Frauen besessen. Diese sexistischen Propagandamethoden sind in erster Linie dafür gedacht, die Frauenbewegung zu delegitimieren und die radikale Wirklichkeit, die die hypermaskulinisierten heteropatriarchalen Systeme, gegen die diese Frauen kämpfen, herausfordern, stürzen und traumatisieren würde, zu vertuschen. Sie sollen von der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der kurdischen Frauen sich dem Kampf aus Überzeugung, aus dem Wunsch, gegen Unterdrückung zu kämpfen, anschließen, dass sie bewusste Akteure sind, die ihr Leben autonom bestimmen wollen, ablenken. Es wird deutlich, dass dieser »Instrumenalisiertes Öpferchen«-Diskurs ein Versuch ist, das Bewusstsein dieser kämpfenden Frauen zu untergraben. Ein pseudo-wissenschaftlicher Akademiker behauptet dazu sogar: »Da Frauen emotionaler als Männer sind, sind Frauen leichter zu konditionieren.« Wenn die kurdische Bewegung tatsächlich Frauen als rein physische Kriegswerkzeuge oder Sexobjekte rekrutieren wollte, würde sie wirklich Wert auf so große Mengen anspruchsvoller feministischer Ideologie und Bildungsseminare legen, um sie zu mobilisieren? Wären denn die PKK und die ihr verbundenen Organisationen beispielsweise nicht besser dran ohne einen ideologischen Vorsitzenden, der sagt, »Der Mann wurde zum Staat und verwandelte diesen in die dominante Kultur. Klassen und sexuelle Unterdrückung entwickelten sich gemeinsam; Die Männlichkeit hat das herrschende Geschlecht, die herrschende Klasse und den herrschenden Staat erzeugt. Wenn der Mann in diesem Zusammenhang analysiert wird, ist es klar, dass die Männlichkeit getötet werden muss.

In der Tat ist es das Grundprinzip des Sozialismus, den dominanten Mann zu töten. Das Töten der Macht bedeutet: die einseitige Dominanz, die Ungleichheit und die Intoleranz zu töten. Darüber hinaus bedeutet es, Faschismus, Diktatur und Despotismus zu töten.« (Befreiung des Lebens: Die Revolution der Frau, Abdullah Öcalan, S. 55)

Die Behauptung, dass die Mobilisierung von Frauen eine heimtückische Art der Rekrutierung sei, entzieht sich der Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass die feministische Philosophie der Bewegung die Frauenbefreiung ausdrücklich als Kernprinzip betont.

Warum finden Frauen die Freiheit – über die sie sonst in ihrem Leben nicht verfügen – im Widerstand?

Eine weitere Art, die Bedeutung des Frauenkampfes zu verleugnen, ist die Behauptung, diese Frauen zögen in die Berge, um ihrer unterdrückenden Kultur zu »entfliehen«. Sowohl westliche Medien als auch staatsnahe Medien haben diese Behauptung wiederholt propagiert, wahrscheinlich ohne jemals mit einer einzigen kurdischen Kämpferin gesprochen zu haben. Auch wenn wir, um der Diskussion willen, die Prämisse akzeptieren, dass die Berge eine »Flucht« für Frauen sind, warum fragen wir nicht, welche sozio-ökonomischen und politischen Situationen diese Staaten verursacht haben, dass eine Frau das Leben als Freiheitskämpferin ihrem zivilen Leben vorzieht? Warum finden Frauen die Freiheit – über die sie sonst in ihrem Leben nicht verfügen – im Widerstand? Auf alte Staatspropaganda, die die Kämpferinnen oft als verwirrte Opfer, leichte Rekruten bezeichnet hat, hereinzufallen, ist sehr faul und problematisch und vereinfacht ein sehr komplexes Phänomen. Kurdische militante Frauen verfügen über ein hohes Maß an politischem Bewusstsein, welches durch Bildungsseminare erweitert wird. Indem behauptet wird, die Mobilisierung von Frauen, insbesondere derer, die ohne formale Bildung aus den ländlichen Gebieten kommen, sei ein Beweis für die Oberflächlichkeit der Frauenbewegung und ihren Mangel an »Kultiviertheit«, haben sogar selbsternannte Feministinnen auf problematische Art Frauen aus diesen sozialen Hintergründen bevormundet. Diese »Erläuterungen« sind nicht nur orientalistisch-chauvinistischer oder sexistischer Natur, sie sind des Weiteren nicht in der Lage zu erklären, wie die kurdische Bewegung eine populäre basisorientierte Frauenbewegung geschaffen hat, die die Tradition herausgefordert, die Gesellschaft in einem grandiosen Maße transformiert und dabei Frauen in der breiteren Gesellschaft gestärkt hat.

