Ein Einblick in die Geschichte Südkurdistans und der PDK

Die PDK – Handlanger der Türkei

Ismet Kayan


Proteste in Europa gegen die Angriffe der PDK auf Şengal. »Nein zur Zusammenarbeit von AKP und PDK! Nein zu Barzanîs Verrat!«, heißt es auf dem Transparent. Foto: anfWir blicken auf die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg im Mittleren Osten. Die Haltung der Sowjet­union gegenüber dem kurdischen Widerstand war durchaus negativ gestimmt. Die Sowjets orientierten sich am Status quo. Der irakische General Abdulkarim Kasim, der ab 1958 durch einen Putsch im Irak regierte, wurde im Kampf gegen die Kurd*innen durch die Sowjetunion unterstützt. Sie rüsteten die irakische Armee mit zahlreichen Waffen aus. Diese Unterstützung nahm nach den beiden Putschversuchen der Baathisten im Jahre 1963 und 1968 weiter zu. Die Sowjetunion unterzeichnete ein strategisches, wirtschaftliches, politisches und militärisches Kooperationsabkommen mit dem irakischen Baath-Regime. Die von den Sowjets unterstützte Kommunistische Partei des Irak sah den kurdischen Widerstand als Verrat an der Weltrevolution an. Die Sowjets kämpften somit an der Seite der Baathisten gegen die Kurd*innen. Gefallene kurdische Kämpfer wurden als »Konterrevolutionäre« an Autos angebunden und durch die Straßen geschleift. Diese chauvinistische und aggressive Haltung der Kommunistischen Partei des Irak spielte jedoch Barzanîs Demokratischer Partei Kurdistans (PDK) in die Hände. Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan bewertete diesen Prozess mit den Worten: »Die eine Seite des Gehirns des kurdischen Volkes wird durch Barzanî und die andere Seite durch irakische Kommunisten zum Faulen gebracht.«

Der Irak lehnte sich an die UdSSR an. Die PDK bot sich in dieser Zeit anderen ausländischen Mächten an. Barzanî war bereits mit den USA verbunden. Der Schah des Iran und die CIA halfen der PDK, schickten Berater, Waffen, jedoch ohne nennenswerte Erfolge gegen die Baathisten. Im PDK-Hauptquartier befanden sich stets Mitglieder des türkischen Geheimdienstes MIT, des iranischen SAVAK und der amerikanischen CIA. Barzanî erklärte diese Situation mit den Worten: »Der Feind der Araber war mein Freund.« Barzanîs Sicht auf den türkischen Staat hatte sich im Zuge dieser Kooperation ebenfalls geändert. »Der türkische Staat ist uns freundlich gesinnt. Wer auch immer gegen die Türkei steht, steht auch gegen uns«, sagte Barzanî einst.

Kurdistan wurde durch die PDK so zum Handlanger der Türkei und des Iran. Diese Beziehungen waren vielfältig. Die Türkei und der Iran versuchten durch die Intervention in Südkurdistan mögliche Ausbrüche des kurdischen Widerstandes in Nord- als auch Westkurdistan zu verhindern.

Zur Zeit der Republik in Mahabad [22. Januar bis zum 16. Dezember 1946], in welcher Mustafa Barzanî Verteidigungsminister war, gab es die ersten Berührungspunkte mit den USA. George V. Allen, der damalige US-Botschafter in Teheran, sagte einst: »Lasst ja nicht diesen Mann gehen, lasst ja nicht diesen Clan gehen.« Er beschrieb hiermit, dass sich der Barzanî-Clan den Interessen der Amerikaner anbieten würde. Und so kam es auch. In mehreren Briefen Mustafa Barzanîs an den damaligen Sicherheitsberater der USA, Henry Kissinger, schrieb dieser, dass die USA seine letzte Hoffnung sei und er die Unterstützungsversprechen der Amerikaner einfordere.

Die kurdische Frage wog schwer und der kurdische Widerstand war eine Bedrohung für den Status quo. Der anhaltende Widerstand in Südkurdistan kam weder den Regimen in Bagdad, Ankara und Teheran noch den USA oder der Sowjetunion zugute. Am 6. März 1975 kamen der Schah des Iran und Saddam Hussein, der Mann hinter den Kulissen der Regierung von Bagdad, zusammen und sie besiegelten ein Abkommen über den Kampf gegen die Kurd*innen. Demnach sollten die Peschmerga, die aus dem ostkurdischen Gebiet heraus operierten, entwaffnet, des Landes verwiesen und ihre Einreise in das südkurdische Gebiet auf bis zu 10 Jahren verhindert werden.

