Der Kampf gegen die Rüstungsindustrie kann viele gesellschaftliche Themen verbinden

Rheinmetall? Entwaffnen!

Sipan, aus dem Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen«


Auf dem Weg zu weitere Blockaden von Krauss-Maffai-Wegman am 28. August 2020 in Kassel.Der Kampf gegen den Militarismus ist ein zwingender, zentraler Bestandteil aller emanzipatorischer Kämpfe und hat sich in der Geschichte vielfältige Ausdrucksformen gegeben. Ein Großteil der Bevölkerung lehnt Militarismus und Kriege zur Durchsetzung von Profitinteressen ab. In den Machtzentren Westeuropas – nicht nur da, aber hier leben wir – konzentriert sich die ökonomische und militärische Kraft (und im Schlepptau auch die politische), die die Durchsetzung eigener Interessen im globalen Maßstab auch mit den Mitteln des Kriegs vorantreibt. Wir alle kennen die Schlagzeilen und Bilder, viele von uns haben Freund*innen in den kurdischen Gebieten, die diesen ständigen Angriffen ausgesetzt sind.

Als ein Aktionsfeld zur Entwicklung und Stärkung antimilitaristischer Kämpfe hat sich 2018 Rheinmetall Entwaffnen gegründet, um sich gegen den größten deutschen Rüstungskonzern zu stellen. Wir haben uns viel vorgenommen.

Die Entstehungsgeschichte des Bündnisses Rheinmetall Entwaffnen hat zwei Stränge:

Zum einen ist es eingebettet in die Geschichte der antimilitaristischen Kämpfe seit dem Beginn der Proteste gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltverteilungskrieg. Zum anderen ist es entstanden nach dem Angriff der türkischen Armee auf Efrîn in Nordsyrien und dessen Besetzung. In tief empfundener Solidarität mit dem feministischen und basisdemokratischen Befreiungskampf und um den militärischen Aggressionen etwas entgegenzusetzen wurde dieses Bündnis initiiert.

Deutsche Waffen, deutsches Geld ...

Diese Losung der antimilitaristischen und internationalistischen Bewegungen lässt sich sehr gut an der Rüstungsfirma Rheinmetall (aber auch anderen) festmachen.
Die Rheinmetall AG hat nicht nur zwei Weltkriege mit befeuert, sie ist als Lieferant der NATO und Verbündeter weltweit im Geschäft und beteiligt, auch an den Kriegen im Mittleren Osten. In Nord- und Ostsyrien terrorisiert die türkische Armee mit ihren dschihadistischen Hilfstruppen mit Leopard II-Panzern aus den Produktionshallen von Rheinmetall und Krauss-Maffei-Wegmann die Bevölkerung, um die kurdische Befreiungsbewegung und die Revolution von Rojava zu vernichten. Auch am Jemenkrieg verdient Rheinmetall gut. Offiziell ist es nicht erlaubt, die Kriegskoalition von Saudi-Arabien mit Waffen zu beliefern. Aber in den Exportrestriktionen sind Auswege eingebaut: Rheinmetalls Tochterunternehmen außerhalb der deutschen Grenzen müssen sich nicht an deutsche Gesetze halten, und es gibt ja noch belieferungsfähige Verbündete, die das gelieferte Arsenal gern weiterleiten (wie z. B. Ägypten).

Zusammenkommen gegen die Vernichtung

2018 wurde das erste Rheinmetall Entwaffnen-Camp mit etwa 100 Teilnehmer*innen am Produktionsstandort Unterlüß durchgeführt. Hier begegneten sich Menschen aus verschiedenen antimilitaristischen Spektren, entwickelten gemeinsames Campleben, führten Diskussionen, entwickelten und führten Aktionen gegen den Rheinmetall-Produktionsstandort durch und mobilisierten zum Antikriegstag am 1. September nach Unterlüß.

