Bericht der SETA: Kurden im Visier

Wirf mit Schlamm, etwas wird hängen bleiben

Mahmut Şakar, Rechtsanwalt und stellvertretender Vorsitzender von MAF-DAD e.V. – Verein für Demokratie und internationales Recht


Die der AKP nahestehende Stiftung für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forschung (SETA) wurde in den letzten Monaten mit ihrem Bericht »Die Ableger internationaler Medienunternehmen in der Türkei« in der Türkei und Europa zum Gesprächsthema. Der Bericht nimmt, wie dem Titel zu entnehmen, Journalisten ins Visier und kriminalisiert sie.

Die Mitglieder des Journalistischen Solidaritätsnetzwerks GDA versammelten sich vor der Staatsanwaltschaft in Istanbul zu einer Pressekonferenz. Zuvor hatte das Netzwerk den AKP-Thinktank SETA angezeigt. Die Veröffentlichung dieser Studie zum Anlass nehmend, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters am 11. Juni, dass die inhaltliche Auseinandersetzung in der Studie in persönliche Angriffe übergehe und die Meinungs- und Pressefreiheit geradezu mit Füßen getreten werde.

Doch das ist nicht das einzige Kunststück der SETA. Vor besagtem Bericht war im Mai 2019 ein weiterer Bericht mit dem Titel »Die PKK-Strukturen in Europa« veröffentlicht worden. Dem wurde hingegen kaum Beachtung geschenkt und sein Inhalt wenig diskutiert.

Ziel dieses Artikels ist es nicht, die beiden Berichte miteinander zu vergleichen. Er wird sich im Allgemeinen mit dem Bericht »Die PKK-Strukturen in Europa« und insbesondere mit dem Teil über Deutschland beschäftigen. Ich möchte zudem auch auf eine Verbindung hinweisen zwischen dem Inhalt des Berichts und der Tatsache, dass er es nicht auf die Tagesordnung geschafft hat.

Die kurdische Sache ist rund um den Begriff »PKK« oder im »Terror«-Rahmen zu einem Bereich geworden, in dem jeder sagen kann, was er will. Was in diesem Kontext formuliert wird, wird nicht hinterfragt, und es besteht kein Bedürfnis nach einer objektiven Diskussion oder Recherche. Innerhalb dieses breiten, freien und rechenschaftslosen Raumes findet der türkische Staat Möglichkeiten zur Anwendung seiner aggressiven, feindseligen Verleugnungspolitik. Dieser Bericht der Stiftung ist als ein typisches Produkt dieser Politik auf den Markt gekommen.

Er umfasst 666 Seiten und ist aufgeteilt in eine allgemeine europäische Bewertung und in einzelne Abschnitte zu insgesamt zwölf europäischen Ländern. In der Einleitung heißt es, dass diese Arbeit innerhalb von zwei Jahren entstanden sei, von drei verschiedenen Gruppen in den jeweiligen Ländern Feldforschung betrieben und in jedem dieser Länder mit dreißig ausgewählten Personen Interviews geführt worden seien.

Wenn wir uns diese Arbeit genauer anschauen, die für sich beansprucht, die umfassendste Arbeit über die PKK-Strukturen in Deutschland zu sein, dann wird deutlich, dass ihr Hauptziel die Kriminalisierung aller zivilen, demokratischen Aktivitäten der Bewegung in Europa und das Anprangern der Aktivisten ist. In dieser Hinsicht zeigt sie Ähnlichkeiten mit dem Bericht über die Medienunternehmen. Die Institutionen und Individuen werden einzeln untersucht, mit der PKK in Verbindung gesetzt und ins Visier genommen.

Dieser Bericht setzt im Wesentlichen zweierlei um. Als traditioneller Staatsreflex formuliert er Unfassbares, um zu beweisen, was für eine »böse« Bewegung die PKK doch sei. Im Türkischen gibt es das Sprichwort »Wirf mit Schlamm, etwas wird hängen bleiben«. Der Bericht funktioniert nach genau dieser Logik. So werden beispielsweise Drogenhandel, Waffenschmuggel, Prostitution und Ähnliches in diesen Kontext gestellt. In diesem Rahmen wird der Fokus vor allem auf die neunziger Jahre gelegt und es wird versucht, diese Phase, zu der auch PKK-Vertreter einige Praktiken kritisieren und sich dafür entschuldigt haben, als eine Linie darzustellen, die bis heute andauere. Ein neuer und kreativer Vorstoß ist dabei die Verbindung, die zwischen der PKK und deutschen Nazi-Gruppen hergestellt wird. Im Abschnitt »Die PKK und die Nazis« heißt es: »Es wird vermutet, dass die Angriffe gegen in Deutschland lebende Türken von der PKK unterstützt werden und es zwischen rechtsradikalen und islamfeindlichen deutschen Gruppen und der Organisation eine Zusammenarbeit gibt.« Damit beabsichtigt der Think-Tank, die eigenen Verleumdungen als Vermutung darzustellen, um auf diese Weise eine ernsthafte wissenschaftliche Analyse anzustellen. Die Absicht hinter solchen Anschuldigungen ist im Grunde klar. All das, was in der Öffentlichkeit als negativ angesehen wird, wird mit der PKK in Verbindung gebracht, um sie auch in dieser »Kategorie der Bösen« aufzulisten. Wir müssen uns nicht noch weiter mit diesen Teilen des Berichts aufhalten.