So bat der Schah des Iran den PDK-Führer Barzanî, seine Bewegung aufzulösen, indem er sagte: »Wir haben unsere Beziehungen zum Irak aufgebaut. Von nun an ist es uns nicht mehr möglich, die kurdische Bewegung zu unterstützen.« Die PDK unter Barzanî akzeptierte dies ohne weitere Einwände.

Die PDK-Regierung hatte der Öffentlichkeit zwei mögliche Optionen vorgestellt: Sie wird sich entweder Saddam ergeben oder ins Exil gehen. Die PDK hatte sich jedoch bereits für die zweite Option entschieden. Für einige Peschmerga war dieser Vorstoß Verrat und begingen in Folge dessen Selbstmord. Obwohl Barzanî Zehntausende von Peschmerga, Millionen von Dollar und Hunderttausende Waffen besaß, liquidierte er die Bewegung eigenhändig, nur weil der iranische Schah darum gebeten hatte.

Ganz nach amerikanischer Tradition wurde Barzanî, der »Freund« der Amerikaner, nicht sofort fallengelassen. Sie brachten ihn in ihr Land und kümmerten sich um ihn. Er könnte ja eines Tages wieder nützlich werden. Am Vorabend seiner Niederlage gegen Saddam schrieb er Nixon, Kissinger und später dann Carter Briefe, dass »er wegen der Versprechen der Amerikaner und des Schahs von Persien in den Widerstand gezogen« sei. Mustafa Barzanî starb am 1. März 1979 in einem Krankenhaus in Washington, weit entfernt von seiner Heimat.

Kämpfe zwischen den Clans

Länder, die Kurdistan kolonisierten, schufen ständig neue Allianzen gegen die kurdische Gesellschaft. Die Politik sowohl der USA als auch Russlands und ihre Unterstützung für die Kolonialverwaltungen waren ein bestimmender Faktor im Kampf gegen die Kurd*innen. Das kollaborative Verhältnis kurdischer Organisationen zu den Außenmächten – mit der daraus resultierenden Politik und den inneren Konflikten, die die nationale Einheit untergruben – war jedoch immer die Hauptdeterminante für die Niederlagen in Kurdistan.

Das wichtigste Merkmal der in der PDK verankerten Politik war die Zusammenarbeit mit den hegemonialen Kräften. Dazu kamen die internen Konflikte, weil Parteipolitik und der eigene Machtausbau wichtiger war als das Gleichgewicht zwischen den jeweiligen Stämmen. Als Ergebnis dieser internen Konflikte war die Führung ständig gespalten und die Konflikte setzten sich fort. Dies schuf die Basis für ausländische Interventionen in innerkurdische Angelegenheiten. Ein weiteres Merkmal war, dass sie dieses kollaborative Modell ganz Kurdistan auferlegten und im Falle eines Konflikts mit anderen kurdischen Parteien sich nicht vor Intrigen und Morden scheuten. Der Geheimdienst des Iran und der Türkei übten ständig Einfluss auf die PDK aus.

Mustafa Barzanî stand beispielsweise der PDK-I, dem iranischen Ableger der PDK, und ihrem Führer Abdurrahman Qasimlo feindselig gegenüber. Tatsächlich war er es, der die ­PDK-I aufrieb und ihre politische Macht untergrub. Die PDK unter Barzanî versuchte den Widerstand in den anderen Teilen Kurdistans einzudämmen und das Potenzial in den südkurdischen Konflikt mit Saddam zu verlagern. So wurde im Jahr 1965 der Führer der PDK-T, dem Ableger der PDK in der Türkei, Faik Bucak, bei einem Komplott der PDK und der Türkei ermordet.

Nach der Niederlage von 1975 [das oben erwähnte Treffen zwischen Iran und Irak unter der Führung Henry Kissingers am 6./7.3.1975 in Algerien, in dem Iran und Irak u. a. die gemeinsame Niederschlagung kurdischer Bestrebungen vereinbarten] wurde unter der Führung von Celal Talabanî die YNK (Patriotische Union Kurdistans) gegründet. Im Jahre 1978 versuchte Talabanî, die der YNK unterstehende Peschmerga nach Behdînan zu schicken. Diese näherten sich der Grenze entlang von Şemzînan (Şemdinli), Gever (Yüksekova) und Çelê (Çukurca), als sie angegriffen wurden. Mindestens 600 Peschmerga wurden dort getötet. Der Angriffsbefehl kam von Sami Abdurrahman, einem der Führer der PDK.