Das Camp hat viele motiviert, das eigene antimilitaristische Engagement weiterzudenken, die eigenen Aktivitäten zu verstetigen und Schritte zu Vernetzung und Organisierung zu machen. Es bildeten sich sogar lokale Rheinmetall Entwaffnen-Bündnisse, die nicht nur das nächste Camp mit vorbereiten, sondern auch (über)regionale Aktionen entfalten wollten (und dies auch taten).

So u. a. der Bühnensturm auf der Aktionärsversammlung von Rheinmetall im Frühjahr 2019 in Berlin durch etliche Antimilitarist*innen, der den Protest gegen die Kriegsprofiteure ans Licht der Öffentlichkeit brachte und den Verlauf der Aktionärsversammlung immerhin stören konnte.

Oder im Februar 2020 die demonstrative mehrstündige Besetzung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Diese Bundesbehörde ist für die Genehmigung der Ausfuhr von Rüstungsgütern zuständig. Eine der zentralen Verbindungsstellen des militär-industriellen Komplexes mit Regierungsstrukturen.

Am Rheinmetall Entwaffnen-Camp 2019 beteiligten sich drei- bis viermal so viele Menschen wie 2018. Eine große Stärke war und ist die große Diversität der am Camp und den Aktionen teilnehmenden Menschen. Dies zeigte sich sowohl in dem unübersehbaren feministischen und internationalistischem Schwerpunkt auf dem Camp, also auch in den thematisch vielfältigen Workshops und Informationsveranstaltungen sowie den verschiedenen Aktionen, mit denen die Inhalte des Camps auch nach außen getragen wurden.

Praktische Positionierungen in der Region und international

Und das waren nicht nur die diversen Blockaden von Rheinmetalls Produktionsstätte in Unterlüß oder der unangekündigte Besuch am Wohnort des Rheinmetall Vorstandsvorsitzenden Armin Papperger in einem Nachbarort von Unterlüß. Sehr nachhaltig waren auch die Aktionen für das Gedenken an die Zwangsarbeiter*innen, die in Unterlüß im Zweiten Weltkrieg in einem Arbeitslager eingepfercht waren, um täglich für Rheinmetall zu schuften und zu sterben. In Teilen der Bevölkerung sorgte dies für einige Verunsicherung – der Mantel des Schweigens wurde gelüftet und die Geschichte mit der Gegenwart verbunden.

Von Südafrika über Kurdistan bis Lateinamerika und aus mehreren Ländern Europas waren Menschen auf dem Camp, die dort ihre Erfahrungen im Kampf gegen Militarismus und Rheinmetall austauschten, und das in einer sehr breiten Altersspannweite.

Sehr schön auch, dass in dem Zeitraum des Camps ein von RiseUp4Rojava1 initiierter internationaler Aktionstag durchgeführt wurde, der die internationale Perspektive gemeinsamen Kämpfens ein wenig spürbar gemacht hat.

Insgesamt eine schöne und ermutigende Entwicklung.

»Ich würde mir wünschen, dass es in den Metropolen Bewegungen gäbe, die diesen Krieg angreifen, unmöglich machen würden. Einfach den Nachschub kappen … das wäre was. Eine militante Bewegung, die die Kriegsmaschine lahmlegt.«
Şehîd Andrea Wolf / Ronahî, 1. Mai 1997

Nach dem Camp 2019 trieb viele die Frage um, wie es weiter gehen soll. Wie kann es möglich sein, hier, im Herzen der Bestie, den Mächtigen so in die Arme zu fallen, dass sie nicht mehr einfach ihre Kriegstreiberei weiter verfolgen können; dass sie nicht mehr beliebig Waffensysteme entwickeln, herstellen und überall auf der Welt gegen die Menschen richten und immer weiter an ihrer perversen Effektivität arbeiten; dass wir verdammt nochmal die Vernichtungskriege des kapitalistischen Patriarchats blockieren und stoppen?!

Wie kommen wir dahin?

Was fehlt dazu?

