Bericht von der 4. Mittelmeerkonferenz der EL in Beirut

Linke Vernetzung für gemeinsame Strategien

Julia Wiedemann


Vom 29. bis 31. März tagte die Mittelmeerkonferenz der Europäischen Linken (EL) in Beirut. Initiiert von der Nahost-Arbeitsgruppe der EL fand sie bereits zum vierten Mal statt. Die Idee dahinter ist der Austausch zwischen linken Kräften diesseits und jenseits des Mittelmeeres und der angrenzenden Länder.

Bericht von der 4. Mittelmeerkonferenz der EL in BeirutDie Lage in der Mittelmeerregion und dem Nahen Osten wird von Europa beeinflusst. Die Folgen des europäischen Kolonialismus sind bis heute spürbar und werden in neuen Formen der Einflussnahme und Abhängigkeiten sichtbar. Durch sogenannte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und nordafrikanischen Ländern wird Einfluss auf Wirtschaftspolitik und Investitionen vor Ort genommen. Durch Waffenlieferungen aus Europa in die Region werden gezielt Länder in ihrer Rolle als Regionalmacht gestärkt, durch militärische Intervention ist Europa direkt an Kriegen beteiligt. Die Veränderung der Welt zu einer multipolaren Weltordnung stellt die Frage nach der Machtverteilung in der Region neu. Iran und Saudi-Arabien mischen in den Kriegen in Syrien und im Jemen mit.

In einer globalisierten, politisch und wirtschaftlich so interdependenten Welt können es sich linke Kräfte nicht leisten, nur die Probleme vor ihrer Haustür lösen zu wollen. Es braucht Austausch und damit verbunden einen Wechsel der Perspektiven, um Zusammenhänge zwischen den einzelnen Problemen sichtbar werden zu lassen und gemeinsame Strategien entwickeln zu können.

Zu diesem Zweck versammelten sich Vertreter*innen linker Kräfte aus Europa und dem Nahen Osten in Beirut. Frühere Mittelmeerkonferenzen fanden 2017 in Benalmadena (Spanien), 2015 in Istanbul und 2012 in Palermo statt. Um die arabischen Teilnehmer*innen stärker einbeziehen und die Sichtweisen aus der südlichen Perspektive des Mittelmeeres besser zum Ausdruck kommen zu lassen, war es an der Zeit, dieses Mal in einem arabischen Land zu tagen. Die Kommunistische Partei Libanon hatte sich als Veranstaltungspartner angeboten und die Konferenz mit ausgerichtet.

In verschiedenen Panels wurde über den Widerstand gegen den Imperialismus, die Krise des Kapitalismus, soziale Kämpfe, Militarisierung, Kriege und Konflikte, Flucht und Migration, Frauenkämpfe, Ressourcenpolitik und Klimawandel diskutiert. In den Kernfragen gab es Einigkeit. Frieden und eine Ende von Gewalt und Vertreibung waren eine zentrale Forderung der Konferenz. Geteilt wurde auch die Analyse veränderter globaler Machtstrukturen oder neokolonialer Ausbeutungs- und Abhängigkeitsstrukturen.

Die Partnerschaftsabkommen der EU mit den Ländern Nordafrikas haben in ihrer bisherigen Ausgestaltung keinen Vorteil für die dort lebende Bevölkerung gebracht. Banken, große Firmen und Monopole der Agrarwirtschaft profitierten, während die Staaten selbst zu einer Privatisierungspolitik gedrängt wurden, die am Ende zu Lasten der ärmeren Bevölkerung und des Mittelstandes führte und die soziale Ungleichheit verschärfte. Die Ursachen liegen nicht im »Westen« allein, werden von dort aber befördert. Doch gibt es auch Widerstand gegen soziale und politische Missstände. In Ägypten und Marokko protestierten tausende Lehrer*innen gegen schlechte Bezahlung, in Algerien gab es massive Proteste gegen die erneute Kandidatur Bouteflikas, deren Forderung nach einem Wandel des Systems eine starke soziale Komponente hat. Tunesien erlebte Anfang des Jahres den größten Streik seit der Ermordung von Chokhri Belaid 2013. Im Irak entstand aus sozialen Protestbewegungen eine politische Zusammenarbeit zwischen linken und schiitischen Kräften, die bei einem gemeinsamen Antritt zu den Parlamentswahlen die Mehrheit der Sitze erringen konnten. Proteste im Sudan führten zum Sturz des Präsidenten.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gerieten linke Strukturen in eine Krise, aus der sich bis heute nicht alle erholt haben. Die Zersplitterung im linken Lager und der Mangel an neuen linken Strategien führten in vielen Ländern zu einer Lähmung. Die aktuellen Proteste machen Hoffnung auf einen neuen linken Aufschwung.