Nach der Niederlage von 1975 in Südkurdistan fanden auch in Nordkurdistan wichtige Entwicklungen statt. Die soziale Spaltung führte zu einer neuen Klassenbildung innerhalb des türkischen Staates, welcher nun die politische Bühne Ankaras bestimmen sollte. Es bildeten sich mehrere kleinbürgerliche, kurdische Organisationen, die allesamt Unabhängigkeit forderten. Keine dieser Organisationen schaffte es jedoch, das kurdische Volk zu mobilisieren, oder überhaupt öffentlich wahrgenommen zu werden. Sie machten ihren Erfolg von der Situation in Südkurdistan abhängig.

Eine neue Ära in Nordkurdistan

Genau zu dieser Zeit begann in Nordkurdistan eine neue Periode. Eine neue Kraft, die sich als Volksbewegung definierte, entstand. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich 1973 als Gruppe organisierte, feierte 1978 ihre Gründung als Partei. Die PKK hatte von Anfang an ihre Haltung deutlich gezeigt; sie schuf eine starke Partei, die nationale Befreiungsfront, den bewaffneten und den politischen Kampf. Sie befürwortete den Sozialismus und organisierte sich in finanziell schwachen und studentischen Kreisen.

Im Gegensatz zur YNK/PDK schuf die PKK eine neue Linie, die Linie der Organisation der nationalen Unabhängigkeit. Dies war eine neue und historische Situation in Kurdistan, weshalb die Angriffe gegen die PKK auch massiv waren. Schon als die PKK sich noch als Gruppe organisierte, griffen der MIT und die PDK gemeinsam deren führende Kader an. Es gab darüber hinaus auch starke ideologisch-politische Angriffe der chauvinistischen Linken und primitiven Nationalisten.

Genau in dieser Zeit, im Januar 1979, brach das Schah-Regime im Iran zusammen und die Menschen in Ostkurdistan erhoben sich. Dies Entwicklung beunruhigte nicht nur die Türkei, sondern auch die USA, die daran interessiert waren, den sowjetischen Einfluss im Mittleren Osten in diesen unruhigen Zeiten einzudämmen.

Nach der Islamischen Revolution von 1979 im Iran waren die Beziehungen zwischen dem Iran und dem Irak angespannt. Es kam zu Zusammenstößen, sodass ein Krieg unvermeidlich schien. Der Irak wollte die Artikel des Algerien-Abkommens von 1975 zu seinen Gunsten ändern. Der Iran wollte seine islamische Revolution auf seinen Nachbarn übertragen. Und zwischen all dem stand die kurdische Frage.

Mesûd Barzanî wurde 1979 auf dem PDK-Kongress im Iran zum Parteiführer befördert. Tatsächlich kann man hier jedoch von keiner Wahl sprechen. Die PDK war und ist nämlich im Eigentum der Familie Barzanî. Der Iran wollte ebenfalls die Barzanîs an der Spitze der PDK sehen. Zu dieser Zeit stellte die PDK-I eine Bedrohung für das Khomeini-Regime dar. Als Khomeini erkannte, dass er den Kampf der kurdischen Gesellschaft nicht unterdrücken konnte, mobilisierte er die Barzanîs. Mesûd Barzanî und sein bewaffnetes Personal kämpften gegen die PDK-I Peschmergas in Ostkurdistan. Zusammen mit den Pasdaran – den iranischen Revolutionsgarden – tötete er Kurd*innen aus Rojhilat [= Osten; Bezeichnung für Ost-Kurdistan, den iranischen Teil].

Der im September 1980 begonnene Irak-Iran-Krieg schuf ein Vakuum in Südkurdistan. Die Menschen waren bereit, sich zu bewaffnen und Widerstand zu leisten. Die führenden Kräfte waren jedoch nicht in der Lage, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen und den Widerstand zu organisieren. Die Rivalität zwischen YNK und PDK wurde auch in Zeiten des Golfkrieges fortgesetzt. Sie fingen schließlich sogar an, sich mit Waffen zu bekämpfen.