Mit diesen Fragen setzten viele ihre Arbeit im Bündnis fort, um in diesem Sinne das nächste Camp vorzubereiten und diverse regionale Aktivitäten anzugehen.
Die Maßnahmen zur Corona-Pandemie machten die Durchführung eines Camps im Jahr 2020 unmöglich. Auch weitere Aktionen wie der Bühnensturm auf der Aktionärsversammlung etc. mussten ausfallen bzw. waren nur reduziert möglich – die Aktionärsversammlung z. B. fand digital statt, wofür extra Gesetze verändert werden mussten.
Die Entscheidung, statt des Camps eine große Blockadeaktion an einem der Rüstungsproduktionszentren – Kassel – zu machen, war der Versuch, trotz der schwierigen und belastenden Bedingungen nicht tatenlos zu bleiben. Die Kriege gehen ja weiter, die Rüstungsexporte werden weiter vorangetrieben – der Feind macht keine Pause. Die Bilder aus Nord- und Ostsyrien von türkischen und anderen dschihadistischen Truppen mit Kriegsgerät deutscher Produktion helfen, das Bewusstsein über unsere Verantwortung wach zu halten.

Wie unserer Verantwortung, im Herzen der Bestie die Unmenschlichkeit anzugreifen, gerechter werden?

Nun ja. Schlüsselfrage. Es wurde geschafft, unter den neuen und schwierigen Bedingungen, im Bündnis weiterzuarbeiten und Beschlüsse zu fassen. Es sollte eine starke Mobilisierung nach Kassel geben, und für die Mobilisierung und zur eigenen Weiterbildung wurden eine Reihe von Online-Veranstaltungen durchgeführt, die eine breite Themenpalette umfassten – von »was ist eigentlich Rheinmetall?« über feministische Organisierung, Militär und Männlichkeit, Krieg im Mittleren Osten bis Festung Europa und Rüstungslobbyarbeit. (Aufzählung unvollständig). Und dann der Blockadetag am 28. August, der Tag, an dem alles zusammenkommen sollte.

Etwas über 500 Menschen waren mit uns auf den Straßen in Kassel unterwegs, um die Werke von Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) zu blockieren. Der Leopard II-Panzer ist nicht das einzige Joint Venture zwischen Rheinmetall und KMW. In Kassel wird zum Beispiel auch der Schützenpanzer Puma produziert. Auch Airbus produziert dort. Auch Mercedes liefert von dort Achsen für Militärtransporter. Und Airbus ..., und ...

Die Berichte auf der Seite von Rheinmetall Entwaffnen2 geben ganz gut wieder, was an dem Tag auf der Straße los war.

Wir haben den Protest auf die Straße getragen. Das stimmt. Wir standen vor den Toren von KMW. Und zwar vor allen Toren! Das stimmt auch. Die Stimmung war gut, die Beteiligung vielfältig. Auch das ist richtig.

Aber was haben wir bewirkt? Wir wissen es nicht.

Die Firmen konnten sich auf uns einstellen – und haben das auch gemacht. Die Polizei konnte sich auf uns einstellen – und hat das auch gemacht. Sie haben unsere Blockaden akzeptiert – außer wenn Arbeiter*innen darauf bestanden, durch die Polizei den Zugang zum Werk verschafft zu bekommen. Manchen war es auch unangenehm, dass ihr Weg zur Arbeit erzwungen werden sollte und nahmen sich den Tag frei.

Zu- und Auslieferung von Gütern hat an dem Vormittag an dem Werk nicht stattgefunden. Das ist gut, aber auch ökonomisch handhab- und berechenbar.

Jetzt könnten wir sagen: Immerhin.

Ok: Immerhin.

Wollen wir nicht eigentlich mehr?

Aber wie viele – außer uns, den Repressionsorganen und den Firmen – haben das mitbekommen? Das mediale Echo war sehr lokal, die größte Verteilung lief anscheinend über unsere »eigenen« Kanäle (via Facebook, Twitter, RME-Website, die kurdischen Nachrichtenagentur ANF). Haben wir mehr als uns selbst mobilisiert? Es gab schöne Bilder, ein gutes Miteinander und wir haben zusammen gezeigt, dass wir diese Normalität, in der das Geschäft mit dem Tod akzeptiert und von den Stadtverwaltungen der Steuer wegen gern gesehen ist, nicht akzeptieren wollen. Das fördert den eigenen Zusammenhalt. Aber wenn wir nicht weiter kommen (und planen) als das, dann bedeutet das: es geht uns darum, dass wir uns sagen können: wir haben ja was gemacht!?