Doch traten in den Debatten auch Unterschiede hervor. Einer davon war die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieses wollte an sich niemand in Frage stellen, doch die Interpretation fiel unterschiedlich aus. Die Vertreterin der HDP stellte mit Blick auf die kurdische Frage das Konzept des Konföderalismus und der demokratischen Selbstverwaltung vor, wie sie derzeit in Nordsyrien praktiziert wird, und ermutigte die Teilnehmer*innen, Nationalismus als Konstrukt in Frage zu stellen. Aus palästinensischer Perspektive ist das Selbstbestimmungsrecht hingegen ganz stark mit der Gründung und internationalen Anerkennung eines eigenen, lebensfähigen und besatzungsfreien Staates verbunden. Nur in einem unabhängigen Nationalstaat sehen sie ihr Recht auf Selbstbestimmung verwirklicht. Ähnlich verhält es sich mit der Bevölkerung in der Westsahara, die seit 1975 von Marokko besetzt ist, und über die Nadjat Hamdi von der Frente Polsiario berichtete. 1991 konnte mit Hilfe der Vereinten Nationen ein Referendum ausgehandelt werden, bei dem die Sahrauis entscheiden sollten, ob sie in Marokko verbleiben oder unabhängig sein wollen. Das Referendum hat bis heute nicht stattgefunden. Damit traf sie einen wunden Punkt bei den anwesenden marokkanischen Genossen, die einer Teilung Marokkos mit Sorge entgegensehen. Sie plädierten dafür, das Recht auf Selbstbestimmung in der Einheit des Landes umzusetzen und auf ein Referendum zu verzichten. Deutlich wurde in der Diskussion, dass Unabhängigkeit allein kein Garant für Selbstbestimmung ist, dass die Frage über die Unabhängigkeit aber nicht von oben, sondern von den Betroffenen beantwortet werden muss.

Bewegend für alle Teilnehmer*innen war der Bericht der Organisation Open Arms, die über ihre Einsätze im Mittelmeer zur Rettung Geflüchteter berichteten. Ursprünglich wollte die Organisation samt ihrem Boot in Beirut anlegen, doch dieses darf derzeit Spanien nicht verlassen und hängt, wie viele andere, im Hafen fest, während weiterhin täglich auf dem Mittelmeer Menschen in Seenot geraten und ertrinken.

Im Rahmen der Operation »Sophia« der Europäischen Union zur »Bekämpfung krimineller Schleusernetzwerke vor der libyschen Küste« waren mehrere europäische Marineschiffe im Mittelmeer im Einsatz, die sich auch an Seenotrettungen beteiligt hatten. Doch die Mandate wurden nicht mehr verlängert, und die Operation von der See in die Luft und den Bereich der Aufklärung verlagert. Zivile Rettungsmissionen werden kriminalisiert und in ihrer Arbeit massiv behindert. Damit ist es nun Aufgabe der libyschen Küstenwache, Geflüchtete in Seenot aufzunehmen. Die Vertreterin von Open Arms schilderte, was das bedeutet. Vorausgesetzt, die Küstenwache reagiert überhaupt auf Notrufe, werden Geflüchtete nach Libyen zurückgebracht und in Camps inhaftiert, wo ihnen Misshandlung, Folter und Vergewaltigung drohen.