Alles Kurdische ins Visier genommen

Der zweite Punkt und das, was dem Bericht meines Erachtens Bedeutung verleiht, ist die Neubewertung und -kategorisierung der Kurden in Europa und der kurdischen Sache im Kontext der Neuorientierung der AKP-MHP-Regierung gegenüber der kurdischen Frage seit 2014. Diesen Punkt möchte ich ausführen, bevor ich einige Beispiele dafür nenne. Nachdem der Verhandlungsprozess mit Herrn Öcalan auf Imralı durch Erdoğan beendet worden war, wurde mithilfe der bestehenden Regierung ein staatliches Projekt ins Rollen gebracht. Diese in der Öffentlichkeit als »Zerschlagungsplan« bezeichnete neue Strategie zielte nicht nur auf die politischen Errungenschaften der Kurden, sondern auch auf ihre kulturellen und sozialen Erfahrungen und all das, was mit ihrer Identität zusammenhängt. Im Rahmen dieses Konzepts ist man auch davon abgerückt, zwischen »guten« und »bösen Kurden« zu unterscheiden. Das Kurdentum wurde mit all seinen Strukturen ins Visier genommen. Ein Ansatz wurde beherrschend, der alles Kurdische über einen Kamm schert, kriminalisiert und als »Terror« auffasst. Gleichzeitig wurden all diejenigen, die mit den Kurden zusammenarbeiten, und diejenigen, die sich ihnen aus einer objektiven Distanz annähern, gleichgesetzt. Der Bericht ist voller Beispiele dafür. Was ihn so »umfassend« und »neu« macht, ist sein Charakter, der den Begriff des Kurdischen (und sein Umfeld) als Ganzes beschuldigt. So heißt es beispielsweise, mit »kurdischem Kino« und mithilfe von Filmen würden politische Botschaften vermittelt (S. 67). Als Beispiel wird der Film »Close up Kurdistan« von Yüksel Yavuz aufgeführt und der Name des kurdischen Regisseurs Özay Şahin genannt (Fußnote 84).

Ein interessantes Beispiel ist die Art und Weise, wie die Person Ali Ertan Topraks und die »Kurdische Gemeinde Deutschland e. V.« behandelt werden. Auf bizarre Weise werden diese Namen oft wiederholt. In einem Abschnitt heißt es, dass diese Institution »sehr darauf achtet, nicht der PKK nahezustehen (...) dass davon ausgegangen wird, dass es sich um eine Strategie handelt, die entwickelt wurde, um die Diskurse der PKK in der deutschen Öffentlichkeit zu legitimieren« (S. 72). Es ist also verwerflich, mit der PKK zusammenzukommen, aber auch, nicht mit ihr zusammenzukommen. Zu A. E. Toprak heißt es sogar: »Er soll kein Kurdisch können, was sehr bedenklich ist« (S. 72).

Aus dem folgenden Satz wird klar, warum die Autoren bevorzugen, eine Person sprachlich anzugreifen und warum so energisch dafür gearbeitet wird: »Mit ihren Aktivitäten bewegt sich die Stiftung der kurdischen Gemeinde in einer Grauzone...« (S. 72). Die Autoren beklagen also, dass diese Person und diese Institution, obwohl sie keinen Bezug zur PKK hätten, nicht an ihrer Seite stünden und nicht offen kurdenfeindlich seien. »Du kannst kein Kurdisch, warum arbeitest du dann für die Kurden?«, so die Botschaft.

Diese beiden Beispiele beschreiben bereits das Hauptziel der Arbeit. Der Bericht wurde im Wesentlichen mit einem operativen Zweck vorbereitet. Ein Teil wird zur Zielscheibe genommen und kriminalisiert, der andere Teil wird anvisiert, pazifiziert und auf die eigene Seite gezogen.

Ein Teil dieses Ziels ist es auch, Aktivitäten gegen die Türkei im Rahmen von PKK-Aktivitäten zu begreifen. Die Autoren sagen uns, dass jede Kritik an der Türkei für sie mit der PKK gleichzusetzen sei. Ein Beispiel: »Deniz Yücel hat mit Cemil Bayık ein Interview gemacht. Es sticht hervor, dass die Meldungen und Artikel von Yücel eine Sprache sprechen, welche die Organisation legitimieren« (S. 68).
Ein anderes Beispiel aus Cosmos TV: »Burhan Ekici schreibt, dass der türkische Staat Folter gegen Kurden einsetzt« (S. 69). Gut, dass die Autoren nicht die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gelesen haben, in denen die Türkei für ihre Folter und andere Menschenrechtsverbrechen verurteilt wird. Sie hätten auch den Gerichtshof in den Bericht aufnehmen müssen!

