Briefwechsel zwischen Christa Eckes und Hüseyin Çelebi

Die Geschichtsschreibung nicht den Herrschenden überlassen

Interview mit Gisela Dutzi

Briefwechsel zwischen Christa Eckes und Hüseyin ÇelebiIm August ist der Briefwechsel zwischen Christa Eckes und Hüseyin Çelebi als Buch erschienen. Der Briefkontakt zwischen den beiden damaligen Gefangenen hat von April 1988 bis Dezember 1989 stattgefunden und spiegelt wichtige Ereignisse der Zeit wider. »Das Ende der 1980er Jahre war weltweit von ökonomischen und politischen Umbrüchen gekennzeichnet, die die Bedingungen revolutionärer Politik von Grund auf veränderten. Vor diesem Hintergrund wurde dutzenden kurdischen Aktivisten und Aktivistinnen der Prozess gemacht. Hüseyin Çelebi war einer von ihnen. Nach zwei Jahren im Gefängnis wurde er 1990 entlassen und ging dann nach Kurdistan zur Guerilla. Christa Eckes war damals schon länger im Knast. Sie hatte sich 1973 der RAF [Rote Armee Fraktion] angeschlossen und war 1984 zum zweiten Mal verhaftet worden«, heißt es in der Vorstellung des Buches, das in der edition cimarron erschienen ist. Der Briefwechsel zwischen Christa und Hüseyin umspannt die Zeit des 10. und letzten Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF und dem antiimperialistischen Widerstand 1989 mit der Forderung ihrer Zusammenlegung und des in die Geschichte eingegangen »Düsseldorfer-Prozesses«, der im Oktober 1989 begann und die Angeklagten als »Terroristen« nach dem §129a aburteilen sollte.

Das Buch wird eingeleitet mit einem Vorwort vom PKK-Mitbegründer und ehemaligen Angeklagten im Düsseldorfer 129a-Verfahren Duran Kalkan und von Gisela Dutzi, Sieglinde Hofmann und Brigitte Mohnhaupt, die Christa Eckes zu unterschiedlichen Zeiten im Knast und in der Illegalität kennengelernt und intensive Jahre mit ihr zusammen erlebt haben.

Als Christa Eckes im Mai 2012 verstarb, hat sie ihre Korrespondenz mit Hüseyin Çelebi ihren Genossinnen hinterlassen. »Wir wussten aus Gesprächen, dass sie ihr immer wichtig war und dass sie auch vorhatte, alles zu sortieren und Hüseyins Vater Kopien zu bringen. Erst später begannen wir uns über das Paket der Briefe einen Überblick zu verschaffen – was gehört zusammen, was sind die inhaltlichen Bereiche. Vieles war nur noch schwer lesbar, 30 Jahre alte Durchschläge, fehlende Ecken, schlechte Kopien usw. – also musste zuerst alles abgetippt werden«, erklären sie in der Einleitung.

Die Briefe seien nicht nur ein Dokument, »das einen bestimmten historischen Zeitpunkt festhält, oder ein Austausch an Information und Diskussion«, betonen Gisela, Sieglinde und Brigitte. »Sie sind auch ein berührendes Zeugnis, wie zwei, die sich nicht kennen, trotz aller Hindernisse eine Nähe zueinander entwickeln – ein bestimmter Draht entsteht, wie sie einander immer besser ticken. Auch in ihrem oft gleichen ironischen Ton und leisen Humor.«

Das 200 Seiten starke Buch enthält zudem viele Fotos und eine ausführliche Chronologie. Die Herausgeberin Gisela Dutzi beantwortete dem Kurdistan Report einige Fragen zu dem Buchprojekt.

Wie kam dieses Buch zustande? Kannst du etwas zu dem Buchprojekt sagen? Wer hat daran mitgearbeitet?

Wir waren alle in der RAF, so haben wir uns kennen gelernt. Im Knast haben wir die Hungerstreiks zusammen gemacht und standen uns auch in den Jahren danach immer nahe.

Nach Christas Tod haben wir die Briefe gefunden, sie hatte uns von dem Briefwechsel mit Hüseyin öfter erzählt. Irgendwann haben wir uns dann ans Lesen und Durcharbeiten gemacht, und diesen Prozess beschreiben wir in unserer Einleitung zum Buch.

Was ich noch dazu sagen möchte: bei der Arbeit an den Briefen war es ein schönes Gefühl, Christa wieder nahe zu kommen. Man kann beim Lesen spüren, wie sie tatsächlich war, handfest, mit klarem Blick, unermüdlich, herzlich. So wird es sicher vielen gehen, die sie gekannt und geschätzt haben.

Und wir haben das Buchprojekt von Anfang an in Abstimmung und Zusammenarbeit mit der kurdischen Bewegung gemacht. Es sollte keine isolierte Geschichte werden, so entspricht es ja auch Hüseyin und Christa.

Welche Zeit umfasst der Schriftverkehr zwischen Hüseyin und Christa, in welchem historischen Kontext verlief die Diskussion?

Von April 1988 bis Dezember 1989 haben sie sich geschrieben. Danach wurde Hüseyin entlassen. Christa war noch bis 1992 im Knast.

Also Ende der 1980er Jahre fand der Briefwechsel statt. Das heißt in der Zeit der weltweiten ökonomischen und politischen Umbrüche, die die Bedingungen revolutionärer Politik von Grund auf veränderten. Im Buch haben wir versucht, durch eine Chronologie zu den 1980er Jahren einzufangen, was in dieser Zeit weltweit los war.

