»Commander Arian«: Film, um die oberflächliche Berichterstattung zu unterlaufen

Eine wichtige politische Lehre, was moralische und ethische Werte angeht

Alba, Filmemacherin aus Barcelona, im Gespräch mit Anja Flach und Sophia Angeli

Alba, Filmemacherin aus Barcelona, im Gespräch mit Anja Flach und Sophia AngeliIm Juli dieses Jahres wurde im Rahmen der Hamburger »Filmnächte am Millerntor« in Anwesenheit der Regisseurin Alba Sotorra aus Barcelona der Film »Commander Arian« gezeigt. Über 150 Besucher nahmen an der Filmvorführung im Stadion des FC St. Pauli teil. Anja Flach und Sophia Angeli sprachen mit der Filmemacherin.

Könntest du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Alba, was auf Kurdisch »Morgendämmerung« bedeutet, und ich komme aus Barcelona und produziere Dokumentarfilme.

Wie kamst du dazu, den Film »Commander Arian« zu drehen?

Im Jahr 2014 lebte ich in Berlin und verfolgte die Meldungen aus Rojava, die Aufregung und Hoffnung in mir auslösten. Ich war beeindruckt und fasziniert, was dort vor sich ging. Als der Widerstand in Kobanê begann, war ich überwältigt von der Rolle der Frauen, besonders der YPJ [Frauenverteidigungseinheiten], die sie im Kampf spielten. Als Dokumentarfilmerin fühlte ich mich verpflichtet, dort hinzugehen, um festzuhalten, was dort vor sich ging – auf eine tiefere Art dies festzuhalten, da ich das Gefühl hatte, dass in den Mainstreammedien die Ereignisse in Kobanê nur oberflächlich dargestellt wurden. Oftmals wurden nur Bilder von wunderschönen Frauen mit Waffen gezeigt. Es war nicht möglich, in den Mainstreammedien zu lesen, was hinter diesem Kampf steckte und welche Opfer dieser Freiheitskampf forderte. So habe ich mich, ohne groß nachzudenken, entschlossen, dort hinzugehen. Als Erstes ging ich im Januar 2015 nach Suruç [kurd.: Pirsûs], aber es war mir nicht möglich, nach Kobanê hineinzukommen. Nochmals versuchte ich es Ende Februar, Anfang März gemeinsam mit Freunden, die in Suruç auf mich warteten, und diesmal war es mir möglich, nach Kobanê zu gelangen. Das war ein großes Abenteuer.

Wie kamst du schlussendlich mit Arian in Kontakt?