Die irakische Regierung bildete zu dieser Zeit militärische Einheiten mit insgesamt 50.000 Kurd*innen in ihren Reihen, während die PDK interne Streitigkeiten und Bandentum schürte.

Grenzüberschreitende Operationen des türkischen Staates

Die türkische Armee organisierte 1983 den ersten militärischen Angriff gegen die PKK. Zu dieser Zeit wurde das Grenzsicherheits- und Kooperationsabkommen zwischen Ankara und Bagdad unterzeichnet. Mit der Vereinbarung ermächtigte Bagdad die türkische Armee zu Einsätzen innerhalb des eigenen Staatsgebietes. Im Rahmen des Abkommens erhielt die türkische Armee die Befugnis 10 Kilometer innerhalb des Gebiets des Irak [Südkurdistan] zu operieren.

Der erste Angriff gegen die Guerillas der PKK auf der Basis dieses Abkommens erfolgte am 25. Mai 1983. Ungefähr 7.000 türkische Soldaten drangen ca. 5 Kilometer über die Grenze ins Landesinnere ein. Auf der anderen Seite griff auch die irakische Armee PKK-Lager im Süden an. Die türkischen Medien verkündeten, es würde eine Operation gegen »armenische Militante« durchgeführt. Laut der Zeitung Serxwebûn vom Juli 1993 wurden 14 kurdische Dorfbewohner getötet, als die türkische Armee zwei Dörfer bombardierte.

Im Oktober 1984 wurde die zweite Welle der Operationen gegen die PKK gestartet. Hierbei wurden wiederum PKK-Lager ins Visier genommen. Am 12. August 1986 wurde die dritte Operation durchgeführt. Bei der von PKK-Guerillas organisierten Aktion gegen die Gendarmeriestation Çelê wurden im selben Jahr 14 türkische Soldaten getötet. Türkische Kampfflugzeuge bombardierten drei Tage nach der Aktion zahlreiche PDK-Lager in Südkurdistan, 165 Peschmerga kamen ums Leben. Der türkische Staat hatte angekündigt die PDK zu bestrafen, da sie für die Aktionen der PKK mitverantwortlich sei.

Die vierte Operation wurde am 4. März 1987 durchgeführt. 30 türkische Kampfflugzeuge bombardierten am 4. März 1987 viele Gebiete Südkurdistans. Anstatt sich diesmal gegen die türkische Armee zu stellen, richtete die PDK sich erneut gegen die PKK. Zwischen 1988 und 1991 konnte die Türkei keine »grenzüberschreitenden Operationen« durchführen, da Bagdad ihr für diesen Zeitraum keine grenzüberschreitenden Operationen erlaubte.

Mitte der 1980er Jahre organisierte sich die PKK in den Regionen Behdînan und Botan neu. Die PDK war hier zunächst stark vertreten, doch die PKK konnte schnell die Kontrolle über diese Gebiete erlangen. Die Vorbereitungen der PKK auf den Guerillakrieg gegen die Türkei und die zunehmende Präsenz der Guerilla in Botan hatten die PDK, insbesondere jedoch auch den türkischen Staat, ernsthaft gestört.

Die türkische Armee wollte die PKK aus dem irakisch-türkischem Grenzgebiet vertreiben. Sie benutzte dafür die PDK. Die PDK hatte die Grenzregionen, die unter ihrer Kontrolle waren, geräumt und der türkischen Armee übergeben.

Die PKK griff am 15. August 1984 in den Bezirken Dih (Eruh) und Şemzînan Einheiten der türkischen Armee an und erklärte dem türkischen Regime offiziell den Krieg. Die PDK agierte erneut mit der Türkei zusammen. Die PDK drohte mit den Worten: »Wir werden es der PKK nicht ermöglichen, Operationen durchzuführen.«

Tatsächlich begannen fast alle Stammesführer der PDK, von der Türkei Waffen für den Kampf gegen die PKK zu nehmen und sich als Dorfschützer [paramilitärische Verbände] zu positionieren.

Der türkische Staat begann Ende 1984 mit der Umsetzung umfassender Maßnahmen gegen die PKK. Die Armee, die Dorfschützer, eine Art Amnestiegesetz, die Spezialeinheiten: das waren die institutionalisierten Formen dieser neuen Ausrichtung an Maßnahmen. Das waren die ersten Schritte eines schmutzigen Krieges gegen die Guerilla und das kurdische Volk. Der PDK kam von Seiten des türkischen Staates eine besondere Rolle zu.

