Zum Stand der sudanesischen Revolution

Die Regierungsgewalt in zivile Hand!

Mehira und Ahmed, Aktivist*innen von SudanUprising Germany

Nach langen Protesten im Sudan einigten sich die Opposition und der Militärrat auf eine gemeinsame Übergangsregierung. Die Revolution im Land geht trotzdem weiter.

Zum Stand der sudanesischen RevolutionDer Sturz des Langzeitdiktators Omar al-Baschir am 11. April 2019 war nur der erste Schritt auf dem Weg in einen neuen demokratischen und freien Sudan. Nach dreißig Jahren an der Macht wurde al-Baschir von seinen eigenen Leuten gestürzt. Sein damaliger Vizepräsident und Verteidigungsminister General Ahmed Awad Ibn Auf ernannte sich selbst zum Nachfolger. Da für die Protestierenden bereits absehbar war, dass es sich dabei um die ehemalige rechte Hand al-Baschirs handelte, ließen die Proteste nicht nach. In mehreren Städten des Sudan gingen mehr und mehr Menschen auf die Straße. Angeführt von der Sudanese Professionals Association (SPA), die sich den Forderungen der Declaration of Freedom and Change (DFC) vom Januar 2019 und den dahinterstehenden Forces of Freedom and Change (FFC) angeschlossen hatte, wurde zu weiteren Protesten aufgerufen. Ibn Auf trat nach nur einem Tag als Vorsitzender des Übergangsmilitärrats (TMC für Transitional Military Council) zurück und übergab den Vorsitz an General Abdel Fattah al-Burhan.

Aus Kreisen des Militärs wurde immer wieder versichert, dass man nicht daran interessiert sei, dauerhaft an der Macht zu bleiben. Der TMC sehe sich lediglich dazu berufen, für Stabilität und Sicherheit im Land zu sorgen, bis der Weg für freie Wahlen und eine Zivilregierung geebnet sei. In der Zeit besetzten Protestierende die Gegend rund um das Militärhauptquartier und errichteten ein riesiges Protestcamp. Dort trafen sich jeden Tag Sudanesinnen und Sudanesen aus allen Gesellschaftsschichten, aus allen Regionen des Landes. Protestierende aus weiten Teilen des Landes kamen in die Hauptstadt, um sich anzuschließen. Auch im Fastenmonat Ramadan verwandelte sich das Protestcamp in einen Ort der Zusammenkunft, des Austausches, der Aufklärung und vor allem in ein Symbol für die sudanesische Revolution.

Die SPA rief weiterhin zu politischen Aktivitäten auf, vor allem, weil sich die Verhandlungen zwischen ihnen und den Militärs sehr schnell als äußerst schleppend herausstellten. Lange war auch über das Schicksal des abgesetzten Ex-Präsidenten nichts bekannt. Am 17. April wurde er zwar ins Kober-Gefängnis im Norden von Khartum gebracht, es gab jedoch immer wieder Gerüchte über eine geheime Freilassung oder sehr milde Haftbedingungen beziehungsweise lediglich Hausarrest. Außerdem wurde Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, zum Vizepräsidenten Burhans ernannt. Hemedti ist Kommandeur der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) und ehemaliger Anführer der Dschandschawid-Milizen, bekannt für Kriegsverbrechen in Darfur auf Befehl al-Baschirs. Das sudanesische Volk war sich dessen wohl bewusst und forderte daher weiterhin eine Zivilregierung.

Derweilen wurde der Militärrat von einigen Staaten als Übergangsregierung anerkannt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sicherten ihm Unterstützung zu und halfen mit einer Zahlung von drei Milliarden US-Dollar nach. Die Afrikanische Union hingegen drohte mit einer Suspendierung, wenn die Macht nicht an zivile Vertreter*innen übergeben werde. Da der Militärrat jedoch keine entsprechenden Bemühungen zeigte, errichteten Protestierende weitere Barrikaden und verharrten weiterhin vor dem Militärhauptquartier. Zu der Zeit kam es immer wieder zur Gewalteskalation der RSF gegen friedliche Demonstrant*innen. Hinzu kamen schleppende Verhandlungen zwischen TMC und SPA und die Uneinigkeit über die Machtverteilung in der Übergangsregierung. Wichtigste Forderung der Opposition war immer eine Mehrheit in dem neuen Gremium. Um dem ein Ende zu setzen, rief die SPA zu einem landesweiten Generalstreik am 28. und 29. Mai 2019 auf. Mit einer Streikbeteiligung von insgesamt ca. 90 % blieben Büros, Banken und Flughäfen und andere Einrichtungen geschlossen und das Land stand still.

