Buchrezension

»Briefwechsel, Christa Eckes Hüseyin Çelebi, April 1988 – Dezember 1989«

Ulrich Weber


Wenn wir uns an Christa Eckes und Hüseyin Çelebi erinnern, dann denken wir an zwei Menschen, die Teil unterschiedlicher Bewegungen waren. Im Licht der ersten Annäherung der Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion (RAF) und der PKK scheinen die gegenseitigen Bezugnahmen rar gesät. Dass sie jedoch die gemeinsame Idee von Befreiung einte, ist nicht von der Hand zu weisen. Verwirklichen sollte sich dies, so die Analysen beider, in einem bewaffneten, antiimperialistischen Guerillakampf.

Briefwechsel Christa Eckes, Hüseyin Çelebi | April 1988 – Dezember 1989 | Foto: KRTrotz der realen Unterschiede zwischen dem innenpolitischen Klima der BRD (Bundesrepublik Deutschland) und dem der Türkei führte die Gegnerschaft zum hegemonialen Staat zu ähnlichen Bedingungen. Hinter dem roten Tuch des Kolonialismus wurde ein zähnefletschender Apparat ersichtlich, der den bewaffneten Kampf gegen seine unmenschlichen Bedingungen mit allen Mitteln zu diskreditieren versuchte. In der BRD entwickelte sich als dialektische Antwort auf die 68er Revolution eine politische Praxis, welche die Türkei bereits seit 1923 bestimmte. Der deutsche Staat antwortete auf die Angriffe auf sein Machtgefüge mit Folter und Isolation an denjenigen Menschen, die in Feindschaft zu einem Staatsapparat standen, der in jeder Pore mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Profiteur:innen des deutschen Faschismus versehen war. Wie sich in den 70ern und 80ern die traditionelle Zusammenarbeit des deutschen und türkischen Staates zunehmend vertiefte, so entwickelte sich mit dem Austausch der beiden Gefangenen ein Dialog der Gegenpositionen zu ersteren beiden.

Christa Eckes verstarb 2012 an Leukämie. Was sie hinterließ, war ein Briefwechsel mit Hüseyin Çelebi, der im Sommer 2021 in dem Buch »Briefwechsel, Christa Eckes Hüseyin Çelebi, April 1988 – Dezember 1989« veröffentlicht wurde. Christa politisierte sich bereits in ihrer Schulzeit und wurde später stark durch die 68er Bewegung beeinflusst. Im Gegensatz zu vielen Gleichgesinnten hielten Christas Werte dem Strudel des staatlichen Reformismus stand. 1973 besetzte sie mit mehreren Menschen in Hamburg ein Haus im von Gentrifizierung betroffenen Stadtteil Hohenfelde, das sie nach Petra Schelm benannten. Petra Schelm wurde 1971 bei einer Fahndung mit einem Maschinengewehr angeschossen. Zehn Minuten später verstarb sie, eine Erste-Hilfe-Versorgung wurde ihr nicht gewährt.

Die Räumung des besetzten Hauses ließ nicht lange auf sich warten und der Schritt vieler Besetzer:innen in die Illegalität ebenso wenig. Nachdem Christa die erste siebenjährige Haftstrafe abgesessen hatte, ging sie erneut in den Untergrund. 1984 wurde sie abermals verurteilt. Während ihrer Haft kämpfte sie in sechs kollektiv geführten Hungerstreiks im Gefängnis weiter gegen das System, welches mit sogenannter Vernichtungshaft und Isolation der einzelnen Gefangenen die Machtverhältnisse auf psychische Art spürbar werden lassen sollte.