Die PDK hatte die Arbeiten der PKK im Süden für illegal erklärt. Sie erließ sogar Haftbefehl gegen einige PKK-Kader und startete Angriffe auf Lager der Guerilla. Am 17. August 1985 ermordeten PDK-Mitglieder Hamit Avcı, einen der führenden und ältesten Kader der PKK, an der Grenze zwischen Şemzînan und Gever und übergaben seine Leiche der nächsten türkischen Polizeistation. Solche Aktivitäten nahmen im Laufe der Zeit zu. Viele PKK-Kämpfer oder Verwundete wurden dem türkischen Staat übergeben.

Als der Widerstand der PKK in Nordkurdistan Wurzeln schlug, trat die PDK stärker auf Seiten des türkischen Staates auf. Die PDK gab im April 1987 bekannt, dass sie ihre Vereinbarung mit der PKK in Damaskus vom Juli 1983, welche eine gegenseitige Solidarität begründen sollte, einseitig kündige. »Wir sehen die Türkei als Freund, wir brauchen die Türkei. Diejenigen, die sagen, sie sind Mitglieder der PKK, sind unsere Feinde.« Mesûd Barzanî erklärte der Guerilla den Krieg und sagte: »Es ist von nun an nicht mehr möglich, dass die PKK in den von uns kontrollierten Regionen existiert.« Barzanî zielte nun offen gegen die PKK und ihren Vorsitzenden Abdullah Öcalan.

Der Golfkrieg

Der Zusammenbruch der Sowjetunion machte die Vereinigten Staaten und ihre militärische Allianz der NATO zum alleinigen Wortführer der Weltpolitik. Nationale Probleme flammten in der folgenden Zeit auf und viele Regionen der Welt, wie etwa der Balkan, der Kaukasus und Zentralasien wurden zu Kriegsgebieten. Der Mittlere Osten war eine der Regionen, in denen die neuen Pläne der USA umgesetzt werden sollten. Die Invasion der irakischen Armee in Kuwait am 2. August 1990 ermöglichte es den Vereinigten Staaten, in die Region direkt einzugreifen. Der durch die Entscheidung des Sicherheitsrates gegen den Irak eingeleitete Krieg endete mit der Niederlage Bagdads.

Schon zu Beginn des Golfkrieges war klar, dass Kurdistan sich ebenfalls zum Schlachtfeld entwickeln würde. Der türkische Staat, der aktiv an diesen Entwicklungen beteiligt war, wollte die PKK aufgrund der geschwächten Position Bagdads und im Kontext der kriegerischen Wirren des Golfkrieges vernichtend schlagen. Der Golfkrieg eröffnete jedoch auch neue Möglichkeiten. So wurde im Februar 1991 das Komitee zur Vorbereitung der nationalen Front als Ergebnis der Treffen zwischen Vertretern der PKK, der PDK, der YNK und der PDK-I gebildet. Dieser Schritt stärkte die Hoffnungen des kurdischen Volkes auf Einheit. Aber nicht jede Kraft kam ihrer Verantwortung nach.

Der Zerfallsprozess des irakischen Staates war der Grund für den Beginn des Aufstands (Raperîn) in Südkurdistan im März 1991. Jedoch waren weder PDK noch YNK an der Mobilisierung der Massen beteiligt. Erst nachdem der Aufstand begann Früchte zu tragen, betraten die PDK und YNK die Bühne und kamen von den Bergen herunter.

Der Aufstand nährte den Machthunger sowohl der PDK als auch der YNK, sodass sie schon bald aus der nationalen Front austraten und ihre eigenen Interessen verfolgten. Die USA schienen den kurdischen Aufstand zunächst zu unterstützen, jedoch ließen sie die Kurd*innen schon bald im Stich. Die Initiatoren des Krieges erlaubten es Saddam, sich zu sammeln und das kurdische Volk anzugreifen. Tatsächlich hatten die USA, Saudi-Arabien und der türkische Staat zu Beginn des Krieges eine Einigung erzielt, Saddam nicht zu stürzen, um den Irak nicht auseinanderbrechen zu lassen. Aufgrund der eigenen kurdischen Frage unterstütze der Iran ebenfalls die Wahrung der territorialen Integrität des Irak. Ziel war es also, Saddam zu schwächen und sich in der Region langfristig niederzulassen.