Das Kräfteverhältnis war angespannt, war am Kippen. Der repressive Ausdruck davon hier in der BRD war, dass die Bundesanwaltschaft auf dem Sprung war, eine Art Weltpolizistenrolle für sich zu etablieren. Sie hat Anklagen gegen internationale Bewegungen erhoben, die in der BRD politisch aktiv waren, wie gegen die IRA, die palästinensische, tamilische und eben gegen die kurdische Bewegung. Das waren konstruierte Anklagen, bei denen die juristischen Grundlagen noch gar nicht vorhanden waren. Erst 1993, also fünf Jahre nach den Verhaftungen, wurde das PKK-Verbot erlassen.

Warum fandet ihr es wichtig, die Diskussionen zwischen den beiden der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?

Was mir dabei wichtig ist: Der Briefwechsel ist ein zeitgeschichtliches Dokument. Es gibt immer noch sehr wenig Authentisches aus dieser Zeit, den 1980er Jahren, gemessen an dem, was an Bewegung damals stattfand. In dem Sinne ist das Buch ein kleiner Baustein in dem Bestreben, die Geschichtsschreibung nicht den Herrschenden zu überlassen.

Es gibt im Unterschied zur kurdischen Bewegung in der deutschen Linken wenig Überlieferungskultur. Das war schon mal anders in der Aufbruchzeit Ende der 1960er Jahre. Damals wurde jede Menge publiziert, es gab ein riesiges Bedürfnis an internationaler Diskussion und politischer Theorie. Heute gibt es in vielen Städten nicht mal mehr einen linken Buchladen. Tradierungen fehlen und so kann sich wenig dialektisches Bewusstsein entwickeln: Wo kommen wir her, wie laufen Prozesse ab, was können wir aus der Vergangenheit für heute ziehen?

Wir haben während der Arbeit zum Buch auch zu hören bekommen: Wen interessiert das denn heute noch, wer soll das lesen?

Diese ahistorische Haltung schwächt die Bewegungen heute, schneidet sie von ihren Wurzeln ab. Was heute ist, hat sich aus den vergangenen Kämpfen entwickelt – aus sämtlichen Erfahrungen, mit allen Niederlagen und Fehlern. Na und?

Sich dessen bewusst zu sein ist notwendig, weil es der Boden ist, auf dem wir stehen. Es stärkt uns heute.

Wie kam es zu dem Briefaustausch zwischen den beiden?

Einige von uns haben Gefangenen aus anderen Organisationen und Ländern geschrieben, in Irland, USA, Spanien, Italien, Frankreich – was in den früheren Jahren im Knast noch nicht möglich war. Für uns ist der Internationalismus die Grundlage unseres Politikverständnisses, es war klar, dass wir die Gefangenen kennenlernen wollten, wissen wollten, was haben sie für Bedingungen, wie können wir uns gegenseitig helfen.

So war es auch für Christa. Sie hatte sich mit dem kurdischen Befreiungskampf auseinandergesetzt. Ich erinnere mich gut an einen Text von Öcalan im Kurdistan Report, von dem sie auch schreibt, in dem er von der »Universalität« des kurdischen Befreiungskampfes spricht. Das war ein neuer Gedanke. Wir haben das so interpretiert, dass über die Grenzen eines nationalen Befreiungskampfes hinaus gedacht wurde, inhaltlich, nicht unbedingt geographisch.

Christa hatte von den Festnahmen der kurdischen Aktivist:innen erfahren und daraufhin Hüseyin angeschrieben, weil sie gehört hatte, dass er deutsch kann.

Worum ging es in ihrer Auseinandersetzung? Kannst du einige Beispiele nennen?

Es geht erst mal viel um die Haftbedingungen, um Gerichtsbeschlüsse zur Isolation, die sterile Bürokratensprache der Gerichte, aus der immer knallharte reale Bedingungen folgen. Das ist der Einstieg im Briefwechsel, eine ganze Weile tauschen sich die beiden darüber aus, weil das alles für die kurdischen Gefangenen ja eine völlig fremde Situation war. Duran Kalkan schildert das auch in seiner Erinnerung an Hüseyin im Buch.

Das ist erst mal eine ziemliche Durststrecke beim Lesen. Im Grunde gehen die Leser:innen da ein Stück weit durch diese Knastrealität mit hindurch. Die aber auch immer wieder gebrochen wird durch Absurditäten, die es im Knast auch gibt und die sich heute eher verrückt und lustig anhören.

Beispiel: Christa schreibt an Hüseyin, dass in einem Prozess in Stammheim zwei Besucher, die während der Gerichtsverhandlung eingeschlafen waren, wegen »provokativen Einschlafens« zu Ordnungsstrafen verurteilt worden sind. Nach Tumulten im Saal als Reaktion auf diese Sache gab es dann noch für vier andere Ordnungshaft.

Briefwechsel Christa Eckes, Hüseyin Çelebi Später werden die Briefe immer lebendiger, das Lesen wird leichter. Es sind Stücke politischer Diskussionen drin, es geht um die weltpolitische Lage, viel um Kurdistan, die Kämpfe in den türkischen Knästen.

Und auch um den Mord an Olof Palme in Schweden, der der PKK in die Schuhe geschoben werden sollte, die Zeitungen waren damals voll davon.

Natürlich ist das alles unter den Bedingungen der Zensur und Kontrolle geschrieben, das heißt vieles bleibt unausgesprochen, weil es sonst nicht durch die Zensur kommt. Vieles ist nur angedeutet, allgemein gehalten, weil es den Staatsschutz, der mit liest, nichts angeht.

 

 

 

 

Briefwechsel
Christa Eckes, Hüseyin Çelebi
April 1988 – Dezember 1989
200 Seiten, 12,00 Euro
ISBN 978-2-931138-01-4


 Kurdistan Report 217 | September/Oktober 2021