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davutoglu-et-fabiusÜber den internationalen Terror und seine »Abwehrdienste«

Oktober 2012, ein dunkler Monat in den Beziehungen zwischen Ankara und Paris

Maxime Azadi

Es war vor knapp zwei Jahren. Im September 2012 hielt der türkische Ministerpräsident, Recep Tayyip Erdoğan, eine eindringliche Rede. Er schäumte sogar vor Wut. Er machte Frankreich und Deutschland schwere Vorwürfe: »Ich muss offen sagen, dass Deutschland und Frankreich uns nicht behilflich sind. Sie geben Terroristenführern Freiraum und finanzielle Unterstützung. Wo bleibt die Auslieferung der Schuldigen?«

 

Nach einigen Tagen, am ersten Oktober, erreichte eine interessante E-Mail aus Paris die türkische Hauptstadt Ankara. In der E-Mail, in den frühen Morgenstunden an die französische Botschaft in Ankara geschickt, reagierte der französische Ermittlungsrichter Thierry Fragnoli in ebenso scharfen Tönen auf die Äußerungen Erdoğans.
Fragnoli, federführend in vielen sensationellen Operationen gegen Kurden, berichtete von seinen »Diensten« im Kampf gegen die PKK und schrieb, er könne angesichts der unberechtigten Anschuldigungen Erdoğans kaum seine Wut zügeln.
Warum auch immer, er fühlte sich von Erdoğans Vorwürfen angesprochen. Weder die französische noch die deutsche Regierung noch deren Ermittlungsbehörden sahen sich zu einer Reaktion auf Erdoğan veranlasst. Seltsamerweise äußerte sich Fragnoli als Einziger.

Der Ermittlungsrichter schrieb in seiner E-Mail weiter, wie zufrieden er damit sei, dass Frankreich seit 2006 das Land sei, in dem die meisten PKK-Militanten inhaftiert, vor Gericht gestellt, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt worden seien. Er stellte fest, dass drei Staatsanwälte, ein Beisitzender Richter in Teilzeit und 28 Kommissare allein mit dem Thema PKK beschäftigt seien.

Sechs Tage nach dieser E-Mail, am 6. Oktober 2012, stürmte die französische Polizei unerwartet eine Bar im Pariser Bezirk Montparnasse und nahm Ahmet Uzun, Mitglied des Exekutivrats des Nationalkongresses Kurdistan (KNK) mit Sitz in Brüssel, fest.
Alles war im Voraus geplant gewesen. Zunächst hatte die Türkei Frankreich darüber informiert gehabt, dass Ahmet Uzun in Paris Waffen, mitunter auch Raketen, kaufe. Die französischen Behörden hatten den kurdischen Politiker sechs Monate lang abgehört, aber keinen Hinweis auf Waffenhandel finden können. Trotzdem ging Fragnoli so weit, Uzun eine Falle zu stellen.
Ein französischer Geheimdienstler namens Antoine wurde eingeschaltet. Laut Plan sollte Adem Uzun zu einem verabredeten Treffen gelockt werden. Der Plan ging auf.

Adem Uzun wurde in der Bar in Montparnasse festgenommen und inhaftiert, ohne dass er wusste, worum es geht. Ihm wurden schwere Vergehen vorgeworfen, der zuständige Richter musste aber auch noch davon überzeugt werden. Die Untersuchung verlief nicht zufriedenstellend. Die in Kooperation zwischen türkischem und französischem Geheimdienst gestellte Falle wurde entlarvt. Der Fall wurde eingestellt und Adem Uzun am 9. August 2013 aus dem Gefängnis entlassen. Die französische Justiz musste einräumen, dass die Beweise gegen den kurdischen Politiker illegal beschafft worden waren.

Uzun lebt seit langen Jahren als anerkannter Flüchtling in Europa und ist für den KNK diplomatisch aktiv.
Er nahm auch an den ersten Friedensverhandlungen teil, die 2008 in Oslo zwischen der PKK und der türkischen Republik begonnen hatten. Der Staatssekretär des türkischen Geheimdienstes war in Vertretung Recep Tayyip Erdoğans unter den Beteiligten. Die Inhaftierung Uzuns erfolgte in einer Periode, in der die Friedensverhandlungen in Oslo gescheitert waren und Vorbereitungen zu neuen Gesprächen getroffen wurden. Denn im Januar 2013 wurden die Verhandlungen zwischen der Türkei und Abdullah Öcalan erneut aufgenommen und am 21. März 2013, anlässlich der Newroz-Feierlichkeiten, eines jährlichen Widerstandsfestes für Kurden, wurde die historische Botschaft Abdullah Öcalans verlesen, mit der die Ära des politischen statt des bewaffneten Kampfes eingeläutet wurde.