Die Kurd*innen, die vor der irakischen Armee flohen, suchten nun Zuflucht in der Türkei und im Iran. Die Stunde der Türkei war hiermit gekommen. Barzanîs neue Meister waren nicht mehr die USA und der Iran, sondern die USA und die Türkei. Der Einfluss des Iran auf Südkurdistan wurde fortan durch den der Türkei ersetzt.

Die Entwicklungen verliefen so, wie es sich die Türkei vorgestellt hatte. Die PDK und die YNK versuchten, sich in der folgenden Zeit mit Saddam zu arrangieren. Barzanî sagte in Bezug auf die Sanktionen gegen den Irak sogar: »Lasst uns in Ruhe. Wir werden Vereinbarungen mit Saddam treffen.« Selbst Saddam staunte über die Worte. Die irakische Regierung akzeptierte in Folge dessen die am 11. März 1970 erlassene Autonomie Kurdistans wieder.

Daraufhin wurde Südkurdistan mit Wirtschaftsforschern, Unternehmen und Militärexperten überschwemmt. Unter dem Vorwand des Schutzes der Kurd*innen wurde eine Sicherheitszone geschaffen.

Das Regime in Bagdad sollte ihnen jedoch nichts überlassen. Saddams Taktik bestand darin, sich zu erholen und sich wieder mit den USA zu arrangieren. Die YNK und die PDK entfernten sich wieder vom Regime in Bagdad und machten eine Lösung der kurdischen Frage erneut vom Sturz Saddams abhängig. So suchten sie sich wieder neue Verbündete in der Region.

Als die Führer der PDK und der YNK Ankara zum ersten Mal besuchten, sprach die PKK eine gemäßigte Sprache. Die Führung der PKK warnte sie und forderte sie auf, vorsichtig zu sein, sich nicht von den türkischen Staatsvertretern betrügen zu lassen und ihnen nicht zu vertrauen. Die PDK und die YNK klammerten sich jedoch regelrecht an den türkischen Staat. Die Türkei war zum Schutzpatron der Südkurd*innen geworden. So begann die Politik »guter Kurde, schlechter Kurde«.

Der türkische Staat traf sich nicht nur mit Barzanî, sondern mit allen führenden Politikern der PDK in Silopiya (Silopi) und Amed (Diyarbakır). So kamen zum Beispiel JİTEM-Mitarbeiter [Informeller Geheimdienst der Jandarma, paramilitärische Einheiten des Tiefen Staates in der Türkei] mit Nêçîrvan Barzanî zusammen. Alle Gespräche und Verhandlungen hatten dasselbe Thema: die PKK.

1992: Der Weg in den Krieg in Südkurdistan

Das Jahr 1992 neigte sich dem Ende zu, der Winter rückte näher. Die Angriffe der PKK auf den türkischen Staat konnten seitens Ankaras nicht eingeschränkt oder gar gestoppt werden. Die Türkei musste definitiv Ergebnisse erzielen. Die politische und wirtschaftliche Belastung des Krieges brachte die Türkei zum Ersticken. Ankara wollte nun mit kurdischer Hilfe die Kurd*innen bezwingen. Dies war Barzanîs letzte Trumpfkarte. Die YNK- und PDK-Führung boten sich hierbei regelrecht an. Die Fäden waren nun vollständig in die Hände der Türkei übergegangen. Die Guerilla der PKK sollte entlang der Grenze zwischen Behdînan und Bradost umzingelt und liquidiert werden.

Der Plan war wie folgt: Während des Belagerungsprozesses dieser Region wird die Guerilla in einem monatelangen Konflikt festgehalten und zerrieben. Danach werden alternative kurdische Politiker auf die Bühne geladen. Im Anschluss daran wird erklärt, dass die kurdische Frage nicht durch den Ansatz der PKK gelöst werden kann. Die Ölfelder werden mithilfe von kurdischen Vasallen unter eigene Kontrolle gebracht. Die JİTEM-Morde gegen kurdische Aktivisten in Nordkurdistan, die Zerstörung der Dörfer und die Einleitung des Prozesses zur Schließung der HEP [Arbeitspartei des Volkes; Gründung 1990] waren die letzten Bemühungen des türkischen Staates.