Als Reaktion darauf, offiziell jedoch aufgrund erheblicher Sicherheitsbedenken, stürmten am Morgen des 3. Juni 2019 RSF-Einheiten das Protestcamp vor dem militärischen Hauptquartier. Sie schossen in die Menge, brannten Zelte nieder, vergewaltigten, schlugen auf Zivilist*innen ein, ertränkten lebende sowie bereits tote Körper im Nil. Die Sudanesische Ärzt*innen-Vereinigung zählt offiziell 128 Getötete und über 300 Verletzte. Viele sind bis heute vermisst. Im Laufe des Tages wurde das Internet landesweit abgeschaltet und Journalist*innen wurden gedrängt, das Land zu verlassen, um zu verhindern, dass das Massaker und somit die Verbrechen der RSF an die Öffentlichkeit gelangen. Nach dem Massaker wurden sämtliche Verhandlungen der Opposition mit dem Militär für beendet erklärt.

Kurz darauf wurde die Mitgliedschaft des Sudan von der Afrikanischen Union bis zur Bildung einer zivilen Regierung suspendiert. Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali reiste nach Khartum, um als Mediator in Verhandlungen zwischen Opposition und Militär zu vermitteln. Wie bereits abzusehen war, erwiesen sich die wiederaufgenommenen Verhandlungen weiterhin als sehr zäh und schleppend. Die SPA rief zu weiteren Protesten auf, dabei kam es wieder zu Gewalttaten der mittlerweile überall in der Hauptstadt Khartum stationierten RSF gegen friedlichen Zivilist*innen. Am 30. Juni 2019, dem dreißigsten Jahrestag des Al-Baschir-Putsches, strömten Millionen Menschen auf die Straßen, um weiterhin für eine zivile Regierung zu protestieren. Dabei wurden sieben Menschen erschossen und weitere hundert verletzt. Außerdem gab es in allen Teilen des Landes kleinere und größere Proteste, entweder von der SPA organisiert oder auch von den jeweiligen Widerstandsgruppen einzelner Nachbarschaften, die seit Dezember 2018 die treibenden Kräfte hinter den Protesten sind. Nicht zu vergessen ist hierbei auch die sudanesische Diaspora, die während der weiter andauernden Internetblockade weltweit auf die Verbrechen Hemedtis und seiner RSF aufmerksam machte und somit international Druck ausüben konnte.

Am 5. Juli einigte man sich mit Hilfe der Afrikanischen Union auf einen Vorvertrag, innerhalb der nächsten drei Jahre eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden. Am 8. Juli wurde daraufhin das Internet landesweit wieder eingeschaltet. Viele Videos und Bilder von dem Massaker am 3. Juni sind dann erst an die Öffentlichkeit gelangt. Intransparente Verhandlungen und Forderungen des Militärs nach Immunität veranlassten viele Sudanes*innen, weiterhin auf die Straße zu gehen und immer wieder eine Zivilregierung einzufordern. Am 31. Juli kam es erneut zu Gewalttaten der RSF gegen Demonstrationen in El Obeid, bei der vier Schüler*innen und ein Zivilist getötet wurden.

Trotz weiterhin andauernder Gewalt gegen Zivilist*innen gingen die Verhandlungen weiter und am 3. August 2019 gab es eine Einigung auf Verfassungsänderungen. Aufgrund der monatelangen Verhandlungen, während deren es trotzdem immer wieder zu gewalttätigen Aktionen der RSF kam, und des allgemeinen Misstrauens gegen das Militär ist die Situation im Land weiterhin angespannt. Viele Sudanes*innen sehen die Verhandlungen und die Einigung auf eine Verfassungsänderung als ersten Schritt in die richtige Richtung. Viele sind jedoch strikt dagegen und stellen sich gegen Verhandlungen mit dem Militärrat. Skeptisch sind alle, denn bis heute wurde offiziell noch nichts unterzeichnet. Das Dokument, das den Grundstein für die gemeinsame Übergangsregierung legt, wurde ebenso offiziell noch nicht veröffentlicht. Und selbst wenn es so weit kommen sollte, wäre das immer noch keine Garantie dafür, dass künftig Gewalt gegen Zivilist*innen verhindert wird.