Zu dem Zeitpunkt, an dem Christa wieder seit vier Jahren einsaß, wurde Hüseyin mit anderen kurdischen Aktivist:innen festgenommen, um ein Jahr später im ersten großen Düsseldorfer Prozess wegen Mitgliedschaft in der PKK angeklagt zu werden. Hüseyin wuchs in Hamburg auf und machte sich bereits in jungen Jahren gegen die systematische Diskriminierung von Migrant:innen stark und nahm eine wichtige Rolle in dem Aufbau kurdischer Strukturen ein. Christa, die das Vorbeben des Düsseldorfer Prozesses mitbekam und vom deutschsprachigen Hüseyin erfuhr, zögerte nicht lange und nahm 1988 Briefkontakt auf. Für die beiden war klar, dass die Kommunikation einer starken Zensur ausgesetzt sein würde und im schlimmsten Falle für weitere Anklagen durch den Staatsschutz genutzt werden würde. Trotz alledem stellt der Briefwechsel in seiner Reinform ein Zeugnis der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung jener Jahre dar. Gleichsam ist er Zeugnis staatlicher Taktiken zur Zerschlagung von sozialen Bewegungen, wie die Bedingungen der Isolationshaft deutlich werden lassen, die auf Christa und Hüseyin Anwendung fanden.

Einen großen Fehler würden wir begehen, wenn wir die Sammlung lediglich als ein historisches Artefakt betrachten. So würden wir nämlich Geschichtsrevisionismus und Demagogie auf den Leim gehen. Die Formen von Repression mögen mittlerweile ihr Erscheinungsbild verändert haben, doch versuchen sich die westlichen Staaten unvermittelt weiter in subtilen Zerschlagungsmethoden sozialer und revolutionärer Bewegungen.

Eben diese andauernde Aktualität der Themen nach nunmehr 32 Jahren macht den Briefwechsel so besonders. Er ist nicht nur ein Zeugnis des Austausches zweier revolutionärer Bewegungen in einem Jahrzehnt globaler Kämpfe um Freiheit. Er wirft viel mehr Diskussionen und Fragen auf, auf die wir heute noch Antworten finden müssen und die es auf jeden Fall wert sind, im Hinblick auf die global-politischen Entwicklungen diskutiert zu werden.

Die Briefe als Austausch über das Knastsystem und die internationale Perspektive des bewaffneten Kampfes

Auf den ersten Brief Christas folgte erst nach fünf Monaten die leicht verhaltene Antwort Hüseyins. Für ihn war nämlich nicht sofort ersichtlich, worauf die Vorwürfe der dreizehn inhaftierten Kurd:innen basieren würden. Klar war nur, dass dieser Angriff auf die Freiheitsbewegung unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung laufen würde, was damals §129a-Verfahren heißen musste. Ab der Zerschlagung nationaler Befreiungsbewegungen im Trikont, also sämtliche in Abhängigkeit gehaltene Länder Afrikas, Asiens und Südamerikas, in welchen der antikoloniale Ausbruch drohte, war auch der BRD am Erhalt und Ausbau wirtschaftlicher Hegemonie gelegen. Zur Umsetzung dessen dienten Kriminalisierung und Diskreditierung, was im Falle Hüseyins die Konstruktion von absurdesten Vorwürfen bedeutete. Die theatergleiche Inszenierung sollte vor allem die öffentlichen Debatten manipulieren. Um das staatliche Narrativ zu untermauern, wurden sowohl bei den Gefangenen der RAF als auch der kurdischen Bewegung zudem die Besuchszeiten und der Briefverkehr beschnitten. Dies gipfelte in absolutem Kontaktverbot während der Hungerstreiks.