Die PDK leerte die Dörfer an der Grenze

Türkische Offiziere und Geheimdienstmitarbeiter wurden in Massen in den Süden versetzt. Talabanî und Barzanî, die nach Washington gingen, waren mit einem Befehl zurückgekehrt. Der Angriff bedurfte jedoch nur noch einer Begründung. Sie wollten, dass die PKK »ihre« Region verlässt. Wie sie hierbei von »ihrer« Region reden konnten, lässt sich nicht mit Gründen belegen. Es handelt sich um Kurdistan. Während die YNK und die PDK die Region in den 70er Jahren verließen, widersetzte sich die PKK der Exilpolitik und blieb seit 1982 beständig in der Region.

Bevor der Angriff gestartet wurde, gingen der türkische Generalstabschef, Doğan Güreş, und der Generalkommandant der Gendarmerie, Eşref Bitlis, nach Botan und Colemêrg (Hakkari). Eşref Bitlis sagte noch vor dem Winter 1992, dass die PKK in Zentren wie Şemzînan, Şirnex (Şırnak), Qilaban (Uludere) und Çelê (Çukurca) angreifen würde. Der Zweck dieser Aussage war klar. Die Kräfte der PDK würden aus dem Süden heraus die PKK angreifen, die Guerilla würde versuchen, nach Norden zu gelangen und müsste hierbei die großen türkischen Militäreinheiten angreifen, die dort stationiert waren. Natürlich wäre es für die türkischen Armeeeinheiten, die vorbereitet warteten, kein großes Problem, die PKK militärisch zu bezwingen. So zumindest der Plan der Türkei. Die PDK traf sich persönlich mit Eşref Bitlis zur Planung des Angriffs. Es war kein Zufall, dass der Angriff kurz vor dem Winter begann und mit der Phase der Bildung einer kurdischen Nationalversammlung in Europa zusammenfiel.

Die türkische Armee lässt sich in Südkurdistan nieder

Tatsächlich hatte die türkische Armee seit Ende des Jahres 1991 neue Außenposten entlang der irakisch-türkischen Grenze errichtet. Nach dem Tod des türkischen Präsidenten Turgut Özal, welcher im Gegensatz zu seinen Vorgängern eine diplomatische Lösung der kurdischen Frage in Erwägung zog, hatte Ankara seine Politik gegenüber Südkurdistan drastisch verändert. Die Türkei hatte ihre taktischen Ansätze genau an ihre traditionelle Strategie der Verleugnung und Vernichtung der kurdischen Gesellschaft angepasst. Sie hatte es ebenfalls nicht versäumt, Beziehungen zu Saddam aufzubauen. Der türkische Staat, der das Gleichgewicht der PDK und YNK im südkurdischen Krieg von 1994‒1997 zugunsten der PDK zu verändern versuchte, mobilisierte alle Mittel, um Barzanî mit Saddam zu versöhnen und in Südkurdistan wieder die irakische Souveränität herzustellen.

Und so sollte es auch kommen. Saddam fiel mithilfe von Barzanî in Hewlêr ein und machte den Anspruch der PDK auf die größte Stadt in Südkurdistan deutlich, wohingegen die YNK aus der Stadt vertrieben wurde. Im Jahr 1994 hatte die türkische Armee dann eine Sicherheitszone im Süden der irakisch-türkischen Grenze eingerichtet. Der damalige türkische Außenminister Mümtaz Soysal sagte in dieser Zeit: »Dies sollte nicht als Besatzung wahrgenommen werden, denn es leben keine Menschen in diesen Bergen.«

Im Juli 1995 fand in Dublin unter der Schirmherrschaft der Türkei ein Gipfel statt, welcher die Zukunft Südkurdistan fortan bestimmen sollte. Nach dem Gipfel in Dublin lud Barzanî die türkische Armee offiziell nach Südkurdistan ein. Ein Vierteljahrhundert ist seither vergangen. Türkische Soldaten sind immer noch in Südkurdistan stationiert. Hunderte von türkischen Panzern, Tausende von Soldaten, der türkische Geheimdienst MIT und seine Agenten sind im Süden stationiert. Die türkische Militärpräsenz befindet sich in Amêdî (Amediye), Kanîmasî, Delaruk, Şeladizê und Bamernê, mit dem alten Flughafen aus der Zeit von Saddam Hussein, 60 km südlich von Qilaban. Zusätzlich zu diesen Militärposten setzen MIT-Agenten ihre Aktivitäten in Batîfa (Batufa) und Amêdî fort. Die türkische Armee, die Batîfa und Kanîmasî von Zaxo aus militärisch kontrolliert, hat vor Ort eine geheimdienstliche Infrastruktur gegründet.

