Erinnerungen an Ali Yavru (Xebat Siverek)

Heval Xebat, in unseren Herzen wirst du weiterleben

Olaf Meyer, Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen

Ali Yavru (Xebat Siverek) | Foto: anfDer langjährige kurdische Aktivist Ali Yavru (Xebat Siverek) ist an einer Krebserkrankung verstorben. Yavru ist 1955 in Riha-Sêwreg (tr. Urfa-Siverek) geboren und war seit 1977 in der kurdischen Befreiungsbewegung aktiv. Aufgrund seines Engagements war er viele Jahre in der Türkei im Gefängnis. Später musste er ins Exil gehen und lebte im niedersächsischen Uelzen. Auch in Deutschland war er politisch aktiv und wurde strafrechtlich verfolgt. Olaf Meyer von Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen teilt seine Erinnerungen an ihn mit uns:

Ali Yavru durfte ich Ende der 1990er Jahre kennenlernen, nachdem er nach den Jahren der Gefangenschaft und der Flucht aus der Türkei mit seiner Familie im Landkreis Uelzen ankam. Wie es der Zufall so wollte, wurde er der neue Nachbar meiner Großeltern. Ich lernte einen freundlichen und hilfsbereiten Menschen kennen, der meinen Großeltern zur Hand ging und auch mal für sie den Schnee auf dem Gehweg wegschob.

Gemeinsam waren wir bei den Aktionen nach der Entführung von Abdullah Öcalan auf der Straße. Am Tag als Rêber Apo verschleppt wurde, rief Heval Ali an und wir fuhren gemeinsam zur spontanen Demonstration nach Hannover und protestierten dort vor dem griechischen Konsulat. In den nächsten Tagen waren wir fast ständig gemeinsam unterwegs. Für Ali war es in dieser ereignisreichen und bedrohlichen Situation aber auch ein Anliegen, die Hintergründe der Entführung von Abdullah Öcalan in der hiesigen Gesellschaft zu vermitteln. So hielt er mich an, dafür schnell eine Veranstaltungsreihe zu organisieren. So führten wir dann Informationsveranstaltungen in Lüneburg, Uelzen und dem Wendland durch. Vorher diskutierte ich mit Ali den Veranstaltungsablauf und die Inhalte. Kurz nach den Veranstaltungen kam es dann zu einer Hausdurchsuchung bei mir. Grund war das Veranstaltungsplakat, auf dem nicht nur ein Konterfei von Abdullah Öcalan zu sehen war, sondern im Hintergrund auch das Symbol der PKK. Nach der Durchsuchung war Ali einer der ersten, die zur Unterstützung bei mir vorbeikamen. Ich spüre heute noch die Solidarität und Wärme, als er mit seinem Lächeln im Gesicht vor mir stand und mir einen Anstecker mit dem Bildnis von Apo übergab. Er sagte dabei: »Wir müssen jetzt nach vorne schauen.« Anschließend besprachen wir sogleich die nächsten Aktionen. Den Anstecker habe ich noch heute.

Im Laufe der Jahre haben wir viele Veranstaltungen in der Region Uelzen organisiert und immer wieder Busfahrten zu den Großdemonstrationen oder Festivals. Unvergessen auch die Momente, wo er mit den Freund*innen zu Besuch kam und oft dringend Unterschriftenlisten oder Erklärungen faxen musste. Immer gab es wichtige Aufgaben und Ereignisse. So brachte er die Anliegen Kurdistans an die Menschen und ergriff die Initiative. Wobei ihm die politischen Gefangenen in der Türkei immer ein großes Anliegen waren; für sie setzte er sich unermüdlich ein. eine für uns bis dahin ungewöhnliche Aktionsform. Mittels Erklärungen, die wir an verschiedenste Bundesminister und Verantwortliche der EU schickten, versuchten wir, eine größere Öffentlichkeit für von Abschiebung bedrohte Aktivist*innen oder politische Gefangene in der Türkei herzustellen. Seine eigenen Erfahrungen der Gefangenschaft trieben ihn an, seine Möglichkeiten im Exil für die gefangenen Freund*innen zu nutzen.

Heval Ali brachte sich überall ein und übernahm jede Arbeit, die zu erledigen war. Durch seine begeisternde Art, konnte er die Menschen motivieren und ein gemeinsames Handeln entwickeln. Immer war er zur Stelle und nahm dabei auch die anderen mit. So konnte es schon mal passieren, das er plötzlich vor der Tür stand und kurz darauf wieder unterwegs war. Die gemeinsame Arbeit fand dann immer mit großer Freude statt.

Die Liebe zum Freiheitskampf war größer als jede Repression

Gemeinsam mussten wir aber auch die Prozesse gegen ihn durchstehen. Auch er war von der Repression des deutschen Staats betroffen. 2001 stand er in Lüneburg vor Gericht. Angeklagt, weil er als Raumverantwortlicher Spenden für die Partei gesammelt haben soll. Er räumte die Vorwürfe ein und nutzte den Prozess, um auf die Jahre der Unterdrückung des kurdischen Volkes hinzuweisen und die Friedensbemühungen der PKK zu erläutern, die seitens der Türkei immer mit Massakern beantwortet wurden. Er machte deutlich, dass die Kurd*innen das friedenspolitische Projekt von Abdullah Öcalan unterstützen, auch wenn sie dafür bestraft und eingesperrt werden. Der vorsitzende Richter kritisierte in seinem Urteil das Betätigungsverbot gegen die PKK als »nicht mehr zeitgemäß« und bezeichnete die Tatmotive der Angeklagten als »verständlich, nicht als kriminell«. Dennoch wurde Heval Ali zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt wurde. Die Worte des Richters erfüllten Ali mit Hoffnung, der das Urteil klaglos hinnahm und sich sogleich in die anstehende Arbeit stürzte. Er trat immer selbstbewusst für die Sache ein und ließ sich nicht unterdrücken. Die Liebe zum Freiheitskampf war größer als jede Repression.

Für Menschen, die Interesse an Kurdistan, der Freiheitsbewegung und der Solidaritätsbewegung hatten, war Ali immer ein Ansprechpartner, und er zeigte selbst großes Interesse an den »komisch gekleideten« Linken aus der autonomen Antifa-Szene. Für mich war er ein wichtiger Ansprechpartner und Gespräche mit ihm immer gewinnbringend. Er konnte die aktuellen Entwicklungen der Freiheitsbewegung immer anschaulich vermitteln. Wobei er immer auch für Zweifel und Kritik ein offenes Ohr hatte.

Über die Jahre haben wir uns nicht aus den Augen verloren. Groß war die Freude, wenn wir uns bei Veranstaltungen und Demonstrationen trafen. Wobei Ali es nie vergaß, sich nach meiner Familie und den Großeltern zu erkundigen und Grüße mit auf den Weg gab.
Sein Tun war für mich Vorbild und motivierend. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich mit ihm verbringen durfte.

Mit diesen Zeilen endet die Erinnerung an Heval Ali nicht. Nach einem Prozess in Uelzen im Jahr 2002 gegen mich, wo er mit den Freund*innen seine Solidarität zeigte, sagte er mir: »Wir haben keine Zeit uns davon aufhalten zu lassen, das Leben geht weiter.« Ja, es geht weiter, und dieses Leben wird bei mir immer mit ihm verbunden bleiben.

Ali, die Erinnerung an dich gibt mir Kraft. Für unsere gemeinsame Geschichte werde ich weiter leben. In unseren Herzen wirst du weiterleben.


Kurdistan Report 215 | Mai/Juni 2021