Auf diese Frage erkläre ich immer, wie mein erster Tag in Kobanê war: Zu der Zeit stand Kobanê noch unter Belagerung, der Islamische Staat war nur drei Kilometer entfernt. Ich wusste am Anfang nicht mal, wie man von Suruç überhaupt nach Kobanê gelangt. Ich wusste nur, wir gehen in der Nacht und illegal, um von der türkischen Polizei und Armee nicht gesehen zu werden. Aber ich hatte keine Idee, dass die Überquerung der Grenze mit einschloss, zu rennen und sich zu verstecken. Weil ich keine Ahnung hatte, war ich nicht eingeschüchtert, nicht verängstigt und nicht gestresst. Ich war einfach entspannt und als es losging, hatte ich keine Zeit, um gestresst zu werden, sondern ich musste einfach losrennen. Tatsächlich musste ich über mich selbst lachen, nicht weil ich nervös war, sondern nur, wie unvorbereitet ich war: Ohne passende Schuhe und Kleidung, ohne irgendeine große Vorbereitung, musste ich plötzlich durch die Felder – durch die Minenfelder – rennen. Es war immer noch Nacht, als wir in Kobanê ankamen, und kamen bei einer Familie unter – was sehr schön und gemütlich war. Dort schlief ich ein. Nach nur drei, vier Stunden wachte ich auf, da der Tag angebrochen war, und als ich aus dem Haus hinausging und Kobanê sah, musste ich anfangen zu weinen. Es war so zerstört, niemals habe ich so etwas gesehen. So verstand ich, welche unglaubliche Zerstörungskraft Krieg hat. Es fühlte sich an, als läge ein Stein auf meinem Brustkorb, und es dauerte eine Weile, bis ich den Anblick ertragen konnte. Am nächsten Tag – den ersten Tag lief ich nur durch die Stadt, traf Menschen wie Reporter und Einheimische – ging ich zum Hauptquartier der YPJ in Kobanê. Ich stellte mich vor und berichtete von meiner Filmidee. Diese Idee wurde direkt von Heval Têkoşîn aufgenommen, die zu der Zeit für die Kontakte nach außen, wie mit der ausländischen Presse, verantwortlich war. Die Freundin verstand, dass ich nicht eine Journalistin war, sondern eine Filmemacherin und dass ich mit einer Einheit der YPJ für eine Zeit zusammenleben wollte. Normalerweise folge ich, wenn ich Filme drehe, einem oder zwei Charakteren und stelle deren persönliche Geschichte dar. Ich denke, es ist wichtig, insbesondere wenn man von weither kommt, mit einer Person eine emotionale Verbindung einzugehen. Denn erst durch die Empathie ist es möglich, dem anderen nicht nur auf einer intellektuellen, sondern auf einer emotionalen Ebene zu begegnen. Heval Têkoşîn stellte mir eine Menge Frauen in den YPJ vor und ich war an vielen Kriegsfronten, so dass ich verschiedene Gruppen treffen konnte. Zu der Zeit traf ich das erste Mal Arian und wir mochten uns auf Anhieb, ich wusste aber noch nicht, dass der Film von ihr handeln würde. Ich ging zu vielen verschiedenen Orten, dieser Prozess dauerte insgesamt einen Monat. Erst als ich Arian das zweite Mal traf und mit ihr zur Ostfront geschickt wurde – wo gegen den IS gekämpft wurde –, blieben wir zusammen.

Alba Sotorra bei den Aufnahmen zum Film »Commander Arian«. Foto: albasotorra.comWovon handelt der Film?

Der Film handelt davon, was es bedeutet, als Frau in Rojava zu kämpfen, insbesondere gegen einen Feind wie den IS. Er handelt auch vom Leben im Krieg und den Ideen dieses Kampfes.

War es für dich gefährlich an der Frontlinie?

Ich fühlte mich neben Arian sehr sicher.

Wie geht es Arian heute?

Arian ist glücklich, da sie sehr hart arbeitet. Sie arbeitet im Camp in Şehba und manchmal in Aleppo.

Wie ist ihre gesundheitliche Situation?

Sie wurde fünfmal angeschossen. Eine Kugel durchschlug den Bauch, so dass ihre Eingeweide beschädigt wurden. Eine andere Kugel traf ihren Arm, den sie nie wieder wie früher benutzen können wird, eine andere Kugel ihre Brust. Heute geht es ihr wieder viel besser, sie ist so weit erholt, dass sie wieder problemlos arbeiten kann. Das letzte Mal, als wir uns sahen, haben wir sogar gemeinsam getanzt.

Also arbeitet Arian aktuell in Şehba?

Ja, sie arbeitet dort aktuell als Medizinerin.

Wo hast du den Film das erste Mal gezeigt?

Die Premiere des Films war in Toronto. Es war beeindruckend, ihn auf einem so großen Filmfestival vor so vielen Zuschauern zu zeigen. Nach Toronto ging ich einige Tage früher, um mich mit der lokalen kurdischen Gemeinschaft zu vernetzen. Ich habe sie eingeladen, zum Film zu kommen, und sehr viele kamen. Es war wunderschön, diesen ersten Moment – die Filmpremiere – mit den Kurden zu teilen. Sie haben während der Vorstellung geweint und für mich, wenn dein eigener Film das erste Mal gezeigt wird, war es so aufregend – ich wollte, dass die Erde mich verschlingt –, aber diese Anerkennung von den Kurden war für mich das Wichtigste. Dass sie fühlten, dass sie der Film repräsentierte, und das fühlte sich sehr gut an. In Spanien wurde der Film ebenfalls auf einem wichtigen Filmfestival gezeigt und danach über vier Monate lang in Kinos, was für einen Dokumentarfilm sehr lange ist. Und Menschen haben den Film geliebt. In Spanien haben die Menschen sehr wenig Informationen über diesen Kampf, für viele war es komplett neu. So wollten viele mehr darüber erfahren und haben sich gegenseitig davon berichtet. So wurde der Film durch Mundpropaganda sehr bekannt. Für vier Monate wurde der Film in Madrid und Barcelona gezeigt und in anderen Städten wenige Tage.