Aber die gefährlichen Geschehnisse seit Oktober 2012 zeigen uns, dass im Dunkeln grausame Pläne geschmiedet wurden. Neueste Erkenntnisse über Ömer Güney, den einzigen Verdächtigen für die Morde an den drei revolutionären kurdischen Frauen vom 9. Januar 2013 in Paris, beweisen, dass er Anfang Oktober aktiv wurde.

Laut internationalem Rechtshilfeersuchen französischer Behörden an die Türkei, das im Februar 2014 in türkischen und kurdischen Medien veröffentlicht wurde, hatte Güney vom 1. bis zum 3. Oktober Ankara besucht, das heißt, er war an dem Tag, an dem Fragnoli die E-Mail geschickt hatte, nach Ankara geflogen. Ein interessanter Zufall! Oder sehr verdächtig!

Noch interessanter ist, dass eine Person unter dem Decknamen »Lejyoner«, vermutlich Ömer Güney, nach der Inhaftierung Adem Uzuns eine E-Mail aus Paris an den türkischen Geheimdienst in Ankara schickte und die Ankunft der später in Paris ermordeten PKK-Mitgründerin Sakine Cansız im Banlieue Villiers-le-Bel meldete.

In einem von Verantwortlichen des türkischen Geheimdienstes unterschriebenen und am 14. Januar diesen Jahres den Medien zugespielten Dokument steht, dass dem Geheimdienstmitarbeiter »Lejyoner« 6.000 Euro für »mögliche Ausgaben« übergeben würden und er mit der Ermordung von Sakine Cansız beauftragt werde. Darin taucht auch der Name Adem Uzuns auf und es wird darauf hingewiesen, dass Sakine Cansız ein paar Tage nach der Inhaftierung Adem Uzuns nach Paris geflogen sei. Zitat aus diesem Dokument vom 18. November 2012: »Der Informant wurde bei seinem letzten Besuch in unserem Land auf einem Treffen mit uns beauftragt, Vorbereitungen für Attentate auf Zielpersonen der Organisation in EUROPA zu treffen, notwendiges Equipment für seine Arbeit zu beschaffen und bei der Kontaktaufnahme mit uns höchstmögliche Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Für mögliche Ausgaben wurden ihm 6 000 € übergeben.«
Nur zwei Tage vor der Veröffentlichung dieses Dokuments, nämlich am 12. Januar, wurde die Tonaufnahme eines Gesprächs ins Internet gestellt. Darin berichtet eine Person, zweifelsfrei die Stimme Ömer Güneys, von den Attentatsplänen gegen kurdische Führungspersonen. Aus diesem Gespräch geht hervor, dass es sich bei den anderen beiden Gesprächspartnern um türkische Geheimdienstagenten handelt.
»Das letzte Treffen«, von dem im besagten Dokument die Rede ist, auf dem die Attentatspläne geschmiedet wurden, fand vermutlich auch Anfang Oktober statt.

Diese höchst dubiosen Vorkommnisse im Dreieck von Justiz, Politik und Geheimdiensten zwischen der Türkei und Frankreich im Oktober 2012 müssen restlos aufgeklärt werden.
Die von dem französischen Ermittlungsrichter nach Ankara geschickte E-Mail, die Inhaftierung Adem Uzuns, was ist der Zusammenhang zwischen dem Besuch des Mordverdächtigen in Ankara und der an Ankara geschickten E-Mail?
Die E-Mail des französischen Richters war bei Fidan Doğan (Rojbîn) gelandet und sie war danach sehr unruhig. Als sie am 9. Januar 2013 in Paris zusammen mit Sakine Cansız und Leyla Şaylemez von der Jugendbewegung durch drei Kopfschüsse ermordet wurde, bekam sie die vierte Kugel in den Mund geschossen.

Ein weiteres gravierendes Problem kam nach der Inhaftierung des Mordverdächtigen ans Licht. Einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP vom 13. Mai zufolge wurde im Januar während eines Besuchs aus Deutschland ein Fluchtplan Ömer Güneys aufgedeckt. Güney habe geplant, durch diese Person an eine Waffe und Sprengstoff zu gelangen und aus dem Gefängnis zu flüchten. Diese Person soll Ruhi Semen heißen und in Deutschland wohnen. In dem internationalen Rechtshilfeersuchen des französischen Staatsanwalts an die Türkei heißt es, Ruhi Semen habe Ömer Güney während seiner Reise in der Türkei einige Wochen vor dem Pariser Attentat in Ankara besucht. Noch eine Frage drängt sich nach den schrecklichen Geschehnissen auf: Ist es nicht offensichtlich, dass die Bande der Attentäter weiterhin in Europa aktiv ist, wenn Ömer Güney noch einen Fluchtplan schmiedet und andere Personen von außerhalb ihm bei dessen Vorbereitung helfen? Sind die europäischen Staaten nicht um das Leben der kurdischen Politiker besorgt?