Über die Kampagne der kurdischen Frauenbewegung

Durch unseren gemeinsamen Kampf können wir Faschismus und Patriarchat überwinden

Meike Nack, Stiftung der Freien Frauen in Syrien (WJAS)


Der Kampf gegen das kapitalistische System, das von Krieg, Genozid und Feminizid geprägt ist und der Aufbau des demokratischen Konföderalismus als alternatives System prägt den Kampf und das Engagement der kurdischen Frauenbewegung. Im Rahmen ihrer Kampagne »Durch unseren gemeinsamen Kampf können wir Faschismus und Patriarchat überwinden« verdeutlicht sie den Zusammenhang zwischen den sozialen, ökonomischen und ökologischen Problemen von Frauen mit denen der gesamten Gesellschaft. Die kurdische Frauenbewegung macht immer wieder darauf aufmerksam, dass die individuellen Probleme von Frauen – politisch, soziologisch und ideologisch – in den gesellschaftlichen Problemen begründet sind. Das konkrete Problem einer einzelnen Frau spiegelt die Mängel einer gesamten Gesellschaft wider und umgekehrt. Wenn es keine kapitalistische, kolonialistische, patriarchale und faschistische Mentalität in der Gesellschaft und im kapitalistischen System gäbe, würde niemand auf die Idee kommen, dass Frauen und die Gesellschaft im Allgemeinen einem anderen Willen als dem eigenen folgen sollten.

Dazu kritisiert der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan in seinen Analysen, dass viele der Eigenschaften, die den Frauen negativ zugeschrieben werden und ihrer Abwertung dienen, gesellschaftlich überlebenswichtige Werte darstellen. Empathie, Kollektivität, Integration, Mangel an Machtstreben, Friedfertigkeit und Kommunikationsbereitschaft statt profitorientiertem und zerstörerischem Kampf (Wettbewerb) sind grundlegend für ein stabiles Zusammenleben. Frauen legen wesentlich mehr Wert auf diese Aspekte und sind deswegen beispielhaft für die Gesellschaft. Weiter führt er aus, dass man in der Geschichte viele Beispiele von den Kämpfen von Frauen findet, die sich von denen der Männer grundlegend unterscheiden.

In diesem Sinne versteht die Frauenbewegung unter Selbstverteidigung eine Verteidigung gegen Angriffe auf Frauen und die Gesellschaft sowie ihre demokratisch-ökologischen Prinzipien. Diese Angriffe können Kriege, Besatzung, Zerstörung der Natur, Ausbeutung und eben genauso die Gewalt gegen Kinder und Frauen sein, da sie allesamt einer patriarchal-kapitalistischen Mentalität entspringen.

Schaffung eines internationalen Solidaritätsnetzwerkes

Die Arbeit der kurdischen Frauenbewegung im Rahmen der Kampagne entsprechen dieser weitreichenden Dimension. Neben Aktivitäten zu aktuellen Ereignissen beinhaltet sie auch Bildungsarbeit und strebt die Schaffung eines internationalen Solidaritätsnetzwerkes an. Der in Nord- und Ostsyrien organisierte Frauendachverband Kongreya Star hat die Plattform »Jin Rojava diparezin« – in Europa bekannt als »Women Defend Rojava« – ins Leben gerufen. Diese richtet sich vor allem gegen die Angriffe des türkischen Staates auf Girê Spî und Serê Kaniyê seit dem Oktober 2019 und der Verschleppung, Vergewaltigung und Ermordung von Frauen in Efrîn. Die medienwirksam inszenierte brutale Verschleppung der YPJ-Kämpferin Çiçek Kobanê (Dozgin Temo), die niederträchtige Ermordung von Hevrîn Xelef (auch Havrin Khalaf), Generalsekretärin der Zukunftpartei Syriens und die Angriffe auf die Zivilgesellschaft sowie ihre Gesundheitseinrichtungen waren der Versuch der Türkei und ihrer dschihadistischen Verbündeten, die Gesellschaft zu demoralisieren.

Mit der breiten lokalen und internationalen Kampagne wurde die Informationspolitik der Mainstream-Medien durchbrochen und ein Netzwerk der praktischen Solidarität geschaffen. Auch in zahlreichen europäischen Städten haben sich neue Gruppen gegründet, die im Geiste internationalistischer Solidarität Aktivitäten gegen den Angriffskrieg der Türkei durchführten. In diesem Zusammenhang fand eine internationalistische und solidarische Reaktion über Monate hinweg statt.