Dann haben wir nichts gemacht.

Dann haben wir das gemacht, was wir immer machen, unsere üblichen Methodenkisten angewandt, mit denen wir uns sicher fühlen, und bewegen uns damit innerhalb eingefahrener Protestrituale und damit in einer Nische, die niemandem gefährlich wird und somit für Staat und Rüstungsindustrie berechenbar bleibt. Und so sind wir auch nicht für andere attraktiv, weil Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit für Außenstehende nicht greifbar wird. Und, wie eine feministische Kritik es formuliert hat: » ... gemessen an dem Erfolg, müssen wir uns die ernste Frage stellen, ob es den Aufwand wert ist. Aber klar ist, dass auch die Aktionsform ›Blockade‹ die Tendenz hat, zum Szenehype zu werden, wo dann der Kampf um Informationen und die Performanz von Sicherheit schnell auf der Tagesordnung stehen und so Gerangel und Mackertum mit einhergehen.«

Wir haben wirklich viel Arbeit investiert, uns viele Gedanken gemacht, in oft zähen Diskussionen Entscheidungen erarbeitet. Und dann geben wir uns tatsächlich damit zufrieden, dass wir wie angekündigt vor den Toren von KMW stehen und wir dort auch gelassen werden?

Wen soll das überzeugen? Wen wollen wir damit auf unsere Seite ziehen? Wie wollen wir damit klarmachen, dass wir diesen Normalzustand nicht nur nicht mehr akzeptieren wollen, sondern tatsächlich nicht mehr hinnehmen. Wie erreichen wir ernsthaft, die Auslieferung der Todesmaschinen zu verhindern?

Diametral entgegengesetzte Interessen

Es gibt so viele Felder, in denen wir uns für diese Aufgabe weiterentwickeln und Mitstreiter*innen finden können. Mit dem Kampf gegen die Rüstungsindustrie lassen sich viele gesellschaftliche Themen verbinden. Es ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich, mit den vielen Menschen, die sich gegen die verschiedenen Aspekte des zerstörerischen Systems richten, zusammenzukommen und gemeinsam an der Durchsetzung unseres NEIN! zu arbeiten.

Vielleicht müssen wir stärker davon ausgehen, dass es ein Akt der Selbstverteidigung ist, den wir mit unseren Aktivitäten entwickeln. Wir haben keine »andere Meinung« als die Herrschenden, wir haben diametral entgegengesetzte Interessen!

Darüber müssen wir sprechen, damit wir das nicht in unseren Aktivitätsschüben vergessen. Sie werden sich nicht freiwillig von ihren Profiten und Machtinteressen zurückziehen, das müssen wir erzwingen. Gut, das ist nicht neu. Aber was brauchen wir, um uns auch so zu positionieren? Was fehlt uns eigentlich, um unsere Bravheit und scheinbare Symbolhaftigkeit zu überwinden? Was müssen wir tun, um unsere Attraktivität bei den Menschen zu erhöhen, die diese Vernichtungskriege ablehnen, mit denen die Rheinmetalls dieser Welt Vermögen scheffeln? Wie bringen wir eigentlich unsere lokalen Aktivitäten mit den eher zentralen Aktionen zusammen? Wie entwickeln wir eine kämpferische Lebendigkeit? Wird Zeit dass wir leben. Berxwedan jihanê!

Fußnoten:

1 - RiseUp4Rojava ist eine internationalistische Kampagne und Plattform, die 2019 gegründet wurde.

2 - https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/

Sipan ist in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen im Kampf um den Durchbruch der demokratischen Moderne aktiv. Als solcher ist er auch Teil des Bündnisses RHEINMETALL ENTWAFFNEN.


 Kurdistan Report 212 | November/Dezember 2020