»Partisanen einer neuen Welt« von Nikolaus Brauns und Murat Çakır (Hg)

Mühsame Quellenarbeit für den Zugang zu den politischen Entwicklungen

Buchrezension von Elmar Millich

Partisanen einer neuen Welt – eine Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung in der TürkeiDie revolutionären Kämpfe in der Türkei werden spätestens seit den Gezi-Park-Protesten von 2013 auch in Deutschland nicht mehr als allein von der kurdischen Befreiungsbewegung getragen wahrgenommen. Die Erfolge der HDP, bei den Wahlen der letzten Jahre trotz der 10%-Hürde in das türkische Parlament einzuziehen, beruhen gerade auf einem Bündnis mit linken und liberalen Kräften in der Westtürkei. In Kurdistan gibt es seit Jahren vor allem in Dersim gemeinsame militärische Operationen von TIKKO, einer der TKP/ML nahestehenden bewaffneten Gruppierung, und den Volksverteidigungskräften der PKK. In Rojava kämpfen in den Reihen von YPG und YPJ Kämpferinnen und Kämpfer verschiedener revolutionärer türkischer Organisationen – etwa der MLKP – und InternationalistInnen aus Europa und anderen Kontinenten.

Für viele Deutsche, die seit einer langen Zeit solidarisch an der Seite der kurdischen Befreiungsbewegung stehen und sich in der Entwicklung der PKK gut auskennen, bildet die Geschichte der revolutionären Bewegungen in der Türkei – vor allem vor dem Militärputsch von 1980 – immer noch einen weißen Fleck. Zu ihnen zählt sich auch der Autor dieser Rezension. Als etwa 2015 die Meldung kam, bei dem Anschlag von Pirsûs (Suruç) seien 34 Mitglieder der »Föderation der sozialistischen Jugendverbände der Türkei« (SGDF) getötet worden, sagte mir diese Organisation zunächst nichts. Auch als in München 2016 der §129b-Prozess gegen angebliche Mitglieder der türkischen TKP/ML eröffnet wurde, musste ich erst mal im Internet schauen, um welche Gruppierung es sich handelte.

Abhilfe kann hier die Neuerscheinung »Partisanen einer neuen Welt – eine Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung in der Türkei« liefern. In der von Nikolaus Brauns und Murat Çakır herausgegebenen Edition wird die Geschichte der Linken in der Türkei seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts dargelegt. Besonders im ersten Teil, über die Geschichte bis zum Militärputsch von 1980, macht der Historiker Nikolaus Brauns diesen Teil der internationalen sozialistischen/kommunistischen Weltbewegung in mühsamer Quellenarbeit erstmals dem deutschsprachigen Publikum zugänglich. Der vor allem geostrategisch geprägte Umgang der in Moskau ansässigen Komintern mit der türkischem KP in den 1930er Jahren zeigt auffallende Parallelen zum heutigen Verhältnis Russland-Türkei in der Syrienfrage. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar sahen viele türkische Linke bis in die 1970er im Kemalismus eine im Kern antiimperialistische Kraft, mit der zumindest Bündnisse einzugehen seien. Die in Deutschland nach der StudentInnenbewegung auftretenden Zerwürfnisse zwischen den sich als kommunistisch verstehenden Gruppen bezüglich ihrer Orientierung an Moskau oder Peking blieben auch der Türkei nicht erspart. Breiteren Umfang findet in dem Buchteil auch der Umgang der jeweiligen sozialistischen/kommunistischen Gruppen mit der kurdischen Frage.

Murat Çakır beschreibt im zweiten Teil die Entwicklung vom Militärputsch 1980 bis heute. Neben den politischen Entwicklungen und der Analyse des Aufstiegs der AKP finden hier auch Arbeitskämpfe in der Türkei und ihr Einfluss auf die politische Entwicklung breiten Raum.

Wie in allen linken Parteien und Bewegungen ging es bei der Frage von Haupt- und Nebenwidersprüchen auch in der Türkei nicht nur um den Umgang mit der kurdischen Nationalbewegung, sondern ebenso um die Frauenemanzipation. In diesem Teil des Buches zeigt Brigitte Kiechle die Entwicklung der kurdischen Frauenbewegung von der Gründung der Republik bis heute auf. Wenn vor allem der positive Einfluss des Kemalismus auf die Stellung der Frau zu Beginn der Republik nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, findet doch eine Relativierung statt bezüglich der Frage, welche Klassen davon profitiert hätten. Aktuell werden die Positionen der kurdischen Frauenbewegung und ihr Verhältnis zu den emanzipatorischen Strömungen in der Westtürkei dargestellt.

Im letzten Buchteil beschreibt der holländische Sozialwissenschaftler Joost Jongerden die ideologische Entwicklung der PKK von ihrer Gründung bis heute inklusive mancher persönlichen Zerwürfnisse vor allem in den Jahren zwischen 2000 und 2004.

Das von Nikolaus Brauns und Murat Çakır herausgegeben Buch beschreitet im deutschsprachigen Raum Neuland im Hinblick auf den Zugang zu politischen Entwicklungen vor allem in den Anfangsjahrzehnten der Türkei und ist damit unbedingt empfehlenswert. Was mich persönlich etwas stört, ist, dass sich die Herausgeber nicht nur in ihrem Nachwort, das sei ihnen unbelassen, sondern auch in ihren Aufsätzen gelegentlich als Schiedsrichter betätigen, welche Entscheidungen der türkischen/kurdischen Gruppierungen nun richtig oder falsch gewesen seien. Dabei fließt natürlich ihre eigene ideologische Position ein. Last but not least: Aufgrund des Umfangs des Buches – ca. 500 Seiten – setzt die Lektüre nicht nur ein politisches, sondern auch ein gewisses historisches Interesse voraus.

Partisanen einer neuen Welt – eine Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung in der Türkei
Nikolaus Brauns u. Murat Çakır (Hg.)
Die Buchmacherei Berlin, 528 Seiten, 20,00 €
ISBN 978-3-9819243-4-3


 Kurdistan Report 201 | Januar/Februar 2019