Auch Parteien und Medien in Deutschland sind auf der Liste

Selbstverständlich geht es auch um politische Parteien. Die Linke auf Platz eins, doch die Grünen, die Jusos, einige CDU- und FDP-Abgeordnete konnten sich nicht davor retten, auch dort zu landen. Fernsehkanäle wie ARD und ARTE, die über die Kurden berichten, und einige Anwälte, die Kurden verteidigt haben, finden sich ebenfalls auf der Liste.

Insbesondere jede Aktivität und jedes Wort gegen die Besatzung in Efrîn haben die Autoren gestört und es geschafft, in den Bericht aufgenommen zu werden. Doch es scheint, als habe die Autoren nichts mehr geschmerzt als der Sieg über den Islamischen Staat. Dieser Schmerz wird insofern zur Schau getragen, als vorgeworfen wird, dass die Kämpfer gegen den IS als Helden »präsentiert« würden, dass die Fotografien Sonja Hamads so viel Aufmerksamkeit und Preise bekommen hätten, als auch, dass im Auslandsjournal des ZDF die Frauenkämpferinnen als Freiheitskämpferinnen »lanciert« worden seien.

Organisation für Organisation, Name für Name wurde aufgelistet

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Pressezentren, in denen Kurden arbeiten, nehmen den Hauptteil des Berichtes ein. Organisation für Organisation, Name für Name wurde aufgelistet. Diese Institutionen sind sowieso von Geburt an schuldig! Schauen wir uns einmal die Schuld des alevitischen Vereins FEDA an: »Es ist bekannt, dass sie sich als eine Gruppe innerhalb der AABF bewegen und die These vertreten, dass die Aleviten islamisiert worden seien und dass das Alevitentum ein eigener Glauben sei.« Diesem Think-Tank und seinem äußerst wissenschaftlichen Bericht zufolge bedeutet das, eine andere Meinung als die offizielle Staatsauffassung über das Alevitentum vorzubringen und innerhalb der PKK-Struktur in Europa tätig zu sein.

Zu dem Verein, in dem ich selbst tätig bin, heißt es: »Die Organisation MAF-DAD, die mit deutschen Anwälten und NGOs zusammenarbeitet, ist damit befasst, insbesondere Kampagnen zu legitimieren, die sich gegen die Türkei richten« (S. 51). Das einzige Beispiel, das dafür angeführt wird, ist eine gemeinsame Presseerklärung mit dem europäischen Juristenverband ELDH (S. 48). Thema der Erklärung ist die Information über eine Unterschriftenkampagne zur Inhaftierung gewählter HDPler und zu den Zwangsverwaltungen.

Die Autoren dieses Berichts bringen alle Personen und Institutionen zusammen, die sich nicht vor der AKP-MHP-Regierung beugen und die eine demokratische Haltung zeigen, und sie versuchen, eine Propaganda-Mission für den Vernichtungskrieg des türkischen Staates gegen die kurdische Gesellschaft zu erfüllen.

Die Methode des Berichtes ist im Grunde genauso komisch wie der Inhalt. Der selbsternannte umfassendste Bericht über die PKK-Europastruktur stützt sich auf die Informationen des türkischen Geheimdienstes und die Recherche aus offenen Quellen. Doch die Autoren sprechen immer wieder von »Feldforschung«, um der Sache eine akademische Aura zu geben. Im Bericht ist fast siebzig Mal von Feldforschung die Rede. Wann wurden diese Forschungen durchgeführt? Mit wem hat man sich getroffen? Welche Technik wurde angewandt? Zu alldem gibt es keine Informationen. Jeder Information, deren Quelle nicht klar ist oder nicht genannt werden will, jeder Anschuldigung wird dieser Begriff vorangestellt, um den Worten eine Grundlage zu geben.

Es wäre unzureichend, diesen Artikel nicht in Bezug zur deutschen Politik zu setzen. Die Autoren zitieren den deutschen Innenminister Horst Seehofer vom Februar 2019 (S. 114) mit Genugtuung. Seehofer erklärte dabei zur Schließung des Mesopotamien Verlags und des Musikbetriebs Mir, dass man nicht zulassen werde, dass das PKK-Verbot unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit unterminiert werde. Das ist genau die Grundlage, auf der sich die gegenwärtige Diktatur in der Türkei bewegt. Dasselbe formuliert die SETA im Abschnitt zur Presse beispielsweise über den Türkei-Service der Deutschen Welle. Wenn man grundlegende Rechte und Freiheiten nach dem PKK-Verbot oder dem Terrorismusbegriff-Diskurs entsprechend interpretiert, dann bleibt einem nicht mehr viel, um etwas gegen Erdoğan zu sagen.


 Kurdistan Report 205 | September/Oktober 2019