Kannst du uns etwas über dein nächstes Projekt sagen? Du hast ein weiteres Projekt in Rojava?

Ich war im April dieses Jahres in Rojava. Es war eine sehr spannende Zeit, da gerade der IS besiegt worden war. Nun gibt es aber eine neue Ebene des Kampfes, die genauso herausfordernd ist wie der Kampf davor. Was soll nun mit den tausenden Mitgliedern des IS in den Haftlagern passieren? Persönlich bin ich sehr besorgt, wie die Presse über IS-Mitglieder aus dem Westen berichtet, insbesondere über die Frauen. Die Art der Berichterstattung ist verantwortungslos, da Frauen interviewt und porträtiert worden sind, die gerade traumatisiert aus Baghuz geflohen waren. Nach Monaten unter Bombenangriffen, versteckt in Tunneln, konnte nur ein verzerrtes Bild von ihnen gezeigt werden. Im Westen werden diese Bilder vom rechtspopulistischen Flügel benutzt, um Fremdenangst zu erzeugen und die Grenzen zu schließen und um dazu aufzurufen, dass unsere Menschen (die Europäer) vor diesen muslimischen Terroristen beschützt werden müssen. So will ich die ehemaligen Mitglieder des IS tiefer, reflektierter und nicht so oberflächlich darstellen. Für mich war es eine wichtige politische Lehre, was moralische und ethische Werte angeht, wie Rojava dieses Problem handhabt, während gleichzeitig westliche Regierungen dazu nicht fähig sind. Westliche Regierungen sind so verängstigt, dass sie ihre Staatsangehörigen, die sich dem IS anschlossen, nicht zurücknehmen und sie einfach dort lassen. So kümmert sich die Verwaltung in Rojava nicht nur um die Sicherheit dieser IS-Frauen, sondern gibt ihnen auch eine zweite Chance. Diese Haltung ist sehr humanistisch, sehr revolutionär – mit seinem größten Feind, der für die Zerstörung deiner Städte und die Ermordung deiner Freunde verantwortlich ist, zu kommunizieren und die Hand zu reichen. Denn gemeinsam miteinander zu sprechen und es zu versuchen ist die einzige Möglichkeit, eine friedliche Lösung zu finden und Harmonie unter Menschen und Gesellschaften zu schaffen. Davon bin ich so beeindruckt, dass ich diesen Prozess in einem Film zeigen möchte. Zusammengefasst handelt der Film von kurdischen Frauen, die zu IS-Frauen aus dem Westen in die Haftlager gehen, und obwohl es ihnen durch ihre Emotionen schwerfällt und Widersprüche auslöst, da sie beispielsweise durch den IS ihre eigenen Kinder verloren haben, überwinden sie diese Widersprüche und kommunizieren mit den IS-Frauen. Sie geben Workshops und versuchen einen Weg zu finden, wie sich die IS-Frauen aus dem Westen öffnen können, um zu reflektieren, was sie getan haben, um sich ihre Schuld einzugestehen. Von diesem Punkt aus ist es möglich, sich als Frauen, als Mütter zu verbinden.

Hast du Erfahrungen mit der Filmkommune in Rojava gemacht?

Ohne die Filmkommune wäre es mir nicht möglich gewesen, die Filmprojekte in Rojava durchzuführen. Die Filmkommune war in das aktuelle Projekt stark einbezogen. Dafür waren wir ein gemischtes Team, bestehend aus zwei Menschen aus Barcelona und Freundinnen aus der Filmkommune. Als Team zusammenzuarbeiten hat wundervoll funktioniert. Die Filmkommune ist das entscheidende Element in dem aktuellen Filmprojekt und hat vieles organisiert und Kameras bereitgestellt.

Zor spas! – Vielen Dank.


 Kurdistan Report 205 | September/Oktober 2019