Eine der Hauptforderungen der Demonstrant*innen ist die Aufklärung all der Verbrechen, die in den letzten dreißig Jahren verübt worden sind, besonders aber der des Massakers am 3. Juni 2019 und danach. Die Kräfte für die Freiheit und den Wandel (FFC) fordern vor allem eine unabhängige Untersuchung des Massakers und der Verbrechen sowie den Wiederaufbau des sudanesischen Justizsystems. Da al-Baschir bis heute nicht an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert worden ist, hofft man jetzt auf seine nationale Verurteilung und die seiner Mittäter sowie aller Verantwortlichen nach seinem Sturz. Ob dies gelingt, ist fraglich, sitzen doch seine Verbündeten und Mitverantwortlichen im jetzigen Militärrat. Immerhin fordert dieser keine generelle Immunität mehr.

Die am 3. August 2019 unterzeichnete Einigung fordert die Gleichheit aller Sudanesinnen und Sudanesen, egal welcher Ethnie oder Religion, sowie Entschädigungen für all jene, die vor dreißig Jahren aus ihren Ämtern und Arbeitsplätzen entlassen wurden. Die Einigung betont den Wiederaufbau der Rechtsstaatlichkeit und die Konstituierung einer neuen und vor allem nachhaltigen parlamentarischen Verfassung vor dem Ende der Übergangsregierung. Diese soll insgesamt 39 Monate dauern, von denen die ersten sechs Monate vor allem der ernsthaften Friedenssicherung, der Beendigung aller Kriegshandlungen und dem Ende der Unterdrückung gewidmet werden sollen. Eine besonders große Herausforderung wird außerdem die Wiederherstellung einer stabilen ökonomischen Situation sein sowie der Schutz der Umwelt, Artenvielfalt und natürlichen Ressourcen.

In der Übergangszeit wird ein souveräner Rat gegründet, der aus jeweils fünf Vertreter*innen des Militärrats und der FFC besteht sowie einem oder einer zivilen, auf den oder die sich beide Seiten einigen. Während der ersten einundzwanzig Monate wird der Rat von einem oder einer vom Militär ausgewählten Präsidenten/Präsidentin geführt werden, in den letzten achtzehn Monaten von einem oder einer von den FFC gewählten. Das Übergangskabinett soll aus nicht mehr als zwanzig Minister*innen bestehen, die alle von einem zivilen Ministerpräsidenten oder einer zivilen Ministerpräsidentin ernannt werden sollen, außer den Posten für das Innere und die Verteidigung. Das Parlament soll zu zwei Dritteln mit Abgeordneten der FFC und zu einem Drittel mit Abgeordneten des Militärs besetzt werden. Außerdem werden einzelne Komitees gebildet, die den Friedensprozess begleiten und nach dem Ende der Übergangszeit faire und freie Wahlen vorbereiten.

Bis jetzt sind diese Punkte noch nicht in Kraft getreten, sie werden erst am 17. August unterzeichnet. Größter Schwachpunkt ist nach wie vor, dass alle bewaffneten Kräfte weiter unter dem Kommando der alten Machthaber stehen und sich daraus weiterhin ein Ungleichgewicht der Macht ergibt und dass das Gewaltmonopol beim Militär verbleibt. Es gibt also keine Garantie für ein Ende der Gewalt und auch keine gerechte Machtteilung. Durch diese Monopole ist es für den Militärrat auch jetzt noch möglich, sudanesische Truppen in den Krieg im Jemen zu schicken und somit weiterhin finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien zu bekommen.

Falls die Bevölkerung mit der Übergangsregierung des Militärs unzufrieden sein und auch künftig auf die Straße gehen sollte, um eine komplett zivile Regierung zu fordern, ist außerdem unvorhersehbar, wie Hemedti und seine RSF darauf reagieren werden. Die Widerstandskomitees in den einzelnen Nachbarschaften sind prinzipiell gegen Verhandlungen mit dem Militär. Wie sie sich verhalten und ob sie erst einmal davon absehen werden, zu neuen Protesten aufzurufen, bleibt abzuwarten. Die Opposition und die FFC sind generell von den Protestierenden auf der Straße abhängig. Sie sind die einzige Waffe, die sie gegen das Militär haben, dadurch müssen sie sich auch nach ihnen richten. Sollten die Proteste anhalten, werden auch die Unterzeichnung dieser Vereinbarung und die Bildung einer gemeinsamen Übergangsregierung nicht weiterhelfen. Die FFC müssen nun garantieren, dass das Militär in der Übergangsregierung keine Überhand gewinnt, denn im Gegensatz zu dem können sie sich momentan nicht auf finanzielle und materielle Unterstützung aus anderen Ländern verlassen. Ihnen bleiben also nur die internationale Solidarität und die internationale Gemeinschaft, die sich nicht weiter von dem abwenden darf, was im Sudan passiert.

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Weitere Informationen: https://www.facebook.com/SudanUprisingGermany/


 Kurdistan Report 205 | September/Oktober 2019