Mesûd Barzanî sagte 2011 während eines Besuches in Ankara: »Die Sicherheit der Türkei ist mit der Sicherheit der Autonomen Region Kurdistan verbunden«. Er erklärte, dass der Aufenthalt der türkischen Truppen um weitere sechs Jahre verlängert werde. Laut dieser Vereinbarung sollte das türkische Militär nur bis 2017 in Südkurdistan bleiben. Als der »Islamische Staat« (IS) dann die Gebiete Südkurdistans überfiel und das kurdische Parlament in Hewlêr die türkische Präsenz wegen der offensichtlichen Unterstützung des IS durch die Türkei kritisierte und ihre Ausweisung forderte, wurde die Umsetzung der Forderung von der PDK verhindert.

Die Zukunft der türkischen Stützpunkte in Südkurdistan wurde in dem Treffen zwischen dem damaligen Premierminister Ahmet Davutoğlu und Barzanî während seines Besuchs in Hewlêr in den letzten Monaten des Jahres 2014 erörtert. Hier bestand der Konsens, die Militärbasen zu modernisieren und die Peschmerga durch die türkische Armee ausbilden zu lassen. Die Zeitung Cumhuriyet schrieb, dass der Vorschlag, die Peschmerga durch die türkische Armee ausbilden zu lassen, von der Hewlêr-Regierung, also von Barzanî, stammte. Davutoğlu sagte, dass die Militärbasen nun dauerhafter Natur sein werden. Kurz gesagt: Der türkische Staat bewegt sich mit seinem Militär, seinen Unternehmen, Fernsehserien, Musik- und Gemeinschaftsschulen immer freier in Südkurdistan. Der damals verborgene Kolonialismus der Türkei hat nun offene Formen angenommen.

Die Feindseligkeit der PDK gegenüber Rojava

In der arabischen Region entstand im Jahr 2011 eine Massenbewegung, die gegen die autoritären Herrscher ihrer Länder auf die Straße gingen: der »Arabische Frühling«. Auch die kurdische Freiheitsbewegung ergriff nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten Maßnahmen. Im Februar 2011 verlegte die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) ihren Hauptsitz von Garê in Südkurdistan nach Rojava. Die kurdische Bewegung verlegte einige aus Rojava stammende Kader, einschließlich Xebat Derik, nach Rojava. Die PYD begann schnell mit der organisatorischen Arbeit. Sie gründete in der Anfangsphase die jeweiligen Volksräte und legte dann den Grundstein für die ersten militärischen Einheiten.

Am 19. Juli 2012 übernahmen die Menschen in Kobanê und Efrîn, Dêrik, Dirbesiyê und Amûdê die Verwaltungsaufgaben des syrischen Regimes und beendeten den Einfluss Assads auf diese Region. Die Haltung der PDK zu den Entwicklungen in Rojava war erneut negativ. Die PDK startete einen systematischen Propagandakrieg und sagte, dass Assad diese Orte der PYD überlassen habe. Barzanî schloss in der folgenden Zeit auch die Grenzübergänge nach Rojava. Mit Unterstützung des türkischen Staates brachte die PDK diesmal den ENKS (Kurdischer Nationalrat in Syrien) ins Spiel. Trotz der Antihaltung der PDK gegenüber der Revolution in Rojava, fanden in Hewlêr Gespräche zwischen PDK und der PYD statt. In Folge dieser Gespräche wurde der Kurdische Volksrat gegründet. Dieser sollte jedoch nicht lange währen. Der damalige türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu ging nach Hewlêr und griff in den Prozess ein. Der ENKS erklärte in dieser Zeit, dass »die Bedingungen für die Revolution in Rojava nicht gegeben wären«. Sie gründeten eine Gegenstruktur namens Azadî, die ebenfalls von der PDK unterstützt wurde und erklärte in Form dieser Kontraeinheit in Aleppo den Krieg gegen die PYD.

Der türkische Staat, der in der Zeit nach 2013 einen Waffenstillstand mit der PKK in Nordkurdistan einging, verlagerte den Krieg gegen die Kurd*innen nach Rojava. Von Anfang an hat die Politik der PDK versucht, die Revolution in Rojava zu erwürgen und ebnete hierbei den Weg für die Angriffe des türkischen Staates gegen die Menschen in Rojava. Bis heute wird diese Politik fortgeführt.


 Kurdistan Report 211 | September/Oktober 2020