Interessant ist ebenfalls, dass, obwohl die Frauenbewegung seit neuestem in den globalen Medien erscheint, die Motivationen und Ideologien hinter der Bewegung absichtlich ausgelassen zu werden scheinen. Während beispielsweise einige Artikel die Stärke und den Mut der Frauen, die gegen das Assad-Regime und Al-Qaida-Gruppen in Westkurdistan kämpfen, bewundern, erwähnen dieselben Autoren oft nicht, dass diese Frauen Abdullah Öcalans Ideologie ausdrücklich als treibende Kraft hinter ihrer Mobilisierung bezeichnen.

Den Entscheidungen der militanten kurdischen Frauen Elemente wie Verzweiflung, Irrationalität oder Verwirrung aufzuzwingen und Propaganda über sexuelle Ausbeutung zu verbreiten, sind sexualisierte Werkzeuge der Kriegsführung, um die Legitimität der Frauenbewegung zu untergraben. Warum scheinen alle, ohne sich überhaupt die Mühe zu machen, mit diesen Frauen zu sprechen, vorgefertigte Erklärungen für ihre Militanz zu haben? Woher kommt diese unheimliche Angst vor den Entscheidungen dieser Frauen? Wenn wir die bizarre und verzerrte Darstellung von kurdischen Kämpferinnen in den Medien verstehen wollen, müssen wir uns fragen: »Gegen wen kämpfen diese Frauen?« Die Antwort wird uns wichtige Erkenntnisse liefern. Kurdische Frauen kämpfen (derzeit) gegen den türkischen Staat, mit der zweitgrößten NATO-Armee mit ihrer hypermaskulinen Militärstruktur und einem Premierminister, der an Frauen appelliert, mindestens drei Kinder zu gebären, gegen das iranische Regime, das Frauen angeblich im Namen des Islams entmenschlicht und gegen mit al-Qaida verbundene Dschihadisten, die es als »halal« erklärt haben, kurdische Frauen zu vergewaltigen, und denen für ihre barbarischen Taten 72 Jungfrauen im Paradies versprochen sind. Aber abgesehen davon kämpfen diese Frauen gegen das unerträgliche Patriarchat in der kurdischen Gesellschaft selbst. Gegen Kinderheirat, Zwangsheirat, Ehrenmorde, häusliche Gewalt und Vergewaltigungskultur. Kein Wunder, dass bewaffnete kurdische Frauen als Gefahr gefürchtet werden! Der Versuch, diese Frauen verbal und körperlich sexuell anzugreifen, ist eine Überlebenstaktik der patriarchalen Strukturen, gegen die sich diese Frauen bewaffnen. Kurdische Frauen als gleichberechtigte Feinde im Kampf anzuerkennen, würde diese zerbrechlichen testosterongeladenen Konstrukte in Stücke bröseln lassen.


Dilar Dirik, geboren 1991, hat Geschichts- und Politikwissenschaften studiert und den Master in Internationalen Studien. Das Thema ihrer Masterarbeit lautet »Die Rolle der Frau in der Ideologie und Organisation der PKK«. Sie schreibt regelmäßig für die »Kurdistan Tribune« und »Your Middle East«. Auf ihrem Blog »Peace in, peace out« finden sich weitere Texte: http://dilar91.blogspot.co.uk/