Feminizid und die Corona-Pandemie

Mit dem Beginn der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Individualisierung der Lebensverhältnisse, vor allem in Europa, ist der ideologische und organisatorische Grad von sozialen und politischen Bewegungen besonders deutlich zutage getreten.

Diskussionen darum, wie eine Fortführung des Kampfes für eine alternative Gesellschaft in Corona-Zeiten organisiert werden kann, welche Aktivitäten möglich sind und welche eingestellt werden sollten, sind die kurdische Frauenbewegung und feministische Gruppen mit einer fruchtbaren Kreativität vorangegangen. Entwickelt wurden Aktionen von kleinen Gruppen, Kampagnen in sozialen Medien, die Einführung von Telefonkonferenzen sowie Online-Seminaren; einige Frauenräte haben gar Masken für die Schulen in ihren Städten genäht. In den Aktivitäten wurde klar Haltung gegen Gewalt an Frauen und Kinder und für ein solidarisches Miteinander eingenommen. Die Zeit war geprägt von der Suche, zu diesen wichtigen Themen eine Öffentlichkeit zu schaffen und den anhaltenden Kampf sichtbar zu machen.

Besonders schmerzlich war der Verlust von Besma A., die als vierte kurdische Frau innerhalb einiger Monate ermordet wurde. Die Herangehensweise der Behörden gegenüber dem Täter machte wieder einmal deutlich, dass patriarchale Männer vom System als eher zu entschuldigend angesehen werden, während Frauen gegen Schuldzuweisungen (angebliches falsches Verhalten oder Kleidung, Freunde etc.) kämpfen müssen. Der Ehemann wurde nach der Tötung seiner Frau aufgrund seines alkoholisierten Zustandes und seiner Aussage, dass die Tötung seiner Frau ein Versehen gewesen sei, freigelassen.

Die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA und der Dachverband des êzîdischen Frauenrats initiierten deshalb einen offenen Brief an zuständige Behörden und Ministerien, in dem sie eine gründlichere Strafverfolgung der Morde sowie einen aufmerksameren Umgang bei Gewalt an Frauen fordern. Denn obwohl selbst Behörden erklären, dass für Frauen »statistisch gesehen, der gefährlichste Mensch der männliche Partner« ist und sie ermordet werden, weil sie Frauen sind, werden Frauenmorde statistisch nicht erfasst, geschweige denn als eine eigene Straftat bewertet.

Diese Kontinuität der Angriffe auf Frauen in engen sozialen Beziehungen durch soziale, juristische, ökonomische und politische Benachteiligung bewirken, dass Frauen keine Selbstbestimmtheit entwickeln können. Denn in einer Gesellschaft, die von Macht, Versklavung, Unterdrückung und Vernichtung geprägt ist, kann kein Mensch frei sein. Frauenbewegungen benennen die soziologische Beschreibung der systematischen Vernichtung von Frauen als Feminizid.

Auch im Rahmen von Women Defend Rojava sind Ursachen und Auswirkungen der wachsenden Zahl an Gewalttaten und Tötungen gegenüber Frauen diskutiert worden. Erkannt und kritisiert wurde vor allem, dass in einer solchen Ausnahmesituation die Kraft der Selbstorganisierung nicht aus den Augen verloren werden darf, da Menschen sonst auf staatliche Einrichtungen und Angebote angewiesen sind. Diese Rückbesinnung auf die eigene Kraft brachte verschiedene Aktivitäten hervor. Zudem haben sich zahlreiche »Women Defend Rojava«-Gruppen mit anderen feministischen Strukturen, wie etwa Frauenberatungsstellen und -häusern vernetzt, um neben den politischen Aktionen auch die gegenseitige Arbeit und die frauensolidarische Struktur in ihren Städten zu stärken. Einhergehend damit wurden Seminare organisiert, in denen sich beispielsweise mit den Fragestellungen »Was ist eigentlich Gewalt gegen Frauen?«, »Was ist ein Feminizid?«, »Wie können wir uns gegen Gewalt an Frauen organisieren?«, auseinandergesetzt werden konnte.

Die Dringlichkeit feministischer Bildungsarbeit und Selbstorganisierung gegen die frauenfeindliche Mentalität wurde uns durch den Zuwachs an Gewalt in allen gesellschaftlichen Bereichen, während der Corona-Pandemie wieder mehr als deutlich. Umso mehr gilt es, die Kampagne der kurdischen Frauenbewegung »Durch unseren gemeinsamen Kampf können wir Faschismus und Patriarchat überwinden« für eine Beseitigung der Ursachen von Gewalt gegen Frauen und Rassismus zu verstärken.