Während man mit dem Blick aus Europa mit Entsetzen auf die Tragödien im Mittelmeer schaut, gerät die Lage der Geflüchteten in Ländern wie Libanon oder der Türkei manchmal in den Hintergrund. Auch hier waren die Berichte schockierend. Im Libanon leben derzeit ca. 1 Million Geflüchtete aus Syrien, bei ca. 4,5 Millionen Einwohner*innen. Die Hilfsgelder decken nur einen minimalen Teil der benötigten Ressourcen zur Versorgung, Krankheiten und Mangelernährung sind die Folge, Frauen prostituieren sich für ihren Lebensunterhalt. Viele Geflüchtete arbeiten im informellen Sektor weit unter Mindestlohn. Dies führt wiederum zu einem gestiegenen Rassismus gegenüber Syrer*innen innerhalb der libanesischen Bevölkerung, die sich dadurch von Arbeitslosigkeit bedroht sieht.

In der Türkei leben offiziell 4 Millionen Geflüchtete, viele unter schlimmsten humanitären Bedingungen. HDP-geführte Kommunen hatten eigene Flüchtlingslager und Hilfsnetzwerke errichtet, doch mit der verschärften autoritären Führung der AKP-Regierung wurden in vielen Gemeinden Bürgermeister*innen durch eine Zwangsverwaltung ersetzt und Hilfsprojekte nicht weiter finanziert. In der Diskussion ging es neben den humanitären Aspekten um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Rückkehr nach Syrien möglich ist. Ein politischer Prozess mit einer Übergangsregierung und einer demokratischen Verfassung wurde als Voraussetzung für einen zivilen Wiederaufbau gesehen.

Ein weiteres Beispiel unterschiedlicher Sichtweisen war die Frage nach dem Umgang mit dem Klimawandel. Im letzten Jahr waren weltweit 68 Millionen Menschen direkt durch extreme Naturereignisse in Folge des Klimawandels betroffen, sei es durch Waldbrände, Überschwemmungen oder Stürme. Der Vertreter des portugiesischen Bloco sprach sich dafür aus, das sich vor der Küste Portugals befindliche Erdöl gar nicht erst zu fördern, um aus dem Muster der weiter steigenden CO2-Emissionen auszubrechen. Eine Option, die für den Vertreter der Irakischen Kommunistischen Partei nicht zur Debatte stand. Hier steht der Wiederaufbau des Landes im Vordergrund, des Bildungs- und des Gesundheitssystems und der Aufbau einer von Importen weitgehend unabhängigen Landwirtschaft. Dafür ist es zwingend notwendig, dass der Staat die Kontrolle über den Verkauf des Erdöls zurückgewinnt, um die Einnahmen der Bevölkerung zugutekommen zu lassen. Im Irak kontrolliert der Staat die Förderlizenzen, der Verkauf erfolgt über private Firmen. Im Irak gäbe es viele Möglichkeiten zur Nutzung regenerativer Energien, doch mittelfristig lassen sich diese nur aufbauen, wenn auch die anderen Probleme des Landes angegangen werden.

Auffällig war, dass unter den arabischen Parteien fast nur ältere männliche Delegierte auf der Konferenz vertreten waren. Während alle die Rolle der Frauen in den sozialen und politischen Protesten ihrer Länder betonten und sich für Gleichberechtigung aussprachen, scheint es in der Umsetzung nicht überall zu gelingen. Exemplarisch stand dafür die Bemerkung eines Teilnehmers. In dem Panel zu Frauenbewegungen und sozialen Protesten ließ der Moderator in der Diskussion zunächst nur Frauen zu Wort kommen, der erste männliche Redner, der sprechen durfte, kommentierte: »Wenn jetzt den Frauen so viel Redezeit eingeräumt wurde, beantrage ich auch extra Redezeit für Arbeiter.«

Die Vielfalt der Themen der Konferenz und die regen Debatten machten sichtbar, dass dieser regionenübergreifende Austausch notwendig ist und in unterschiedlichen Formen fortgesetzt werden sollte, nicht erst auf der nächsten Mittelmeerkonferenz.

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Die Partei der Europäischen Linken ist eine 2004 gegründete europäische politische Partei. Ihre 27 Mitglieds- und 12 Beobachterparteien sind sozialistische, kommunistische, rot-grüne und andere demokratische linke Parteien, unter anderem die Partei DIE LINKE.

Julia Wiedemann ist Mitarbeiterin im Bereich Internationale Politik der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE und hat in dieser Funktion an der Konferenz teilgenommen.


 Kurdistan Report 203 | Mai/Juni 2019