Zermürbung war also das ausgeschriebene Ziel, Abtötung der Ideen. Durch die Politisierung der unmenschlichen Haftbedingungen sollte sich der gesellschaftliche Dialog vom eigentlichen Problem abwenden. Die Justiz wurde somit zum Kriegsinstrument, zur Waffe und zum Schutzschild verantwortlicher Politiker:innen, die sich durch die Verschiebung des Dialogs aus der Schusslinie nehmen konnten. Bei dem Vorgehen gegen Christa und Hüseyin kommt eindrucksvoll zur Geltung, wie der Justizapparat versuchte, jene Prozesse zu inszenieren, indem versucht wurde, die Taten von ihren Tathintergründen zu trennen. Der konkrete Sachverhalt, im Sinne der bezichtigten Tat, nennen wir sie politische Haltung, sollte also vom Motiv und der Intention der gesellschaftlichen Bewegung getrennt werden. Die bezichtigte Tat musste dafür als individuelle Entscheidung gebrandmarkt und so verformt werden, dass sie in die engmaschige Gängelung des Strafgesetzbuches zu pressen war. Nicht von ungefähr kommt es also, dass die Justiz mit allen Mitteln versuchte, eine politische Verteidigung der Gefangenen der RAF und PKK zu verhindern. Insbesondere die Briefe Hüseyins enthüllen des Weiteren die rassistische Praxis der deutschen Justiz, welche die Verteidigung und Kommunikation der kurdischen Gefangenen aus Gründen der Übersetzung zur bürokratischen Herkulesaufgabe machte. Im Sinne dieser Haftbedingungen spricht Christa von einer »knastinternen psychologischen Kriegsführung« (S. 19), die bis zur physischen Zerstörung von Gesundheit vorangetrieben werden sollte. Seit Anfang der 70er Jahre wurde die Verhängung von Isolationshaft zum bewährten Konzept für politische Gefangene, was insbesondere Gefangene der RAF und der PKK betraf. Durch »sensorische Deprivation«, also die drastische Einschränkung der Objekte sinnlicher Wahrnehmung wie absolute Stille, soziale Isolation und dominierende Farbtöne, sollten die Gefangenen gebrochen werden. Es wird in den Briefen ersichtlich, dass Desorientierung, das Absterben sinnlicher Empfindung Kalkül im Umgang mit politischen Feinden sind, denen das genommen werden soll, was sie am Leben erhält. Die Methoden waren daher nicht gegen das Individuum gerichtet, sondern grundsätzlich ein Angriff auf das Herz politischer Bewegungen.

Es dürfte nicht verwundern, dass dieses in der BRD entwickelte Konzept subtiler Folter ein Exportgut für Regime und Diktaturen weltweit wurde. Subtil daher, da Gefangene die Methoden meist erst durchschauten, als es zu spät war, und bis dahin nicht definieren konnten, wogegen sie eigentlich anzukämpfen hatten. So kam es auch, dass eine türkische Delegation am 16. Mai 1990 den Gefängnistrakt Stammheim besichtigte und nach diesem Vorbild das F-Typ-Isolationsgefängnis in der Türkei aufbaute. Parallel zur Vernichtungshaft begann in der BRD eine antikommunistische Propaganda­offensive, deren Angriffsziele insbesondere Palästinenser:innen, Tamil:innen, Kurd:innen und Ir:innen waren. Das repressive Vorgehen und die inszenierten Gerichtsverfahren scheinen somit Teil eines Krieges niedriger Intensität im Rücken des eskalierenden Krieges im Trikont zu sein. Den wusste die damalige Bonner Regierung geschickt weit weg von sich zu halten, und die Stimmen dagegen versuchte sie einzusperren und abzutöten.

Den Worten Christas und Hüseyins Bedeutung schenken

In einem Klima, das mehr als 30 Jahre nach dem Briefwechsel nicht ärmer an politischen Widersprüchen, Unterdrückung und Kriegen mit westlicher Beteiligung geworden ist, können wir heute aus dem Briefwechsel vor allem Mut und Kraft ziehen. Christa und Hüseyin erzeugen mit einer so selbstverständlichen Annäherung an Internationalismus eine sich gegenseitig Kraft-spendende Wärme, die sich trotz der über drei vergangenen Jahrzehnte auf die lesende Person überträgt. Das zeigte sich in der Praxis daran, wie selbstverständlich Hüseyin mit seinem Hungerstreik auch die Forderungen der Gefangenen der RAF unterstützte. Eben diese Form von gegenseitiger Unterstützung lässt nämlich, wie Christa es bildhaft beschreibt, neue Arten von solidarischen und menschlichen Beziehungen entstehen, was quasi Kern eines Internationalismus sei. All das zeigt uns auf, dass die unmittelbare Betroffenheit, im Negativen im Leid des Anderen, im Positiven in der Freude und im Sieg, das Wesentliche ist, was die Entfernung von Kuba nach Deutschland und von Deutschland nach Kurdistan und vielen weiteren Ländern so weit schrumpfen lässt, dass diese Hürden und Grenzen uns lediglich verschmitzt lächeln lassen. Hüseyin beschreibt dieses Gefühl wie folgt: »Die Zärtlichkeit der Völker wird für uns praktisch spürbar, wir fühlen sie« (S. 156).

Wir sehen in der Reflexion der letzten Jahrzehnte, wie der postfaschistische Staat Anfang der 70er Jahre eine vor Ungerechtigkeit schreiende Politik ins Rollen brachte, in deren Sturmauge wir uns auch im Jahr 2021 befinden. An dem Schreckgespenst des »internationalen Terrorismus«, das aufgrund subjektiv-staatlicher Interessen beschworen wird, hat sich auf Seiten des Staats und der Justiz nichts geändert. Wiederum müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass die Wahrheit nicht an die Lippen der Richter:innen und der Staatsanwaltschaft gekettet ist, sondern sie mit einer organisierten Gegenöffentlichkeit zu dem Narrativ der Unterdrückung ebenso gut auf der Seite revolutionärer Bewegungen liegen kann. Wie damals schon festgestellt wurde, beansprucht der moderne Staat für sich, die Gesellschaft darzustellen, weshalb mit allen Mitteln gegen eine Gesellschaft angekämpft wurde, die sich gegen den Staat auflehnt. Im Notfall reformierte er sich eben ein wenig. Für Hüseyin konnte aber die Intensität der Bekämpfung von revolutionärer Politik damals nur heißen: »unbeirrt revolutionäre Politik fortzusetzen, bei den ganzen Reaktionen, die sie zeigen, muss das ja richtig sein« (S. 28). Welche Antwort finden wir, als Menschen, die in der BRD leben, einem Staat, der sich mit seinem Vorgehen auch heute an die Spitze des repressiven Blocks westlicher Nationalstaaten setzt? Wenn wir diese Frage diskutieren, hilft uns das vermittelte Verständnis, dass wir die Revolution wie Christa und Hüseyin als generellen Durchbruch durch die Frontlinie des durch den Kapitalismus aufgezwungenen Krieges verstehen müssen. Auch heute müssen wir uns daher in jedem Moment vergegenwärtigen, dass die Revolution in Rojava und der Widerstand in den Bergen ein Bruch mit der kapitalistischen Linie ist, wie damals der Sieg in Dien Bien Phu nicht nur für ­Vietnam, sondern weltweit einen Durchbruch durch den Glaskasten des kolonisierenden Systems darstellte. In dem konkreten Widerstand heute in Kurdistan sehen wir jeden Tag die Lebensäußerung einer Bewegung, welcher im Rückblick auch der Düsseldorfer Prozess und die unmenschlichen Kriegsmethoden nichts anhaben konnten. Aus den Zeilen des Buches, den beigefügten Gedichten und verschmitzten Kommentaren können wir dabei heute die Zuversicht ziehen, die wir für die kommenden Etappen benötigen. Je stärker wir werden, desto mehr verlassen wir den Status quo, das Sturmauge und lernen durch Christa und Hüseyin, wie uns der Sturm nicht den Boden unter den Füßen verlieren lässt. Sie verleihen uns mit ihrem Leben nämlich Halt und eine Perspektive, in der wir ein Leben erahnen, das außerhalb des Wirbelsturms liegt.


 Kurdistan Report 218 | November/Dezember 2021